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Jeremiaden eines bücherlesenden Krankenpflegers



Antizipation

Walter Vogts Altern ist ein wunderbares Buch. Überhaupt kann ich stolz sein und mich einer gewissen Intuition rühmen, die die Buchauswahl begleitet und erleichtert. Besonders wenn man sie händisch (Antiquariat, Buchhandlung) auswählen kann. Im Prinzip darf ich behaupten, hellseherisch veranlangt zu sein, wenn es um Bücher geht und die Frage, wie gestalt sich die Lektüre entwickeln könnte. Wahrscheinlich treffen vielfältige Reize und Informationen zusammen, dank derer sich summarisch ein Bild ergibt, welches durch die Realität dann erstaunlich exakt bestätigt wird. Kenntnisse um Autor, Rezeption des Buches, Kritiken, Verlag, dann die haptischen Einflüsse, wenn man es erstmalig durchblättert. Der Schalter im Kopf wird umgelegt und es kommt ein "Ja" oder "Nein" zustande. Und noch genauer. Ich antizipiere "vollumfassender Lektüregenuß", "widerständiges, aber reizvolles Buch" oder eben "nichts für mich". Petra Morsbach Gottesdiener, welches ich gerade erst las, gehörte zur Kategorie "rundum glücklich machend", die sich auch prompt bestätigte. Zuvor hatte ich das Buch nie in den Händen, sondern lediglich Kritiken gelesen bzw. gehört und schon eingedenk des Themas gewußt, daß das Buch unbedingt zu lesen ist. Zu den Büchern, bei denen ich schon im Vorfeld spüre, daß es sehr gut gehen wird, gehörte auch Altern, weshalb ich es heute sofort an Gottesdiener anschloß, um im Urlaub nur ja keine Enttäuschungen zu riskieren. Ich bin gespannt, ob sich die positive Erwartung auch hinsichtlich John Fantes Unter Brüdern einlösen läßt, von dem ich bislang nichts las und mich nur durch Drittstimmen und den Klappentext anfixen ließe. Bleibt die Frage, warum dann nicht überhaupt nur solche "Rundum-glücklich-Werke" kaufen?


Zukunft des E-Books (2)

In Von Büchern bricht Markus vom blog.argwohnheim eine Lanze für das Buch. (via Markus Trapp). Die Diskussion um das E-Book ist entflammt, seitdem Amazon und andere angekündigt haben, ihre Geräte demnächst in Europa und Deutschland zu vermarkten. Reflexartig entzünden sich Brandreden als Verteidigung des alten Mediums Buch, wie einfach es doch zu bedienen sei, wie essentiell man dessen Haptik bedürfe, wie anfällig und defizitär der elektronische Widerpart doch wäre, wie universell das Papierpendant einsetzbar und handhabbar sei usw. Anscheinend ist die Fraktion, der ich mich zugehörig fühle, arg dünn besetzt. Ich freue mich auf das E-Book! Immer schon. All die hehren Argumente, die für das Buch sprechen, in Ehren, aber diese Beweisketten gibt es, sobald Neues erscheint, immer. Man kann das eine gegen das andere ausspielen. Ich bin ein Typ, der zu Zeiten sowohl der Tridentinischen Messe als auch dem modernen, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil praktizierten Ritus etwas abgewinnen kann. Ihr werdet sehen, daß manche der so vehement und immer wieder ins Feld geführten Vorteile des Buches einfach in Vergessenheit geraten werden. Man wird sich auf die Vorteile konzentrieren und sie schätzen. Wie anfällig waren die Computer, die Software ehemals. Als ich mir 1992 meinen ersten PC kaufte, war noch die Installation eines Maustreibers ein Problem. Man kämpfte mit DOS-Befehlen, gegen Schutzverletzungen, gegen alle möglichen Dinge. Man mußte schon sehr optimistisch und nervenstark sein, sich gegenüber den PC-losen im Vorteil zu wähnen. Nach und nach kam das Internet und all die Dinge, die einem das Leben so viel einfacher machen. Die Suche nach Informationen und selbst nach Produkten wäre für mich ohne Internet unvorstellbar mühsam. Im DLF-Hintergrund Revolution oder Hysterie? (mp3) begegnet uns ein Amerikaner, der seine jahrzehntelange Leseleidenschaft organisch mit dem E-Book verbinden kann. Bei mir könnte es ähnlich verlaufen. (28. Oktober 2008)


Wissen und Nichtwissen

Einen Kniff in Romanen liebe ich besonders: wenn ein Umstand oder eine Gestalt UNS, den Lesern, unausgesprochen bereits bekannt ist (man weiß es, obwohl der Schriftsteller es noch nicht explizit verkündet hat), den anderen Handelnden im Buch jedoch nicht. Diese Diskrepanz im Einblick verschafft den Schmökern a la Henry Fielding oder, wie in meinem derzeitigen Fall, Wilkie Collins, einen zusätzlichen Reiz. Mal abgesehen, daß das Buch wunderbare ironische Passagen enthält, wie man sie von diesen Könnern des 19. Jahrhunderts gewohnt ist, freut man sich diebisch, wenn die Umstehenden doof aus der Wäsche gucken und sich das Verhalten der scheinbar verrückten Bediensteten Mrs. Jazeph so gar nicht erklären kann, wir aber bereits weise nicken und wissen, daß es sich um jene vor 15 Jahren entflohene Sarah Leeson handelt, die ein Geheimnis mit sich herumträgt und es niemandem offenbaren will. Was für ein entzückender Pageturner.


Nichtmathematische Herangehensweise

Leider funktioniert's nicht, sich einfach die am besten bewerteten Bücher einiger Freunde und Bekannten herauszusuchen, zu lesen und dann sozusagen durch die Wahl dieses Extraktes an guter Literatur glücklich zu sein. Bisweilen fragt man sich, was andere bewogen hat, dieses oder jenes Buch für so gut zu befinden. Die Geschmäcker sind eben doch verschieden. Nichts anderes bleibt einem übrig, als weiterhin seiner eigene Intuition zu vertrauen und jedwede mathematische oder logische Herangehensweise bei der Literaturauswahl außen vor zu lassen.


Ein ganzer normaler Tag

Täglich mindestens ein "Status legens" nahm ich mir vor, eine Anzeige, was ich (noch) lese, wie weit ich bin, was geschafft wurde und eben all die Dinge, die ein Leseleben ausmachen, wenn man es so zeremoniell wie ich betreibt. Nachdem ich Hesse beendet hatte, begann ich gestern noch Javier Marias' Der Gefühlsmensch, schaffte gestern nur die ersten Seiten. Heute gedieh die Lektüre bis zur Seite 145, was schon beinahe Endspurt bedeutet - nurmehr 30 Seiten stehen aus. Auch wenn ich mehr hätte lesen können, nutze ich die Zeit so, wie es an einem freien Tag für mich eher ungewöhnlich ist, weil ich mich normalerweise verzettele und meist sogar weniger lese als an Arbeitstagen! Abgesehen vom Pflichtprogramm - Soko Wien um 18 Uhr und einem abendlichen Tatort im SWR - stapelte ich heute Bücher um. Mehr als 40 Bücher wurden aussortiert, so daß eine Lücke entstand, die nach neuer Ordnung und Reihenfolge geradezu schrie. Bewaffnet mit Staublappen stieß ich Regionen vor, die nie zuvor ein Leser je... Jedenfalls machte ich Entdeckungen, die ich sorgsamer und, was Bücher betrifft, mit eine vermeintlich phänomenalem Gedächtnis ausgestatteter Bibliomane nicht für möglich gehalten hätte. Sogar ein lange verloren geglaubtes Buch fand sich wieder an. Nun bietet das Regal wieder Platz für Bibliomanika, deren Kauf unmittelbar bevorsteht. Geld ist ohnehin vorhanden; es fehlt oft an der nötigen Geduld, sich mit den Notwendigkeiten der Abwicklung zu beschäftigen (Überweisung, Antwort- und Nachfragemails usw.). Daß ich die teuersten und dicksten BücherBücher, wie man sie auch nennen mag, noch nicht gelesen habe, tut dem Drang, neue zu erwerben, keinen Abbruch. Der Sammlerinstinkt und - ehrgeiz ist nicht totzukriegen. Beim Thema "Bücher abstauben" muß ich unweigerlich immer an Hesse denken, den dies oft beschäftigte und der den Umgang mit Büchern in seinen Schriften so schön und hartnäckig beschrieb, daß er nicht ganz unschuldig daran ist, daß und wie ich mich zum Büchermenschen entwickeln konnte.


Bücher veräußern (2)

Im Lauf einiger Jahre hatten sich einige Bücher angehäuft, die veräußert werden sollten. Den ersten Teil schleppte ich heute zum Antiquar. Dubletten, abgebrochene Bücher, denen keine Chance mehr gegönnt wird, Buchgeschenke, deren Lektüre sowieso nie in Betracht gezogen wurde. Zwei fremdsprachige Bücher; eines ein Fehlkauf, weil ich wohl die Buchbeschreibung nicht sorgfältig gelesen hatte und mich wunderte & ärgerte, als plötzlich ein rotes Reclambändchen in französischer Sprache zum Vorschein kam. Sogar zwei Werkausgaben, deren Besitz nicht mehr notwendig ist. Die 10-bändige Tucholsky-Kassette war bereits zum Zeitpunkt des Kaufs Unsinn, weil mir klar war, daß ich die meisten zeitgebundenen Sachen nicht lesen würde. Die oberste Regel, daß meine Bibliothek nur Gelesenes beeinhalten solle, war demnach schon verletzt. Deshalb abstoßen. Wenn mich jetzt die Lust überkommen sollte, mal einen Tucholsky-Text zu lesen, steht das Internet zur Verfügung. Als weiterer Fehlkauf erwies sich die 6-bändige Lichtenberg-Kassette, die Zweitausendeins mir ehedem für 99.- DM bescherte. Ein Sakrileg eigentlich, damit nichts anfangen zu können. Auch hier gilt, daß, was ich nicht zur Gänze lesen werde, aus meinen Regalen verbannt gehört. Mehrmalige Ansätze, Lichtenberg zu lesen; scheiterten, da ich wohl ein unverbesserlicher Prosaleser und der kleinen Form, den Sentenzen und Aphorismen als geplante Lektüre abhold bleibe. Dem Antiquar gelang es prächtig, seine Gier zu kaschieren und nach außen hin den leidgeprüften Verkäufer zu mimen, der all die schönen Dinge, die er angeboten bekommt, doch kaum wieder an den Mann bringen wird. Heuchler! Was will man jedoch machen? Den beschwerlicheren Weg, mich selbst als Verkäufer bei Booklooker & Co zu betätigen, möchte ich nicht gehen; ums Geld geht es ja nicht, sondern darum, meine Bücherschätze zuhause rein zu halten nach den bibliomanen Gesetzen, die ich mir geschaffen habe. Nur Gelesenes, und strenger noch - ein weiteres, später angewandtes Kriterium: nur solche Bücher, die eine Wiederlektüre rechtfertigen. Dieses kommt indes erst zur Geltung, wenn der Platz knapp wird, was glücklicherweise noch in unkalkulierbarer Ferne liegt. (8. Juli 2008)


Allerlei Mangelhagftes

Die so vorbildliche und passionierte Leserin Elke Heidenreich stöhnt, daß sie vor lauter Lesen das Leben verpasse. Die Besucher dieser Notizen wissen, daß ich sie sehr mag, daß ich ihren buchfokussierten Furor teile und ihre Art, Literatur zu vermitteln. Mir selbst nutzen langatmige Buchbesprechungen nichts. Ich brauche eine kurze Inhaltsangabe, einen Einblick in die Besonderheit des betreffenden Buches und ein kurzes, klares Urteil. Danach lasse ich meine Intuition sprechen, die mir rät, ein gelobtes Buch weiter zu beobachten oder meine Aufmerksamkeit von ihm abzuziehen. Wäre ich bewanderter mit den technischen Möglichkeiten des Internets wie Videos und CMS, würde ich auch mit Bild und Ton meiner Bücherleidenschaft ein vielfältigeres Format verleihen. Mir schwebte vor, ein Toni Mahoni des Buches zu sein. Aber meine Mängel erstrecken sich leider auf die Unfähigkeit, die Erfordernisse im Umgang mit Software usw. aufzubringen. (1. Juli 2008)


Antiquariate in Internetzeiten

Das traditionelle Antiquariat vor Ort steht neuen Herausforderungen gegenüber. Das Internet ermöglicht eine qualifizierte Suche in Hunderten von Antiquariaten weltweit in Millionen von gebrauchten und neuen Büchern. Ein Glück für den Käufer, ein Segen für den Bücher Suchenden! Die Händler selbst stehen dieser Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge gegenüber. Käuferschichten brechen weg, die ihre Bücherbeschaffung komplett mittels Internet tätigen. Die Bücherpreis purzeln, weil die Nutzer Preise vergleichen können und der Einstieg der privaten Bücherverkäufer, z.B. auf Plattformen wie Booklooker oder Amazon Marketplace, die Preise zusätzlich zum sich ohnehin schon verschärfenden Konkurrenzdruck unter den professionellen Anbietern drücken. Im Jokers-Blog werden zwei Arten von Antiquariatsnutzern ausgemacht. Und im Deutschlandfunk wurden die Bedingungen, unter denen Antiquariate heutzutage wirtschaften müssen, ebenfalls diskutiert. Den ekzessiven, verrückten Bücherkäufer gebe es kaum noch, der in einen Laden hineinstürze und neben dem gewünschten Titel, so er denn überhaupt vorhanden ist, eine Reihe zufällig entdeckter Bücher mitnimmt und wankend, aber glücklich das Paradies wieder verlasse. Trotzdem soll es weiterhin den Kunden geben, dem die Bücheracquisition mittels Internet zu umständlich sei, der lieber dem örtlichen Händler seine Liste vorlege. Ich gehöre wohl eher zum "Informationstyp", der eine Liste mit Bücherwünschen abarbeitet und dies am effizientesten und preiswertesten über die Onlinesuche bewerkstelligen kann. Im Ladenantiquariat finde ich manchmal keinen einzigen der von mir anvisierten Titel. Früher wäre hier Endstation gewesen. Freilich bestände unter diesen Umständen einfach nur ein anderes Leseverhalten. Das Angebot eine Gebrauchtbuchladens vor Ort ist ja nicht schlecht, nur anders. Man hätte also andere Bücher gelesen, als man es in Zeiten des Internet mit seinen Katalogen und Bestellsystemen kann. Die wirklichen Klassiker sind stets präsent.


Unaufholbarer Rückstand

Eigentlich wollte ich nah an meiner Lektüre dran bleiben, wollte sie mit und in diesen Notizen begleiten. Löbliche Vorsätze, die scheitern. An meiner Faulheit, an der Tatsache, die Zeit zu verplempern, indem ich mich durch Dinge ablenken lasse, die einem Büchermenschen zunächst fern liegen müßten. An allen Fronten, auf allen Ebenen hapert es, liege ich im Rückstand, schaffe ich das, was ich mir vorgenommen habe, oft nicht einmal ansatzweise. Ungehörte Büchermarktsendungen, die bis 2005 zurückreichen. Zirka 400 ungehörte Buchbesprechungen aus dem Fundus des DLR, ebenso viele andere Audioclips aus Themenbereichen wie Literatur, Gesellschaft, Politik... Ganz zu schweigen von den Recherchen zu den Gedruckten Bibliomanika und zahlreichen weiteren Bereichen des Bücherlei, die brach liegen und zu denen ich unendlich viel mehr beisteuern könnte, wenn ich eben nur so konsequent wäre und es täte, anstatt Fernsehen zu glotzen, herumzusurfen, zu twittern, zu plurken, zig Weblogs zu lesen, boulevardeske Videostreams anzuschauen. Kurzum, ich bin frustiert. Ich bin zu doof, Prioritäten zu setzen und mich nach ihnen zu richten. Was diesen Umstand noch bitterer macht und verschärft, ist meine Arbeit, die mit zunehmendem Lebensalter mehr Kräfte verzehrt und Aufmerksamkeit beansprucht, so daß die Zeit ständig knapper wird, die Alternativen schrumpfen und letztlich eine ausweglose Situation entsteht, die nur 1 Lösung zuließe, ein Entweder - Oder. Verzicht wäre vonnöten. Einschränkung bei den Dingen, die mich abhalten von der Beschäftigung mit Büchern, dem Lesen und den literarischen Themen. Nur hege ich so wenig Hoffnung, dem gewachsen zu sein, es zu schaffen. Stattdessen versumpfe ich immer mehr in den weniger anstrengenden Dingen wie den Konsum von unterhaltenden Angeboten im Netz. Mein Lesepensum sinkt stetig. Und ich bin so wahnsinnig neidisch auf bewundernswerte Leser/innen wie Liisa, die, offenbar unangefochten durch die Bedrängnisse, wie ich sie hier schilderte, lesen, lesen, lesen.


Aitmatow, die erste Liebe

Im Aitmatow-Thread des KF: Aitmatow spielt in meinem Leben eine besondere Rolle. Mit "Der Tag zieht den Jahrhundertweg" begann für mich als Jugendlicher mein Leseleben. Zuvor las ich nur Religiöses. Als wir mit diesem Buch konfrontiert wurden, schlug das wie eine Bombe ein. Als Folge las ich die Russen, vor allem Tolstoj, Dostoevskij, Gogol, Bulgakow, erst später Turgenjew, Cechov und viele andere. Die kürzliche Zweitlektüre von "Abschied von Gülsary" ließ den ganzen Zauber der Erstlektüre wieder lebhaft vor mir auferstehen. Es ist einfach schön, wenn man solche Autoren kennt, deren Bücher man nicht nur wegliest, sondern die in ein Leben hineinwirken und es markieren. Aitmatow war der erste dieser Art; mehr dazu hier. Hesse folgte, den ich als Bücherliebhaber und Nonkonformist schätze. Böll nach der Wende mit seinem Gesammelten Reden und Schriften, für die ich mein zweites Begrüßungsgeld Anfang 1990 damals komplett ausgab; denn die 9-bändige Kassette kostete 99.- DM. Ich kaufte sie in der für mich UMWERFENDEN Berliner Kiepert-Buchhandlung, damals am Berliner Ernst-Reuter-Platz gelegen, bei deren ersten Besuch ich spontan dachte: Es gibt ihn also doch, den Himmel auf Erden. An Aitmatow denke ich also zurück wie ein gereifter Mensch an seine erste Jugendliebe. Das Besondere daran, die Einzigartigkeit ist unzerstörbar. Ich bin jetzt schon gespannt, welcher Autor unter den vielen, die ich jetzt schätze, für mich in 20 Jahren pars pro toto sein wird, wenn ich an diese Jahre zurückdenke.


Gestorben und vergessen?

Es gibt Autoren, die sind gleich mit ihrem Tod erstmal vergessen. Ich stieß eben auf Reinhard Lettau, von dem ich seit seinem Tod vor 12 Jahren nix, aber auch gar nix mehr hörte. Neugierig bin ich, wieviele der in den letzten 15 bis 20 Jahren gestorbenen Schriftsteller ins Nirvana eingingen und seitdem ziemlich vergessen sind. Gert Hofmann, Hermann Burger, Thomas Brasch? Muß stets erst ein rundes Jubiläum kommen, damit sie wenigstens für einen Zeitungsartikel wieder ans Licht der literarischen Öffentlichkeit gezerrt werden? So geschehen mit Rolf Dieter Brinkmann, über den ich im DeutschlandRadio doch regelmäßig etwas höre. Und Jörg Fauser war 2007 anläßlich seines 20. Todestages eine Zeit lang im Feuilleton en vogue. Das wirkt auf mich wie eine kurzfristige Exhumierung bzw. wie ein profanes Literatur-Fronleichnam. Auf Lettau kam ich übrigens durch Broyard, der eines seiner Bonmots erwähnte: "Jeder Mensch hat das Recht, seine eigene Biografie zu erfinden." Zu vergessenen Autoren gibt es Threads im LSF und, eben initiiert, im Klassikerforum.


Modetorheiten der Buchbranche

Ich mag die Tendenz, die sich bei Autoren bzw. auf dem Buchmarkt beobachten läßt, nicht, auf einen bestimmten Zug auf- und nicht wieder abzuspringen, einer Masche so lange zu folgen, bis das Thema dermaßen ausgelutscht ist, daß man nur noch kotzen möchte. Wenn ein Buch erfolgreich gewesen ist, wie z.B. Bastian Sicks Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, wird es dabei nicht belassen, sondern Sick bombardiert uns auf seiner Erfolgswelle mit Nachfolgebüchern ähnlichen Strickmusters. Noch penetranter geschah es seit 2000, als Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken erschien. Es folgten Bücher desselben Autoren-Duos mit Titeln wie "Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen", "Der tote Fisch in der Hand und andere Geheimnisse der Körpersprache", "Die kalte Schulter und der warme Händedruck: Ganz natürliche Erklärungen für die geheime Sprache unserer Körper", "Männer zappen und Frauen wollen immer reden" sowie "Eine dumme Frage ist besser als fast jede Kluge Antwort: Wie man erfolgreich überzeugt". Das ist unerträglich; da tut allein die Aufzählung mächtig weh. Nichts dagegen zu sagen, wenn man frühere Bücher eines Schriftstellers, sobald er sich mit einem Werk durchgesetzt hat, quasi "nachholt", insofern sie es verdienen. Aber Modetorheiten der Buchbranche können ähnlich nerven wie die der Modebranche.


Mein Bücherzimmer

In meiner Zweiraumwohnung nutze ich 1 Zimmer als Bücher- und Computerzimmer. Darin ich weiß nicht wieviele Bücher. Denn irgendwann hatte ich die Datenbank nicht mehr gepflegt, so daß man bei mehr als 100 gekauften Büchern im Jahr schneller den Anschluß verpaßt, als man Statistik aussprechen kann. Seitdem ich einen Fotoapparat besitze, reizt es mich, wenigstens optisch einen Blick auf die Zahl und Ordnung der Bücher werfen zu können. In den beiden schwarzen Regalen - die ersten überhaupt, die ich mir nach der Wende anschaffte - sind auf bislang fünf Fächer die Bibliomanika verteilt, wobei ergänzend zu sagen ist, daß schätzungsweise 40 weitere anderswo gestapelt sind, weil sie neben all den anderen gelesenen Büchern darauf warten, daß ich die in ihnen angestrichenen FAB abtippe. Die Belletristika horte ich in diesen und diesen Ecken des Bücherzimmers in Ivar-Regalen. Man sieht, Platz für Nachschub an Lesestoff ist auf Jahre hinaus vorhanden. Sollte er einst doch erschöpft sein, muß der Flur die schwarzen Regale aufnehmen und mein Bücherzimmer, wird, was der Purist nicht ungern herbeisehnt, komplett und sowohl vertikal als auch horizontal ohne einzigen Zentimeter Zwischenraum einheitlich mit luftigen Ivar-Regalen bestückt sein.


Briefliteratur

Klaus Walther entpuppt sich in seinem Lese-Verführer Was soll man lesen? als Briefeleser und weist auf ein mir unbekanntes Büchlein hin: Walter Benjamins Brieffolge Deutsche Menschen. "Das Buch versammelt siebenundzwanzig Briefe aus den hundert Jahren zwischen 1783 und 1883, also ungefähr von der Französischen Revolution bis zur Gründerzeit." Vielleicht ein guter Tipp für jene, die einen Einstieg in die Briefliteratur suchen. Eine weitere Anthologie erwähnt Walther: Meine liebe...! Sehr verehrter...! 365 Briefe eines Jahrhunderts, die von Peter und Barbara Gugisch herausgegeben wurden. "Das Buch gehört in jede Bibliothek, die das 20. Jahrhundert beleuchtet. (...) Ein Geschichtsbuch ist da entstanden, ein Buch von Menschenschicksalen." Im Klassikerforum existiert ein eigener Thread zu Briefwechseln in der Literatur. Sherwood Anderson fordert eine (neue) Briefkultur.


Deutschsprachige Gegenwartsliteratur

Im Klassikerforum ist ein Thread zu "Deutsche Gegenwartsliteratur, deren Lektüre sich lohnt" entstanden, in dem ich soeben schrieb: 'Nicht jeder der von mir aufgezählten deutschsprachigen Autoren wird zum Edelklassiker mutieren, viele werden sicherlich vergessen werden. Das ist normal. Trotzdem sind es größtenteils Autoren, die ich aus dem einen oder anderen Grund schätze, von denen mich einmal der Scheibstil, das andere Mal die Themenwahl faszinieren. Ein großer Unbekannte beispielsweise, Michael Schulte, schreibt unsagbar skurrile Bücher. Ich möchte auch nicht behaupten, daß die deutschsprachige Gegenwartsliteratur nun anderen nationalen Literaturen überlegen sei. Keineswegs. Sie ist einfach genauso normal wie alle anderen. Überall wird geschrieben, überall wird publiziert. Nur bekommen wir in Deutschland dank der tollen Übersetzerpraxis sehr viel mehr von fremdsprachiger Literatur in die Hand als der durchschnittliche Amerikaner meinetwegen an deutscher. Wir sollten für dieses Geschenk dankbar sein und uns sowohl der fremden als auch der eigenen zeitgenössischen Literatur freuen und letzterer nicht von vornherein das Wasser abgraben. (16. Mai 2008)

Weiterführung der Diskussion im KF: "Deine Liste ist völlig beliebig zusammengestellt und enthält jede Menge Überflüssiges und Überschätztes." - Ich hoffe doch, daß sie völlig beliebig ist, denn ich rede ja über MEINE Autoren. Einen Kanon mit Literatur aufzustellen, die sich allgemein lohnte, mögen die dafür bezahlten Kritiker machen. Was geht mich an, was andere mögen oder nicht mögen? Das hilft mir nicht weiter. Für das Gros aller Bücher findet man Befürworter und Ablehner zugleich. Wem glaube ich? Ich glaube Freunden, deren Lektüregeschmack ich einschätzen kann bzw. die meinen so gut kennen, daß sie gezielt Tipps geben können. - Was bitte ist an einem Buch, das man gerne gelesen hat, überschätzt? Die Sicht von außen, die Einordnung eines Autors in die Literaturgeschichte, die Klassifikation als Klassiker, als Pop-Literat, als feministischer, linker oder revisionistischer Autor bringt mir als Leser nichts, wenn meine Lektüre mir sagt: Gut = lesenswert, schlecht = nichts für mich. Was ich also schätze, kann per definitionem nicht überschätzt sein und schon gar nicht überflüssig, weil es mir ein paar angenehme Lektürestunden oder -tage beschert hat. (16. Mai 2008)


Übersetzer auf Cover

Daß der Dörlemann-Verlag Bücher verlegt, auf deren Cover der Übersetzer angegeben wird, finde ich herzallerliebst und löblich. Aufgefallen ist mir dies bei der Elke, als sie in Lesen Martha Gellhorns Muntere Geschichten für müde Menschen anpries. Auch bei anderen Büchern ist das so: Paare, Gegen Ende des Morgens, Drei Briefe aus den Anden und eigentlich allen, zumindest Neuerscheinungen dieses kleinen bewunderswerten Züricher Verlages. Diogenes kommt ja ebenfalls aus Zürich. Wie gesagt, bewunderswert.


Book Walking (2)

Bei Hugendubel sah ich es in dieser Woche zum ersten Mal. Alle Hardcover, die zur Ansicht ausliegen und von denen die Einschweißhülle entfernt worden war, wurde mir einer Folie, ähnlich der, mit der Bibliotheksbücher geschützt werden, eingebunden. Auf meine Nachfrage, ob das denn nicht furchtbar aufwändig wäre, erhielt ich ein Nein. In der "Buchhandlung an der Thomaskirche" sah ich dann einen Tisch mit Bibliomanika. Ich sprach die ISBN in das Mikrofon meines mp3-Players, um zuhause die Entdeckungen ordentlich recherchieren zu können, und erntete mißtrauische bis interessierte Blicke. Ich wollte mich schon dafür entschuldigen, daß ich als Kunde nicht in Frage käme, sondern nur als Buch- Spanner unterwegs wäre, der auf Blickfang zu unbekannten Neuerscheinungen ginge. Welche Bücher ich entdeckte, wird man in den kommenden Tagen hier nachlesen können. (14. Mai 2008)


Konventionelle Erzähler

Als Antwort auf eine Vorstellung im KF: "Ich selbst habe ein Faible für Gesellschaftsromane, für Erzähler, die auch durchaus konventionell eine Geschichte zu erzählen vermögen. Habe mit Remarque und Fallada gerade wieder zwei dieser Romanciers gelesen. Überhaupt mag ich neben den russischen und französischen Großerzähler des 19. Jahrhunderts diejenigen, die Deutschland immer wieder hervorgebracht hat, in deren Texten sich Zeitkolorit niederschlägt, die aber trotzdem heute noch sehr frisch wirken. Arthur Schnitzler, Joseph Roth, Franz Werfel, Heinrich Böll. All diesen Autoren haftet ihre Zeit an, so daß Kritiker mitunter die Nase rümpfen mögen und Böll oder Fallada am liebsten als obsolet abtun; ich halte sie aber nach wie vor für exzellente Erzähler, die es schaffen, daß man ganz von einer Geschichte mitgezogen und, wie es mit gerade mit Wer einmal aus dem Blechnapf frisst ergangen ist, fast von der durchgängigen Resignation und dem melancholischen Timbre gebeutelt wird, der mich bereits bei Falladas Der Trinker so verblüfft hatte."


Gegen Buchabbrüche

Es gilt herauszufinden, an wem es liegt, daß man gewillt ist, ein Buch abzubrechen: an einem selbst oder am Buch. Da ich durch meine ausgeklügelte Buchauswahl weiß, daß es so gut wie ausgeschlossen ist, daß mir ein schlechtes Buch unterkommt, muß ich quasi davon ausgehen, daß die Schuld prinzipiell bei mir liegt. Als Versager aber möchte ich vor einem Buch nicht dastehen; der Stolz steht dem entgegen. So beiße ich mich durch und kann konstatieren, daß schlußendlich bisher noch jeder Kampf als Gewinn betrachtet werden kann. Hinterher weiß ich, es wäre schade gewesen, wenn ich abgebrochen hätte. Man kann Lebensaft auch aus schweren Büchern ziehen, er nährt sogar mehr, kostet vorher aber wesentlich mehr Erntearbeit. Ich plädiere also für eine sorgsame Buchauswahl und etwas mehr Starrsinn beim Lesen.


Entscheidungslos bei Klassikern

Mitunter bin ich doch recht orientierungs- und entscheidungslos hinsichtlich der Lektüre klassischer Literatur. Nichts gegen die unangefochtenen ganz großen Meister(werke), die gemeinhin mehr oder weniger bekannt, die man sich nach und nach "erarbeitet". Aber dann? Ich blättere im Wilpert, im Kindler, im Projekt Gutenberg, im 5-bändigen Romanlexikon von Reclam, in der Wikipedia... und kann mich nicht entscheiden und würde doch gerne einmal ein wenig abseits lesen. Jedenfalls was ich dafür halte, was anderen durchaus bekannt gewohnt sein kann. Dorothea Schlegel, Friedrich Schlegel? Heinrich Zschokke? Achim von Arnim? Charles Sealsfield? Namen, Namen, Namen. Dann wiederum sage ich mir: Scheiß drauf. Erzwinge nichts! Lies die Altbekannten Tieck, Brentano, Hoffmann. Aber selbst bei den MIR eingängigen Namen kann ich mich nicht entscheiden. Wieland zum Beispiel. Ich las die "Geschichte der Abderiten", die "Geschichte des Agathon", und "Das Hexameron von Rosenhain" und hänge nun fest. Jenseits der eindeutig prosaischen Literatur tappe ich ohnehin im Dunklen. Es ist ein Kreuz mit der klassischen Literatur. Da stoße ich gerade auf Namen wie Bulwer-Lytton und - kann mich nicht entscheiden. Ob überhaupt, und wenn ja, was... 'Die Letzten Tage von Pompeij' mag ich wegen meiner Antike-Allergie nicht lesen, aber er hat ja so viel andere geschrieben. Blättere ich die Namenslisten im Projekt Gutenberg durch, sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Je umfangreicher so was wird, desto unmutiger und willenloser werde ich komischerweise. Allzu erratisch - genau wie bei Werkausgaben, die mich endlos einschüchtern. Da mäandert man in den Lexika zwischen Heine, Heinse, Heym und Heyser und wartet vergeblich auf einen externen oder internen Lesebefehl.


Zukunft des E-Books (1)

Nochmal zum E-Book. Ich bin immer schon sein Verfechter gewesen. Im Gegensatz zu den meisten anderen (hier) kann ich problemlos am Bildschirm lesen. Falls nicht ohnehin schon eine pdf-Datei, die die entsprechenden Optionen bereit hält, stelle ich mir die Schrift in meinem Texteditor, wohinein ich den Text beispielsweise aus dem Projekt Gutenberg kopiert habe, entsprechend groß, so daß ich sogar bequemer lesen kann als mit einem für Sehschwächere konzipierten Buch in Großdruck. Käme man endgültig vom PC-Bildschirm weg, wäre das noch besser. Die bisherigen Bemühungen um Lesegeräte, welche ich seit ihren Anfängen verfolge, waren nicht von dem Erfolg gekrönt, die Neider oder Skeptiker hätte verstummen lassen können. Einem gravierenden Siegeszug des E-Book wird dadurch nicht widersprochen. Meine Vorstellung eines befriedigenden Lesegerätes sieht folgendermaßen aus: Größe zirka A4. Biegsam wie eine Folie, so daß man es rollen, oder faltbar, so daß man es zu A6 verkleinern könnte. Die Speicherkapazität darf beachtlich hoch sein bzw. das Aufladen bzw. Verwalten des Inhaltes per Kommunikation mit Online-Archiven möglichst einfach. Formatfreiheit! Dank den Fortschritten mit der E-Tinte dürfte der Komfort beim Lesen inzwischen bequem genug sein. Und - das dürfte noch Science Fiction sein - die Navigation müßte durch Audiobefehle erfolgen! Kein Herumgefummle mit Pen oder Stift. Stattdessen einfache Befehle: 'Öffne Autor - Bachmann Ingeborg - Titel Malina - Seite 1". Wenn man aufhören will: "Lesezeichen Seite X - Schließe Buch". So stelle ich mir das vor. Daß das E-Book mit entsprechender technischer Entwicklung und Finesse dem Buch überlegen sein wird, entspricht meiner festen Überzeugung. Nach einem Anpassungsprozeß wird eine Wandlung in der Lesermeinung frühere Vorbehalte gegen das E-Book als skurril erscheinen lassen.


Book Walking (1)

Seit kurzem versuche ich abzunehmen. Um mich abzulenken und gleichzeitig dem Ziel auch durch Bewegung näherzukommen, fahre ich wieder vermehrt in die Innenstadt, etwas, das ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr tat, so daß ich durch viele Gegenden und Straßen seit langem nicht mehr gekommen bin. Deswegen war ich überrascht, auf ein Ladengeschäft von Zweitausendeins zu stoßen, welches ich mir immer seit der Wende vergebens für Leipzig gewünscht hatte. Eine tolle Entdeckung! Und gleich beim ersten Besuch üppig eingekauft. Arno Schmidt gehört unweigerlich zu den von mir am meisten geschätzten Autoren. Wie schön, endlich die Werkgruppen II und III der Bargfelder Ausgabe erstehen zu können, und zwar preiswerter als im Buchhandel, nämlich für 29,80 statt 46,80 Euro sowie für 39,80 statt für 72.- Euro. Dabei handelt es sich zwar um die broschierte Studienausgabe, die fürs Lesen ausreichend sein sollte. Nun fehlen mir nur die vier großen Spätromane der Werkgruppe IV. Überhaupt hatte ich mir eingebildet, für den Besuch einer Buchhandlung vor Ort nichts mehr erübrigen zu können, seitdem mir die Bestellung mittels Booklooker oder Amazon Marketplace zur Gewohnheit geworden ist. In bestimmer Hinsicht stimmt dies; denn für das marktneue Buch zum Buchhandelspreis bin ich verloren. Doch die Buchpreisbindung ist letztlich nur noch eine Farce. Büchern, auf die ich durch Literatursendungen in Radio und Fernsehen aufmerksam geworden bin, begegnen mir kaum nennenswert später zu einem erheblich niedrigeren Preis als Remittende auf Grabbeltischen oder bei Jokers. Ich habe feststellen können, daß, wenn ich, sagen wir mal, alle vier Wochen einen "Book Walk" durch die einschlägigen örtlichen Buchhandlungen und Modernen Antiquariate veranstalte, ich immer etwas finde, es nie so ist, daß ich mich zwanghaft für ein Angebot erwärmen müßte, sondern daß ich stattdessen schweren Herzen gezwungen bin, eine Auswahl zu treffen und nicht alle Bücher mitnehmen zu können, die sich einem im ersten visuellen und haptischen Ansturm aufdrängen. Während der letzten Jahre ging ich davon aus, daß ich mit der Recherche am Bildschirm IMMER besser beraten wäre. Aus diesem Grund bin ich von der jetzigen Erfahrung überrascht worden, daß es auf altbewährtem Weg noch geht. In Zukunft werde ich mein Dasein als PC-Potatoe mit dem eines Remittendenjägers kombinieren können. Außerdem scheint es mir so zu sein, daß man Entdeckungen, indem man in einem Buch zuvor blättern kann, eher oder überhaupt erst macht, als indem man nur Rezensionen und Empfehlungen folgt, die man gelesen hat.


Verpaßte Gelegenheiten

Mit 2 neuen Büchern kam ich (mittlerweile schon) gestern Abend zurück. Hätte ich nicht aufgepaßt, wären es 6 bis 8 gewesen. Aber ich konnte mich irgendwie nicht durchringen, Soma Morgensterns Der Tod ist ein Flop mitzunehmen. Und das für 1 Euro. Auf selbem Tisch lag für selben Preis Willem Elsschots Leimen. Weder von Autor noch von Titel bisher gehört. Elke Heidenreich hat in ihrer Sendung das zuerst verlegte, von Sarkasmus strotzende Werk Käse von ihm hochgelobt. Ich Idiot. Hinterher ärgert man sich immer. Ich habe am Büchertisch richtig mit mir gerungen. Buch gegriffen, geblättert, wieder hingelegt; wieder geschnappt, herumgeblättert, an imaginativen Blumen gezupft, wieder verworfen. Und dies beim großen Thema des Buches: Tod... Mann, Mann, Mann, was für ein beschissener Büchertag. Auch lief ich bei Hugendubel an Marisha Pessls Die alltägliche Physik des Unglücks vorbei, bei dem man übrigens auch merkt, daß die Buchpreisbindung letztlich nicht mehr viel wert ist. 1 Jahr- oft noch weniger warten, warten, und schon liegt ein dicker Hardcoverband in der Remittendenkiste; dieser für 5.95 Euro anstatt 19.95. Ich mißachtete sogar ein Bibliomanikum und ließ Das Geheimnis des Buchhändlers von John Dunning (statt 22,90 nur 4.95) sausen. Nur weil ich Befürchtungen hatte, den SUB wieder aufzublasen. Ich brauche therapeutische Hilfe; denn, um das zu vermeiden, hätte ich nicht in die Stadt fahren dürfen. Aber an Büchern vorbeizurennen, die man eigentlich schon hätte haben wollen, ist einfach zu blöd.


Bücher veräußern (1)

Es fällt schwer, sich der Bücher zu entäußern. Die Sämtlichen Werke Hermann Hesses stehen komplett im Schrank, samt Registerband, den ich kürzlich verspätet abholte. Neben der Sekundärliteratur, größtenteils leider noch ungelesen, und neben den Materialien (z.B. Briefbände) haben sich im Lauf der Jahre eine Menge Anthologien und Themenbänden mit Primärliteratur von Hermann Hesse angesammelt, die nun - eingedenk der Werkausgabe - überflüssig sind, Platz wegnehmen und quasi meinem Purismus Hohn sprechen, der mißtrauisch Dubletten betrachtet. Also möchte ich sie loswerden. Eben entnahm ich sie dem Hesse-Regal und stapelte sie separat auf. Dabei tut das Herz weh. Nicht nur, weil ich an die Hunderte von DM bzw. Euro denke, die dafür ausgegeben worden sind, sondern auch, weil es irgendwie immer weh tut, wenn man sich von Bücher trennen will. Der Geizhals kommt mit dem Melancholiker zusammen und streicht wehmütig über die Bücher, für die man, das weiß man leider, nur Groschen beim Antiquar einheimsen wird. Gibt es Geburtswehen, so gibt es, jedenfalls für den Bücherfreund, auch Todes- oder wenigstens Abschiedswehen. (6. Januar 2008)


Nobelpreisüberlegungen

Den Nobelpreis bekommen doch oft auch Autoren, mit denen sich etwas außerhalb ihrer literarischen Arbeit verbinden läßt, ein Aufhänger gewissermaßen. So kommen Autoren zum Zug, die jenseits des Elfenbeinturms agieren und schreiben und nicht unbedingt pausenlos im Literaturolymp Hymnen an der Harfe zupfen. Oder anders ausgedrückt: Warum nicht Doris Lessing, wenn schon Heinrich Böll? Auf die Frage, wem man selbst den Literaturnobelpreis am meisten gönnen und wünschen würde, gibt's für mich überhaupt kein Zaudern: Antonio Lobo Antunes. Wenn die schwedische Akademie unbedingt eine Begründung außerhalb literarischer Kriterien braucht, dann wäre sie hier dadurch gegeben, daß der Portugiese Mechanismen des Lebens in einer Diktatur, ihre Auswirkungen und Verheerungen in allen Facetten beschrieben hat. Immer wieder spielt die Nelkenrevolution eine Rolle in seinem Werk. Gefragt, womit beginnen, antwortete ich: "Lobo Antunes hat einen Schreibstil entwickelt, der nicht ohne weiteres genießbar ist. Er hat ihn immer mehr perfektioniert. Deswegen empfiehlt es sich möglicherweise, mit seinem Debütroman zu beginnen, bei dem, wie Kritiker sagen (ich selbst kenne ihn noch nicht), die Polyphonie der Figuren noch nicht so ausgebildet sei. Elefantengedächtnis erschien 1979.


Was andere lesen...

Schon einmal die Verlegenheit bemerkt, die manchmal entsteht, wenn ein professioneller Interviewer seinem Gegenüber die Antwort auf die Frage abgerungen hat, was er gerade lese? Julia Franck erwiderte auf sie: "Die Mutprobe von Nabokov". Und der Frager: "Mhm, aha." Das war alles. Franck enthusiastisch: "Ein wunderbares Buch". Der Interviewer schloß abrupt die nächste Frage an. Die Verlegenheit, wenn der andere ein Buch lobt, das man selbst nicht präsent hat, das man vielleicht gar nicht kennt. Oder wenn zwei Lesewelten zusammenstoßen. Die Heidenreich wüßte sowas mit ihrem angeborenen Redefluß locker zu übertünchen; bei anderen mag ein leichtes Stocken anzeigen, daß man gar nicht wirklich wissen wollte, welches Buch der andere im Moment in der Mangel hat. Dies sind lediglich Mutmaßungen, die auf Beobachtungen bei Interviews zurückgehen bzw. Reaktionen abzulesen sind, die man selbst ausgelöst hat, wenn man jemandem berichtete, was man augenblicklich las. Was soll man da auch sagen? Man könnte den Lesenden mit seinem profunden Wissen über das betreffende Buch zutexten. Andernfalls kommt man bestenfalls über gemeinsame hymnische Preisungen - gutes, tolles Buch! - kaum hinaus. Am einfachsten wäre es wohl, den Staffelstab zu übergeben und den befragten Leser erzählen zu lassen. Enthusiasmierte Buchleser wollen ihre Lektüre ohnehin an den Mann bringen. Lassen wir ihnen also den Freiraum und optimieren wir unser geheucheltes Interesse gegenüber der fremden Lektüre, so daß Verlegenheit kaum noch entstehen kann.


Rezension oder Bauchgefühl?

Da ich Bücher nie kaufe, wenn sie neu sind, sondern erst nach Jahren, begegne ich im Laufe der Zeit zwangsläufig verschiedenen Reaktionen auf ein Buch: Lesermeinungen, Klappentexten, Äußerungen von Schriftstellerkollegen und Kritikern in den Medien und ordentlichen Rezensionen. Diese lese ich allerdings selten genauestens und gänzlich. Oft genügt ein Überlegen, ein Ankosten, um schlüssig zu werden, ob es auf die Liste kommt oder nicht. Meinem Baugefühl vertraue ich vollkommen. Es generiert aus so viele Komponenten sein Urteil "Lesenwert!" oder "Finger weg!", daß Rezensionen nur einen minimalen Teil bilden. An Ramschtischen oder im Jokersladen, wo ich alle paar Monate Bücher kaufe, muß ich sowieso auf die Intuition verlassen; denn meist begegnet man doch unbekannten Titeln.


Kluge Bücher

Ein Buch merkt sich aber auch die Seitenzahl selbst. Durch Umblättern und "Feststreichen" der Seiten. Ich las heute vor dem zweiten Teil meines Schlafes (biphasischer Schlaf) und merkte, als ich aufhörte, daß ich mein Lesezeichen vergessen hatte. Zu faul aufzustehen, schmetterte ich das Buch aus dem Bett auf den Teppich und legte es nach dem Aufstehen nur ich die hohle Hand, so daß es sich von allein an der korrekten Stelle wiederöffnete. Das passiert mir öfter, daß Bücher an genau der Stelle einfach aufgehen, die die zuletzt gelesene Seite bilden.


Parallellesen ist nicht mein Ding

Parallellesen kommt bei mir sehr selten vor. Gestern war es wieder soweit, als mir nämlich eine Kollegin ein Buch auslieh, welches ich aus Neugier in der Straßenbahn auf dem Nachhauseweg sofort beginnen mußte. Herman van Veens Autobiografie Unter einem Hut. Lebendige Erinnerungen wollte ich, nachdem ich ihn im letzten Jahr irgendwo in einer Buchmessensendung gesehen habe (Blaues Sofa?), unbedingt lesen. Also begann ich sie, obwohl ich mit Die Sonne der Scorta von Laurent Gaude gerade in die heiße Phase des letzten Viertels eingetreten war. Aber immer wenn mir das passiert, spüre ich deutlich: zum Parallelleser bist du einfach nicht geschaffen. Gaudes Buch ist ein phänomenales Buch. Man fragt sich, wie ein so junger Autor (geb. 1972) ein so fluffiges Buch schreiben kann, dem man die Schwere und zugleich die Leichtigkeit absolut glaubt. Die Sprache, mit der er die Geschichte eines Familienclans über 100 Jahre hinweg erzählt, paßt zur eher einfachen und armen Welt dieses apulischen Dorfes. Und doch schafft er damit eine authentische Atmossphäre und einen Sog, dem man sich nicht mehr entziehen kann. Das Buch enthält die magische Szene eines Festmahls, auf dem alle Geschütze italienischer Lebens- und Gourmetkunst aufgefahren werden; sie gehört für mich nun zu einer der großen Eßszenen der Weltliteratur. Unglaublich! Die Sonne der Scorta gewann übrigens den Prix Goncourt 2004. (10. August 2007)


Lesen und Lachen

Am schönsten ist es, wenn Lesen und Lachen konvergieren. Wenn man entspannt im Sessel sitzt, einen heißen Tee schlürft und urplötzlich auf eine gelungene Formulierung stößt, so daß die akute Gefahr besteht, unkontrolliert loszuprusten und die Umgebung mit einem feinen Sprühregen aus Schwarztee zu versehen. Diese Momente des Lesens sind mir die liebsten. Wenn man lauthals lachen kann, wenn man sich womöglich minutenlang gar nicht mehr einbekommt, wenn es einem in den Fingern juckt, die betreffende Passage sofort zu dokumentieren und andere am eigenen Genuß, was Sprache und Witz betrifft, teilhaben zu lassen. Nicht weniger schön sind die eher verhaltenen Fundstücke, die einem ein Lächeln, ein zustimmendes Grunzen entlocken. Lese ich solche Stellen, an denen einem gelungene Sprache und Humor entgegenleuchten, würde ich, wäre ich eine Katze, hemmungslos zu schnurren anfangen. In Hanns-Josef Ortheils Vaterbuch Lo und Lu beschreibt er, wie er mit dem Kinderwagen zur täglichen Tour aufbricht und dabei Beschützerinstinkte entwickelt, die es ihm gestatten würden, es mit jeden Gegener aufzunehmen, der es wagte, sich seinen beiden Kindern in unehrenvoller Absicht zu nähern, selbst wenn es ein Grizzlybär wäre. "Im geheimen aber sind wir bereit, und wenn uns tatsächlich ein Feind entgegenträte, würden wir ihn, ich drücke mich jetzt brutal, aber ehrlich aus, sofort zermalmen". Einige Seiten später ist es dann soweit - mit meiner Erheiterung, die zu diesem Artikel geführt hat: "Es ist eine ältere, etwas mürrische Frau, die nie grüßt, und ihr Schäferhund ist eine sehr unberechenbare Erscheinung, manchmal kümmert er sich überhaupt nicht um uns, dann wiederum schnüffelt er so dreist hinter uns her, daß die Idee des Zermalmens mit einem Mal spürbar an Aktualität gewinnt." (6. August 2007)


3-Bücher-Tag

Heute ist ein 3-Bücher-Tag. Das sind jene Lesetage, an denen man ein Buch beendet, ein zweites - logischerweise kurzes, ein Zwischenstück - liest und ein drittes beginnt oder weiterführt. Abgeschlossen habe ich die Zweitlektüre der Novelle Das Konzert von Hartmut Lange, auch als Band 70 innerhalb der SZ-Bibliothek erschienen. Dann zog es mich zur Zweitlektüre der grotesken Erzählung Das Krokodil von Fedor M. Dostoevskij. Und schließlich lese ich an dem vor vielen Monaten begonnenen Notizbuch Tagebuch eines Melancholikers weiter, dessen Gedankenschärfe und Formulierungskunst ich früher bereits lobte. Meine Lektüre schwächelte in den letzten Monaten. Ob damit nun ein dauerhafter Zustand, nämlich abnehmendes Lesevermögen, entsteht, bleibt abzuwarten. Zurzeit läuft es ganz gut, d.h. ich bin ungefährdet durch die Lockungen des Internets und fühle mich dabei großartig.


Pendeln und Lesen

Das ZDF berichtet über Pendler. Obzwar ich in Leipzig wohne, bin auch ich gewissermaßen ein Pendler; denn ich wohne am anderen Ende der Stadt. Mein Arbeitsweg beansprucht täglich 3 Stunden - 1,5 hin, 1,5 zurück. Allerdings muß ich mir vorwerfen, regelrecht doof zu sein oder zu faul, in die Nähe der Arbeitsstelle umzuziehen. Ein Auto lehne ich immer schon ab; und mit dem ÖPNV dauert es eben so lange, zumal ich umsteigen muß. Als ich noch mit einer Straßenbahnlinie durchfahren konnte, war es angenehm und unkompliziert, weil man sich keinen Kopf machen mußte um Anschlüsse und den besten Weg, wenn es mehrere Alternativen zu bedenken gilt. Ehedem schwebte mir vor, die Fahrtzeit konsequent für die Lektüre zu nutzen, so daß es keine vergeudete Zeit wäre, weil es letztlich egal ist, ob ich nun zuhause im Sessel lese oder auf dem Sitz in der Bahn. Nur ist es eine Illusion! Nicht bedacht habe ich die Müdigkeit, die beispielsweise auf dem Weg vom Nacht- oder Frühdienst ihren Tribut fordert und mich binnen Minuten wegdämmern läßt. Lesen unmöglich. Dasselbe Problem morgens 5 Uhr ZUM Frühdienst. Lediglich in 50% der Fälle gelingt es zu lesen (zum und vom Spätdienst und zum Nachtdienst). Zu wenig. Insgesamt unbefriedigend. Pendeln ist, wenn man es vermeiden könnte, verschwendete Zeit. Punkt. Eingestehen wollte ich das selten. Aber es ist eine Tatsache. (25. Juli 2007)


Klassiker

Im Thread Mögen Frauen keine Klassiker? entwickelt sich inzwischen eine streitlustige Diskussion um sogenannte "große" Literatur im allgemeinen. Meiner Meinung nach dürfen auch Klassiker abgelehnt werden. Wenn sie sich ihr Recht in der Literaturgeschichte erkämpft haben, heißt das noch lange nicht, daß ein Buch so genießbar wie das andere ist. Bücher sollten lesbar sein und unterhalten. Und wenn das anerkannte Größen nicht vermögen, können sie mir gestohlen bleiben, unabhängig davon, welches Etikett auf ihnen klebt.


Das unbekannte Bücherlei

Dank des Biblioforums geistern Daniel Pennacs Zehn unantastbare Rechte des Lesers durch die literarische Blogosphäre. Da die "Rechte" seit 11 - in Worten ELF - Jahren innerhalb meines Bücherlei (LB) ihr kümmerliches Dasein fristen und es scheinbar keine Sau interessiert, frage ich mich ernsthaft, wozu das Ganze überhaupt und noch. Sollte ich ab und an auf ältere Bestandteile des LB aufmerksam machen? Es gibt eine Menge Ressourcen, die mir selbst kostbar sind. Beispielsweise Patrick Süskinds Amnesie in litteris oder das berüchtigte Bibliothekskapitel aus Musils MoE. Aber mehr als anbieten kann ichs doch nicht. Es ist doch nicht zuviel verlangt, sich mal durch FAB (Fundstücke aus Büchern) durchzuklicken, oder?


Pingpong

Seltsamerweise bekomme ich immer dann Löschfantasien, was meine Homepage anbetrifft, wenn ich mich in einer guten Lesephase befinde. Der Wunsch, daß sie anhält, ist verbunden mit dem Gedanken, das, was der Lektüre abkömmlich ist, künftig zu meiden. Unweigerlich lande ich bei den Internetaktivitäten, die so viel Zeit beanspruchen. Ein Kreislauf, dem man sich, ist er einmal in Schwung gekommen, kaum mehr entziehen kann. Klappts gerade mit dem Lesen, meine ich, diesen Zustand dadurch konservieren zu können, daß ich Störfaktor Nr.1 ausschalten müßte, was nur zu verwirklichen wäre, indem ich dieses Weblog und überhaupt das gesamte Leipziger Bücherlei über Board würfe. Mir ist aber klar, daß das Pendel zur anderen Seite ausschlagen wird, daß der Moment der Sättigung kommt, da zum Beispiel ein Thema auftaucht, zu dem ich recherchieren will, weil ich bei allem, was mich interessiert, den Drang habe, es mitzuteilen oder wenigstens die Information zu archivieren. Dies macht riesigen Spaß, so daß so ruckzuck wieder eine Situation und Gemengelage entstanden ist, in der die Beschäftigung mit und für die Webseite reizvoller erscheint, als zu lesen. Dieses Pingpong mache ich seit 1996 mit. Während der vergangenen zwei, drei Wochen rückten die Bücher in den Vordergrund. Noch hält deren Zugkraft an. Als gefährlich erweisen sich längere Perioden an Freizeit (mehrere freie Tage, Kranksein oder Urlaub). Dann rutsche ich mit höchster Wahrscheinlichkeit in den Status der Internetsucht hinein und verliere das Gefühl des Sogs, der nur durch stundenlanges, ungestörtes Lesen hervorzurufen ist und der unerläßlich ist, den Reiz der Lektüre so stark zu erhalten, daß der tägliche Sieg über die anderen, nicht minder zugkräftigen Reize, die durch das virtuelle Dasein genährt werden, möglich wird. Den eingangs erwähnten Löschfantasien gebe ich von Zeit zu Zeit Raum und nehme das Projekt offline. So weit zu gehen, die Dateien endgültig zu vernichten, gelang mir bislang nicht. Alte Zöpfe abzuschneiden kann also schwerfallen. Durch die anhaltende Beanspruchung im Beruf und der Tatsache, daß mit zunehmendem Alter die Regeneration der Kraft mehr Zeit kostet, wird die Lesezeit stetig knapper. Irgendwann wird sich keine andere Alternative stellen als sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden: Die Lektüre ODER Blogosphäre, Foren, Internet und Web 2.0. (26. Juni 2007)


Neues versus Altes

Neuerscheinungen sind so ein Problem bei mir. Natürlich lasse ich mich faszinieren von frischem Lob, das durch Gazetten und Feuilletons emittiert wird. Aber andererseits gilt es die beschränkte Lebenszeit zu bedenken. Und das Geld. Also lasse ich über den Eindrücken, die man zu einem veröffentlichten Buch gewinnt, eine gewisse Zeit verstreichen, in der dann meist auch das Buch preiswerter zu haben ist. Zwei Fliegen mit einer Klatsche, gehalten von einem zögerlichen und geizigen Bibliomanen. :-) Ich sortiere Neuerscheinungen, die sich als Bücherwunsch bei mir herauskristallisieren, in die drei (gestern erwähnten) Kategorien ein. Allerdings stehe ich dann häufig nach zwei, drei Jahren vor dem Problem (nämlich wenn kein Schwein mehr von dem Buch spricht), daß mir nicht mehr gewärtig ist, warum ich das Buch nun auf meine Wunschliste gesetzt habe. Alle paar Jahre siebe ich sie demnach aus. Möglicherweise begehe ich verschiedenen Büchern Unrecht. Sinnvoller wäre es, sich bei den Einträgen zu notieren, was einen für das Buch eingenommen hat. Links sind nur bedingt eine Hilfe, weil sie sie nach Monaten oder Jahren leider kaum noch funktionieren. Ein anderes "ungerechtes" Phänomen ist, daß Neues gern Altes verdrängt. Das heißt, aktuell sich in der Debatte befindende Neuerscheinungen lassen ehemalige Kracher verblassen und vergessen. Ein kluges und vernünftiges Gleichgewicht herzustellen gelang mir bislang nicht.


Bücherwünsche, Leseplanung (2)

Meine Lieblingsklage ist ja die: nicht mehr zu lesen. Nicht mehr so wie früher, nicht mehr so viel, wie ich könnte und wollte. Dies liegt allerdings nicht an der Buchsuche, die dank Eurobuch.com schnell und effektiv vonstatten geht. Eher wären als Gründe, warum Lektüre nicht in gewünschtem Ausmaß stattfindet, die Ablenkung durchs Internet zu nennen. DASS es geht, merke ich im Augenblick, da ich ganz ordentlich lese. Die Suche nach kostengünstigen gebrauchten Büchern ist dank der filigranen Listen und Notation strukturiert und eingebettet in ein ganzes Universum der Beschäftigung mit Büchern. Heute habe ich sogar mal wieder meine alte Buchhändlerin beehrt, weil ich zwei Bücher partout nicht gebraucht finden kann. Es ist wohl der erste Neubuchkauf seit bestimmt einem oder anderhalb Jahren. Bin ganz aufgeregt. Und dann auch noch eine Verlagsbestellung. Außerdem ist Klaus Walthers Was soll man lesen?, obwohl erst für August angekündigt, bereits lieferbar und als Taschenbuch allemal günstiger als die Second- Hand-Ausgaben, die ich bisher fand.


Bücherwünsche, Leseplanung (1)

Im LSF-Thread Wer wünscht sich die meisten Bücher? schrieb ich: "Ohne Leseplanung käme ich gar nicht mehr zurande. Von vielen Autoren las ich bereits eine Menge Bücher, eine Menge ist aber noch ungelesen. Hier den Überblick zwischen gelesen - ungelesen, gekauft - noch zu kaufen zu bewahren, ist mitunter schwer; außerdem erdreisten sich lebende Autoren, weitere Bücher zu schreiben bzw. zu veröffentlichen, was nicht selten bereits bestehende Listen veralten läßt. Ein Beispiel: Von Antonio Lobo Antunes las ich in den vergangenen Jahren 9 Bücher. Er hat allerdings mindestens noch einmal so viele auf dem Markt. Das will notiert sein. Kaufe ich ein Buch, muß es von der intern geführten Leseliste gestrichen werden, spätesten dann, wenn es gelesen worden ist, damit ichs nicht doppelt kaufe. Ich führ(t)e eine so genannte "chronozentrische Leseliste", wo ich diejenigen Autoren namentlich erfass(t)e, von denen ein nächstes Buch geplant ist. WELCHE Bücher dann jeweils von ihnen gekauft werden, entscheide ich anhand einer lange Bücherliste, die die ungelesenen Bücher (Wunschliste) enthält. Mit dieser probiere ich beinahe täglich, was preiswert angeboten wird... Die "lange Bücherliste" ist in 3 Kategorien unterteilt: "Jahresautoren" (von ihnen mindestens 1 Buch im Jahr), "Klassiker" sowie "Sonstige". Bei manchen Büchern muß man herausbekommen, ob sie Neues enthalten oder ob es sich beispielsweise nur um einen neuedierten Erzählband mit bereits gelesenen Erzählungen handelt. Von Garcia Marquez habe ich einige Erzählbände, die sich überschneiden."


Mit Büchern beschenkt

Da ich zurzeit zahlreiche Buchbestellungen aufgegeben habe und täglich mit Anlieferung von Büchersendungen rechne, war ich wenig erstaunt, vorgestern zwei Päckchen vorzufinden. Dabei stellte sich jedoch heraus, daß ich beschenkt wurde. Zwei unerwartete Bücher - eine Überraschung, die mir große Freude bereitet hat. Zum einen schickte mir eine Leserin meiner Webseiten das soeben erst als Taschenbuch erschienene Bibliomanikum, auf das ich rattenscharf gewesen bin, Anne Fadimans Ex Libris. Bekenntnisse einer Bibliomanin, welches ich mir als Neuerscheinung sicher erst viel später geleistet hätte - es warten ja Zigdutzende anderer Bibliomanika auf den Kauf... Welch ein Glück also, sofort mit diesem köstlichen Buch beginnen zu dürfen. Zum anderen sandte mir Bibliothekar, Verleger und Publizist Ulrich Goerdten, der mir schon früher Gutes tat, eine Büchlein aus seinem Bargfelder Verlag Luttertaler Händedruck: "Gotthilf Weisstein: Berichte aus der Bücherwelt. Hrsg. von Ulrich Goerdten. Bargfeld: Luttertaler Händedruck, 2007. (Edition im Luttertaler Händedruck 11) 60 S. ISBN 3-928779-24-9. Hergestellt in 120 Exemplaren, davon 60 für die Mitglieder des Berliner Bibliophilen Abends. 12 Euro - 23 verschollene Zeitungsartikel des vor 100 Jahren verstorbenen Schriftstellers, Sammlers und Redakteurs. Erinnerungen, Berichte aus der Frühzeit der bibliophilen Vereinigungen, Auktionsberichte sowie Charakteristiken und Nachrufe auf Sammler. Ein unbekannter Meister des Feuilletons ist hier zu entdecken." Ich sage beiden Gönnern herzlichen Dank. Meine Freude war spontan und riesig! (3. Juni 2007)


Tut das not?

Seit zirka 1997 lese ich mehr als vorher. Seitdem waren es konstant 150 Bücher im Jahr. Momentan entwickelt sich diese enorme Lesepensum eher zurück, was ich dem zunehmenden Lebensalter, gepaart mir beruflichen und gesundheitlichen Engpässen, anlaste. Aber so 10 Bücher im Monat schaffe ich. Wenn ich das mal auf die noch ausbleibenden Jahre umrechne und annehme, sagen wir bis zum 75. Lebensjahr lesen zu können - das wären noch 35 Jahre - wären das (10 pro Monat ) noch 4.200 Bücher. Diese gilt es auszuwählen, sich einzuteilen. Eine schwierige und trotzdem reizvolle Aufgabe. Und wenn ich meine Regal abschreite, schreien viele Bücher förmlich nach Wiederlektüre, so daß ich mich ernsthaft frage, welche NEUEN Bücher ich denn tatsächlich lesen will, wenn einst für gut befundene schon winken. Dies engt das Spektrum an Neuentdeckungen immens ein. Man fragt sich bei jedem unbekannten Autor, bei jedem ungekanntem Buch: Muß das wirklich sein? Tut das not? (22. August 2006)


Merker und Vergesser

Im Literaturschockforum klagt jemand, er lese zu schnell, er vergesse zu viel, er könne sich Namen und Eigenschaften von Orten und Gegenständen nicht merken. Ich antwortete, weil ich nämlich der gleichen Kategorie von Leser angehöre und die Klagen seit Jahrzehnten kenne. "Es liegt teilweise am Alter, weil man als Jungspund eben schneller liest. Teilweise aber auch daran, daß es Lesertypen gibt, zu denen du und ich gehören, die so gestrickt sind. Es gibt die "Merker" und die "Vergesser". Die Lesegeschwindigkeit variiert bei mir. Wenn ich Jean Paul lese oder, wie momentan, Antonio Lobo Antunes (die Reinkarnation Gottes als Schriftsteller!!), dann bin ich gezwungen, langsamer und sorgsamer zu lesen, immer mal zu wiederholen, laut zu lesen. Die Lesegeschwindigkeit entspricht bei einer so automatisierten Fähigkeit wie dem Lesen deinen Bedürfnissen. Ich bin überzeugt, daß man sich dahin entwickelt, was einem selbst gut tut und bekömmlich ist. Und als "Vergesser" laß dir von den "Merkern" nicht allzu viel Schnickschnack einreden; denn es ist wie bei Früh- und Spätaufsteher sinnlos zu streiten. Es liegt im Typus, der nur bedingt modifiziert werden kann." (1. Juni 2007)


Die bösen Gebrauchtbücher

Dieses Gejammere! (pdf) Der böse Gebrauchtbuchmarkt! Dann sollen sie es eben verbieten. Wenn ein Buch gelesen wurde und weiterverkauft wird, ist das in Ordnung für mich. Vito von Eichborn resümiert: "Nur habe ich, obwohl weder Kulturpessimist noch Branchenhypochonder, zum ersten Mal Sorge um das Schicksal des Buchs." Ich hätte überhaupt kein Problem damit, wenn es keine Buchhändler mehr gäbe. Und wenn ALLE Bücher on Demand gedruckt würden. Dann stimmte nämlich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage und die unnützen Papierberge wären Vergangenheit. Es bringt doch nichts, wenn ich eine Auflage von 3.000 drucke und nur 500 Leser gibt's für das Buch. Und selbst wenn das Buch nur 1mal gedruckt würde und dann unter den 500 herumgereicht würde... Das wäre das Optimum. [Kategorie: Buchmarkt] (31. Mai 2007)


Literaturauswahl immer zögerlicher

Ich bringe mal ein Posting von mir, das ich eben im Thread Kriterien der Literaturauswahl, den ich hiermit vorstellen will, unterbrachte: "Selbstverständlich gibt es bei den bei mir als Autobuy-Autoren gehandelten auch mal Bücher, die man bestenfalls mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nimmt. Die Zahl derer, von denen ich wirklich ALLES lesen will, ist begrenzt. Außerdem entwickle ich erst jetzt mit zunehmendem Alter, d.i. abnehmender Lesezeit, gewisse Skrupel und bedenke länger, wähle zaghafter aus. Die Liste der Autoren, deren Bücher ich blind und stur nacheinander kaufe & lese, wird immer zögerlicher wachsen. Heute schloß ich ein Buch ab, das gewissermaßen eine Ausnahme bildet, weil ich es nur des Inhalts wegen kaufte und auch sonst keine Anregungen dazu, z.B. durch Foren oder Rezensionen, hatte: Edna O'Briens Das einsame Haus und kann mich freuen, daß mich mein Instinkt nicht im Stich gelassen hat; die Lektüre hat sich gelohnt. Ist es Zufall, daß die aktuelle RAF-Thematik genau zu den Fragen paßt, die in dem Buch problematisiert werden. Es gibt keine Zufälle." (22. Mai 2007)


Amazon-Maschinerie

Jetzt bin ich aber baff. Ich höre im Literaturclub gerade die Diskussion über Klaus Hoffers einzigen Roman Bei den Bieresch. Das Buch, den 70ern verhaftet, wird von einer Kritikerin als "verstaubt" bezeichnet. Baff darüber, daß Amazon mir anzeigt "Kunden, die dieses Buch kauften, kauften auch: 'Die alltägliche Physik des Unglücks' von Marisha Pessl; 'Easter Parade' von Richard Yates; 'Tender Bar' von J. R. Moehringer (...)" . Wie machen die das? Stimmt das? Denn in seinem Anspielungsreichtum ist Pessls Buch wohl mit dem Hofferschen vergleichbar. Und als "Buch der 70er" kann es mit "Easter Parade" AUS den 70ern durchaus in Beziehung gesetzt werden. Angesichts dieser sigifikanten Übereinstimmungen frage ich mich, ob hier nicht eine gewaltige Software rattert, die uns Kaufwünsche antrainieren will, oder ob Kunden in realiter diese Werke gekauft haben.


Elke Heidenreich

Im Klassikerforum ein Thread zu Elke Heidenreich, in dem ich mein Statement abgab: Ich gehöre zur Minderheit der Heidenreich-Fans. Ich kenne sie weder als Autorin noch durch ihre Kunstfigur Elke Stratmann. Bekannt wurde sie mir als eben das, was sie heute macht: als Verfechterin des lustvollen, ungehemmten Lesens. Als Bibliomane kann ich gar nicht anders, als respektvoll und geschlagen auf die Knie zu sinken und in stillem, dankbarem Gebet zu verharren. Möglicherweise habe ich eine Affinität zu Schnellrednern. (?) Denn Roger Willemsen finde ich ebenso eloquent wie klug-faszinierend. Der Heidenreich kaufe ich ab, was sie sagt. Ich glaube, sie liebt die Bücher. Und was gibt es Schöneres. Und ich will ja gar nichts anderes, als gesagt bekommen, was ich lesen soll! Kurzes Bekanntmachen mit einem Autor, Stoff usw - den Rest suche und finde ich selber. Ich persönlich brauche die langwierigen Analysen und Interpretationen nicht. So gesehen, bin ich mit Lesen! perfekt bedient. Meine Intuition sagt mir deutlich, welches Buch für mich in Frage kommen könnte. Aber es muß mir erst so präsentiert werden - vor allem Bücher, die ich allein nie oder erst viel zu spät gefunden hätte. Als solche Schnüfflerin erweist Elke Heidenreich sich immer wieder. - Weiterhin schrieb ich als Erwiderung auf einen Forumsbeitrag: Es ist nunmal unbestrittene Tatsache, daß Frauen nicht nur anders lesen, sondern eben auch viel mehr als Männer. Im Schwesterforum zerbricht man sich den Kopf, wie man diesem Manko abhelfen kann. (...) Bedenkt bitte auch, daß es, wenn man über den lesenden Mann redet, vor allem um die Zeit als Erwachsender und Nicht-mehr-Studierender geht!! Klar, ich hatte viele Freunde, die, als sie studierten, ordentlich und Unmengen lasen. Beruf und Familien haben diese Präferenzen allerdings verkümmern lassen. Es gibt natürlich auch Frauen, die dem Buch nicht ganz so nahe stehen. Gestern konnte ich einer Kollegin mit Müh und Not die mit einem Fragezeichen dahinter angetupfte Aussage abringen, daß Hermann Hesse wohl ein Schriftsteller sei. (?) Ich selbst kenne lesende Männer fast nur aus und durch das Internet. In meinem Umfeld dominieren sie als Auto- und Sportfreaks, etwas, bei dem ich dann verstummen muß...


Klassikerkürzungen

Diesen halbherzigen Klassikerraffungen gegenüber, wie sie im Klassikerforum thematisiert werden, bin ich eher skeptisch, muß jedoch gestehen, daß ich im Gegesatz zu vielen anderen die Idee, die GetAbstract verfolgt, als verständlich ansehen. Man kann nicht alles lesen. Warum also nicht sein Spektrum auf diese Weise erweitern? Wir nehmen doch alles, was wir kriegen können. Da man bei der Lektüre eben wegen der Zeitfrage ständig Entscheidungen treffen muß, die zuungunsten der meisten Bücher dieser Welt ausfallen, kann man dieses Manko doch wenigstens mit GetAbstract lindern. Es ist in meinen Augen eine Krücke und keine Katastrophe. Im DLR fand sich eine Hörerdebatte: Dürfen Klassiker gekürzt werden? Dazu auch ein anderer Beitrag. (25. April 2007)


Die Kunst des Überspringens

W. Somerset Maugham schreibt in Books and You. Eine kleine persönliche Geschichte der Weltliteratur: "Der Wandel des Geschmacks führt dazu, daß selbst große Werke in Teilen langweilig wirken. Wir wollen uns weder mit den moralischen Abhandlungen, die das achtzehnte Jahrhundert so schätzte, noch mit den ausführlichen Naturbeschreibungen abmühen müssen, die im neunzehnten Jahrhundert so beliebt waren. .... Wer die Kunst des Überspringens beherrscht, dem gelingt es auch mit Gewinn und Vergnügen zu lesen, aber wie man das lernt, kann ich Ihnen nicht sagen, da ich mir diese Fähigkeit nie angeeignet habe." Daran anknüpfend entwickelt sich die Diskussion Kunst des Überspringens im Klassikerforum, in der ich mich wie folgt äußerte: "Ich bekenne mich zum Auslassen und Überspringen. Normalerweise schiebe ich als Zwischenstufe das laute Lesen ein. Wenn das nichts bringt und ich die Gefahr sehe, mit und im Buch nicht weiter zu kommen, überspringe ich. Schließlich gehört dies zu den zehn unantastbaren Rechte des Lesers. Kandidaten dafür sind beispielsweise Gedichte bzw. Lieder innerhalb von Prosa oder Dinge, die ich schon kenne. Beispielsweise las ich letzens eine Anthologie über den Tod, wo ich mehrere Beiträge querlesen oder auslassen mußte. Die Rede des toten Christus (Jean Paul) war bekannt, einige philosophische Einstreuungen waren mir zu unverständlich und langweilig, so daß ich sie eben kappte. Ich finde, es gibt genug Bücher auf der Welt. Langweiliges oder Unerträgliches wegzulassen ist ein probates Mittel. Manchmal ist es so, daß ich mir, wenn ich das Buch beendet habe, die betreffenden Stellen nochmals vorknöpfe und dann sogar bewältige." Über das Bücher-Zappen schrieb Thomas Böhm letztens im BuchMarkt. (22. März 2007)


Alberto Manguel

Das Tagebuch eines Lesers von Alberto Manguel hätte fantastisch als Literaturblog funktioniert; jedenfalls hatte ich beim Lesen den Eindruck, es wäre eins bzw. SO müßte ich neben meiner Lektüre bloggen. Jeden Monat griff er sich ein Buch und notierte so peu a peu seine Gedanken und Assoziationen. Nebenher manche Nachrichten aus Zeitung und Radio - damals 9/11 und später der Einmarsch in den Irak. Eine Menge Zitate aus Büchern oder von berühmten Leuten, wie ich sie hier in Lesefieber bringe. War sehr spannend zu lesen; diverse Anregungen für künftige Lektüre nehme ich aus diesem Tagebuch mit, das nicht selten mit bibliomanen Einsprengseln aufwartet. (4. März 2007)


Bücher aussortieren

Jedem Büchermenschen bleibt sie irgendwann nicht erspart, die Situation, in der er sich genötigt fühlt, Bücher auszusortieren. Bei Rainer Moritz dürfen sie alle bleiben. Dies setzt aber ein entsprechend großzügige Raumkapazität voraus. Und alle gestandenen Bibliomanen kriechen bei einem solchen Thema wie "ständig wachsende Hausbibliotheken" wortwillig aus ihren Löchern. Bei mir liegt der Zeitpunkt, an dem mein Platz für neue Bücher erschöpft sein wird, noch in weiter Ferne. Dementsprechend relaxed rezipiere ich die Äußerungen und Erfahrungen mit dem Aussortieren von Büchern. Vernünftig wäre es natürlich, nur diejenigen Werke im Regal zu behalten, die man wenigstens noch einmal zu lesen beabsichtigt. In diese Richtung zielend, sortiere ich in großen Abständen zumindest einige Bücher aus, von denen ich mir sicher bin, daß ich sie nie mehr lesen werde. Nicht unbedingt, weil sie so schlecht wären, sondern weil ihnen all jene entgegenstehen, die noch dringlicher wären. Ich werde mich schwer hüten, eine Liste mit den Büchern zu veröffentlichen, welche ich bereits aus meinen Regalen verbannte, zumal sie so aus meinem Gedächtnis verschwunden sind, daß sie keine Gewissensbisse mehr erzeugen können. Platz ist noch für viele Jahre. Ganz, ganz fern der Moment des Ernstes, wenn man mit gramgebeugtem Haupt Entscheidungen zu treffen hat. Hermann Hesse kannte und beschrieb ihn mehrere Male. Staunen kann ich über diejenigen, die anscheinend leichtherzig Bücher veräußern, welche sie gelesen haben. Gekauft, gelesen, und, zack, wieder bei Booklooker oder Amazon verkauft oder bei einer Tauschbörse gegen ein ungelesenes gewechselt. Manche Bücher, die ich möglicherweise jedoch nie mehr lesen werde, will ich trotzdem behalten, z.B. weil ich einen Autor besonders schätze und sein Ouevre möglichst komplett um mich wissen will. Und auf meine Bibliomanika würde ich nie und nimmer verzichten; dann schon lieber hungern! Da geht's schon los. Ich ahne, wie schwer es werden wird, dieses Selektion, wenn sie denn einst von mir erfordert wird. Möge jener dunkle Tag noch in unerreichbaren Fernen liegen!


Bücher und Geiz

Ich kaufe (und ergo lese) Bücher ja erst dann, wenn sie erschwinglich geworden sind. Das bedeutet, daß ich bei Neuerscheinungen meist Jahre warten muß. Den Punkt des Kaufens kann ich genau definieren: 5 Euro (inklusive Versandkosten). Ausnahmen bilden Sondersammelgebiete, allem voran die Bibliomanika. Aus diesem beschränkenden Grund heraus sammeln sich Titel an, auf die ich scharf bin, die ich genauestens beobachte, um, sobald die Preis-Marke erreicht ist, zuzuschlagen. In seltenen Fällen überschreite ich sie (leicht). Der Grund der Beschränkung liegt selbstverständlich in meinem Geiz, welcher in Büchersachen gleichzeitig eine läuternde Funktion ausübt, indem ich schlußendlich - nach vielen Jahren - nur die Bücher zu Gesicht bekomme, die durch den Warteprozeß einen gewissen "Reifengrad" erreicht haben. Nur so erklärt sich, daß meine Lektüre so wenige "Versager", so wenige Lowlights enthält. Die 5-Euro- Grenze dient also der qualitativen Läuterung und der pekuniären Eingrenzung. Dieses Geständnis meiner Büchermacke erklärt sofort, warum mir die Büchermesse so gar nichts sagt - weil sie mir nichts geben kann, sondern mich unsinnigerweise aufheizen würde. Einige Titel, auf die ich rattenscharf bin, sind:

Hein, Jakob: Herr Jensen steigt aus
Kristof, Agota: Die Analphabetin
Niffenegger, Audrey: Die Frau des Zeitreisenden
Powers, Richard: Der Klang der Zeit
Stanisic: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Townsend, Sue: Downing Street No.10
Zypkin, Leonid: Sommer in Baden-Baden
Mwangi, Meja: Happy Valley


Planet der Habenichtse

Ich lese ja nun äußerst selten SF-Literatur. Durch das Jokers-Blog stieß ich auf Planet der Habenichtse von Ursula K. LeGuin, das vor immerhin schon 31 Jahren erstmalig in Deutschland erschien, ein stolzes Alter für ein Buch dieses Genres, was ihm, sollte es heutzutage, was offensichtlich der Fall ist, noch Leser finden, quasi Klassikerstatus gewährt. Es wandert auf meine Wunsch+Kaufliste. Interessant fand ich die Diskussion im LSF Wieviel 'Science' benötigt diese 'Fiction'? (15. Februar 2007)


Der Thomas-Bernhard-Effekt

Zu den Syndromen und Effekten, wie sie mit einem Augenzwinkern im LSF gesammelt werden, steuere ich den Bernhard-Effekt bei. Sobald ich wieder Thomas Bernhard lese, überkommt mich die wilde Lust, mit Superlativen um mich zu schmeißen und unflätig mein Herkunftsland zu beschimpfen.


Das gebrauchte Buch

Daß das Internet den Handel mit gebrauchten Büchern zu einer richtigen Blüte gebracht hat, besorgt Verleger und Buchhandel. Ich finde es dagegen klasse. In meiner Einfalt sage ich mir, daß jedes Buch, das mehrere Besitzer findet, seinem Verwendungszeck näher kommt als eines, das ungelesen im Regal verkümmert. Wenn es ein Gebrauchtbuchmarkt gibt, dann gibt es einen Bedarf; da hilft auch keine Meckerei. Druckt weniger Bücher! Haut nicht alljährlich 80.000 neue Bücher heraus! Natürlich ist die Unterwanderung der Buchpreisbindung bedenklich. Wenn verlagsfrische Bücher wenige Woche später deutlich unter dem Verkaufswert bei Amazon & Co angeboten werden, machen sich die Verlage zu Recht Sorgen. Ich frage mich, wer damit ein Geschäft macht und wie es funktioniert? Aber prinzipiell ist das Internet als gigantische Gebrauchtbuchbörse MEIN Himmel auf Erden. Mit Erschrecken stelle ich oft fest, daß ich die Mehrzahl der Bücher, die ich lese, nie im örtlichen Antiquariat gefunden hätte, das den Vergleich mit den Möglichkeiten einer Suchmaschine wie Eurobuch überhaupt nie standhalten kann. Die verstaubten Ladenhüter, die man bei regelmäßigem Besuch dieser, vom Atmosphärischen her gesehen, zugegebenermaßen anheimelnden Bücherstätten antrifft, haben nichts zu tun mit der Synergie von zigmillionen Buchangeboten, die eine Datenbank im Internet auf Knopfdruck bereit stellt. [Kategorie: Buchmarkt] (15. Februar 2007)


Warte auf die Karte

Ich habe mich heute so aufgeregt, daß ich in Lesefieber gleich weiterschreiben muß. Gestern fischte ich eine Abholkarte für zwei Bücherpäckchen aus dem Briefkasten und wunderte mich heute beim Abholen auf der Paketstelle, daß deren Format locker ausgereicht hätte, um eingeworfen zu werden. Bei der Nachfrage beim Servicepersonal bekam ich die Antwort, das würde nun von den meisten Zustellern so gehandhabt, weil sich Reklamationen und Beschwerden gehäuft hätten. Die Aussicht, wegen jeder popeligen Büchersendung fürderhin auf die Poststelle zu müssen, läßt mich in Rage geraten. Wie nur soll man dieses Problem der vermaleideten Zustellung lösen?


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