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Hermann-Hesse-Notate II

[Psychologie]

  • Wo die Not am höchsten, ist Gott am nächsten.
  • Wie ein Mensch, der Charakter hat, diesen am deutlichsten und reinsten offenbart, wenn er seinem gewohnten Kreis entrückt sich vor etwas ganz Neues gestellt findet... (Hermann Hesse: Die Welt im Buch I. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1900-1910, S. 101)
  • Über die Psychoanalyse möchte ich mich auf keine Diskussionen einlassen. Die Stütze, auf die ein Mensch sich in besonders schwierigen Zeiten stützt, kann für ihn nicht Gegenstand von Diskussionen sein, um so mehr, wenn er, wie ich, sich zur Dogmatik und zu Untersuchungen über Rechtgläubigkeit nicht berufen fühlt. (Hermann Hesse: Stufen des Lebens. Briefe, S. 21)
  • Doch muß man den Menschen dann am wenigsten glauben, wenn sie von ihren Mängeln reden. Mancher hält sich für vollkommen, nur weil er geringe Ansprüche an sich stellt.
  • Es ist möglich, daß jene Praktiker und Psychologen recht haben, die alles menschliche Tun aus egoistischen Trieben ableiten. Ich kann zwar nicht ganz einsehen, warum ein Mensch, der sein Leben lang einer Sache dient, der sein Vergnügen und Wohlergehen vernachlässigt und sich für irgend etwas opfert, damit wirklich das gleiche tun soll wie ein Mensch, der mit Sklaven oder mit Munition handelt und die Erträge mit Wohlleben durchbringt; aber ohne Zweifel würde ich im Wortgefecht mit einem solchen Psychologen sofort den kürzeren ziehen und überführt werden, denn Psychologen sind ja Menschen, welche stets den längeren ziehen. (Die Morgenlandfahrt)

[Kunst/Künstler]

  • ... habe jenes Glück genossen, das durch körperliche Schmerzen nicht zu zerstören ist, das beste und einzige Glück für unsereinen: an der Arbeit zu sitzen, etwas zu schaffen, produktiv zu sein. (Hermann Hesse: Betrachtungen und Berichte II)
  • Das Schöne zieht einen Teil seines Zaubers aus der Vergänglichkeit. (Hermann Hesse: Betrachtungen und Berichte II)
  • Alle Bildung und Kultur fordert ja auch zwar ein herzliches Mitleben mit dem zeitgenössischen Schaffen, hat Boden und Wurzeln aber vor allem in einem innigen, lebendigen Verhältnis zu den Schätzen vergangener Zeit, deren Überleben und Nochlebendigsein der beste, vielleicht einzige Beweis für den Wert aller geistigen Arbeit ist.
  • Von allem Ruhm ist das der süßeste, der noch nicht auf große Erfolge blickt, noch keinen Neid erregen kann, noch nicht absondert. (Gertrud)
  • Ich bin nicht der Meinung, meine oder irgend jemandes Bilder müßten die Zeiten überdauern. Wo soll die allzeit aufblühende junge Kunst denn Luft und Raum hernehmen? Es wäre kein Schade, wenn jede dritte Generation ihren Vorrat an antiquierten Kunstwerken sanft zu Grabe trüge. (Sommeridyll, 1901)
  • Schiller sollte aus dem Lehrplan der Gymnasien gestrichen werden, dann wäre er bald wieder unerhört populär.
  • Mozart, das bedeutet, die Welt hat einen Sinn.
  • Die Kritik hat das Recht, den Dichter zu analysieren, soweit sie es vermag, sie hat auch das Recht, das, was ihm wichtig und heilig ist, für Dummheiten zu erklären und ans Licht öffentlicher Diskussion zu ziehen. Damit sind jedoch ihre Rechte erschöpft.
  • Was das Talent angeht, so ist es ja tatsächlich in solchem Überfluß vorhanden, daß unsere Künstler bald nur noch Kollegen und gar kein Publikum mehr haben werden.
  • Schönheit beglückt nicht den, der sie besitzt, sondern den, der sie lieben und anbeten kann.
  • Der Anfang aller Kunst ist die Liebe. Wert und Umfang jeder Kunst werden vor allem durch des Künstlers Fähigkeit zur Liebe bestimmt.
  • Unsere ganze Kunst ist bloß ein Ersatz, ein mühsamer und zehnmal zu teuer bezahlter Ersatz für versäumtes Leben, versäumte Tierheit, versäumte Liebe. Aber es ist doch nicht so. Man überschätzt das Sinnliche, wenn man das Geistige nur als Notersatz für fehlendes Sinnliches ansieht. Das Sinnliche ist um kein Haar mehr wert als der Geist, so wenig wie umgekehrt. Ob du ein Weib umarmst oder ein Gedicht machst, ist dasselbe.
  • Ob die Kunst und das Schöne den Menschen wirklich zu bessern und zu stärken vermögen, sei dahingestellt, zum mindesten erinnern sie uns, gleich dem Sternhimmel, an das Licht, an die Idee der Ordnung, der Harmonie, des "Sinnes" im Chaos.
  • Es gehört zum Verstehen und Erlebenkönnen jeder Kunst eine natürliche Anlage, die dem künstlerischen Talent oder Treib selber verwandt sein muß, wer die hat, dem sind künstlerische Genüsse möglich, dem andern nie.
  • Die Kraft des Genießens und die des Erinnerns sind voneinander abhängig. Genießen heißt einer Frucht ohne Rest ihre Süßigkeit entpressen. Und Erinnerung heißt die Kunst, einmal Genossenes nicht nur festhalten, sondern immer reiner auszuformen.
  • Die Einsamkeit des Künstlers, überhaupt des begabten Menschen, halte ich für unvermeidlich, einerlei, ob einer Glück und Erfolg hat oder nicht. Ebenso begreiflich und im Grund richtig scheint mir, daß der Begabte, der Mensch mit Phantasie, diese Einsamkeit möglichst dissimuliert. Denn so unvermeidlich es ist, daß der Mann mit Talent früher oder später die öde, traurige Beschränktheit des Durchschnittsmenschen bemerkt, so sehr muß er sich gegen diese Einsicht wehren, weil sie am Ende zu einer Lieblosigkeit und Menschenverachtung führen würde, die er auch nicht ertrüge. Aber die große, oft eisige Einsamkeit des Künstlers oder Denkers inmitten der Dutzendmenschen ist, ob verheimlicht oder nicht, immer da, sie ist der Preis, den wir dafür zahlen, daß wir vor jenen manches voraus haben.
  • So gut einem ein Nobelpreis auf den Kopf fallen kann, so gut kann einem auch ein Dachziegel auf den Kopf fallen; letzteres kommt sogar öfter vor. (1946)
  • Stets siegt am Ende das menschliche Urteil über das ästhetische. Denn wir verzeihen dem Talent nicht leicht, das sich miß braucht, wohl aber verzeihen wir dem menschlich wertvollen Werk manchen offenkundigen Formfehler.

[Liebe/Haß]

[Politisches]

  • Heute liegt die politische Vernunft nicht mehr dort, wo die politische Macht liegt. Es muß ein Zustrom von Intelligenz und Intuition aus nicht offiziellen Kreisen stattfinden, wenn Katastrophen verhütet oder gemildert werden sollen.
  • Die Welt ist krank an Ungerechtigkeit, ja. Sie ist noch viel mehr krank aus Mangel an Liebe, an Menschentum, an Brudergefühl. Das Brudergefühl, das dadurch genährt wird, das man zu Tausenden marschiert und Waffen trägt, ist mir sowohl in der militärischen wie revolutionären Form nicht annehmbar.
  • Ein Feigling, wer sich den Leistungen, Opfern und Gefahren entzieht, die sein Volk zu bestehen hat. Aber ein Feigling und Verräter nicht minder, wer die Prinzipien des geistigen Lebens an materielle Interessen verrät, wer also z.B. die Entscheidung darüber, was zwei mal zwei ist, den Machthabern zu überlassen bereit ist. Der Sinn für die Wahrheit, die intellektuelle Redlichkeit, die Treue gegen die Gesetze und Methoden des Geistes irgend einem anderen Interesse zu opfern, auch dem des Vaterlandes, ist Verrat.
  • Mein Dienst und Beruf ist der der Menschlichkeit. Aber Menschlichkeit und Politik schließen sich aus. Beide sind nötig, aber beiden zugleich dienen ist kaum möglich. Politik fordert Partei, Menschlichkeit verbietet Partei. (1918)
  • Je mehr einzelne da sind, welche dem Welttheater mit Ruhe und Kritik zuzuschauen vermö gen, desto geringer ist die Gefahr der großen Massendummheiten, obenan der Kriege.
  • Der Patriotismus setzt an Stelle des Einzelnen einen größeren Komplex. Aber so richtig als Tugend geschätzt wird er doch erst, wenn das Schießen losgeht.
  • Ich bin gerne Patriot, aber vorher Mensch, und wo beides nicht zusammengeht, gebe ich immer dem Menschen Recht.
  • Wie jeder totgeschossene Soldat die ewige Wiederholung eines Irrtums ist, so wird auch die Wahrheit in tausend Formen ewig und immer wiederholt werden müssen.
  • Niemand ist schuldig. Man schießt und brennt die Welt in Trümmer und ist dabei völlig unschuldig. Man ist "Exponent" oder "Faktor" oder irgendetwas Geistreiches, aber kein Mensch, kein moralisches, unter Gott stehendes, ihm verantwortliches Wesen. Ich gebe keinen roten Pfennig dafür.
  • Besser ist es, Unrecht leiden als Unrecht tun. Falsch ist es, mit verbotenen Mitteln das Erwünschte verwirklichen zu wollen. Das sind Torheiten für die Generäle, und die Staatsmänner lachen darüber, doch sind es alte und bewährte Wahrheiten.
  • Ein Krieg kommt nicht aus dem blauen Himmel herab, er muß gleich jeder anderen menschlichen Unternehmung vorbereitet werden, er bedarf der Pflege und Mitwirkung vieler, um möglich und wirklich zu werden, Gewünscht aber, vorbereitet und suggeriert wird er durch die Menschen und Mä chte, denen er Vorteil bringt. Er bringt ihnen entweder direkten baren Geldgewinn wie der Rüstungsindustrie (und sobald Krieg ist - wie unzählige, vorher harmlose Gewerbe werden da zu Rüstungsgeschäften, und wie automatisch strömt das Kapital diesen Geschäften zu!), oder er bringt ihnen Gewinn an Geltung, Achtung und Macht wie etwas den stellenlosen Generälen und Obersten.
  • Zwei Geisteskrankheiten sind es nach meiner Meinung, denen wir den heutigen Zustand der Menschheit verdanken: der Größenwahn der Technik und der Größenwahn des Nationalismus. Sie geben der heutigen Welt ihr Gesicht und ihr Selbstbewußtsein, sie haben uns zwei Weltkriege samt ihren Folgen beschert und werden, bis sie sich ausgetobt haben, noch manche ähnliche Folgen zeitigen. Der Wider stand gegen diese beiden Welkrankheiten ist heute die wichtigste Aufgabe und Rechtfertigung des Geistes auf Erden. Diesem Widerstand hat auch mein Leben gedient, eine kleine Welle im Strom.
  • Die ganze Weltgeschichte scheint immer um Ziele und Gesinnungen oder Weltveränderungen zu gehen, die sich dann sehr bald nur halb so ernst- gemeint herausstellen. Man war gestern noch voll edler Gesinnung, heut kann man aber auch anders, das ist das Ödeste.
  • An einen Krieg dachte niemand, man rüstete nur so für alle Fälle, weil reiche Leute gern Eisenwände um ihr Geld sehen.
  • Warum ist man nur dort für die Selbstbestimmung der Nationen, wo man Profit davon erhofft?
  • In der ganzen Welt ist jeder Politiker sehr für Revolution, für Vernunft und Niederlegen der Waffen - nur aber beim Feinde, ja nicht bei sich selbst.
  • Wir müssen nicht hinten beginnen, bei den Regierungsformen und politischen Methoden, sondern wir müssen vorn anfangen, beim Bau der Persönlichkeit, wenn wir wieder Geist und Mä nner haben wollen, die uns die Zukunft verbürgen.
  • Jede Bemühung um Besitz und Macht raubt uns Kräfte und läßt uns ä rmer werden.
  • Der Heroismus, der in Tagesbefehlen und Siegesberichten so gut aussieht, ist eine Sentimentalität. Wenn ein Besiegter und Unglücklicher sich zu Füßen seiner Fahne das Leben nimmt, oder wenn einer, der Pech gehabt hat, nun nichts mehr von Freundschaft, Liebe und Güte wissen will, weil sie ihn seiner Meinung nach im Stich gelassen haben, so ist das ein Benehmen, das nur Theaterbesuchern imponiert. Mit den Zähnen knirschen, ist kein Heldentum, und mit der Faust in der Tasche sich auf ferne Revanche vertrösten, ist jämmerlich.
  • Jeder Mensch ist etwas Persönliches und Einmaliges, und an Stelle des persönlichen Gewissens ein kollektives setzen zu wollen, das heißt schon Vergewaltigung und ist der erste Schritt zu allem Totalitären.
  • Ich verstehe es und billige es, wenn ein Mensch viel von sich selbst verlangt, wenn er aber diese Forderung auf andere ausdehnt und sein Leben zum "Kampf" für das Gute macht, so muß ich mich des Urteils darüber enthalten, denn ich halte von Kampf, Aktion, Opposition nicht das mindeste; ich glaube zu wissen, daß jeder Wille zur Änderung der Welt zu Krieg und Gewalt führt, und kann darum mich keiner Opposition anschließen, dennn ich billige die letzen Konsequenzen nicht, und halte das Unrecht und die Bosheit auf Erden nicht für heilbar. Was wir ändern können und sollten, das sind wir selber: unsere Ungeduld, unseren Egoismus (auch der geistige), unser Beleidigtsein, unseren Mangel an Liebe und Nachsicht. Jede andere Änderung der Welt, auch wenn sie von den besten Absichten ausgeht, halte ich für nutzlos.
  • Die meisten Menschen haben ja keine persönlichen Gesinnungen, sondern die ihrer Kaste, sowohl die Kapitalisten wie die Sozialisten sind zu 99 Prozent Anhänger von Meinungen, zu deren Nachprüfung ihr Geist gar nicht ausreicht.
  • Das Gleichschalten, sei es noch so wohl gemeint, geht wider die Natur. Es führt zu Fanatismus und Krieg.
  • Ich habe mich im Lauf meiner Entwicklung den Problemen der Zeit nicht entzogen und nie, wie meine politischen Kritiker meinen, im elfenbeinernen Turme gelebt - aber das erste und brennendste meiner Probleme war nie der Staat, die Gesellschaft oder die Kirche, sondern der einzelne Mensch, die Persönlichkeit, das einmalige, nicht normierte Individuum.
  • Wenn im Kampf der Interessen und Schlagworte die Wahrheit in Gefahr kommt, ebenso entwertet, entstellt und vergewaltigt zu werden wie der Einzelmensch, dann ist es unsere einzige Pflicht zu widerstreben und die Wahrheit, das heißt das Streben nach Wahrheit als unseren obersten Glaubenssatz zu retten. Der Gelehrte, der als Redner, als Autor, als Lehrer wissentlich das Falsche sagt, wissentlich Lügen und Fälschungen unterstützt, handelt nicht nur gegen organische Grundgesetze, er tut außerdem, jedem aktuellen Anschein zum Trotz, seinem Volke keinen Nutzen, sondern schweren Schaden, er verdirbt ihm Luft und Erde, Speise und Trank, er vergiftet das Denken und das Recht und hilft allem Bösen und Feindlichen, das dem Volke Vernichtung droht. (Das Glasperlenspiel)

[Leiden/Tod]

  • Der einzige Trost in allem ist heute der, daß für kranke alte Leute das Verlassen der Welt, so wie sie heute ist oder uns erscheint, mehr eine Freude ist als das Gegenteil. (Hermann Hesse - Hans Sturzenegger: Briefwechsel 1905-1943)
  • Früh stirbt, wen die Götter lieben, und immer heften sich an Namen und Gestalt Frühvollendeter besondre Zärtlichkeit und Trauer. (Hermann Hesse: Die Welt im Buch I. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1900-1910, S. 422)
  • Wenn ein heutiger Franziskus das Bedürfnis hätte, sich mit aller Menschennot der Welt möglichst innig zu verbinden, so müßte er sich mit einer Cernowitzer Jüdin verheiraten. (Hermann Hesse: Stufendes Lebens. Briefe, S. 61)
  • Die Verzweiflung schickt uns Gott nicht, um uns zu töten, er schickt sie uns, um ein neues Leben in uns zu wecken.
  • War denn nicht alles Leiden Zeit, war nicht alles Sichquälen und Sichfürchten Zeit, war nicht alles Schwere, alles Feindliche in der Welt weg und überwunden, sobald man die Zeit überwunden hatte, sobald man die Zeit wegdenken konnte? (Siddhartha)
  • Es empörte und ermüdete mich zu sehen, wie das gemeine Leben breitmaulig sein Recht forderte und alles fraß, was ich von Überfluß und Übermut mitgebracht hatte.
  • Ich wußte plötzlich wieder, daß der Tod unser kluger und guter Bruder ist, der die rechte Stunde weiß und dessen wir mit Zuversicht gewärtig sein dürfen. Und ich begann auch zu verstehen, daß das Leid und die Enttäuschungen und die Schwermut nicht da sind, um uns verdrossen und wertlos und würdelos zu machen, sondern um uns zu reifen und zu verklären. (Peter Camenzind)

[Religion/Kirche]

  • Leuthold steckt in der Weihnachtshetze - es ist ja drollig, mit was für Orgien an Arbeit und Geldjagd die Geschäftsleute den Geburtstag des Heilands feiern. (Hermann Hesse - Hans Sturzenegger: Briefwechsel 1905-1943, S. 62)
  • Dennoch blieb ich dem indischen Weg treu, obwohl ich ihn nicht für besser als den christlichen halte. Ich tat es, weil mir die christliche Anmaßung, die Monopolisierung Gottes, das Alleinrechthabenwollen, das mit Paulus beginnt und durch die ganze christliche Theologie geht, zuwider war, und auch, weil die Inder weit bessere, praktischere, klügere und tiefere Formen des Wahrheitssuchens, mit Hilfe der Yogamethoden, wissen. (Hermann Hesse: Stufen des Lebens. Briefe, S. 26)
  • Das ist beim Christentum genau gleich: das übliche praktische und kirchliche Christentum aller Konfessionen ist ebenso eine oberflächliche Notanpassung, mit der sich zur Not das Leben leben läßt. Die tiefern, ernstlichern, wahrhaft geistigen Disziplinen, Übungen und Erlösungen, deren christlicher Geist fähig ist, sind nie in der "Welt" gelebt worden, sondern auch hier nur von den Heiligen und denen, die dazu unterwegs waren, den Mönchen. Das alte Mönchtum, auf dem Sinai und in der Thebais, ist fast ebenso hochkultiviert geistig wie das indische und ist ihm im Grunde sehr nah verwandt. (Hermann Hesse: Stufen des Lebens. Briefe, S. 20)
  • Die Religionen und Mythologien sind, ebenso wie die Dichtung, ein Versuch der Menschheit, eben jene Unsagbarkeiten in Bildern auszudrücken, die Ihr vergeblich ins flach Rationale zu übersetzen versucht.
  • Der Glaube geht nicht durch den Verstand, so wenig wie die Liebe.
  • Was gut ist, wissen wir, es steht in den Geboten. Aber Gott ist nicht nur in den Geboten, sie sind nur der kleinste Teil von ihm. Du kannst bei den Geboten stehen und kannst weit von Gott weg sein. (Narziß und Goldmund)
  • Jede Geburt bedeutet Trennung vom All, bedeutet Umgrenzung, Absonderung von Gott, leidvolle Neuwerdung. Rückkehr ins All, Aufhebung der leidvollen Individuation, Gottwerden bedeutet: seine Seele so erweitert zu haben, daß sie das All wieder zu umfassen vermag.
  • Für mich, der ich zwar christlich-protestantisch erzogen, dann aber an Indien und China geschult bin, sind alle Zweiteilungen der Welt und der Menschen in Gegensatzpaare nicht vorhanden. Für mich ist erster Glaubenssatz die Einheit hinter und über den Gegensätzen.
  • Mir ist das humanistische Ideal nicht erwürdiger als das Religiöse, und auch innerhalb der Religionen würde ich nicht einer vor der anderen den Vorzug geben. eben darum könnte ich keiner Kirche angehören, weil dort die Hö he und Freiheit des Geistes fehlt, weil jede sich für die beste die einzige und jeden ihr nicht Zugehörigen für verirrt hält. Der Weg in die Kirchen ist leicht zu finden, die Tore stehen weit offen, an Propaganda fehlt es auch nicht.
    [Lektüre für Minuten, st, S.93]
  • Mir ist oft gesagt worden, es gä be heute keine frommen Menschen mehr. Man könnte ebensogut sagen, es gäbe heute keine Musik und keinen blauen Himmel mehr.
  • Eine Religion ist ungefähr so gut wie die andere. Es gibt keine, in der man nicht ein Weiser werden könnte, und keine, die man nicht auch als dümmsten Götzendienst betreiben könnte. Aber es hat sich in den Religionen fast alles wirkliche Wissen der Menschheit angesammelt, zumal in den Mythologien. Jede Mythologie ist "falsch", wenn wir sie anders als fromm ansehen; aber jede ist ein Schlüssel zum Herzen der Welt. Jede weiß von den Wegen, aus dem Götzendienst am Ich einen Gottesdienst zu machen.
  • Die Weisheit aller Völker ist eine und dieselbe, es gibt nicht zwei oder mehr, es gibt nur eine. Das einzige, was ich etwa gegen die Religionen und Kirchen einzuwenden habe, ist ihre Neigung zur Unduldsamkeit: Weder Christ noch Mohammedaner wird gerne zugeben, daß sein Glaube gut und heilig zwar, nicht aber privilegiert und patentiert sei, sondern ein Bruder all der andern Glaubensarten, in denen die Wahrheit sich sichtbar zu machen sucht.
  • Glaube und Zweifel sind einander entsprechend, sie gehören komplementär zueinander. Wo nie gezweifelt wird, da wird auch nicht richtig geglaubt.
  • Glaube und Zweifel bedingen einander wie Ein- und Ausatmen; sie gehören zusammen.

[Sinnfrage/Bewußtsein]

  • Vorgestern abend hatte ich zwar mehrere Stunden lang anders gedacht, wie denn überhaupt ein konsequentes, charaktervolles Denken und ein edles Beharren bei einmal als richtig erkannten Gesinnungen mir leider nicht gegeben ist. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte. 1927-1961, S. 12)
  • Zweierlei Aufgabe hat jede Geistigkeit und Kultur: den Vielen Sicherheit und Antrieb zu geben, sie zu trösten, ihrem Leben einen Sinn zu unterlegen - und dann die zweite, geheimnisvollere, nicht minder wichtige Aufgabe: den Wenigen, den großen Geistern von morgen und übermorgen, das Aufwachsen zu ermöglichen, ihren Anfängen Schutz und Pflege zu leihen, ihnen Luft zum Atmen zu geben. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 13: Betrachtungen und Berichte. 1899-1926, S. 483f.)
  • Nur manchmal muß ich wieder rasch verreisen, mich in ein paar fremden Städten herumtreiben und ein paar närrische Nächte verzechen, und dazwischen beherrscht mich ein ganz komisches Gefühl von der Wunderlichkeit des Lebens - wenn ich das ausdrücken könnte, dann hätte meine Dichterei einen Sinn. (Brief an Franz Ginskey)
  • Ich habe durch meine Schriften zuweilen jungen Lesern dazu gedient bis dahin zu kommen, wo das Chaos beginnt, das heißt wo sie allein und ohne helfende Konventionen dem Rätsel des Lebens gegenüberstehen. Für die Meisten ist schon das eine Gefahr, und die Meisten kehren denn auch wieder um und suchen neue Anschlüsse und Bindungen. Die sehr Wenigen, die es treibt ins Chaos einzutreten und die Hölle unserer Zeit zu erleben, die tun es ohne "Führer". (Hermann Hesse: Stufen des Lebens. Briefe, S. 28)
  • Als menschliches Ideal erscheint mir nicht irgendeine Tugend oder irgendein bestimmter Glaube, sondern als Höchstes, wonach Menschen streben können, erscheint mir die möglichste Harmonie in der Seele des einzelnen. Wer diese Harmonie hat, der hat das gleiche, was die Psychoanalyse etwa freie Verfügbarkeit der Libido heißen würde, und wovon das Neue Testament sagt "Alles ist Euer." (Hermann Hesse: Stufen des Lebens. Briefe, S. 18)
  • Zwischen Schmerzen und Verzweiflung und würgendem Lebensekel immer wieder für einen heiligen Augenblick auf die Frage nach dem Sinn dieses so schwer erträglichen Lebens ein Ja zu hören, werde es auch im nächsten Augenblick schon wieder von der trüben Flut überspült, das genügt uns. (Hermann Hesse: Kurgast)
  • Man brauchte dieser komischen Welt nicht die Ehre anzutun, sie ernst zu nehmen. (Kurgast)
  • Nichts ist dem Menschen heute mehr zuwider, als den Weg zu gehen, der ihn zu sich selber führt! (Demian)
  • "Ach Harry, wir müssen durch so viel Dreck und Unsinn tappen, um nach Hause zu kommen! Und wir haben niemand, der uns führt, unsere einzige Führer ist das Heimweh." (Steppenwolf, S. 146)
  • Der Glaube den ich meine, ist nicht leicht in Worte zu bringen. Man könnte ihn etwa so ausdrücken: Ich glaube, das trotz des offensichtlichen Unsinns das Leben dennoch einen Sinn hat, ich ergebe mich darein, diesen letzten Sinn mit dem Verstand nicht erfassen zu können, bin aber bereit, ihm zu dienen, auch wenn ich mich dabei opfern muss.
  • Das Leben hat so viel Sinn, als Sie ihm zu geben vermögen. Die Bibel und das Dogma und alle Philosophien sind nur eine Hilfe, diese Sinngebung zu erleichtern. Die Natur, die Pflanze und das Tier, bedarf der Sinngebung nicht, weil sie den Gedanken und die Sünde nicht kennt, sie lebt naiv und unschuldig. Wir Menschen sind weniger als Tiere, wenn wir versuchen wollen, ohne Sinn zu leben. Sinn gewinnt das Leben, wenn wir es, soweit möglich, dem naiven Streben nach egoistischer Lust entziehen und in einen Dienst stellen. Wenn wir diesen Dienst ernst nehmen, kommt der "Sinn" von selbst.
  • Bei jedem meiner Söhne würde nichts mich mehr freuen, als wenn er irgendeiner "Gesinnung", irgendeinem von ihm erfassten Ideal so treu und charaktervoll anhängen würde, dass er dafür auch seinen Vorteil, seine Bequemlichkeit und im Notfall sein Leben opfern würde. Es wäre mir dann zwar nicht ganz und gar einerlei, welcher Gesinnung oder Partei er sich anschlöße, aber im Grunde würde ich das gar nicht so wichtig nehmen. Einer, der sich für die naivsten Ideale der Welt hinzugeben bereit ist, ist mir viel lieber als jemand, der über alle Gesinnungen und Ideale klug zu reden versteht, aber für keines auch nur zum kleinsten Verzicht fähig wäre.
  • Auch der ungeistige, oberflächliche, dem Denken abgeneigte Mensch hat noch jenes uralte Bedürfnis, einen Sinn seines Lebens zu kennen, und wenn er keinen mehr findet, steht das Privatleben unter dem Zeichen wildgesteigerter Selbstsucht und gesteigerter Todesangst.
  • Die Gottheit ist in dir, nicht in den Begriffen und Büchern. Die Wahrheit wird gelebt, nicht doziert. (Das Glasperlenspiel)
  • Wer "nicht in die Welt paßt", der ist immer nahe daran, sich selber zu finden. (Demian)
  • Damit das Mögliche entsteht, muß immer wieder das Unmögliche versucht werden.
  • Die Verzweiflung schickt uns Gott nicht, um uns zu töten, er schickt sie uns, um neues Leben in uns zu erwecken. (Das Glasperlenspiel)
  • Nichts ist gefährlicher und seelenmordender als die beständige Beschäftigung mit dem eigenen Wesen und Ergehen, der eigenen einsamen Unzufriedenheit und Schwäche. (Der Weltverbesserer)
  • Gegen die Infamien des Lebens sind die besten Waffen: Tapferkeit, Eigensinn und Geduld. Die Tapferkeit stärkt, der Eigensinn macht Spaß und die Geduld gibt Ruhe.
  • Man hat nur Angst, wenn man mit sich selber nicht einig ist.
  • Die Einheit, die ich hinter der Vielheit verehre, ist keine langweilige, keine graue, gedankliche, theoretische Einheit. Sie ist ja das Leben selbst, voll Spiel, voll Schmerz, voll Gelä chter.
  • Für die Erkenntnis gibt es keine endgültigen Ziele, sondern der Fortschritt der Erkenntnis ist nichts als eine Differenzierung der Fragestellung.
  • Dies wäre der eigentliche Inhalt meiner Lebensgeschichte: die plumpe Unsichtbarkeit unter der Tarnkappe zu ersetzen durch die Unsichtbarkeit des Wissenden, welcher erkennend stets unerkannt bleibt.
  • Der Ernst, mein Junge, ist eine Angelegenheit der Zeit, er entsteht, soviel will ich dir verraten, aus einer Überschätzung der Zeit. Auch ich habe den Wert der Zeit einst ü berschätzt, darum wollte ich hundert Jahre alt werden. In der Ewigkeit aber, siehst du, gibt es keine Zeit; die Ewigkeit ist ein Augenblick, gerade lang genug für einen Spaß [aus dem Steppenwolf]
  • Das Paradies pflegt sich erst dann als Paradies zu erkennen zu geben, wenn wir daraus vertrieben wurden.
  • Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben - aber es hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind. Weil der Einzelne das nur unvollkommen vermag, hat man in den Religionen und Philosophien versucht, die Frage tröstend zu beantworten. Diese Antworten laufen alle auf das Gleiche hinaus: den Sinn erhält das Leben einzig durch die Liebe. Das heißt: je mehr wir zu lieben und uns hinzugeben fähig sind, desto sinnvoller wird unser Leben.

[Verschiedenes]

  • Auffallend ist die große Zahl von Reisebüchern mit schönen verlockenden Titeln - lauter Bücher über fremde Länder, die von begabten und entschlossenen Autoren im Auftrag von Zeitungen bereist und eilig beschrieben wurden, oft von großer Schmissigkeit und Frecheit, aber alle ohne eigentlichen Wert, geichgültige Gelegenheitsarbeiten gerissener Literaten, Augenblicksfutter für ein Modepublikum. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte. 1927-1961, S. 40)
  • Die Sonne schien ein wenig zwischen den Wolken durch - hier im Norden nennt man das schon schönes Wetter. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte. 1927-1961, S. 14)
  • Ich schrieb der besorgten Leserin, daß die Eigenschaften und Wirkungen des Kognaks mir nicht unbekannt seien, und daß ich dieses Getränk keineswegs für die Gesundheit zu mir nehme, sondern lediglich zum Vergnügen und um nicht etwa ein allzu hohes Alter erreichen zu müssen. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte. 1927-1961, S. 14)
  • Vornehme, sehr gebildete Engländer kennen zu lernen, ist immer ein Genuß - bei ihnen hat das eigensinnige Festhalten an nationalen Gewohnheiten, das beim Durchschnitt so borniert aussieht, einen Sinn und Hintergrund. (Hermann Hesse: Die Welt im Buch I. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1900-1910, S. 122)
  • Das Leben arbeitender Menschen ist langweilig, interessant sind die Lebensführungen und Schicksale der Taugenichtse. (in: Gertrud)
  • Wir haben ein Ideal vom Leben, wie der Maler die Vision seines Werkes, und malen und malen, aber unser Bestes sieht neben dem Ideal wie eine Fratze aus. (Hermann Hesse: Briefe an Elisabeth)
  • Der Kleinere sieht am Größeren das, was er eben zu sehen vermag.
  • Aber auch die besten und edelsten Gesinnungen machen einen Menschen nicht wirklich wertvoller als er eben ist. Ich beurteile die Menschen nie nach ihrer Gesinnung, sondern nur nach ihrem Charakter.
  • Kollegen laufen zwar gerne zueinander, vertragen sich aber selten.
  • Ob man nicht in sehr später Zeit unsre Epoche als das sagenhafte Zeitalter der Maschinentitanen kennen, sie noch später mit der Legende vom Turmbau zu Babel verwechseln wird - ob unsre Zeit nicht für die Geschichts- und Menschenkunde dieser späten Jahrhunderte nur von pathologischem Interesse sein wird. (Brief an Ernst Kapff, Februar 1896)
  • Der Blick in den Sternenhimmel und ein Ohr voller Musik vor dem Zubettgehen, das ist besser als alle deine Schlafmittel. (Das Glasperlenspiel)
  • Ein jeder Mensch hat seine Seele, die kann er mit keiner anderen vermischen. Zwei Menschen können zueinander gehen, sie können miteinander reden und nah beieinander sein. Aber ihre Seelen sind wie Blumen, jede an ihrem Ort angewurzelt und keine kann zu der anderen kommen, sonst müßte sie ihre Wurzel verlassen, und das kann sie eben nicht. Die Blumen schicken ihren Duft und ihren Samen aus, weil sie gern zueinander möchten; aber daß ein Same an seine rechte Stelle kommt, dazu kann die Blume nichts tun, das tut der Wind, und der kommt her und geht hin, wie und wo er will. (Knulp)
  • Es ist der alte, ungleiche Kampf zwischen Kritik und Schöpfung, Wissenschaft und Kunst, wobei jene immer recht hat, ohne daß jemand damit gedient wäre, diese aber immer wieder den Samen des Glaubens, der Liebe, des Trostes und der Schönheit und Ewigkeitsahnung hinauswirft und immer wieder guten Boden findet. Denn das Leben ist stärker als der Tod und der Glaube ist mächtiger als der Zweifel. (Unterm Rad)
  • Nicht steht mir zu, über eines andern Leben zu urteilen! Für mich allein muß ich urteilen, muß ich wählen, muß ich ablehnen. (Hermann Hesse, Siddhartha)
  • Wir können unser Herz dem Leben nicht entziehen, aber wir können es so bilden und lehren, dass es dem Zufall überlegen ist.
  • Man braucht vor niemand Angst zu haben. Wenn man jemanden fürchtet, dann kommt es daher, daß man diesem Jemand Macht über sich eingeräumt hat.
  • Etwas geistig Lebendiges zu töten ist schwerer, als etwas Totes wieder zum Leben zu bringen
  • Reden ist der sichere Weg dazu, alles mißzuverstehen, alles seicht und öde zu machen.
  • Feststellen von "Fehlern", und klinge es noch so fein und geistig, ist nicht Urteil, sondern Klatsch.
  • Ein Beruf ist immer ein Unglück, eine Beschränkung und Resignation.
  • Wahrheit ist fast immer kompliziert, dunkel und vieldeutig. Jedes Wort, besonders das "Klare" Wort tut ihr schon Gewalt an. Klarheit ist immer Gewalt, ist gewaltsamer Versuch, das Vielfache zu vereinfachen.

[Wirklichkeit/Imagination]

  • Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch - ja, und auch das ist sehr gut und gefällt mir sehr, auch damit bin ich sehr einverstanden, das das, was eines Menschen Schatz und Weisheit ist, dem andern immer wie Narrheit klingt.
  • Einen Stein kann ich lieben, und auch einen Baum oder ein Stück Rinde. Das sind Dinge, und Dinge kann man lieben. Worte aber kann ich nicht lieben. Darum sind Lehren nichts für mich, sie haben keine Härte, keine Weiche, keine Farben, kein Kanten, keinen Geruch, keinen Geschmack, sie haben nichts als Worte. Vielleicht ist es dies, was dich hindert, den Frieden zu finden, vielleicht sind es die vielen Worte. Denn auch Erlösung und Tugend, auch Sansara und Nirwana sind bloße Worte. Es gibt kein Ding, das Nirwana wäre; es gibt nur das Wort Nirwana. (Hermann Hesse, Siddhartha)
  • Gerade das ist es ja, das Leben, wenn es schön und glücklich ist ein Spiel! Natürlich kann man auch alles mögliche andere aus ihm machen, eine Pflicht oder einen Krieg oder ein Gefängnis, aber es wird dadurch nicht hübscher. (Die Morgenlandfahrt)
  • Was die Menschen jeweils unter dem Begriff "Mensch" verstehen, ist stets nur eine vergängliche bürgerliche Übereinkunft.
  • Eine gute, eine richtige Wahrheit muß es vertragen, daß man sie auch umkehrt. Was wahr ist, davon muß das Gegenteil auch wahr sein können. Denn jede Wahrheit ist eine kurze Formel für den Blick in die Welt von einem bestimmten Pol aus, und es gibt keinen Pol ohne Gegenpol.
  • Die Dinge, die wir sehen, sind dieselben Dinge, die in uns sind. Es gibt keine Wirklichkeit als die, die wir in uns haben. Darum leben die meisten Menschen so unwirklich, weil sie die Bilder außerhalb für das Wirkliche halten und ihre eigene Welt in sich gar nicht zu Wort kommen lassen. Man kann glücklich dabei sein. Aber wenn man einmal das andere weiß, dann hat man die Wahl nicht mehr, den Weg der meisten zu gehen.
  • Die meisten Menschen erleben ihre Träume viel heftiger als ihr Leben.
  • So wie die Verrücktheit, in einem höheren Sinn, der Anfang aller Weisheit ist, so ist Schizophrenie der Anfang aller Kunst, aller Phantasie.
  • Ich finde, die Wirklichkeit ist das, worum man sich am allerwenigsten zu kümmern braucht; denn sie ist lästig genug, ja immerzu vorhanden, während schönere und nötigere Dinge unsere Aufmerksamkeit und Sorge fordern. Die Wirklichkeit ist das, womit man unter gar keinen Umständen zufrieden sein, was man unter gar keinen Umständen anbeten und verehren darf, denn sie ist der Zufall, der Abfall des Lebens. Und sie ist diese schäbige, stets enttäuschende und öde Wirklichkeit, auf keine andre Weise zu ändern, als indem wir sie leugnen, indem wir zeigen, daß wir stärker sind als sie.
  • Oft ist die Welt schlecht gescholten worden, weil der, der sie schalt, schlecht geschlafen oder zuviel gegessen hatte. Oft ist die Welt selig gepriesen worden, weil der, der sie pries, eben ein Mädchen geküßt hatte.
  • Wahr ist an einer Geschichte immer nur das, was der Zuhörer glaubt.
  • Unrein und verzerrend ist der Blick des Wollens. Erst wo wir nichts wollen, erst wo unser Schauen reine Betrachtung wird, tut sich die Seele der Dinge auf: die Schönheit. Wenn ich einen Wald beschaue, den ich kaufen oder abholzen oder mit einer Hypothek belasten will, dann sehe ich nicht den Wald, sondern nur seine Beziehung zu meinem Wollen. Will ich aber nichts von ihm, blicke ich nur "gedankenlos" in seine grüne Tiefe, dann erst ist er Wald, ist Natur und Gewächs, ist schön.
  • Von jeder Wahrheit ist das Gegenteil ebenso wahr! Nämlich so: eine Wahrheit läßt sich immer nur aussprechen und in Worte hüllen, wenn sie einseitig ist. Einseitig ist alles, was mit Gedanken gedacht und mit Worten gesagt werden kann, alles einseitig, alles halb, alles entbehrt der Ganzheit, des Runden, der Einheit. [...] Die Welt selbst aber, das Seiende um uns her und in uns innen, ist nie einseitig. (Siddhartha)
  • Kein Ich, auch nicht das naivste ist eine Einheit, sondern eine höchst vielfältige Welt, ein kleiner Sternhimmel, ein Chaos von Formen, von Stufen und Zuständen, von Erbschaften und Möglichkeiten. Daß jeder einzelne dies Chaos für eine Einheit anzusehen bestrebt ist und von seinem Ich redet, als sei dies eine einfache, fest geformte, klar umrissene Erscheinung: diese jedem Menschen (auch dem höchsten) geläufige Täuschung scheint eine Notwedigkeit zu sein, eine Forderung des Lebens.
  • Die Magie des Traumes versagt am Tage oft, weil auch noch der beste Träumer die Außenwelt im Wachen wichtiger nimmt als er sollte. Die Verrückten können das besser; sie erklären sich für Kaiser und die Zelle für ihr Schloß, und alles stimmt wunderbar. Die Außenwelt umzaubern können, ohne doch verrückt zu werden, das ist unser Ziel. Es ist nicht leicht, dafür aber ist wenig Konkurrenz da.
  • Schwer ist es, die Tugenden, die wir haben, nicht zu überschätzen. Schwerer ist es, die Tugenden, die wir gern haben möchten, nicht zu überschätzen. Leicht unterschä tzen wir die Leiden der andern. Noch leichter ü berschätzen wir das Glück der andern.