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Selbsterlebtes und Notizen aus dem Alltag


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Alltag & Frühdienst

Plötzlich, wenn man wieder arbeitet, schwindet die verfügbare Zeit. Hatte ich fast vergessen. Ich kam heute auf direktem Weg (ohne Lebensmitteleinkauf) vom Frühdienst und war 15.35 Uhr zuhause, startete den Rechner, um die Routinearbeiten abzuleisten: Tee kochen, Verräumen von Sachen, Hochfahren des Rechners, Downloads der notwendigsten Sendungen des Vortages (Kulturzeit, Nachrichten, SOKOs, Tatort, Polizeiruf 110), E-Mails & WhatsApps der letzten 24 Stunden sichten. Und schon ist es 16 Uhr! Daraufhin gucke ich den Rest einer gestern Abend aus Müdigkeit unterbrochenen Kulturzeit-Sendung und schiebe gleich eine weitere hinterher. Nebenher so einige Schreibtischarbeiten, u.a. eine Mahnung entdeckt, weil ich im März eine Rechnung meines horen- Abonnements übersehen habe. Post vom Optiker, der mir alljährlich zum Geburtstag (18.4.) einen Gutschein anbietet, heuer einen kostenlosen Sehtest, den ich wahrnehmen werde. Auf Arbeit vergaß ich streßbedingt die Flüssigkeitsaufnahme und hole sie nun mittels Schwarztee + Kaffee nach, die ich allerdings nur bis 18 Uhr zuführen sollte, damit ich später einschlafen kann. Jedes Teammitglied erhält zum Geburtstag ein Geschenk, welches man selbst bestimmen kann. Ich hatte mich für einen, tja, wie nennt man diese Thermogetränkebecher, die mit dem To-go- Zeitalter Einzug in fast jede Hand gehalten haben, so nun auch in meine? Unterwegs verbrannte ich mir sofort die Zunge am heißen Früchtetee. Die Straßenbahn war rammelvoll. Fast chancenlos, eine Ecke zu ergattern, in die man ungestört hineinatmen kann und in der man ungestört vom Atem anderer ist. Die Verkehrsbetriebe sollten den 15-Minuten-Takt wieder auf den 10-Minuten-Takt erhöhen, damit man sich nicht auf die Pelle rückt und in zwei, drei Wochen nicht beatmet auf einer ITS liegt. Um 4.15 Uhr, wenn der Wecker klingelt, überhaupt in die Senkrechte zu kommen, muß ich zwischen 20 und 21 Uhr ins Bett gehen. Dann höre ich noch verschiedene Audiobeiträge des Deutschlandfunks und muß sie an Arbeitstagen beschränken, weil ich mit dem Programm gar nicht durchkäme. Optimal bzw. minimal wären das: "studio 9 - der Tag mit..." (30'), DLF - der Tag" (25'), "DLF Nova - Update" (30'), Presseschau (5'), Internationale Presseschau (8'), Kulturnachrichten (10'), Politisches Feuilleton (5'), Wissensnachrichten (5') - was geschlagenen 2 Stunden aktiven Hörens entspricht. Wie gesagt, das Minimum! Alle anderen Sendungen werden optional dazu geschoben, so daß ich, wenn ich's darauf ankommen ließe, täglich locker 5 bis 6 Stunden zu tun = hören/sehen hätte, OHNE auch nur eine Unterhaltungssendung wie eine SOKO-Folge, einen Polizeiruf 110 oder einen Tatort anzuklicken. Ich könnte ohne Broterwerb meine Tage, so wie ich es während der langen Monate der Arbeitsunfähigkeit handhabte, füllen. Langeweile ist wirklich nicht das Thema. (23. April 2020)


Der Draht zur Welt

Freunde aus den Zeiten meiner Pflegeausbildung (1991-1994) videochatten coronabedingt öfter. Mir fehlt das technische Equipement und ich es kann es aktuell infolge der geschlossenen Läden nicht kaufen. Sprich Webcam. Eine vor mehr als elf Jahren gekaufte und seitdem nur in der Schublade herumliegende Webcam konnte bei zu alten und von Windows 10 nicht mehr unterstützten Treibern nicht mehr zum Leben erweckt werden. Das Betreiben per Smartphone, indem ich das erforderliche Jitsi Meet installierte, scheitert an zwei Makeln: die Handykamera ist seit Jahren defekt und der Speicherplatz für neue Apps zu gering. Meine Psychotherapeutin würde das hier Geschilderte nahtlos als Emanation meiner schiozoiden Persönlichkeit sehen, wofür tatsächlich einiges spricht. Daß ich Kontakt nicht wirklich anstrebe, daß ich mich verweigere und entziehe. Trotzdem würde ich gerne mit den Freunden reden und die Kontakte lebendig erhalten. Bilde ich mir jedenfalls ein, gehe ich davon aus. Ich bräuchte eben entweder eine Webcam oder ein neues Smartphone. Mein vor wer weiß wieviel Jahren im Rahmen eines Datenvertrages bei (damals Simyeo, jetzt:) Blau dazu bekommenes betagtes Samsung Galaxy Tab 4 kostete mich nix (war im Vertrag inbegriffen). An sich wollte ich gänzlich ohne mobiles Gerät weitermachen und kümmerte mich nie darum, ein moderneres anzuschaffen, wozu Durchblick und also Vorrecherche gehört, damit sich eine Entscheidung fällen läßt. Allerdings ändert Corona den Blickwinkel und die Einschätzung der Lage. Ohne Smartphone auszukommen schnitte mich von der Außenwelt je mehr ab. Zwar bindet und fesselt es Aufmerksamkeit & Konzentration, verbindet jedoch genauso, stiftet und unterhält Beziehungen. (13. April 2020)


Eutritzsch (1)

Bis zum letzten Tag im unklaren gewesen. Die Station, auf der ich seit unserem Umzug an den Standort Grünau 2004 gearbeitet hatte, gibt es nicht mehr. Seit dem 1. April besteht eine neue Station in Eutritzsch, dem Hauptstandort des Klinikums St. Georg. Sie umfaßt 38 Betten (Gastroenterologie und Diabetologie), verteilt auf einem die Länge des Pavillons umfassenden, winkeligen Gang. Pavillon heißt Altbau, hohe Fenster, hohe Decken, Kompaktheit, ganz anders als der lichtdurchflutete Neubau am alten Ort. Die sanitären Anlagen im Patientzimmer entsprechen nicht dem bisher geschätzten Standard; vor allem fehlt die Dusche; ein schnöder Vorhang trennt das Waschbecken vom Rest des Zimmers. An die Gepflogenheiten und Gegebenheiten müssen wir uns gewöhnen, die Strukturen und Abläufe erlernen bzw. teilweise selbst etablieren; denn wir sind als beinah komplettes Team gewechselt und fremdeln dementsprechend. Gestern war mein erster Dienst, in dem ich mehr herumgeirrt bin, als strukturiert und effizient tätig gewesen zu sein. Ich merke mein Alter deutlich! Die jungen Kollegen scheinen den Wechsel und die mit ihm korrelierenden Herausforderungen besser zu verkraften und Härten leichter wegzustecken. Mein Arbeitweg führt nun nicht mehr nach Westen, sondern nach Norden - zeitlich ändert sich wenig, die Entfernungen und der Umstieg in eine andere Straßenbahn am Hauptbahnhof bleiben. Ich sollte mit etwas mehr als 1 Stunde pro Strecke rechnen, d.h. wenn ich um 13.30 Uhr den Spätdienst beginne, muß ich 12.15 Uhr aus dem Haus. Verlasse ich die Klinik um 22 Uhr, bin ich nach 23 Uhr zuhause. Meine gesundheitliche Lage ist momentan glücklicherweise dergestalt, daß ich den Belastungen gewachsen bin. Mich belästigen weniger der hier oft aufgeführten psychosomatischen Symptome. (2. April 2020)


Bürokratie

Es lebe die deutsche Bürokratie! Ein nahezu verhunzter Tag, nachdem ich telefonisch bei meiner Hausärztin vorfühlen wollte zwecks weiteren Vorgehens, zunächst an einer Mauer stetiger Besetzzeichen abprallte, schließlich doch in die Praxis fuhr, eine Bescheinigung für den Rententräger abstempeln ließ, diese zum Arbeitgeber brachte, wo mich ein Schild bremste, persönliches Vorsprechen im Personalbüro sei derzeit wegen Corona nicht möglich, ich durch Betteln gnädigerweise vorgelassen wurde und mit der Sekretärin komplizierte Erklärungen erörterte. Offenbar ist eine lange Erkrankung ein Kraftakt nicht nur für den Erkrankten selber, sondern auch alle am Papierkram Beteiligten. Letztendlich verlangen Arbeitgeber und Krankenkasse auf dem letzten AU-Schein ein Kreuz bei "Endbescheinigung", so daß ich heute Nachmittag nochmals zur Hausärztin fahren und mich zu erneuten Erklärungen aufschwingen mußte. Langer Rede, kurzer Sinn, ich habe mich nun entschieden, übermorgen regulär arbeiten zu gehen, d.h. ohne stufenweise Wiedereingliederung. Ich war am 21. des Monats fünf Monate hintereinander krank und kann jetzt nicht nochmals die Tortur einer Wiedereingliederung auf mich nehmen (Antragstellung, Warten auf Beginn + wochenlanges Einarbeiten), was bestenfalls weitere fünf Wochen umfaßen würde. Ich probiere, ob ich den Arbeitsprozeß so aus der Kalten heraus schaffe, wofür zwei Punkte sprechen. Zum einen wird unsere Station in 1 Woche aufgelöst. Wir sind also quasi Nachlaßverwalter und eher mit dem reibungslosen Zuendebringen befaßt als mit einem Stationsbetrieb auf vollen Touren. Zum anderen möchte ich auf der neuen Station am neuen Standort Eutritzsch im Norden Leipzigs von Anfang an dabei sein und den Neustart verzögerungsfrei & hautnah erleben und mitgestalten. (24. März 2020)


Panik light

Meine Panikkurve verlief bislang so: Als die Zahlen noch sehr gering waren, merkte ich eine quasi auf Standby geschaltete, mehr in eine dystopische Ferne gerichtete Besorgnis. Als die Zahlen der Infiszierten dann auch in Sachsen dreistellig wurden und der erste Tote zu beklagen war, als die Zahl der Neuinfiszierten täglich um mehrere Hundert stieg, als die Berichte aus Italien gezeigt wurden, schwappte die Sorge hoch, verließ mich der Mut. Inzwischen bemerkte ich den dem Menschen eigenen Gewöhnungseffekt. Die steigenden Fallzahlen werden registriert. Solange man selbst nicht betroffen ist - durch Kranke in der Familie oder im Kollegen/Bekanntenkreis, hält man diesen Schwebezustand einigermaßen aus. Freilich kreist die Frage 'Was soll nur werden'! wie eine lästige Fliege unverscheuchbar über mir. Ich fühle mich erinnert an Victor Klemperers Tagebücher (1933-1945), wie ich bei der Lektüre staunte, wie scheinbar selbstverständlich die Juden sich an das schleichende Elend gewöhnten, wie die Restriktionen und Gängeleien in deren Leben Einzug hielten und das Leben immer weiterging und Alltag blieb. Mein Staunen ob dieser Fähigkeit der Gewöhnung, des Hinnehmens und der Integration der Gegebenheiten, Notwendigkeiten und Informationen in das eigene Leben ist vielleicht das auffälligste Zeichen dieser meiner Tage. Mich bewegt, wie ich selbst als ungläubiger Thomas, erst werde mit Hände greifen müssen, um nachhaltig schockiert zu sein. Wenn ich aus dem Fenster blicke und Normalität sehe, wenn ich zu keiner Trauerfall kondolieren muß, wenn ich Brot und Käse zu kaufen bekomme, solange werde ich diese Standy-Panik beibehalten. Erschüttert war ich gestern Abend, als ich ein Video aus einem spanischen Krankenhause sah, wo entlang einem Gang Kranke auf bloßen Decken auf der Erde lagen. Diese Zustände sind wir im wohlgeordneten Deutschland nicht gewohnt. Inwieweit mir meine schizoide Persönlichkeitsstörung das Leid fernhält, ist eine Frage, über die ich nur mutmaßen kann. (24. März 2020)


Berufliche Wiedereingliederung (2)

Die Quintessenz anstrengender Stunden am Telefon und unterwegs: 1 Woche Aufschub. Der Hausarzt-Stellvertreter knallte mir einen Krankenschein bis Sonntag vor den Latz und komplimentierte mich nachdrücklich aus seiner Praxis, offensichtlich damit ich niemanden anstecke. Dieser AU-Schein gilt leider erst ab heute und umfaßt nicht die Tage ab Donnerstag, die somit ungeklärt bleiben. Rückwirkend keine Krankschreibung! Möglich, daß mir nun eine Versorgungslücke entsteht und die Krankenkasse das Krankengeld nicht zahlt. Die stufenweise Wiedereingliederung gilt aufgrund der Krankschreibung länger als 7 Tage quasi als gescheitert, nur kann an dieser Front niemand tätig werden, da die Hausärztin eben nicht da ist. Neuansatz nächsten Montag, wenn die AU neu verhandelt werden soll oder ich als arbeitsfähig gelte. Die BEM-Verantwortliche des Betriebsrates nahm die Vertagung entgegen und wird sich in jedem Fall weiter um mich kümmern. Szenarien: 1.Ich werde am kommenden Montag weiter krank geschrieben und warte, bis die Hausärztin aus dem Urlaub zurückgekommen ist und die Wiedereingliederung neu in die Wege leiten kann. 2. Der stellvertretende Hausarzt leitet sie am 8. März selbst neu ein. 3. Ich gehe ohne Wiedereingliederung und ohne BEM einfach wieder im alten Modus (Dauernachtdienst) arbeiten. Weil mir das Hickhack zwischen Rentenversicherung, Krankenkasse, Ärzte und Arbeitgeber über den Kopf wächst und ich keine Nerven mehr habe, tendiere ich für den gordischen Knoten: einfach erstmal wieder arbeiten gehen. // [Später] Als Aussätziger gefühlt heute früh. In die Praxis gekommen, sofort vermeldet, daß ich Influenza habe, ein Plätzchen mit gebührendem Abstand gesucht und den Praxisschwestern zugeschaut, die mit dem Computer zu kämpfen hatten, der die Karte nicht einlas. Zwischendrin der Arzt, den ich sowieso nicht leiden kann. Meine Versuche, die Problematik mit der Wiedereingliederung, und der bereits seit Donnerstag fehlenden Krankschreibung zu erklären, gingen in der Hektik unter. Ich stand wie ein gescholtener Pennäler in einer Ecke und wurde beschieden: "Sie kriegen von mir eine Krankschreibung, und dann gehen Sie auch gleich wieder!" Darauf noch kurz in eigentlichen Sprechstundenzimmer gewesen, auch dort an der Tür gestanden, vom Arzt kurz befragt worden, und tschüs, war ich auch schon wieder draußen. Auch diesmal, wie schon zuletzt, als ich wegen popeliger Extrasystolen und niedrigem Pulsschlag kam, dieser herablassende Umgang. Ob ich eine Grippeschutzimpfung bekommen hätte? Auf meine Verneinung, ein theatralischer Seufzer, typisch! und Sehen Sie! ALLE meiner Patienten, die zuletzt Influenza bekamen, waren NICHT geimpft. Ich solle mir doch klar machen, wie entscheidend und mittlerweile wirksam solche Schutzmaßnahmen seien. Mein Einwand, seit Oktober wäre ich ununterbrochen in anderweitiger Therapie gewesen und eine solche prophylaktischen Impfung überhaupt nicht mehr im Fokus gewesen, fand wenig Beachtung. (2. März 2020)


Reha-Sport

Kurze Unterbrechung vom Prokrastinieren und heute Nachmittag einen Termin beim Kardiologen vereinbart; denn die Behandlung muß trotz stabilem Herzstatus weitergehen. Außerdem beim Reha-Sport angerufen und einen unverzüglichen Termin für eine Aufnahmeuntersuchung bekommen, 16 Uhr dort aufgeschlagen und soeben nach Hause gekommen. Neben einer mündlichen Anamnese (Krankheitsgeschichte, momentane Beschwerden, Ziele usw.) erfolgte eine Körpermessung (Bioelektrische Impedanzanalyse), bei der diese Werte ermittelt wurden: Fettmasse, Körperwasser, Muskelmasse, Fettfreie Masse (FFM), Körperzellmasse (BCM), Extrazelluläre Masse (ECM) und Magermasse. Meine Muskel- und Fettanteile sehen besser als befürchtet aus. Freilich ist die Fettmasse von 28.2 kg (30%) zu hoch, aber die anderen Werte sind nicht zum Verzeifeln grottig. Die Körperzellmasse (BCM) umfaßt alle stoffwechselaktiven Körperbereiche, also alle Zellen, die Energie verbrauchen. Diese liegt mit 33.5 kg bei mir im Normbereich. Mein energetischer Grundumsatz liegt bei 1865 Kcal. Vorhin wog ich übrigens 94 kg - eine gewaltige Erleichterung im wahrsten Sinn des Wortes für mich! Der Reha-Sport, den ich bis zum ersten Termin am kommenden Mittwoch bei der Krankenkasse genehmigen lassen muß, wird einmal wöchentlich stattfinden und aus je 30 Minuten Ergometertraining und 30 Minuten Gymnastik bestehen - den Hauptelementen, die ich aus der stationären Reha kenne. Eingedenk meiner Antriebs- und Terminschwäche wird es eine gewaltige Herausforderung sein, die wöchentliche Termine sowohl festzulegen als auch letztlich einzuhalten. Hinzu käme mit der Psychotherapie, wenn ich mal einen Therapieplatz bekäme, ein weiterer regelmäßiger und vermutlich wöchentlicher Termin. Ich bin gespannt, ob ich das schaffen werde. Die Einrichtung heißt Treffpunkt Sport. Neben der von der Krankenkasse im Großen und Ganzen bewilligten und bezahlten (Eigenbeitrag = 6.- Euro monatlich) 18 Monate währenden Reha-Sport-Maßnahme wurde von der Sportwissenschaftlerin, die die Anamnese durchführte, eine Einzeltherapie angepriesen, bei der ich gleich die Vermutung hatte: 'Aha, Verkaufsgespräch'! Et voila, dieses sicherlich tolle und persönlich zugeschnittene Trainingsprogramm würde mich pro Monat 36.- Euro kosten. (25. Februar 2020)


Berufliche Wiedereingliederung (1)

Vor ziemlich genau vier Monaten war mein letzter Arbeitstag, nämlich in der Nacht zum 21. Oktober. Vom 22. Oktober bis zum 7. Januar folgte die Psychotherapie, vom 14. Januar bis zum 11. Februar die Rehabilitation, während der restlichen Tage war ich krank geschrieben. Und morgen nun heißt es zum ersten Mal nach acht Jahren früh aufzustehen, weil meine berufliche Wiedereingliederung startet, und zwar Punkt 6 Uhr morgens (bis 10 Uhr). Der Wecker steht auf 4.25 Uhr, die Straßenbahn fährt 4.40 Uhr. Ehrlich? Mir geht der Arsch auf Grundeis, eben aus den vielfältigen Gründen: vom Arbeitsprozeß entwöhnt zu sein, der Herausforderung, Tagdienst leisten zu sollen mit ganz anderen Aufgaben als im Nachtdienst, den ich seit acht Jahren ausschließlich kannte. Neben solch banaler Bedenken, überhaupt aus dem Bett zu kommen, türmen sich im Hirn die Befürchtungen, überfordert zu sein, dem Ganzen nicht gewachsen zu sein, zu versagen oder Mist zu bauen. Der gewiefte Schwarzseher und skrupulöse, depressive Durchdenker weiß, wovon ich schreibe. Da ich gestern mit ehemaligen Mitpatienten aus der Therapie (übrigens erstmalig in meinem Leben) zu einem Karaokeabend gewesen und erst 2.20 Uhr ins Bett gekommen war, widerstand ich bei großer Bettschwere heute Nachmittag nicht der Versuchung eines Schläfchens, so daß ich jetzt möglicherweise nicht einschlafen kann, zumal ich sehr, sehr aufgeregt und aufgewühlt bin. Zeit für eine Rusedal? Meiner Alltagstauglichkeit traue ich um so weniger, als ich dem Alltag so entwöhnt bin und quasi jedwede Übung und Anpassungsfähigkeit verlor. Die nächste Zeit wird zeigen, was geht und was nicht. An viele Dinge ist zu denken, Organisatorisches, Termine. Beispielsweise stehen noch weitere Anamnesegespräche bei Psychotherapeuten an, weil die ambulante Therapie noch ungeklärt ist. Weiterhin soll ich schon wieder zu einer Magenspiegelung, was mit der Einnahme des Blutverdünners Eliquis zusammenhängt, den ich wegen der Herzrhythmusstörungen nun doch dauerhaft schlucken muß. Ein Gespräch mit dem Arbeitgeber steht unmittelbar an, welches meinen weiteren Arbeitsstatus festlegen wird (welche Schichten?). Und anderes mehr. (23. Februar 2020)


Reha/Kur

Bei der Reha war ich, weil sie allein aufgrund meiner Herzrhythmusstörungen eingeleitet und auch so begründet worden ist, in der Kardiologie. Die Einrichtung in Teltow wird von der Deutschen Rentenversicherung betrieben und ist auf die drei Bereiche Kardiologie, Psychosomatik und Psychokardiologie spezialisiert. Ich schielte stets neidisch auf die Mitpatienten der Psychosomatik und Psychokardiologie, weil ich dort besser aufgehoben und deren Programm eine Fortführung meiner Psychotherapie gewesen wäre. Als schnöder Herzpatient mußte ich ein rein somatisch orientiertes Programm absolvieren, das aus Bewegungstherapien wie Ergometertraining, Walking und Gymnastik bestand sowie aus theoretischen Einheiten zu Themen wie Herzkrankheiten, Streßmanagement und Ernährung. Im Vergleich mit anderen, denen ich mich angeschlossen hatte und die als psychosomatische Patienten ein gänzlich anderes und, wie ich fand, abwechslungsreicheres Programm hatten, empfand ich mein tägliches Pensum als eher stupide. Die rein körperliche Betrachtungsweise der Dinge brachte mich auf die Palme, weil mir durch die Psychotherapie die Zusammenhänge ganz anders und vielschichtiger erscheinen und diese Einsichten mit der Pulsschläge zählenden, Blutdruck überwachenden und mit Wattzahlen herumjonglierenden kardiologischen Garde kollidierten. Ich fand, wie gesagt, Freunde aus der Psychosomatik, mit denen ich freie Zeit verbrachte, also vor allem die Abende und die Wochenenden. Wir redeten und spaßten, kramten Gesellschaftsspiele hervor, trieben Schabernack, fuhren mehrere Male bis nach Berlin shoppen. Billard, Tischtennis, Schwimmbad, Federball, Kicker sorgten für Abwechslung. Nur wenige Meter von der Klinik entfernt befand sich entlang des Teltowkanals die DDR-Grenze. Bis zu einer scheußlichen Erkältung erkundete ich die Gegend zu Fuß. Am letzten Samstag zog es mich nach Berlin, wo ich die touristischen Orte abklapperte, die ich seit der Wende nicht mehr gesehen hatte. Selbst als Leipziger verheddert man sich im Berliner ÖPNV unweigerlich. Ich suchte im Brandenburger Tor den Raum der Stille auf und entkam dadurch dem Lärm einer Nazikundgebung und deren Gegenproteste. In Teltow gibt mit dem Dreikäsehoch ein Cafe, in dem mehr als 50 Sorten Käsetorten angeboten werden und das über Besuchermangel wahrlich nicht klagen kann. In Berlin gibt es zwei Dependancen (Kaiserdamm 20 und Kollwitzstraße 44). Vom Essen her gab es bei der Reha nicht wirklich etwas zu meckern. Besonders die die Vollkornprodukte und die Salatvielfalt waren sehr gut. Das Mittagessen wurde, wie man allerorten betonte, salznormal bekocht, was die Gaumen der meisten jedoch als salzarm schmeckten. Man konnte unter drei Menüs wählen und sich die Beilagen selbst zusammenstellen und bekam bei Bedarf Nachschlag. Ich begann im Oktober die stationären Aufenthalte mit 105 kg, verließ sie im Januar bei 98 kg und konnte während der vergangenen vier Wochen nochmals zwei Kilogramm ablegen und bin momentan bei 96 kg. Nach meinem Alkoholentzug vor 213 Wochen nahm ich innerhalb weniger Monate mehr als 30 kg ab, verlor Ende 2016 erneut die Kontrolle über meine Ernährung, so daß die Pfunde sich wieder den Weg zu Bauch & Co bahnten. Um so glücklicher bin ich über die derzeit fast 10 kg Gewichsverlust und hoffe, das Regime diesmal zu behalten und im Lauf des Jahres möglichst noch die 90-kg-Marke zu knacken. (12. Februar 2020)


Intermezzo

Pingpong zwischen Hausarzt, Krankenkasse und Arbeitgeber. Die ganzen Papiere! Die aktuelle Krankschreibung, Aufenthaltsbescheinigungen und die unübersichtlichen Anträge für die stufenweise Wiedereingliederung zu diesen Stellen geschafft, wo mir geholfen werden mußte, sie auseinanderzuhalten und richtig zuzuordnen. Es wird irgendwie stetig schlimmer mit der Bürokratie bei gleichzeitig abnehmender Fähigkeit, den Wust zu bewältigen. Nun für die nächsten 12 Tage keinerlei dieser Lasten zu tragen, weil krank geschrieben bis zum Beginn der beruflichen Wiedereingliederung mit zunächst 4 Arbeitsstunden ab 24. Februar (zwei Wochen) und darauf 6 Arbeitsstunden für weitere 2 Wochen. Ab Montag, dem 23. März, soll ich wieder normal arbeiten. Normal nicht für mich, der ich, was die BEM (berufliches Wiedereingliederungsmanagment) noch absegnen muß, aus dem Dauernachtdienst aussteigen und in einen Zwei-Drei-Schichtdienst zurückkehren soll, wie ich ihn bis 2012 auch ausübte. Allerdings stellt dieser Umstieg vom seit exakt 8 Jahren praktizierten ausschließlichen Nachtdienst für mich eine äußerst gravierende Veränderung dar, welche jedoch sowohl durch den Psychotherapeuten als auch durch die Reha-Ärzte in deren Epikrisen (Arztbriefen) befürwortet wird und die ich dem BEM gegenüber vertreten muß, damit mein Vertrag entsprechend geändert & angepaßt wird. Der Gedanke künftig wieder im Früh- und Spätdienst arbeiten zu sollen, ruft zuallererst Panik oder zumindest eine arge Mulmigkeit hervor. Andererseits steht dem die Erfahrung entgegen, daß Tagdienst gesünder und bekömmlicher ist. (12. Februar 2020)


Psychotherapie (3)

Für uns Schizoide stellt sich stets die Frage nach der Balance zwischen gesellschaftlichem und singulärem Dasein. Wieviel Beziehung brauche ich, wieviel verkrafte ich? Was ist zu wenig, was überfordert mich? Denn bei sich selbst zu sein gelingt mir ausschließlich, sobald ich mit mir selbst allein bin. Daß die Gedanken klar und ungestört sind, daß man sich auf sich selbst konzentrieren, sich selbst wahrnehmen kann. Trotzdem gibt es den Drang nach Gemeinschaft, nach Beziehung, nach Austausch und Interaktion - nur eben in schätzungsweise viel geringerem Ausmaß als bei "normalen" Menschen. Inmitten von Gruppen von sagen wir > 5 Menschen gehe ich unter, verliere ich den Überblick, fühle ich mich unwohl und zerrissen, bin ich rasch erschöpft und überfordert. Im Kontakt mit einem Gegenüber oder in einer Gruppe von drei oder vier Menschen gelingt mir die ausgeglichene Selbst- und Außenwahrnehmung besser. In der Therapie mußte ich erkennen, daß meine isolierte Lebensweise mich krank gemacht hat. Nur bedeutet die Erkenntnis von defizitären sozialen Bindungen nicht zwangsläufig, daß man sie leicht erlangen kann, wenn sich Jahrzehnte lang Gewohnheiten etabliert haben, mit denen man sich rar für die anderen gemacht hat. Und aus dem Boden wachsen neue Bekannte oder gar Freunde nicht. Es heißt, zu ackern, Gelegenheiten zu sehen bzw. zu schaffen und sie wahrzunehmen. Verschiedene Ratschläge wurden erteilt, die von Selbsthilfegruppe (für/gegen Depressionen), Sportverein bis hin zu kulturellem oder sozialem Engagement reichen. Wie ich bemerkte, bin ich nicht mehr der Dampfplauderer, der superleicht Kontakte knüpft und Verabredungen trifft. Als ein um so härteres Pflaster begreife ich die Notwendigkeit sozialer Bindungen, wobei immer die Befürchtung mitschwingt, dieser BeziehungsARBEIT nicht mehr recht genügen zu können, daß der Zug abgefahren ist. Der alte Pessimismus, ein dumpfer Fatalismus drohen mich oft schlagartig einzuholen. Möglicherweise bremsend wirkt sich etwas aus, womit mich meine Therapeutin konfrontierte und was ich als Schlag in die Magengrube empfand: Ich wolle keine Hilfe brauchen. Das heißt, die verdeckte, insgeheime Pseudo-Autonomie, es selbst schaffen zu können. So bin ich im Spannungsfeld zwischen dem Bemühen um Beziehung und der Neigung, es autark zu versuchen in der selbst gesuchten, selbst verschuldeten und doch oft so reizvollen und für den eigenen Geist erholsamen Einsamkeit. (5. Januar 2020)


Psychotherapie (2)

Der äußere Rahmen einer stationären Psychotherapie war, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig. So viele und so rigide Regeln einzuhalten bedurfte einer Überwindung und Toleranz, die anfangs schwer fiel. Von 7.45 Uhr bis 16.30 Uhr (Therapiezeit) herrschte totales Handyverbot. Notebooks, Tablets waren gänzlich verboten. Der Aufenthalt auf dem Zimmer und außerhalb der Stationen ebenso während der Therapie. Zu den Mahlzeiten (7 Uhr, 11.45 Uhr und 17.15 Uhr) herrschte Anwesenheitspflicht. Ausgang nur bis 10 Uhr, so man unter der Woche grob gerechnet eigentlich nur zwischen 18 und 20 Uhr raus konnte bei, jetzt im Winter, leider völliger Dunkelheit. An den Wochenenden waren Beurlaubungen von den Mahlzeiten möglich, so daß man beispielsweise an einem Sonnabend zwischen 8.30 Uhr und 23 Uhr aushäusig sein durfte. Verletzte man eine Regel, drohte eine Abmahnung. Bei der dritten endete die Therapie. Ich erhielt meine (bisher) einzige Abmahnung dafür, daß ich eines Freitags zuhause 16 Kekse aß und mir bei diesem Freßflash keine Hilfe aus der Klinik holte. Verpaßte man eine Therapie, wobei schon 1 Minute Zuspätkommen reichte: Abmahnung. Ich entwickelte nach Wochen ein dickes Fell gegen mir unsinnig erscheinende Regeln bzw. gegen als ungerecht empfundene Maßnahmen. Mit körperlichen Symptomen brauchte man übrigens gar nicht erst anzutanzen. Einer heftige Erkältung meinerseits wurde mit der Empfehlung begegnet, Thymiantee zu trinken und Bonbons zu lutschen. Bei einer Herzrhymusstörung innerhalb der erste Woche wurde ebensowenig reagiert, mein Nitrospray konfisziert. Trotz mancher Merkwürdigkeiten schätzte ich die Professionalität aller Therapeuten. Wie sehr Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinandergehen, schockierte mich. Ich dachte immer, mich adäquat und ausreichend mitgeteilt zu haben; doch nur ein Bruchteil dessen erreicht den Empfänger. Andere sehen meine Verschlossenheit, eine Affektflachheit und mimische Eintönigkeit. Mein Sarkasmus wurde als Symptom dargestellt, Distanz zu anderen zu halten und Nähe zu vermeiden. Im Prinzip möchte ich keine Hilfe brauchen, möchte die Kontrolle behalten und allseits autonom sein. Gefühle zuzulassen und zu zeigen, könnte mit Kontrollverlust einhergehen und wird so vermieden. Recht verblüffend sind zudem die sichtbaren und verdeckten Merkmale. Als Zumutung erlebte ich wohl vor allem das abrupte Ende meines Bücherlebens. Ziemlich sicher bin ich mir, daß sich meine Lage nicht dermaßen zugespitzt hätte, hätte ich es so weiterführen können wie in den zwanzig, dreißig Jahren zuvor. Trotz der biografischen Schäden. Doch muß ich jetzt weiterleben. Weiterwursteln, hätte ich beinahe geschrieben. Während der Therapie, besonders in der wirklich intensiven achtwöchigen stationären Phase erlebte ich zahlreich Momente der Lebensfreude, etwas, das ich aus den vergangenen zehn Jahren überhaupt nicht mehr kannte. Ich erfuhr Zuwendung, Interesse, Nähe durch Mitpatienten, die unendlich gut tat und mich hoffnungsvoll stimmte. Allerdings verblaßten diese schönen Eindrücke schnell. Das Muster der Isolation hat sich jahrzehntelang so ungehindert ausbreiten können, daß es neue Verhaltensweisen und Strukturen schwer haben. Gewohnheiten zu ändern gehört zu den schwersten Aufgaben für Menschen. Ein Gedanke, der am heutigen Silvester eingängig sein dürfte, wenn man sich an all die Vorsätze erinnert, die man flugs in den Wind schlug. Mein Mitpatienten gaben mir als Rat mit auf den Weg, die Augen offen zu halten für all die Angebote, die ich bislang kaum wahrnahm und die doch für mich bereit stehen. (31. Dezember 2019)


Psychotherapie (1)

Ich habe mich einer 11-wöchigen Psychotherapie unterzogen. Acht Wochen lang verbrachte ich stationär auf der psychosomatischen Station der Leipziger Universitätsklinik und drei Wochen noch tagesklinisch im selben therapeutischen Rahmen. Nachdem es mir seit dem letzten Winter gesundheitlich stetig schlechter gegangen war und ich keinen Ausweg mehr wußte, suchte ich im August die Universitätsambulanz auf, wurde auf eine Warteliste gesetzt und durfte am 22. Oktober 2019 die tiefenpsychologisch orientierte Therapie beginnen. Am Tag zuvor hatte ich noch gearbeitet - wie seit 2012 im Nachtdienst. Besucher meiner Webseite wissen, worunter und woran ich leide: Herzrhythmusstörungen, Depression, Schlafstörungen, totaler Erschöpfung. Die Beschwerden waren im Frühjahr und Frühsommer derart krass und anhaltend geworden, daß Suizidgedanken aufkamen und ich meinem Leben eine Minusbilanz verpaßte. In der Therapie kam mein Leben auf den Präsentierteller. Die Tiefenpsychologie nähert sich sehr gern der Kindheit als Ursprung der Schäden, die man davontrug. Ich gewann Erkenntnisse über meine Persönlichkeit, die ich allein so nicht bekommen hätte. Therapeutisch existieren zahlreiche Formen: Einzelgespräche, Gruppensitzungen, Kunst-, Musik- und Ernährungtherapie, Bildungsangebote. Insbesondere aber auch Körpertherapien, bei der gestische, mimische und alle Formen nonverbaler Kommunikation zum Tragen kamen. Durch sie wurde mir manches klarer als durch wortreiche Analysen. Der Wikipedieintrag zur SPS (Schizoide Persönlichkeitsstörung) faßt alle Merkmale und Ausprägungen sehr gut zusammen, so daß ich sie hier nicht mehr dazustellen brauche. In der Beschreibung der Außen- und Innensicht befinden sich alle Symptome, die ich während der Therapie haargenau so an mir sehen mußte und die mich verblüfften, weil mir z.B. meine Außenwirkung gänzlich neu ist. Die Depression sowie die körperlichen = psychosomatischen Beschwerden sieht meine Therapeutin als Ausprägungsform der durch die SPS hervorgerufene soziale Isolation, Abschottung und Beziehungslosigkeit. Als ich in die Klinik ging, hatte ich die illusorische Vorstellung, daß meine lästigen körperlichen Symptome weggezaubert würden und alles wäre gut. Als eremitischer, einsiedlerischer und eigenbrötlicher Typ zu leben war mir zur Gewohnheit geworden. Ich pflegte meine monomanischen Interessen - erst jahrzehntelang die Bibliomanie und, als das wegen meiner Augenprobleme nicht mehr funktionierte, der Hang zu Serien. Verwerflich daran ist nichts, solange kein Leidensdruck besteht! Deswegen muß ich der Tatsache ins Augen sehen, daß mein Lebensstil mich so ins Abseits geführt und die schweren Erschöpfungs- und Herzprobleme hervorgerufen hat. Der Aufbau und die Pflege soziale Beziehungen soll's richten. Kontakt zu und mit anderen Menschen. Mein Leben, meinen Alltag strukturieren. Ob die Therapie, die noch gut eine Woche dauert, nachhaltig sein wird, hoffe ich sehr, kann aber meine Bedenken und die Angst nicht verhehlen, allzu schnell in die gewohnten vertrackten Muster zurückzufallen. (31. Dezember 2019)


Selbstekel, Weltekel

Es ist schwer, sich einzugestehen, daß man sein Leben verpfuscht hat. Vermutlich klappt das nur in einem Zustand jenseits der Hoffnung, in einem Zustand des Abschließens und Bilanzierens am Rand. Die meisten Menschen, mit denen mich noch heute Freundschaft verbinden könnte, die mir aber abhanden kamen, habe ich gewiß enttäuscht, sonst wären sie noch da. Dies ist eine Schuld, die am stärksten schmerzt. Kontakte vernachlässigt, immer seltener reagiert, dann kaum noch, dann nicht mehr. Geburtstage vergessen, Telefonnummern und Adressen gingen verloren. In Sachen Planung, Termine, Gedenktage bin ich die Unzuverlässigkeit in Person. Mein Egozentrismus läßt grüßen. Am Ende ist man allein. Und bedauert, nicht sozial gewesen zu sein. Trotz der Einsicht läßt sich tief innerlich nicht die Enttäuschung verleugnen, daß jene Zurückgelassenen nicht doch über ihren Schatten sprangen, ihre Vitalität, ihr Unversehrtsein einsetzen und nutzen, um zu trösten, um Beistand zu leisten, um barmherzig zu sein. In seiner Versteinerung wünscht sich der Einsame solch ein Wunder und begreift plötzlich die Bedeutung der neutestamentlichen Werke der Barmherzigkeit. Komisch. Je älter ich werde, je weniger ich selbst danach handelte, desto mehr erkenne ich, wie sehr Trost, Güte, Nachsichtigkeit, Geduld Eigenschaften sind, die Gemeinschaft beleben und uns auch abseits meiner momentanen Bilanz und Larmoyanz gesamtgesellschaftlich abhanden kommen. Es beginnt bereits bei übler Nachrede, bei Spott und Tratsch im Kollegenkreis. Es kommt dann in den Nachrichten, wenn Menschen vor einen Zug geschubst werden. Mal von den Wirrköpfen, Psychopathen und Kriminellen auf großer Ebene in Wirtschaft und Politik abgesehen. Mein Selbstekel verbindet sich mit dem Erleben des Weltekels angesicht der täglichen Nachrichten zu einem unheilvollen Konglomerat. (30. Juli 2019)


Beim Kieferchirurgen

Als ich von der Praxisschwester angesprochen wurde, ob ich denn gegessen hätte, antwortete ich stolz: Nein, nüchtern. War falsch. Ich hätte unbedingt essen sollen. Gerade bei der Hitze und in Anbetracht der bevorstehenden Torturen, die dem Kreislauf zusetzen. Traubenzucker wurde gereicht. Die Schwester zeterte noch weiter. Der Patient vor mir sei sogar bewußtlos gewesen. Sehr beruhigend. Ich saß dann zitternd und kaltschweißig im Behandlungsstuhl. Die Ärztin setzte die Lokalanästhesie in den Ober- und Unterkiefer und smalltalkte mit mir. Dann nahm sie meinen Unterarm und drückte darauf herum. "Akupressur." Ich war so verdattert, daß ich mich in der Tat ablenken ließ und der Puls wieder herunterging. Die Extraktion der 4 Zähne war dann nicht schön, aber insgesamt doch auszuhalten. Allerdings hatte die Ärztin arg zu kämpfen. Während der erste Zahn einwandfrei entfernt werden konnte, mußte bei Nr. 2 bis 4 mit Bohrern herumfuhrwerkt werden. Zudem mußte zwei Zysten entfernt werden. Der Eingriff dauerte insgesamt knapp 1 Stunde. Ich biß eine Stunde lang auf den Tupfer, denn sie mir nach dem Vernähen der Wunden im OP-Gebiet platziert hatten, den ich erst in Grünau ausspuckte. Ich fuhr nämlich noch bei der Krankenkasse vorbei, um den Krankenschein abzugeben, und anschließend auf meiner Station, weil ich mir Kühlakkus ausborgen mußte und um den Krankenschein für den Arbeitgeber in die Hauspost zu werfen. Schmerzen verschlimmerten sich gegen 18 Uhr, so daß ich dann 800 mg Ibuprofen schluckte und mich in der Hoffnung mit diversen Podcasts ins Bett legte, dabei einschlafen zu können. Klappte nicht. Wieder an den PC, weiter die Wange kühlen und Serien gucken. Schmerzen ließen erst gegen 20 Uhr nach, dafür spucke ich nun etwas Blut. Muß beobachtet werden und beruhigt nicht gerade. Die große Frage wird sein: Wie weiter, so ohne Zahnversicherung. (24. Juli 2019)


Stolpersteine (6)

Binsenweisheit: Wie man es macht, macht man es falsch. Um 8 Uhr mit dem Entlassungsbrief des Krankenhauses zur Hausärztin. Sie trägt die Änderungen ein (Blutverdünner), verfertigt Rezepte und will mich noch für diese Woche krankschreiben. Weil ich, ohne auf den konkreten Dienstplan zu gucken, den ich auch gar nicht dabei hatte, davon ausging, bei drei freien Tagen erst wieder am Donnerstagabend zum Dienst erscheinen zu müssen, überzeugte ich sie, es bei der Krankschreibung für gestern zu belassen und mich meine freien Tage nehmen zu lassen. Anschließend Stadtrundfahrt. Krankenschein 1. bei der Krankenkasse in der Innenstadt und 2. beim Arbeitgeber am Hauptstandort in Eutritzsch (Leipzig Nord) vorbeibringen. 3. Nach Grünau auf Station fahren, weil ich dort etwas abholen mußte und zudem vergessen hatte, mir beim Hausarzt eine Kopie des Krankenhausbriefes geben zu lassen, gedacht für den Kardiologen. Klärung des Dienstplanes ergab, daß ich ausgerechnet in dieser Woche 5 Nachtschichten leisten muß und damit bereits am Mittwochabend wieder in die Pflegemühle muß. Hätte ich das gewußt, hätte ich meiner HÄ die lockende Krankschreibung nicht so vehement ausgeredet. Wie man es macht, macht man es falsch. 4. Rückfahrt ins Stadtzentrum. Zum Kardiologen, um zu klären, ob ich wegen der Herzattacke einen (zweite) Termin noch vor der Auswertung der in drei Wochen anstehenden Myokardsizintigrafie brauche oder ob dann beides in einem Abwasch Mitte August erfolgen kann. Wieder Wartezimmerwarten und der Beschluß, es reicht dann EIN Termin Mitte August, für den man mich anrufen wird. Viereinhalb Stunden Herumgegondele in Leipzig und nun recht zermürbt am Schreibtisch, wo die Gedanken zu ordnen sind und das Flüssigkeitsdefizit des Vormittags ausgebügelt werden muß. (1. Juli 2019)


Stolpersteine (5)

Gestern zum zweiten Nachtdienst des Zyklus gefahren. Schon seit dem Vormittag ging es mir nicht gut. Vor dem Dienst und während der Dienstübergabe massive Schweißausbrüche. Dann runter ins Erdgeschoß in die INA (unsere Notfallaufnahme), um ein EKG machen zu lassen. Herzrhythmusstörungen im Sinne von Vorhofflattern. Kein Nachtdienst, sondern stationäre Aufnahme und Monitor-Überwachung auf der IMC. Gegen 5 Uhr morgens Umschlag in einen Sinusrhythmus (Normalschlag). Um 10.30 Uhr das Krankenhaus verlassen. Arbeiten darf ich in den nächsten Tagen nicht. Wenn man am Abend stationär aufgenommen und am Folgetag, egal wann, entlassen wird, zählt das - mit entsprechender Abrechnung - als ZWEI Tage Krankenhaus. Am Montag soll ich sowohl mit dem Entlassungsbrief zur Hausärztin als auch beim Kardiologen einen Termin zur Weiterbehandlung vereinbaren. Die letzte so schlimme Attacke war vor genau 3 Jahren. Nun soll ich auch wieder Blutverdünner (Apixapan) schlucken. Freilich bin ich bedrückt, gerade weil es mir in den vergangenen 14 Tagen recht gut ging und die erste Nachtschicht nach dem Urlaub ordentlich vonstatten gegangen war. Ich bin sogar sehr bedrückt. Den Nachmittag verschlief ich komplett. Welche Optionen sich therapeutisch auftun, darüber werde ich berichten, sobald ich durch die Ärzteschaft Genaueres anvisiert. In Frage kommen eine medikamentöse Einstellung zur Rhythmisierung des Herzens, eine operative (Ablation). Im akuten Stadium, wenn der Herzschlag arrythmisch ist und keine spontane Konversion erfolgen will, setzt man meist die EKV (Elektrokardioversion) ein. Im Volksmund als Schocken oder Defibrillieren bekannt, wie man es auch im Rahmen einer Wiederbelebungsmaßnahme macht. Flatliners lassen grüßen. (29. Juni 2019)


Gesundheitsbulletin (4)

In 5 Wochen werde ich mich einer Myokardszintigrafie unterziehen, der nuklearmedizinischen Untersuchung des Herzens zur Feststellung der Durchflußfähigkeit des Herzens mit Blut. Davor war, nachdem die gängige kardiologische Diagnostik erfolgt war (EKG, Echokardiografie, Belastungs-EKG) und kein pathologisches Ergebnis erbracht hatte, eine HKU (Herzkatheter) geplant gewesen, welche ich jedoch kurz vor dem Pfiff absagte. Meine Hausärztin weiß um mich als nervliches Wrack und hielt die Risiken einer solchen Untersuchung für zu hoch, so daß nun die Entscheidung für die Szintigrafie des Herzens als wesentlich risikoärmeres Verfahren gefallen ist, das allerdings ziemlich aufwendig ist. Es geht um zwei Termine. Der erste dauert geschlagene 3 Stunden. Man soll viele Sachen mitbringen: Vorbefunde, ein T-Shirt, großes Handtuch und - kein Scherz - Leberwurstbrötchen. Ich habe das in etwa so verstanden, daß man wie bei der Ergometrie auf dem Fahrrad Belastungen ausgesetzt ist und dann eine radioaktive Substanz injiziert bekommt, die sich im Herzen anreichert und Verschlüsse und Engstellen der das Herzen versorgenden Gefäße anzeigt. Man schließt auf diese Weise eine koronare Herzkrankheit aus, hat aber im Vergleich zur HKU nur eine 80%ige Aussagekraft. Deswegen war der Kardiologe, demgegenüber ich meine Absage zugunsten einer Szintigrafie vertreten sollte, nicht begeistert; denn die wollen natürlich lieber die 100% leistende Diagnostik. Weil aber meine Blutwerte und alle Untersuchungen negative Befunde ergaben, nehme ich eine Restunsicherheit in Kauf. Dieser Termin ist nur einer von weiteren, über die ich berichten werde. Als nächstes steht am kommenden Donnerstag ein Planungsgespräch beim Kieferchirurgen an, der mir 4 Zähne ziehen soll. (22. Juni 2019)


Gesundheitsbulletin (3)

Eine Ärzteodyssee steht an. Heute Vormittag wegen akuter Zahnschmerzen zum Zahnarzt, den ich seit 2 Jahren gemieden habe, weniger aus Angst vor den Schmerzen als den Kaskaden an Folgebehandlungen, die einem Menschen, der mit Terminen schlecht umgehen kann, zusetzt und ihn strietzt. Auf Nachfrage hält der Zahnarzt es für plausibel und möglich, daß mein Zahnstatus negativ auf das Herz wirkt und gab mir eine CD für den Kardiologen mit. Einen Termin hatte ich mir vor nun bereits 4 Wochen für Ende Juni ertelefoniert. Als ich nach der zügigen Behandlung, bei der ein medikamentengetränkter Faden in eine Lücke platziert wurde, auf den Gang trat, sah ich dort eine kardiologische Praxis, die mir zuvor nie aufgefallen war (selektive Wahrnehmung!) und die ich beim Terminemachen damals nie erreicht hatte. Und prompt bekomme ich einen Ersttermin für übermorgen 10.30 Uhr. Der Hammer! Ein Zusammenspiel und Zufall, der als Glücksfall erscheint und sich möglicherweise als solcher erweisen könnte. Zudem bekam ich eine Überweisung zum Kieferchirurgen, der mir vier Zähne ziehen soll. Leider auch hier telefonisch einen Termin für Ende Juni erhalten. Sollte der Kardiologe etwas finden und sich der Verdacht hält, die zu ziehenden Zähne mit ihren Entzündungsherden könnten daran beteiligt sein, muß ich die sechs Wochen Wartezeit bis zur Erstbesprechung beim Zahnchirurgen irgendwie verkürzen. Vielleicht hilft dann Druck und Support durch die anderen Ärzte. Morgen früh jedenfalls wieder zum Hauszahnarzt zur weiteren Versorgung des akuten Problems (entweder Wechsel der Tamponade oder Aufmeißelung der vor 20 Jahren angebrachten Brücke). (8. Mai 2019)


Aktuell Politisches

Bei Claudia Klinger kommentiert: Eben weil ich wollte, daß deine Mühe und das Anliegen mit dem Langtext gewürdigt wird, weil ich weiß, wie Nichtresonanz einen düpieren kann, rang ich mir eine kleine Reaktion ab, obzwar ich bei politischen Themen eigentlich nur rezipieren und selbst wenig bis nichts Substanzielles beitragen kann außer vielleicht einem "Klar, so ist es!". Immerhin verfolge ich täglich politische und gesellschaftliche Sendungen wie die arte-Journale, Tagesthemen und im Radio die Podcasts "Deutschlandfunk - der Tag", "Studio 9 - der Tag mit...", "medi@sres" und "Update" und viele andere Formate wie Weltspiegel, auslandsjournale und vor allem Deutschlandfunk-Beiträge wie Hintergrund, Presseschauen und Interviews. Die Lächerlichkeit oder Unbeholfenheit, mit der professionelle Politiker auf die Klimaproteste von Fridays for Future reagieren, zeigen mir die Kluft und Verfahrenheit des politischen Systems an sich. Wie Christian Lindner behauptet hat, er kenne das Mietproblem in Berlin, weil er sich in einem bestimmten Viertel keine Wohnung leisten könne! Und die Kühnertschen Visionen kamen AFAIK als herausgekitzeltes Statement, d.h. er wurde gezielt nach seinen Vorstellungen gefragt. Und warum dann nicht provokant träumen! Einerseits bin ich über die Gärungen in der Gesellschaft froh, über den Zündstoff, der zu Reaktionen und Debatten führt. Andererseits will der Pessimist in mir nicht weichen und sieht traditionell schwarz. Unter den Soziologen suche ich dann Interviews mit Harald Welzer, der mit seinen optimistischen Thesen in letzter Zeit meiner Grunddeprimiertheit entgegen wirkt. Das Mietproblem könnte genügend Sprengkraft mitbringen, daß sich tatsächlich etwas ändert. Denn wenn es ans Eingemachte geht, an die Substanz der eigenen Existenz, hört die Ignoranz und die Toleranz des Gegebenen vielleicht auf, kehrt sich Duldung um. Prinzipiell ist die Mehrheit träge bzw. inkonsequent. Über 80% hätten nichts gegen Organspenden, aber nur über 30% haben einen Spendeausweis. Sicher haben überwiegend alle etwas gegen Umweltverschmutzung, aber über 70% sind gegen eine CO2-Steuer. Unbestritten möchte jeder Arbeitnehmer stabile Rechte und regelmäßig Lohnerhöhungen, die Gewerkschaften verloren in den letzten 20 Jahren aber die Hälfte der Mitglieder. (7. Mai 2019)


Akutgeriatrie (2)

Um eine stressige Situation zu illustrieren, eine Schilderung. Wir beginnen unsere zweite Bettenrunde zur Lagerung der Bettlägerigen, zum Wechsel von Inkontinenzmateriel, zum Anhängen von Kurzinfusionen und Bereitstellen der übrigen Tagesinfusionen, zur Verabreichung von Antikoagulantia, zur Erfüllung diverse Wünsche wie Wasserflaschen der Patienten auffüllen, Fenster schließen oder öffnen, Bettdecken bei der spätnächtlichen Kälte zurechtzupfen usw. usf. - Diese Runde starten wir je nach abschätzbaren Aufwand zwischen 4 Uhr und 4.15 Uhr. Gestern Nacht gingen wir 4.10 Uhr los und fanden bereits im dritten Zimmer eine Verstorbene vor. Wir beschlossen, zunächst unsere Runde durchzuführen und uns dann der Versorgung des im Jargon genannten "Ex" zuzuwenden. Telefonisch informierten wir die Dienstärztin (AvD = Arzt vom Dienst). Wir zogen weiter von Zimmer zu Zimmer. Nur 10 Minuten später standen urplötzlich die Angehörigen der Verstorbenen auf der Matte, die durch die ÄvD angerufen worden war. Wir mußten also schnell schalten. Angehörige bitten, Platz zu nehmen, die Arbeiten beim Toten zackig durchführen (Entfernen von Kathetern, Besitz und Kleidung erfassen, Geräte wegräumen, aufräumen u.a.m.). Dann die Angehörigen zur Abschiednahme ins Zimmer geleiten mit der Maßgabe, daß sie sich alle Zeit der Welt nehmen können. Gesagt, getan. Wir gingen ins nächste Zimmer, um weiterzubetten, begegneten aber dann den Hinterbliebenen, die schätzungsweise nur 1 Minuten bei der Verstorbenen gewesen waren. Zu dem Zeitpunkt hatten wir aber noch keinen Nachlaß erfaßt und dokumentiert. Also wieder Zackzack und in solch einer Situation möglichst mit einer Getragenheit im Beisein der jetzt Trauernden und unter Schock Stehenden. Das waren dann 20 bis 30 Minuten Hin- und Hergerenne, versuchen, die Gedanken zusammenzuhalten, was rein biorhythmisch morgens halb Fünf eine Zumutung ist. Weitere Bettenrunde und die anderen Routineaufgaben wie Kaffee und Tee für den Frühdienst kochen, Arbeitsplatz aufräumen, Essen- und Belegungspläne ausdrucken, nach Klingeln gehen, Kurzinfusionen abmachen, nochmals eine Patientin mit unkontrolliertem Stuhlgang versorgen. Mittlerweile waren bereits zwei Kollegen vom Frühdienst in die Arena eingelaufen. So viel Schweiß konnte ich gar nicht wegwischen, wie in diesen 90 Minuten seit 4.15 Uhr geflossen ist. (4. Mai 2019)


19 Jahre Bloggen

Übrigens ein Jubiläum knapp verpaßt. Am 29. April 2001 fing ich an zu bloggen. Zunächst auf meiner Homepage wie jetzt, kurz darauf auf Antville, Twoday und diversen anderen Bloganbietern, eine Zeit lang auf und mit Wordpress und seit mehreren Jahren allein wieder nur auf der eigenen Webseite. 18 Jahre, wobei mein Einstieg in die virtuelle Welt im September 1995 begann, als ich als Point einer Mailbox zu kommunizieren begann und bis zum Jahr 2000 sehr aktiv im Usenet war. Die Homepage entstand im Juli 1996 unter dem Namen "Bibliomaniac List" und wurde zuvor als Mailing List in de.rec.buecher verbreitet. Nach dem Usenet also das Bloggen und viele Webforen meist literarischer Art. In einigen bin ich seit 2002 Mitglied. Nach 2008 in sozialen Netzwerken aktiv. Vor Twitter entdeckte ich Plurk. Facebook kam rasch dazu, Google+, Diaspora und viele andere Dienste. Seit 2013 ziehe ich mich sukzessive zurück, schweige auch in den Foren und nutze lediglich noch die eigene Webseite und E-Mail. Hin und wieder kommentiere ich in den Blogs anderer. Auch wenn ich meine Accounts im letzten Jahr reduzierte, konnte mich trotz anhaltender Kritik am Dienst als Datenkrake noch nicht dazu durchringen, den Facebook-Account löschen zu lassen. (2. Mai 2019)


Gesundheitsbulletin (2)

Seit 1995 hatte ich ein manuelles Blutdruckmeßgerät, das zu benutzen doch etwas mühsam geworden ist, weil das Anlegen von Manschette und Stethoskop doch in ein ziemliches Gefummel ausartet und ich regelmäßige Messungen immer wieder und immer öfter scheute. Doch die gesundheitlichen Querelen der letzten Monate und die Beobachtung, daß die Werte recht schwanken, bedingen eine engmaschigere Kontrolle von Blutdruck und Puls. Momentan habe ich mir Vaters Gerät ausgeliehen und bin über diese Schwankungen verblüfft, die mir SO noch nicht aufgefallen waren. Obwohl ich die Dosis der Antihypertensiva (Blutdruckmedikamente) in den vergangenen Tage deutlich reduzierte, bleibt der Wert im Rahmen, was die Vermutung nahe legt, daß sie zuvor unbegreiflicherweise überdosiert gewesen waren. Brauche ich plötzlich so viel weniger Wirkstoffmengen? Mir ein Rätsel und Anlaß, die jetzt öfteren Messungen zu protokollieren, um ein Muster zu erkennen bzw. einen Anhalt für therapeutische Maßnahmen zu finden. Bis vor 2 Wochen nahm ich zweimal täglich 5 mg Amlodopin, 160 mg Valsartan, 5 mg Bisoprolol sowie 5 mg Ramipril. Jetzt bin ich versuchsweise bei 2,5 mg Bisoprolol, 80-160 mg Valsartan und pausiere Amlodipin und Ramipril. Vor allem der Puls ist in Ruhe stets um die 50. Das ist niedrig. Ungünstig ist, daß ich es selbst jetzt im Urlaub durch den chaotischen Schlaf(a)rhythmus nicht schaffe, Tabletten um dieselbe Uhrzeit einzunehmen. Vorhin bestellte ich mir per Amazon ein Oberarm-Blutdruckmeßgerät (27.- EUR / läßt sich auch per USB betreiben) und, um in die kostenfreie Versandkostenzone zu kommen, noch ein 10-er Pack AAA-Batterien (4.-) [18. April 2019]. #-# Nachtrag vom 24. April: Mein Blutdruckmeßgerät ist eingetroffen und entpuppt sich als übelstes, in China zusammengeleimtes Plastikteil. Enttäuschend, wenn man die ausschließlich positiven Bewertungen bei Amazon bedenkt. Immerhin mißt es, wobei die Werte höher ausfallen als beim vom Vater geborgten wesentlich teureren Vergleichgerät, was an der kleineren Manschette liegen könnte; denn deren Größe beeinflußt in Zusammenhang mit dem Umfang des Oberarms die Ergebnisse. Das heißt, kleinere Manschette bei fülligem Oberarm = höherer Blutdruck; XL-Manschette bei normalem Oberarm = niedrigere Werte. - Das Päckchen hatte ich mir erstmals nicht nach Hause liefern lassen, sondern in eine 30 Meter entfernte Bäckerei, die nebenbei als Hermeshop fungiert. Viel besser, weil die Paketlieferdienste fast nur noch Karten einstecken und sich kaum noch die Mühe des Klingens machen. Und um etwas aus der nächsten Postfiliale abzuholen, wäre ich mindestens 30 bis 40 min unterwegs.


Gesundheitsbulletin (1)

Mir geht es schlecht. Der Hausarzt ist ratlos. Symptome, die seit Monaten immer wiederkehrten und nun offenbar nicht mehr intervallartig auftreten, sondern mich permanent beeinträchtigen, so daß ich überwiegend im Bett liege und mich dann durch die Nachtdienste quäle. Der bisherige Tiefpunkt in meinem Leben. Und ich bin der Verzweiflung nicht mehr nahe; sie umkrallt mich. Der Hausarzt gab mir Ende letzter Woche zwei Überweisungen zu Fachärzten. Gestern endlich telefonierte ich den halben Tag lang herum, hang in Warteschleifen oder bei Anrufbeantwortern fest und bekam mühevoll Termine Mitte Juni (Kardiologe) und Ende Juli oder Anfang August (Neurologe). Morgen versuche ich, durch den Terminservice der kassenärztlichen Vereinigung zeitnahere Termine zu bekommen. Allerdings bin ich ohne Auto quasi gehandicapt, weil Termine nicht nur im Ort, sondern auch im Umland offeriert werden, die ich wohl kaum werde realisieren können. Dennoch muß ich's probieren und notfalls mit dem Zug in umliegende Kreisstädte oder gar in die Pampa fahren. Inzwischen würde ich nach jeden Strohhalm greifen. Die Ungewissheit verschlimmert noch das subjektive Gefühl des Ausgeliefertseins und der Trostlosigkeit. Zusätzlich zu den körperlichen Symptomen und dem zunehmendem Verfall. Die Hausärztin sagt, ich solle, wenn es mit der Arbeit nicht gehe, zu ihr kommen. Und so wäge ich vor jedem Arbeitstag ab, ob es gehen wird. Und seit meinem zweiwöchigen Aus um den Jahreswechsel herum mußte ich noch keinen weiteren Krankenschein abgeben. Trotzdem ist es jederzeit denkbar, daß die Kraft nicht mehr reicht. (10. April 2019)


Die Gruppe der Stinos

Übrigens ist das Spektrum des Unbedenklichen und Normalen enger, als man denken könnte. Als ich vor einigen Tagen morgens 5.30 Uhr auf Station erschien, war das den beiden Nachtdienstkollegen nicht geheuer, den kurz darauf eintrudelnden Frühdienstkollegen ebenso wenig. Ich bin mir ziemlich sicher, daß nicht wenige dachten: 'Der hat doch wieder mit dem Saufen angefangen!' Wenn man sich nur 1 Milimeter abseits vom common sense befindet, erntet man Unverständnis, Skepsis und Unglauben. Das hiesige Dasein im deutschen Normalalltag ist unerbittlich genormt. Wenn man die Chupze hat, sich dem zu widersetzen, kann man sich mental von einigem befreien. Je älter man wird, desto größer die Chance. Bestimmt denken manche Alten, daß sie nun endlich die Sau rauslassen können. Daß Künstler einen an der Klatsche haben, weiß man. Wenn wir mal einen als Patienten haben, lachen wir über dessen Schrullen, finden sie, eben weil er Künstler ist, aber dazugehörig und plausibel. Ein "normaler" Mensch/Patient dürfte so aber nicht sein. Faszinierende Gesetze, denen man im Gesellschaftlichen unterworfen bzw. denen man ausgesetzt ist. Jede Gruppe darf die ihr zugeschriebenen Klischee bedienen und wirkt so glaubhaft. Als Patienten definieren und erleben wir Alkoholiker, Akademiker, vertrottelte Ehegatten... Leicht bedrohlich wird's erst, wenn sich jemand aus der Gruppe der Undefinierbaren, der Stinos (Stinknormalen) ein bißchen anders benimmt. (6. März 2019)


Sequenzialität

Indem ich mehrere Tage lang akribisch notiert habe, was ich wann tue, erkenne ich, was vor allem bei mir Unbehagen & Unmut verursacht. Alles in allem könnte ich zufrieden sein. Ich stehe hinter dem, was ich sehe und höre. Aber die Konzeption hat einen grundsätzlichen Webfehler. Ich muß sequenzieller werden. Ich muß eine Weise finden, die Agenda hintereinander und nicht parallel zu erledigen. Um das zu hinzukriegen, muß ich Anstehendes bzw. Input sofort notieren und als Aufgabe für später definieren. Stattdessen gehe ich Einfällen und Impulsen meist sofort nach und unterbreche beispielsweise die Tagethemen wie jezt im Augenblick oder, schlimmer, ich fuhrwerke, WÄHREND ich sie höre bzw. der Meinung bin, sie zu hören. Aber beides geht eben nicht! Das ist eine Illusion, die mir das WMDEDGT- Tagebuch gerade raubt. Ich will also an der Sequenzialität meines täglichen Tuns arbeiten. Erinnert mich, wenn ich fehlschlage und in alte Muster verfalle! (12. Februar 2019)


Was arbeitest du eigentlich die ganze Nacht?

Der letzte Dienst kostete Kraft. In den Zeiten, in denen man etwas hätte aufatmen können, starben zwei Patienten. Nach der Übergabe beginnt der eigentliche Dienst zwischen 22.15 und 22.30 Uhr. Für mich mit Medizinstellen. Das umfaßt die gesamte Dosis für den nächsten Tag (Morgen - Mittag - Abend - Nacht + Sonderzeiten) im Blister, die Tropfen beschriften und einfüllen, Infusionen und Kurzinfusionen (z.B. Antibiotika) bereitstellen, die BTM (Suchtmittel) sowie die so genannte Abgangsmedizin für die zu entlassenden Patienten, welche für sie neue Medikamente für die folgenden Tage mitbekommen. Anschließend Ordnung schaffen, bestimmte Materialien vorbereiten, Flächen wischen, Fächer und Regale auffüllen. Das Ganze nennt sich "das Labor machen" und, zack, ist es 1 Uhr. Dann erster Rundgang, bei dem Toilettenstühle geleert werden, Wasser für die Patienten aus dem Spender geholt wird, vor allem aber Bettlägerige gelagert und Inkontinente gesäubert werden. Diese Runde dauert 30 bis 45 Minuten, heute, weil etwas später gestartet, bis kurz vor 2 Uhr. Dann die Überraschung, als ich, zur Klingel gehend, weil ein Gerät piepte, im Nachbarbett einen Verstorbenen entdeckte. Versorgung des Toten, dessen Sachen = Nachlaß erfassen und der Papierkram kosteten Zeit bis 2.30 Uhr. Dann Zeit für eine Essenspause. 3 Uhr weitere Routinearbeiten wie Bestellungen, Bettenwagen auffüllen, Pflegeberichte aktualisieren. Immer wieder auch zu Patientenklingeln eilen, Wünsche erfüllen bzw. auch nicht erfüllen, wenn Demente beispielsweise wirre Ansinnen haben und beruhigt und möglichst sanft gelenkt werden müssen, komischen Geräuschen nachgehen... Es gilt nämlich, entweder Demente bei "Fluchtversuchen" zu erwischen oder aber Stürze mitzubekommen. Oft rumst es gewaltig, so daß allen schon beim Geräusch klar ist: ein Sturz. Anderereits entdecken wir Stürze nur zufällig. Berufserfahrene entwickeln ein Sensorium für komische oder gefährliche Zwischenfälle. So sah meine Kollegin heute Nacht vorher, daß jemand sterben würde. Um 3:30 Uhr erneute Laborzeit, wenn Infusionen und Kurzinfusionen und Spritzen für den zweiten Rundgang vorbereitet werden - dafür zirka 20 Minuten. Ich war in dieser Zeit immer noch mit dem Papierkram des Verstorbenen beschäftigt. Kurze Verschnaufpause zwischen 3.50 und 4.05 Uhr. Start zur zweiten Bettenrunde, bei der neben Inkontinenzmaterialwechsel, Intimpflege sowie Lagewechsel beim Patienten die Infusionen an die Ständer gehängt und die Kurzinfusionen direkt beim Patienten angeschlossen und später wieder abgemacht werden. Heute aber die zweite Überraschung um 4.30 Uhr im sechsten Zimmer: ein weiterer Verstorbener. Dienstärztin anrufen, ihr Stöhnen am Telefon belächeln, und die Routine abarbeiten. Die Versorgung des Toten bedeutet: Kanülen und Katheter entfernen, nochmals Verunreigungen und Ausscheidungen beseitigen, ihn in eine würdevolle Lage bringen, Zehenzettel schreiben und anbringen, eventuell für Abschiednahme seites Angehöriger Equipment vorbereiten (Kerze, Blume, Decke), und dann - das Umfassendste - seine Sachen zusammenräumen und erfassen, wozu Kleidung, verpackte Lebensmittel, Hilfmittels (u.a. Gehstützen, BIBAP-Masken, Radios), Zahnprothesen u.v.m. gehören. Auch Dinge wie Mundpflege- und Absaug-Sets einweichen, Infusionsständer und -geräte säubern und wegstellen. Und und und. Damit waren wir etwa 5.20 Uhr fertig. Nebenbei stürzte noch ein Patient, so daß wir die augenrollende Dienstärztin auch dahin schicken und das Ereignis protokollieren mußten. Vorbereitungen für den hoffentlich bald nahenden Frühdienst, der heißes Wasser und Kaffee kredenzt bekommt. Übersichten Essen- und Belegungspläne aktualisieren und drucken. Et voila. Nach so einem Durchhetzen mit mehreren Überraschungen, die ja immer ungeplant sind und daher zusätzliche Energien und Zeit kosten komme ich stets weniger gut herunter auf Normallevel, was Aufmerksamkeit und Adrenalinausstoß betrifft. (9. Februar 2019)


Jammer und Wehklagen (1)

Bis gestern ging die Krankschreibung. Auch wenn ich nicht behaupten kann, gesund und sorgenfrei zu sein, muß ich es auf einen Arbeitsversuch ankommen lassen. Dafür spricht, daß mein Dienstplan durch die Feiertagsverschiebungen zufällig nur zwei Arbeitstage anzeigt: Samstag + Sonntag. Gesundheitlich ist etwas ist ganz und gar nicht in Ordnung, aber schwer faßbar. Ich fühle mich immer noch grippig, geschwächt und schwindlig. Falls es nicht geht, muß ich am Montag wieder zum Arzt. Als dauerdepressiver Mensch bin ich an ein niedriges Level gewöhnt. Zustände, in denen ich mich wohlfühle, ohne Beklemmung bin, in denen ich nicht ständig jammere und wehklage und schwarz sehe, sind mir seit 20 Jahren nicht mehr bekannt. Deswegen läßt sich derzeit schwer abschätzen und kalkulieren, was mit mir los ist, ob es nicht hundertprozentig psychischer Genese ist oder ob nicht eventuell doch eine physische Ursache vermutet werden kann. Den Schwindel, die Halsbeschwerden und, was ich bisher noch nicht, auch nicht der Ärztin gegenüber, erwähnte, Schmerzen an einer bestimmten Stelle der Zunge bilde ich mir nicht ein. Als psychosomatisches Wrack wird man durch Mediziner, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, belächelt und nicht ernst genommen. Leider ist, seitdem ich in der Onkologie arbeite, als verwirrendes Element eine Kanzerophobie dazu gekommen. Auf gut Deutsch: stimmungsmäßig leide ich zurzeit aufgrund der Halsbeschwerden entweder an Kehlkopf- oder Schilddrüsenkrebs bzw. aufgrund der Zungenschmerzen an Zungenkrebs bzw. aufgrund des Schwindels und der Schwäche an einem Hirntumor. Immer wenn, wie auffäligerweise im vergangenen Jahr einige Prominente zwischen 50 und 60 sterben, sehe ich mich als Nächsten, und zwar zunehmend ohne Panik. Ich bin so müde und erschöpft, daß mein Lebenswille verflacht und sich verflüchtigt. (4. Januar 2019)


Schwarzmalerei

Uns stehen also spannende Zeiten bevor. Friedrich Merz kriecht aus dem Loch, und die (Kramp-)Karrenbauer würde schon namentlich zur Autonation Deutschland passen. Auf die nächste Bundestagswahl bin ich wirklich gespannt. Den Niedergang der SPD halte ich nicht, wie hauptsächlich so gesehen, für die Folge einer verfehlten Politik oder für Konturlosigkeit. Die Partei kann einem irgendwie leid tun. Sie kann machen, was sie will, ich glaube nicht, daß sie zu früherer Stärke zurückfinden wird. Daß in Hessen die CDU abgestraft wurde, obwohl deren Landespolitik laut Umfragen überwiegend als akzeptabel, wenn nicht gar reibungslos eingeschätzt wurde, deutet an, wie sehr Parteien insgesamt die Luft ausgeht, wie der Souverän den Glauben an die Politik verliert. Die Zukunft wird zeigen, ob meine These Bestand hat. Welchen Rückhalt wird eine Regierung wohl haben, wenn nicht wie im Moment die ökonomische Stabilität gewährleistet ist? JETZT, in Zeiten, in denen die Steuern fließen, in denen die Krankenkassen Überfluß haben, müßte Spürbares für den Steuerzahler bewirkt werden. Stattdessen wächst die Angst, daß man seine Miete nicht mehr wird bezahlen können. Das Herumgeiere mit dem diversen Autoskandalen nervt so sehr. Ich wünsche mir natürlich, daß die politische Lage nicht zusätzlich zu den globalen Problemen instabiler wird. Möglicherweise liegt's am zunehmenden Alter, wenn sich die eigene Sicht schwärzt. Aber der Rechtsruck in der Welt ist ein Phänomen, welches nicht hauptsächlich mit dem Versagen der Linken begründet werden kann. So viel Zufall in so vielen Ländern weltweit gibt es nicht. Wenn Obdachlose wie in Ungarn inkriminiert werden, wenn all die ausgemusterten Dieselautos einfach in Polen und Rumänien wiederverkauft werden, wenn offensichtliche Morde und Anschläge an Kritikern wie in der Slowakei, Malta, Großbritannien, der saudi-arabarischen Botschaft sich häufen, wenn man beim Zählen all der rechtradikalen und fremdenfeindlichen Anschläge, Attentate und Übergriffe der vergangenen Jahre nicht mehr hinterherkommt, dann sehe ich eben schwärzer. Worauf das alles hinausläuft? (30. Oktober 2018)


Von 5 auf 100 mit nur 1 Schild

Wir haben für die meisten Artikel, die wir im Pflegealltag benutzen, Bestellschilder, die regelmäßig gescannt werden. Das Spektrum reicht von Spritzen, Kathetern, Kompressen, Pflastern, Infusionssystemen über Urinbecher, Spuckbeutel (Kotztüten) bis hin zu Kämmen, Zahnbürsten und Einmalrasierern. Das Kontingent paßt nicht immer zum Verbrauch, so daß wir manchmal im Material ersticken und nicht wissen, wohin damit, wo lagern, manchmal aber auch auf dem Zahnfleisch krauchen, weil bestimmte Artikel hinten und vorne nicht reichen. Meine Empörung und zugleich meine Belustigung wurden nicht verstanden, überhaupt nicht begriffen. Dabei ist diese Kleinigkeit so monströs skurril. Für die Einmalrasierer hatten wir eine Scanschild, durch das uns 5 Stück pro Lieferung (maximal 2 wöchentlich) beschert wurden. Gestern öffnete ich den Materialschrank und mir fielen unzählige Rasierer entgegen, weil sie nicht in das enstprechende Fach paßten. Jemand hatte das Kontigent auf 100 erhöht. 100! Von 5 Stück auf 100! Keiner meiner KollegInnen begriff, warum ich das als phänomenal durchgeknallt empfinde. Vor allem, weil MIR andauernd vorgehalten wird, ich würde zuviel Sachen bestellen. 100 Einmalrasierer. Sollte dank Trump und den allseits sich vermehrenden rechten Spacken demnächst ein schlimmer Konflikt ausbrechen und Hamsterkäufe zu Engpässen führen, so daß der eine oder andere um sein glattrasiertes Kinn bangt: Ihr wißt ja nun, wohin ihr euch wenden müßt. (14. September 2018)


Anstrengende Nachtdienste

Die Nachtdienste sind derzeit exorbitant anstrengend. In der vergangenen Schicht hatten wir 44 Patienten zu versorgen. Normalerweise wäre bei 36 Betten Schluß, die sonst eher selten zu 100% belegt sind, weil eine Vollauslastung durch isolierte Zimmer bei bakteriellen oder viralen Infektionen Zimmer = Betten gesperrt sind bzw. durch Entlassungen am Tag Betten frei geworden sind. Einige Wochen war die benachbarte Station komplett geschlossen; danach wurde sie für maximal 12 Patienten/Betten teilgeöffnet. Tagsüber (Früh- und Spätdienst) werden diese 12 Kranken durch eigene Pflegekräfte dieser Station versorgt, nachts allerdings durch uns, was bedeutet, daß die Hauptlast der Beanspruchung auf mir liegt, der ich ausschließlich nachts arbeite. Die Kollegen leisten monatlich 3 bis 4 Nachtdienste ab und verkraften diese 33%ige Aufstockung der Patientenzahl vielleicht eher als ich, der ich Nacht für Nacht erneut all die Dinge tun muß, die multimorbide, größtenteils betagte und hochbetagte Kranken und bettlägerige Patienten uns abfordern. Auf gut deutsch: Es ist ein Gehetze, ein Kampf gegen die Zeit, ein ständiges Zerren an den Nervensträngen, weil man IMMER das Gefühl hat, es nicht schaffen zu können oder etwas zu übersehen, etwas zu vergessen oder einen Fehler (z.B. eine Verwechslung) zu machen. Man bedenke, daß sich die Bettenrunden (Lagern und Frischmachen der vollzupflegenden Patienten) am Tag verteilt, indem für die Bereiche Onkologie (18 Betten), Geriatrie (18 Betten) und Kardio/Gastrologie (12 Betten) von 6 bis 22 Uhr eigene Pflegekräfte zuständig sind, wir nachts aber die mindestens zwei Bettenrunden für alle drei Bereiche = potenziell 48 Kranke zu zweit stemmen müssen. Abgesehen von den anfallenden Klingeln, die bei 33% Zuwachs sich ja auch summieren und Zwischenfälle wie Bettstürze, Zugänge, Malheure von inkontinenten Kranken oder Hinlauftendenzen von dementen Patienten schlechter kompensiert werden. (30. August 2018)


Kinderfreundlichkeit

Vom unterschiedlichen Umgang mit Kindern in Israel und Deutschland. - Es ist wohl eine Gewohnheits-, eine antrainierte Sache. Einzelgänger wie ich sind Kinder nicht gewohnt und werden von deren Lebhaftigkeit rasch überfordert. Da ich täglich mit der Straßenbahn fahre, erlebe ich auch täglich Kinder. Migranten haben viele Kinder, denen ich, wenn ich um 21 Uhr herum auf dem Weg zur Arbeit bin, in der Bahn begegne und die eben quirlig und lebhaft und laut sind. Einerseits bewundere und befürworte ich den Umgang mit Kindern, wie er in dem Artikel beschrieben wird, weil Kinder diese Resonanz brauchen, weil sie unbefangen kommunizieren und ihnen eine erwachsene Reserviertheit noch zeitig genug zufällt. Andererseits kann ich nicht aus meiner Haut und kann nur das beschreiben, was mir widerfährt und wie ich es erfahre. Lautstärke, Geräusche setzen mir mit jedem Jahr mehr zu, so daß ich Ungestörtsein und Ruhe schätze. Gekreische, Herumtoben zerrt an meinen Nerven. Ich lebe damit, meide aber Situationen mit Lärmbelästigungen nicht nur durch Kinder. Schlimmer noch Telefonierenden, Partygänger, Alkoholisierte und interagierende Migranten, bei denen man stets einen handfesten Streit vermutet, die aber doch wohl nur völlig Banales debattieren, dies jedoch in einer für unsere Ohren zermürbenden Weise. Wer sich in der Öffentlichkeit bewegt, kann keine Ruhe einklagen. Deswegen schildere ich an dieser Stelle auch nur, wie es mir geht und daß ich mich dafür nicht schäme, daß ich gerne Ruhe hätte, aber damit zurecht komme und nie herumnöle, wenn ich sie nicht vorfinde. (23. August 2018)


Der Verstorbene im Dienst

In der vergangenen Nacht starben zwei Patienten, was eine zusätzliche Arbeit von 60 bis 45 Minuten erfordert. Eine Belastung jenseits der psychischen Beanspruchung durch plötzlich zuende gehendes Leben. Was tun wir, wenn wir in ein Zimmer kommen und ein Patient tot im Bett liegt? In den meisten Fällen war es abzusehen, wenn auch nicht unbedingt exakt für diesen Zeitpunkt. Viele Patienten unserer beiden Fachbereiche Geriatrie und Onkologie haben einen DNR, d.h. sie werden nicht reanimiert, weil eine Patientenverfügung existiert oder der Zustand des Schwerstkranken so geartet ist, daß er als natürliche Ende des Lebens gelten muß, nach oft monate- oder jahrelangem Kampf gegen den Krebs oder ein durch Multimorbididät geprägtes Dasein eines alten Menschen. Wir rufen den Dienstarzt an und bereiten die schriftlichen Notwendigkeiten vor: legen dem Arzt einen Totenschein zurecht, füllen Formulare für die Verwaltung und den Bestattungsdienst aus. Es gibt zwei Formulare für die Angehörigen: eines, durch das sie über die anstehenden Schritte informiert werden, und eines, mit dem sie einer Obduktion zustimmen. Der Arzt führt eine erste Leichenschau durch. Wir versorgen den Verstorbenen, indem wir passagere Katheter und Venenzugänge entfernen. Permanente Zugänge wir PORTs oder PEGs verbleiben. Zahnprothesen, die zum Zeitpunkt des Todes eingesetzt waren, verbleiben bei der Leiche, die wir dann inspizieren und ggf. säubern, weil oft, nachdem der natürliche Muskeltonus erschlafft ist, Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen "nach"laufen. Der am Schreibtisch ausgefüllte Zehenzettel wird angebracht und, sollten Angehörige ihren Verstorbenen noch sehen wollen, ein Tuch, eine elektrische Kerze und möglichst eine Blume drapiert. Nachdem alle dem Krankenhaus gehörenden Dinge wie Infusionsständer, Apparaturen, Absaugschläuche, Gehbänke, Nahrungsmittel u.v.m. gesäubert und weggeräumt sind, wird der Nachlaß des Patienten erfaßt: sein Besitz wird gezählt, speziell die Wertsachen penibel dokumentiert, und verpackt. Bei längerem Aufenhalt eines Kranken auf Station sammeln sich nicht selten ungeheure Mengen an, die sich durch die bereitstehenden Taschen und Beutel nur mühsam bändigen lassen. -Der Dienstarzt wird zwei Stunden nach dem Tod eine zweite Leichenschau durchführen. Der Umgang mit den Angehörige ist nicht einfach. Ihnen wird kondoliert, Tränen fließen, Konfusion herrscht. Mitunter wollen sie noch mit dem Arzt sprechen. Sie werden zum Abschied zum Verstorbenen geleitet, nehmen anschließend meist den Nachlaß entgegen. Das alles beansprucht zirka 30 bis 45 Minuten Arbeitszeit, die für andere Tätigkeiten in diesem Zeitraum verloren ist. Jeder kann sich ausmalen, besonders wenn in einer Nacht zweimal das Szenario durchzumachen ist, wie gehetzt wir dann jeweils sind, weil für jeden Zeitpunkt eines Dienstes auf Station eigentlich eine andere anstehende Arbeit wartet. Der Umstand, daß solch eine gravierende Tatsache wie das Ableben eines Menschen mit den Gegebenheiten kollidiert und sich Termindruck und Betroffenheit enorm beißen, verleiht dem Verstorbenen im Dienst der Pflegekraft auf Station eine eher unschöne Note, die nur mit jeder Menge Routine und Contenance ausgehalten werden kann. (11. August 2018)


Hochsommer auf Station

Dieser Nachtdienstzyklus schlaucht mich wieder. Unbestreitbar trägt die anhaltende Hitze dazu bei, die auch nachts nicht von Station zu vertreiben ist. Trotz Ventilatoren dauerte es selbst bei signifikanter Abkühlung der Außentemperatur mehrere Tage, bis diese auch im Inneren unseres Neubaus angekommen ist, wobei wir in der zweiten Etage gehandicapt sind. Wenn ich nachts ins Erdgeschoß muß, um Zugänge (neue Patienten) zu holen, genieße ich die kurze Verschnaufpause und die frische Zugluft, bevor der Fahrstuhl mich wieder in die Tropen unseres Stocks zurückbefördert. - Zudem waren die letzten Schichten immer mit zusätzlichen Querelen gesegnet; und immer, wenn man glaubte, mal wenigstens 10 Minuten durchatmen und zu sich kommen zu können, passierte der nächste Coup: ein Patientensturz mit oder ohne Blessuren, ein nächster Zugang, eine Patientenklingel (Schieber/Nachtstuhl rauf - Schieber/Nachtstuhl runter, Fenster auf - Fenster zu, Schmerzen in Fuß-Beinen-Schulter-Brust-Bauch-usw., Hochziehen, Uhrzeit vermelden), ein Verwirrter, der sich entkleidet und mit Stuhlgang, Blut seine Umgebung dekoriert oder mit Urin Bett, Zimmer, Flut geflutet hat; ein Infusiomat, der Alarm gibt, ein Notfall-CT, bei dem man als Pflegekraft dabeibleiben muß, weil die MTA den Bettlägerigen nicht allein transferieren kann... - Wenn man selbst nicht topfit ist, schlaucht einen die Situation mal mehr, mal weniger - bei mir derzeit letzteres. Zudem ist die Nachbarstation aus Kapazitätsgründen einige Zeit geschlossen, so daß wir auch nachts häufiger Zugänge bearbeiten müssen, d.h. ein Teil der Kapazitäten eben bei uns landet und zu bewältigen ist. Das allgemeine Volksgejammer, welches ohnehin immer als Ventil in den Kommunikationen des Pflegepersonals fungiert, schwillt jetzt an und schwappt fast über, wabert durch den aufgeheizten Raum und nimmt einem den kläglichen Rest, mit dem man vielleicht kurzfristig hätte durchatmen können. (23. Juli 2018)


Alltagsgeplänkel (1)

Kleiner Ausflug, bestimmt durch die Notwendigkeit, meine Quartalslieferung "die horen" abzuholen, die mittlerweile so globig verpackt ist, daß sie nicht mehr als Bücherpäckchen im Briefkasten landet, sondern als Päckchen geliefert wird und auf der Post mit einem Brimborium abzuholen ist, welches der Schalterangestellten nicht (mehr) bewußt ist: Sendung scannen, Personalausweis vorzeigen lassen, Auslieferschein ausdrucken und unterschreiben lassen. Mein Hinweis, daß ich dieselbe Broschur seit 1991 alle drei Monate geliefert bekomme und sie bis vor kurzem anstandslos im Briefkasten deponiert wurde, verursachte ein Schulterzucken. Es sei eben ein Päckchen und als solches zu behandeln. - Danach in der Hausarztpraxis zu Kreuze kriechen, weil ich am Freitag einen Blutentnahmetermin vergessen hatte. Mein legeres Angebot, einen nächsten Termin, der inzwischen im Kalendermonat Oktober angesiedelt ist ("Die Frau Doktor fährt ja bald in den Urlaub!"), wahrzunehmen, wurde negiert und meine Venen sofortigst malträtiert mit der Maßgabe, den morgigen 9-Uhr-Termin in der Sprechstunde gefälligst einzuhalten. Auch recht. - Von Paunsdorf nach Reudnitz zu Kaufland, von Reudnitz des Geizes wegen in die Eisenbahnstraße zu MäcGeiz, weil dort eine 5er Steckdosenleiste für 3,95 Euro zu bekommen ist, die bei Kaufland 5,99 Euro kostet. Außerdem hegte ich die Absicht, eine Wollmütze zu kaufen. Als fast Glatzköpfiger oder zumindest sehr Kahler freut man sich, wenn man zudem nicht andauernd einen Schirm mit sich herum schleppt, den man eh nur dann braucht, wenn er nicht zur Hand ist, - freut man sich also, wenn das Haupt mit einer Mütze bedeckt werden kann, sollte es stärker regnen. Nieselt es, kein Problem, schon gar nicht bei einem milden Sommerregen - ihr merkt, ich spreche höchst hypothetisch! ABER: die nicht mit allen Wassern gewaschene Verkäuferin guckte mich ebenso skeptisch an wie zuvor die Posttante. "Im Sommer führen wir Basecaps, Wollmützen nur im Winter." Is klar. Daß man eine Mütze auch zum Schutz vor Regen einsetzen könnte, ist ein abstruses Konstrukt, mit dem man in der Marktwirtschaft niemals rechnet. - An der Haltestelle ein Dreiergespann: Oma, Tochter und Enkelin. Oma blind. Enkelin hatte spürbar viel Spaß mit Omas Blindenstock und spielte blind und quietschte vergnügt. "Oma, ich umkreise dich jetzt!" "Da wird mir aber schwindlig, wenn du mich umreist!" "Au ja!" (10. Juli 2018)


Zwischen den Generationen

Ein Effekt, mit dem ich beim Älterwerden überhaupt nicht gerechnet hatte: daß die Nachkommenden aufgrund fehlender Erfahrungen bzw. fehlender Kenntnisse gewisse Dinge nicht verstehen. Sie kennen Ereignisse und Personen nicht (mehr), die uns geläufig sind, weil wir sie als junge Menschen entweder erlebten oder von Älteren überliefert bekommen haben. Beispielsweise ist mir Caterina Valente bekannt, weil meine Eltern sie in ihrer Jugend als Star verehrten. Als Michael Schulte beim Eurovision Song Contest antrat, wurde immer wieder betont, daß er in dem Lied über seinen verstorbenen Vater singt, woraufhin bei Twitter gespottet: wurde: "'Michael Schulte singt einen Song über seinen toten Vater.' Mick Hucknall ist tot?" Das ist wirklich witzig. Der 30 Jahre ältere britische Simply-Red-Sänger wegen seiner roten Mähne im Vergleich zum deutschen Sänger. - Verstand auf Station aber keiner von den meist jungen Kollegen. Und so mußte ich in der Vergangenheit immer wieder Namen und Geschehnisse erläutern, weil sie gemeinhein aus dem Repertoire verschwunden sind, das man ohne Schwierigkeiten beim Small Talk einsetzen kann. Wenn ich von Ilja Richter erzählte und wie uns als Aufwachsende disco prägte, sehe ich ebenso ratlose Gesichter, wie wenn ich andere Sachen aus den 70er und 80er Jahren präsentiere. Der Preis, den ein älter als 50-Jähriger also zu zahlen hat, nicht nur, sich mit zunehmenden körperlichen Wehwehchen herumschlagen zu müssen, sondern auch, sich mit vielen Erfahrungen seiner Jugend nur noch an Gleichaltrige wenden zu können, was in späteren Jahren problematisch wird, weil sie uns nach und nach entgleiten. (21. Mai 2018)


Nicht nur geträumt

Als Jugendlicher versüßte uns die NDW das Leben wie Musik sowieso. 1979, mit 13, die erste Schallplatte, später, vom eigenen Geld als Kochlehrling zusammengespart, den Mono-Kassettenrekorder Geracord GC6010 für über 605.- M, noch später, zirka 1987, die Stereoanlage S 3000 (Verstärker, Boxen, Tuner + Kassettendeck) für die ich jahrelang 2600.- M zusammengespart hatte. Nach der Wende den Kassettenrekorder EAW Audio 145, welcher mir mehr als 20 Jahre lang treue Dienste leistete. Mein Bruder mußte vor der Wende noch den DDR-Preis von 2100.- M für das wirklich tolle und leistungsstarke Gerät löhnen und war entsprechend sauer, als ich es in den Wendewirren gebraucht, aber neu, für 100.- M abstaubte. - Als Jugendlicher also Schallplatten und Kassetten, die sich nicht beeinträchtigten. Wenn man bedenkt, daß eine Amiga-Schallplatte 16,10 Mark kostete und ich anfangs nur ein Lehrlingsgeld von 108.- M erhielt, als Kochgeselle 550.- M, wird klar, daß beides nebeneinander Platz hatte. Obzwar die Sammlung wuchs - zuletzt hatte ich, bevor ich 1986 alles veräußerte, annähernd 200 Schallplatten -, hörte ich sie immer wieder komplett durch. Noch heute "sitzt" dieses Liedgut, so intensiv war die Begegnung mit Musik damals und bestimmte den Alltag. Nena kam 1982 mit "Nur geträumt" und wirbelte mächtig durchs Teenagergehirn bzw. durch weiter südlich gelegene Areale. Später nahm ich Nena wahr, als sie in den beginnenden 00er-Jahren die alten Songs nochmals aufpoliert brachte, durchaus passabel, aber meine Jugendzeit war längst passe. Gestern stieß ich auf eine Version von "Nur geträumt", die beweist, wie wandelbar Musik sein kann. Gefiel mir ausnehmend gut. (3. Mai 2018)


Abenteuer Straßenbahn

Am Wochenende fahren die Straßenbahnen morgens als Sammelanschluß zu festen Zeiten vom Hauptbahnhof weg. TRAM 7 zum Beispiel alle 30 Minuten. Um die 7-Uhr-Bahn zu bekommen, muß ich in Grünau die S-Bahn S1 um 6.28 Uhr erreichen, weil die TRAM 1 erst um 6.48 Uhr fährt und ich dann erst die nächste TRAM 7 um 7.30 Uhr nehmen könnte. Alle Bahnen warten also, nachdem sie eingefahren sind, am Hauptbahnhof oft 5 bis 10 Minuten bis zur getakteten Abfahrzeit. Vor kurzem fuhr der Fahrer meiner Straßenbahn, wohl geistesabwesend, um 6.51 Uhr einfach gleich los, bremste, als er um die Kurve in die Goethestraße eingebogen war, abrupt und mußte sich von der Verkehrsaufsicht, die am HBF meist präsent ist, wegen seiner Gedankenlosigkeit anschnauzen lassen. Erster Fauxpas. Unterwegs dann hatte der Fahrer fälschlicherweise das Mikrofon für den Fahrgastraum volle Pulle angeschaltet gelassen, so daß wir, als er etwas mit der Verkehrzentrale besprechen wollte, urplötzlich angebrüllt wurden und allesamt zusammenzuckten und ich mich im Geiste bereits Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Kreislaufzusammenbrüchen und Herzinfarkten ergreifen sah. Zweiter Fauxpas. Und nur eine Minute später eine Vollbremsung, weil der Fahrer vergessen hatte, eine Weiche umzustellen und wir beinahe in die falsche Richtung (Wurzener Straße zum Torgauer Platz) abgebogen wären, das heißt, sonst richtige Richtung; aber seit dem Brand ist Umleitung (über Edlichstraße) angesagt. Dritter Faupaux. Und wir Fahrgäste, nun gänzlich hellwach, harrten der Dinge, ob das Drama möglicherweise einen weiteren Akt böte. (19. April 2018)


Lost in Cyberspace?

Claudia Klinger hat mit Lost in Cyberspace ihren Umgang mit dem Internet vermessen und hinterfragt und fordert uns explizit auf, sich zu positionieren und in die Diskussion einzubringen. Mir fehlt dazu augenblicklich die Puste. Bei allem, was ich tue, stellt sich irgendwann immer die Frage, die ich seit meiner frühesten Jugend in dem Lied von Gerhard Schöne "Oder fehlt da noch was" artikuliert finde. Gibt es ein Unbehagen oder ist man zufrieden mit dem, was man ist & was man macht? Und ist dieses Unbehagen, welches bei mir unbestritten vorhanden ist, so groß, daß es Leidensdruck verursacht? Mir hat es immer Spaß gemacht, mich einzubringen, etwas beizusteuern. Seitdem ich im September 1995 online ging und im Juli 1996 meine Webseite ins Leben rief, verbrachte ich viel Zeit im Cyberspace, der heutzutage, wie Claudia sagt, nicht mehr so kuschelig ist wie damals. Die Diskussionsfreudigkeit im Usenet, in Mailinglisten, in Online-Foren ließ wohl zugunsten der Präsentation seiner "Sachen" nach. Man postet seine Bilder auf Instagram, seine Befindlichkeiten auf Facebook oder Twitter, freut sich über Beachtung, Likes und Zuspruch. Ein so intensives und munteres Sicheinmischen wie ehedem kommt jedoch kaum noch zustande. Es muß gefragt werden, ob nicht überhaupt das Meiste von dem, was man online treibt, verpufft oder wie Treibsand verweht bzw. zerrinnt, wenn man die Hände hineingräbt. Die sozialen Medien haben zudem durch die Natur der Timelines, die das stets Neue obenan stellen und das Nicht-mehr-ganz-so-Neue ziemlich rasch nach unten und bald schon in ein faktisches Nirwana befördern, etwas Ephemeres in den Cyberspace gebracht, das der Besinnung nicht zuträglich ist, dem Festkrallen an einem Topic. Die Kuh wird durchs Dorf getrieben, ohne daß sie grasen könnte. Auf Gerhard Schönes Frage kann man selbstverständlich immer mit Unbehagen reagieren; denn wer führt schon das perfekte Leben. Das Internet hat mich bereichert und dient mir tagtäglich. Nicht auszumalen, wie mühsam und zeitraubend man sich die Informationen und Unterhaltung sonst beschaffen müßte. Insofern ist ein Verzicht Nonsens, auch wenn einen mitunter asketische Anwandlungen befallen. Vielmehr ließe sich die Frage, was noch fehlt, in den Alltag herunterbrechen: Was fehlt mir denn heute noch? Ein Anruf bei Freunden, doch noch eine Stunde in die Natur oder ins Kino? Etwas bunter, etwas mehr offline. Aber auch mehr Einlassungen bei Cyber-Freunden, in deren Blogs kommentieren, nachhaken, nachfragen. Die Frage der Sucht ist dann irrelevant, wenn man den Grad der Zufriedenheit mit sich vereinbaren kann. Daß Netizens wie Claudia Klinger und auch ich ihre Existenz im Cyberspace be- und hinterfragen, ist gut und Teil der Justierung in einer Welt, die einen ohnehin - ob nun im virtual oder real life - immer schwindliger macht. (19. April 2018)


Wandbild auf Station

Auf unserer Station (Akutgeriatrie/Onkologie) installierten wir vor einigen Monaten eine Scheinbushaltestelle, für die uns die LVB kostenlos das Equipment zur Verfügung gestellt hat. Die Idee und, nachfolgend, die einer Wandmalerei entstand im Pflegeteam. Erfahrungsgemäß sind Demente oft unruhig und wollen weg. Warum also nicht mit dem Bus? Zuerst wurde die immer wieder bewitzelte Scheinhaltestelle realisiert, indem eine Kollegin hartnäckig mit den Leipziger Verkehrsbetrieben korrespondierte, die sich ins Zeug legten und den Mast auf Nachfrage hin sogar kürzten. Zwei weitere Schwestern imaginierten immer konkreter eine Bemalung der monotonen Fläche hinter den Sitzbänken im Lichthof und gewannen, nachdem jemand anderes abgesprungen war, schließlich die sorbische Musikerin und Malerin Marion Quitz für die Illusionsmalerei, deren Finanzierung durch einen Spendenfond von unserer Oberärztin, Frau Dr. Schinköthe, erkämpft wurde. Der Einfall mit dem "himmelblauen Trabant" kam unserer stellvertretenden Stationsleiterin, wofür der alte DDR-Song von Sonja Schmidt Pate stand. Allerdings wurde dieser Impuls uminterpretiert und das Auto letztlich als Trabant aus dem Film "Go Trabi Go" gesehen, so daß der Darsteller des Deutschlehrers Udo Struutz, Wolfgang Stumph, mit an Bord kam. Im April 2018 entwarf die Künstlerin Marion Quitz das Panoramabild, über welches das Leipzig Fernsehen bereits während des Entstehens berichtete. Die Idee wurde durch die Offiziösen naturgemäß aufgegriffen, so daß es zu einer Vernissage kommen wird. In unserer Robert-Koch-Klinik am Standort Grünau (Lageplan) existieren seit Eröffnung des Neubaus übrigens zwei weitere Bilder - vom Künstler Matthias Klemm geschaffene Betonmalereien sowie eine Galerie mit künstlerischen Arbeiten von an Krebs erkrankten Patienten, die im Onkologietrakt unserer Station aushängt. (aktualisiert am 21. April 2018)


Akutgeriatrie (1)

Im Dresdner katholischen Krankenhaus St. Joseph-Stift ist eine Akutgeriatrie eingeweiht worden. Wenn ich das richtig verstehe, soll es zwei Stationen geben für 54 Patienten. Die mit einem Neubau geschaffenen Gegebenheiten sind für uns utopisch. Unsere Station wurde auf einer ehemaligen internistischen Station geschaffen, was bedeutet, daß wir über die räumlichen Notwendigkeiten, die eine Geriatrie aufweisen muß, nicht verfügen, wozu u.a. eine entsprechende Bad- und Zimmergröße gehörte. Unsere Zimmer sind von all den Ganghilfen und Spezialsitzmöglichkeiten für Hochbetagte verstopft, was uns zur einem immerwährenden Hürdenlauf nötigt, einem andauernden Hin-und-Her-Geschiebe der Einrichtung und Hilfmittel. Platz schaffen für Transfers ist ein wesentlicher Bestandteil bei dieser beengten Arbeitssituation. Interessant, Chefärztin des neuen Zentrums gleichzeitig auch ChÄ für Onkologie, Geriatrie und Palliativmedizin ist - ebendie Fachbereiche auch unserer Station. Ebenfalls etwas, worüber wir nicht verfügen: "In der Altersmedizin spielt auch die Therapie von Infektionskrankheiten eine große Rolle. Für isolationsbedürftige Patienten wurden insgesamt sechs Einzelzimmer mit vorgelagertem Schleusenbereich geschaffen." Wir müssen jedesmal, wenn ein Zimmer isoliert werden muß, eine sehr wackelige Quaratäne schaffen, indem nötige Materialen jedes Mal zusammengesucht und herangeschafft werden und bei Ende der Isolierung wieder weggeräumt werden müssen - ein stetiger Mehraufwand. (12. April 2018)


Restriktionen

Restriktion und Gängelung gehören zu den Maßnahmen von Machtinhabern. Arbeitgeber besitzen Macht über ihre Angestellten. Wir beziehen bestimmte Materialien wie Bürozeug und Papiere für die Patientenakten, z.B. auch Totenscheine und Zehenzettel, übers Internet. Dafür existiert ein Budget pro Quartal. Einige der Produkte, die bislang bestellbar waren, sind unseren Zugriffsrechten entzogen worden und müssen stattdessen in der Logistik- und Wirtschaftsabteilung der Klinik beantragt werden, wodurch es zu einem Klein-Klein gekommen ist, weil man sich wie ein Muttersau fühlt, die ihre Ferkel verteidigen muß. Zurzeit verliert man leicht den Überblick darüber, was nun wo zu haben ist. Man ist gezwungen, viel per Mail und Telefon nachzufragen. Die Leine kurz halten ist ein Mechanismus der Restriktion. Überdies gilt seit neuestem die Maßgabe, daß man seine Bestellung im Internetshop erst genehmigt bekommt, wenn man sie telefonisch begründet hat. Als würden wir aus Jux und Dollerei Kopierpapier, Markierstifte, Kugelschreiberminen und Notizzettel bestellen. Außerdem reicht das Budget nicht, wenn wir bestimmte preisintensive Artikel brauchen, die uns dann auch noch von anderen Stationen abgenommen werden. Man kann ja kaum Nein sagen, wenn jemand kommt und eine Blanko-Patientenakte möchte. Und der Bedarf beispielsweise an Kopierpapier steigt ständig; es wird immer mehr gedruckt und ausgedruckt, teils doppelt und dreifach. Ein Beispiel noch. In unsere Mappen gehören Register, die wir überwiegend erhalten, wenn wir Patienten durch die Aufnahme bekommen. In manchen Fällen kommen Patienten aber direkt, z.B. durch Verlegungen aus einer zentralen Notaufnahme, so daß wir in solchen Fällen Register vorrätig haben müssen. Nun wurde uns die Bestellmöglichkeit für sie entzogen. Die Order lautet, sich gefälligst Reserveregister in einer Aufnahmeabteilung zu besorgen. Also kommt zum Herumtelefonieren und Per-Mail-Betteln auch noch das Herumrennen im Haus dazu, um etwas zu bekommen, was man ganz einfach selbst organisieren könnte, wenn man uns ließe. Diese restriktiven Tendenzen bewirken, daß die Motivation, diese freiwillige Aufgabe im Stationsalltag zu übernehmen, geschmälert wird und möglicherweise nicht mehr lange besteht. (22.3.2018)


Fokolarbewegung

Im "Tag des Herrn", der katholischen Wochenzeitung mehrerer ostdeutscher Bistümer, heute ein Interview mit der Sprecherin der Fokolarbewegung, in der ich in den prägenden Jahren meiner Jugend von 1982 bis 1990 lebte. Eine der so genannten Erneuerungsbewegungen oder Geistlichen Gemeinschaften, die im letzten Jahrhundert in der katholischen Kirche entstanden sind. Bezeichnend für diese Gruppierungen sind stets eine kulthafte Verehrung der Gründerfigur, eine Durchwirkung der Spiritualität bis in die kleinsten Belange des Alltags, eine Erwartungshaltung an die Interessenten, die diese zunächst als reizvolle Herausforderung, später durchaus als Zwangsjacke oder zumindest als Korsett empfinden, eine ausgeklügelte Organisation, ein für Außenstehende oft wenig verständlicher Soziolekt. Die innerhalb der katholischen Kirche agierenden Bewegungen sind quasi fundamentalistisch. Der Papst kann 100%ig auf sie bauen. Die meisten, unter ihnen auch das weit bekanntere Opus Dei, sind Laienbewegungen. Von außen erfährt man so gut wie nie etwas über sie, weswegen ich auch das Interview verlinke; denn es ist eines der seltenen Momente, in denen die Bewegungen überhaupt mit der Öffentlichkeit namentlich in Berührung kommen. Ich kann das behaupten. Ich habe seit 28 Jahren keinen Kontakt mehr zur Organisation, nur gelegentlich zu Freunden, die aus dieser Zeit meines Lebens geblieben sind, und achte trotzdem auf Verlautbarungen. Kritik gab und gibt es innerhalb und außerhalb der Kirche zuhauf. Die Gleichsetzung mit Sekten erscheint plausibel, weil alle o.g. Phänomene genuin Sekten zuzurechnen sind. Auch die Abnabelung gestaltet sich schwierig. Die perfide Psychologie generiert bei den "Abtrünnigen" sowohl das Gefühl eines schmerzlichen Verlustes als auch die Erkenntnis der nunmehr wohl lebenslangen unüberbrückbaren Distanz. Außerhalb bzw. abseits des "Herdfeuers", wie sich der Begriff "Fokolar" herleitet, ist es erst einmal kühler. Es braucht einige Zeit, bis man sich akklimatisiert hat und wieder auf der Spur im normalen Leben ist. (5.3.2018)


Umgang mit Dementen (2)

Demente Patienten sind anders solche, die als kognitiv vollumfänglich gelten. Manche sind in sich gekehrt, äußern sich kaum, wirken apathisch. Viele besitzen besonders nachts einen unstillbaren Bewegungsdrang, der als Hin- oder Weglauftendenz bezeichnet wird, verirren sich dabei immer wieder und werden in den chaotischsten Situationen vorgefunden - für andere oft Anlaß zur Heiterkeit, für die Betroffenen weniger schön, weil Demente sich rasch verunsichert fühlen, geradezu geängstigt. Eine Patientin fanden wir einmal im Abfallraum vor, entspannt gebettet auf einem Stapel schwarzer 120- Liter-Mülltüten, die überhaupt nicht verstand, warum wir sie aus ihrer kuscheligen Lage entrissen. Also, Angst und Verunsicherung schlägt schnell in Agressivität um, so daß demente Menschen sich oft als widerborstig und uneinsichtig gerieren und auch einmal trotzig wie ein störrischer Esel mitten auf dem Gang stehen bleiben, womöglich nackt, und sich partourt nicht ins Zimmer zurückführen und einkleiden lassen wollen. Eine Herausforderung in der Krankenpflege, weil diese Situationen an der Tages- bzw. Nachtordnung sind, eben weil Demente durch die neue Umgebung so verstört werden und meistens nach zwei, drei Tagen wesentlich ruhiger sind, was nicht heißen darf: sediert (ruhiggestellt), sondern einfach aus Gewöhnung an die neuen Räumlichkeiten und Abläufe. Auch bettlägerige = immobile Patienten sind eine Herausforderung. Wechsel der Inkontinenzeinlagen bzw. Lage/Positionswechsel, die in der Pflege nachts mindestens zweimal durchgeführt werden, geraten so rasch zu einer unschönen Choreografie aus Zerren, Festhalten und auf den Kranken Einreden, der sich an den Bettseite oder oder gleich an der Kollegin festkrallt, wobei er, was er an Scheren, Klemmen, Stiften oder Notizzetteln zu fassen bekommt, ungerne wieder freigibt. Letztens lagerten wir so eine Patientin, welche uns mit Ausdrücken belegte, die sich eigentlich nur einer Straßennutte hätten zuordnen lassen. Kategorie unterste Schublade. Immer wieder auch russische Wörter dazwischen, so daß ich fragte, wo sie geboren sei, weil ich den Verdacht hegte, sie sei eine Russenlanddeutsche, was sich jedoch nicht erhärten ließ, weil der Patientin ihr Geburtsort selbst rätselhaft war. Zwei Nächte später dann die Entdeckung, daß sich ihre Agressivität und ihr Unmut sehr einfach und sehr schnell abstellen ließen, indem wir gemeinsam und inbrünstig Frühlingslieder sangen. "Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, alle.", bei -10°C, was sicherlich der ambitioniertesten Amsel zu weit gegangen wäre. - Singen ist im Umgang mit dementen alten Menschen ein probates und schönes Mittel. Optimal wäre eine bessere Beherrschung des Liedtextes; schließlich will man sich nicht vor einer 90-Jährigen Frau blamieren. (27.2.2018)


Frugalismus

Ich wußte gar nicht, daß es für meine Art des minimalistischen Lebens den neuen Begriff Frugalismus gibt. So sparsam leben wie möglich, um so zeitig wie nur möglich ausgesorgt zu haben, um nicht bis 67 auf allen Pötten pulxen zu müssen. Mit meinen knapp 52 Jahren bin ich quasi auf der Zielgeraden. Geiz ist eben doch geil. Die Idee der Konsumverweigerung ist nicht neu. Als Vorbild der Frugalisten gilt der US-Kanadier Mr. Money Mustache, der mit 30 nicht mehr auf ein Einkommen angewiesen war. In Deutschland macht Oliver Noelting (auf Facebook) diese Idee publik, der in seinem Blog schreibt: "... wollte ich die US-amerikanische FIRE-Community, die Philosophie von Mr. Money Mustache und Early Retirement Extreme nach Deutschland bringen. In den USA ist Financial Independence and Retiring Early mittlerweile eine regelrechte Bewegung geworden. Die Fans von Mr. Money Mustache nennen sich selbst Mustachians, fast wie ein religiöser Orden." - "Wer finanzielle Freiheit beziehungsweise 'early retirement' anstrebt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Bedürfnis nach Unabhängigkeit in Verbindung mit dem Drang (Geld) zu sparen." Yep. "Wenn du stets die Hälfte deines Einkommens sparst, musst gerade einmal 18 Jahre arbeiten, bis du jobfrei bist." - Das rechnet sich freilich nur, wenn man einen einigermaßen gut bezahlten Job hat und eben sparsam lebt. Bei mir klappte das ganz ordentlich, obwohl ich als gelernter DDR-Bürger erst nach der Wende, also in den späten Zwanzigern dazu kam, Geld zurückzulegen. 1984 aus der 10. Klasse gekommen, bis 1986 Koch gelernt. Als Lehrling erhielten wir im ersten Jahr netto 108.- Mark monatlich, im zweiten etwas mehr. Damit war wenig Staat zu machen. Als Geselle verdiente ich bis 1986 etwas mehr als 500.- Mark, wovon beispielsweise 120.- Kostgeld an meinen Vater ging. Zwischen 1986 und 1989 auf dem Studienkolleg (humanistisches Altsprachen-Abitur) gab es überhaupt kein Einkommen. Zur Wende war ich demnach 23 Jahre alt und hatte 3500.- Mark auf dem Sparbuch. Begann als Hilfspfleger zu arbeiten und konnte meine Ausbildung zum examinierten Krankenpfleger zwischen 1991 und 1994 absolvieren. Ordentlich Knete kam also erst in diesen zurückliegenden 24 Jahren seit 1994 herein. Aber immer schon Minimalist/Frugalist, sparte ich selbst in den ersten einkommensschwachen bis -freien ersten 10 Jahren meines Ausbildungs/Erwerbslebens (1984-1994). Und jetzt wird es langsam Zeit zu ernten, die Früchte einzubringen und zu genießen. Freilich, mit 40 Jahren in Rente zu gehen wäre nur mit einer ungebrochenen westdeutschen Biografie zu verwirklichen gewesen. Mit dem von mir Erlebten und Erworbenen sollte mir ein sukzessives Downsizing jedoch locker gelingen. Seit 1,5 Jahren arbeite ich bereits mit nurmehr 32 Wochenstunden und will sie weiter reduzieren, um dann in einigen Jahren möglicherweise doch im Prinzip arbeitsfrei zu leben. (22.2.2018)


Pekuniäres Polster

Gestern Nachmittag habe ich Post der letzten 30 Monate aufgearbeitet = geordnet und abgeheftet bzw. aussortiert. Erstaunlich, wie scheinbar unwichtig = folgenlos das Meiste doch ist. Schreiben des Vermieters, der Versicherungen, der Kranken- und Zusatzkasse, der Bank, der Bausparkasse, des Arbeitgebers, des Energieversorgers, der LVB (Leipziger Verkehrbetriebe) und natürlich die Unmengen an Gehaltscheinen. Rechnungen habe ich natürlich immer herausgefischt und oft erst bezahlt, wenn die erste Mahnung eintrudelte, so öfter bei der GEZ. Mein einziges Zeitschriftenabonement zahle ich seit 1991 alljährlich pünktlich. Dringliche oder relevante Sachen habe ich bei all der liegen gebliebene Post nur in einem Fall übersehen: ich fand eine neue Gesundheitskarte meiner Krankenversicherung (KKH). Da ich die alte aber ungehindert bis dato nutzen konnte, obwohl in dem Schreiben angegeben war, daß sie mit der neuen ungültig würde, scheint die Chose auch nicht so wichtig zu sein. Meine Depression, meine Antriebslosigkeit ließen mich vor dem Wust an Papier, den Stapeln ungeöffneter und geöffneter, aber nicht gelesener Post kapitulieren. Das war in den vergangenen 20 Jahren immer so. Wie es der Zufall so will, erreichte mich ein Anruf meiner Bausparkasse, die mir einen Gesprächstermin abrang. Vor Jahren wurde mir ein zweiter Bausparvertrag aufgeschwatzt; über einen laufen die Vermögenswirksamen Leistungen (VML), der andere ruht irgendwie. Ich bin gespannt, was mir der Berater am Donnerstag verkaufen will und ob ich stark genug sein werde, den zweiten aufzulösen und nur denjenigen mit den VML behalten. Ich ahne ja, was - wie schon beim letzten Mal - passieren könnte. Der Berater will mir einen neuen Vertrag für die VML aufzwingen und den jetzigen in eine Ruheposition befördern, womit er wohl Provision kassiert. Leider verfüge ich über keinerlei Wissen, das ich anbringen und einsetzen könnte, um mich argumentativ zu wehren, wenn ich überzeugt werden soll, die VML aus dem vorhandenen Vertrag in einen neuen zu überführen. Das einzige, was mir einfällt: möglichst stur bleiben und, wenn ich mir der Status quo nicht garantiert wird, alle Bausparverträge auflösen zu lassen. Tabula rasa. Ganz ehrlich? Ich befinde mich eigentlich in einer komfortablen Situation. Unabhängig von irgendeiner Rente, die ich einmal bekäme, würde mein Vermögen mir schon jetzt gestatten, 30 Jahre lang - mehr kalkuliere ich nicht! - über monatlich 1000.- Euro zu verfügen. Das allein ist bereits mehr, als ich immer schon ausgebe. Meine durchschnittlichen Ausgaben betragen 750.- Euro per Monat. Die Altersrente gibt die RV mit derzeit 1570.- Euro an. Hinzu käme noch eine Betriebsrente von 460.- Euro. Momentane Erwerbsunfähigkeitsrente betrüge 1170.- Euro. Somit befinde ich mich in der Situation, potenziell ohne Rente 30 Jahre lang leben zu können bzw., wenn man augenblickliches Vermögen und in Aussicht gestellte Rentenzahlungen zusammen rechnet, mit monatlich 3030.- Euro leben zu "müssen". Das ist hanebüchen viel, weswegen ich, wenn Ende 2018 meine Stundenbefristung (80% = 32 Wochenstunden) ausläuft, diese restriktiver zu erneuern und nur noch 60% = mit 24 Wochenstunden = 3 Arbeitstagen wöchentlich weiterzumachen. (16.1.2018)


Noroepidemie auf Station

Zugegeben, ich bin heilfroh, heute und in den nächsten Tagen nicht auf Station sein zu müssen. Grund dafür sind nicht die üblichen Querelen der tägliche Arbeit in der Pflege, sondern eine Epidemie mit Durchfallkeimen, die sich rasch entwickelt. Es beginnt logischerweise mit 1 Patient, wodurch sofort der Mitpatient mitbetroffen ist, der als Kontaktperson behandelt und ebenfalls isoliert wird, auch wenn er symptomfrei (weder Durchfall noch Erbrechen noch Übelkeit) ist. Exponenziell eskaliert die Situation, sobald ein zweiter, dritter, vierter Patient damit anfängt. Immer geschieht das plötzlich und für den Betroffenen verheerend. Schnell sind keine separate Zimmer für Kontaktpersonenn mehr vorhanden, so daß diese im infektiösen Zimmer verbleiben und sich der immensen Gefahr der Co-Infektion ausgesetzt sehen, die sich aufgrund der Virulenz der Keime in vielen, vielen Fällen sehr reell auswirkt, was man dann auch riecht und meist kein Laborergebnis benötigt, um zu erkennen, um welchen Keim genau es sich handelt. Innerhalb von ein, zwei Tagen waren auf diese Weise am Wochenende ruckzuck 9 = die Hälfte aller Zimmer betroffen. Akute Gastroenteritiden (z.Z. speziell durch den bei Kälte sehr aktiven Norovirus) bedeuten eine enorme Mehrarbeit auf Station. Materialien wie Bettwäsche, Inkontinenzartikel, Isoliermaterialien müssen herangeschafft und entsorgt werden. Der zeitliche Aufwand ist beachtlich, wenn man andauernd Patienten mit den Symtomen versorgen - was heißt: reinigen & waschen muß, Pingpong zwischen Toilettenstuhl & Bett oder Schieber rauf und wieder runter, Tee kochen, Zwiebackorgien... Es geht zuungunsten der sonstigen Arbeit. Zudem nerven die Schutzmaßnahmen wie ständiges An/Ausziehen von Handschuhen, Mundschutzen und Kittel, das quasi Dauerbaden im Desinfektionsmittel. Deswegen bin ich heilfroh, in dieser epidemischen Phase, in der sicherlich noch mehr Infektionen dazukommen, zuhause sitzen zu können und, wenn man ab und an gewillt ist, den Kollegen auf Arbeit ein wohliges Bedauern gönnen zu können. (15.1.2018)


Stolpersteine (4)

Die Woche vor und nach dem Jahreswechsel ist für Erkrankte suboptimal. Die Praxis meiner Hausärztin (HÄ) hat erst ab kommendem Montag wieder geöffnet. Bis heute bin ich krank geschrieben durch eine Ärztin, die ich gefunden hatte, nachdem die zwei ausgewiesenen Vertretungsärzte ebenfalls im Urlaub waren und ich vergebens an deren Tür gestanden hatte. Da ich in dieser Woche infolge glücklicher Umstände nur am Wochenende arbeiten muß, entschied ich mich heute, mich als arbeitsfähig auf Station zurückzumelden mit der Maßgabe für mich, wenn es nicht geht, am Montag bei meiner HÄ aufzuschlagen. Es ist kompliziert. Meine HRST (Herzrhythmusstörungen) sind nicht behoben, treten heute aber etwas weniger oft und etwas abgemildert auf. Mangels externen Rates habe ich ein Experiment gewagt und zwei Wirkstoffe meiner Antihypertensiva (Ramipril und Amlodipin) pausiert. Ramipril nehme ich noch nicht so lange ein wie die anderen, so daß ich mir dachte: Wenn Nebenwirkungen der Tabletteneinahme an den Arrhytmien beteiligt gewesen sein sollen, dann solche von Medikamenten, die sich noch nicht so bewährt haben wie diejenigen, die ich schon mehr als zehn Jahre lang nehme (Valsartan, Bisoprolol). Sollte sich mein Verdacht bestätigen, wäre das toll. Allerdings fehlen mir jetzt zwei Wirkstoffe=Tabletten gegen den Bluthochdruck. Eben weil mir kein Arzt zur Seite steht, ist dies unbefriedigend und belastend. Selbstversuche sind seitens der Mediziner zudem nicht gern gesehen. Mir bleibt jedoch nichts anderes übrig, als bis Montag, wenn meine HÄ wieder auf der Praxismatte steht, in Eigenregie herumzumurksen. (3.1.2018)


Vom Nichtmehrpurzeln der Pfunde

Bei Claudia Klinger in ihrem Blogeintrag "7 Kilo plus!" kommentiert: "Bei mir ist es noch krasser. Nachdem mein Gewicht von Dezember 2015 bis Juli 2016 um 32 Kilo geschmolzen war (von 114 auf 82 kg), hielt ich dieses Gewicht bis Dezember 2016. Dann brach meine Kontrolle zusammen; im vergangenen Jahr aß ich wieder unkontrolliert und nahm bis dato 22 Kilo zu und hatte vorgestern 104 kg auf der Waage. Das Abnehmen gelang mir fast nebenbei, indem ich die Erkrankung im Dezember 2015 dazu nutzte, mit dem Saufen aufzuhören, wodurch die Pfunde in den nächsten Wochen wie von selbst purzelten, weil die Kalorien des Alkohols wegfielen. Diesen Effekt nutzte ich, auch meine Ernährung einzuschränken. Irgenwann war ich im Flow des Abnehmens, aß nur einmal täglich zur selben Zeit abends um 18.40 Uhr während des Hintergrunds im Deutschlandfunk. Das Doofe ist, wenn, wie auch du schreibst, die "Motivation in den Keller" rutscht. Ich gestattete mir immer mehr Ausnahmen vom strengen Regime, mit dem ich doch eigentlich über 1 ganzes Jahr hinweg so wunderbar zurecht gekommen war. Und wenn man den kleinen Finger reicht, wird die ganze Hand genommen. Sobald ich die Kontrolle verloren hatte, gab ich ganz auf und aß fast täglich Eis. Jede Rückkehr zum alten Regiment verschob ich von Woche zu Woche. Und es ist kurios: Es ist nahezu unmöglich, mit einfachen Bestrebungen und losem Willen wieder zu der Einfachheit der Nahrungskontrolle zurückzufinden. Ich konnte mich ein ganzes Jahr lang nicht durchringen, auch nur einen Versuch zu wagen. Vor 5 Tagen sorgte eine neue Erkrankung dafür, daß ich die Lust auf Essen verlor, weil es mir dreckig geht. Jetzt ist zumindest ein erster Schritt geschafft: einige Tage mit recht leerem Magen, in denen ich die Kontrolle über die Kalorien wiedergewann. Wichtig jetzt, sich Nahziele zu setzen. In meinem Fall wäre das, nicht weiter zuzunehmen und möglichst unter 100 kg zu kommen. Allerdings schiele ich zurzeit weniger auf die Waage und lasse die Entwicklung einfach geschehen, ohne sie zu forcieren, weil meine aktuelle Erkrankung eine ganz andere Baustelle darstellt, durch die die Gewichtsproblematik an Dramatik verliert." (3. Januar 2018)


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