Bibliomane Plaudereien (3) [<<] / [>>]

Jeremiaden eines bücherlesenden Krankenpflegers



Das klassische Lesegehirn

Super Text über lineares (Buch) und nichtlineares Lesen (Internet). Die erwähnte Forscherin Maryanne Wolf gab der FAZ vor Jahren ein Interview mit sehr ähnlichen Aussagen. Ich erkenne dabei MEINE Problematik, zunehmend unfähig zu sein, mich längere Zeit aufs Lesen zu konzentrieren. Kurzum, das Internet versaut das klassische Lesegehirn. Die Befürchtungen, das herkömmliche Lesen wäre ein Auslaufmodell, wurden bereits vor 23 Jahren, also in Vor-Internet-Zeiten, geäußert. Maryanne Wolf zwingt sich zum langsamen Lesen. Sie habe mehrere Wochen gebraucht, bis sie wieder zum "normalen" Lesen zurückgefunden hat. Das mäandernde bzw. informationelle Lesen, wie wir es durch den Umgang mit dem Internet praktizieren, ist zwar nicht wegzudenken, weil wir es im modernen Leben benötigen. Aber das reflektierende Lesen (deep reading) leide bzw. werde verunmöglicht, so daß es persönlicher Anstrengung bedarf, es sich zurückzuerobern. Sich zum langsamen Lesen zwingen! Sobald man gemerkt hat, daß sich die Aufmerksamkeit verflüchtigt, den Passus nochmals lesen. Und nochmals. Und überhaupt mehr und immer wieder wiederlesen. Im Sharping-Modus: laaaangsaaam. Sich den Reizen nicht aussetzen, die die Konzentration beeinträchtigen. Den PC während des Lesens auszulassen wäre optimal; doch wer bringt so viel Mut auf? - Die Vorstellung, stundenlang im Sessel zu sitzen, vollkommen in ein Buch versunken, ist eine liebliche und wünschenswerte bibliomane Attitüde, allerdings eine utopische, zumal mit zunehmendem Alter auch biologische Bremsklötzer hinzukommen. Wahrscheinlich ist meine Scheu angesichts einiger literarischer Ziegelsteine a la Proust oder Jean Paul die intuitiv erfaßte Wahrheit, daß der Zug für mich abgefahren ist und ich hier unsäglich versagen müßte.


Reclam

Elizabeth Gaskell war noch nie auf meinem Schirm. Bis sie im Klassikerforum zur Sprache kam. Nur doof, daß so wenig von ihr in deutschen Verlagen erschien. Bei der Suche bemerkte ich, daß 1983 beim Leipziger Reclam-Verlag der Roman Cranford erschienen war. Bei Reclambüchern ist es am ratsamsten, örtliche Antiquariate aufzusuchen, in denen sie zu Hauf vorrätig sein dürften und ich mir Portokosten sparen kann. Seit Jahren besuche ich nur sehr, sehr sporadisch Antiquariate vor Ort, eben weil mich Booklooker & Co online so glücklich machen. Als ich heute in der Leipziger Ritterstraße vorbeischaute, wo gleich vier Antiquariate ihre Zelte aufgeschlagen haben, suchte ich zuerst im Leipziger Antiquariat nach jenem Reclambuch und - fand nix. Kein einziges Buch der legendären Reclam-Leipzig-Reihe mehr, über deren meterlange Reihen man früher in jedem Antiquariat gestolpert war. Die Verkäuferin wußte auf meine Nachfrage hin sofort, welches Buch ich suche. "Gaskell? Bestimmt Cranford." Nur seien alle "Reclams" im Lager. Versteckt, verbunkert, weg. Ich mußte also bestellen, und darf das Buch morgen Nachmittag - nicht vor 16 Uhr! - im Ladengeschäft abholen. (11. März 2014)


Leseblockade

Bei meinem minimalistischen Leben bildete die Lektüre von Belletristik bislang das Zentrum meiner intellektuellen Grundversorgung. Seit Oktober lese ich nicht mehr. Der Auslöser war der Tod meiner Mutter, der mich in ein Tief katapultierte, von dem ich dachte, es könne gar nicht existieren, weil mir der vorherige Zustand bereits als lebenstechnischer Kältepol erschien. Seitdem beschäftige ich mich in der knappen Freizeit, die nicht von dem übergroßen Schlafbedürfnis und der verzehrenden Tätigkeit eines Krankenpfleger im Dauernachtdienst aufgefressen wird, alleinig mit demn Ansehen von TV-Serien, gegen die ich eigentlich nichts sagen will, weil ich sie wertschätze. Nur eben zerschreddern sie mir die sehr bescheidene Ressource Zeit. Einzig das Radio, speziell der Deutschlandfunk, blieb als Medium zur Auseinandersetzung mit Dingen außerhalb meiner Ich-Blase. Seit 2 Wochen nun kaufe ich die Wochenzeitung 'Die Zeit' und kann nicht verstehen, warum ich nicht viel eher diesen Schritt vollzog, um mir geistige Nahrung zuzuführen. Ich habe sie komplett durchgelesen und verlange schon nach der nächste Ausgabe. Mir geht es sehr gut dabei. Peu a Peu entwickle ich wieder Lust und Verlangen nach anderen Dingen, nach Beschäftigung abseits meiner Arbeitswelt, nach Einmischung in die Belange der Gesellschaft und Welt, in der ich lebe. Und vielleicht und hoffentlich erwacht meine alte, bislang als unverwüstlich angesehene Liebe zur Literatur zu neuem Leben. Die Leseblockade von nunmehr bereits vier Monaten hat mich in eine Situation befördert, in der ich mich außen vor fühle, in der ich glaube, den Anschluß verloren zu haben. Keine Ahnung, was literarisch derzeit en vogue ist, wo ich anknüpfen könnte. Ich komme mir seltsam abgeschnitten vor und spüre den Verlust der Intuition, derer ich mir immer sicher sein konnte. Fast als Lese-Analphabet komme ich mir vor. Wie könnte, sollte, müßte ich den Wiederanschluß an ein gelungenes Leseleben reorganisieren? Ein Weg wäre die Wiederlektüre besonders gemochter Bücher, ein weiterer das blinde Zugreifen in der Buchhandlung oder Bibliothek mit dem Vertrauen auf das wiedererwachte Funktionieren bzw. das Anspringen der Intuition bei der Auswahl des Lesestoffes. Langfristig freilich sollte ich mir um die Gestaltung der Rahmenbedingungen meines Lebens Gedanken machen. Denn meine Arbeit frißt meine Kräfte schneller auf, als ich sie wiederherstellen kann. Und im Alltag bleiben mir pro Tag nur je zwei frei verfügbare Stunden für die Lektüre. Wenn denn die Willenskraft dafür reicht und ich nicht wieder vor dem Bildschirm lande. (24. Februar 2014)


Der Buchhandelsstreit (2)

Der "Buchhandelsstreit" geht in die nächste Runde und ich habe wieder kommentiert. "Möglicherweise liegen die ausufernden, voller Selbstmitleid triefenden Wunschforderungen irregeleiteten Nostalgiker an der Tatsache, das der inhabergeführte Buchhandel der einzige noch in der breite existierende Einzelhandel bis in kleinste Städte ist?" -- Ich begreife überhaupt nicht, wieso es den stationären Buchhandel noch gibt. Wenn ich an die alten Zeiten zurückdenke, bedeutet das nicht, daß ich sie mir zurück wünsche. Die Nostalgie ist wie das Erinnern an die Kindheit mit dem Wissen verbunden, daß die Zeiten sich geändert haben. Ich lese inzwischen zu 80% E-Books mit meinem Kindle. Ich brauche keinen Buchhandel. Ich habe eine Vorstellung davon, was ich brauche, filigrane Buchwunschlisten, die so gigantisch sind, daß ein Gang in eine Buchhandlung mich nur schneller dem Wahnsinn verfallen lassen würde. Durch Literaturforen, Literatursendungen, vor allem aber seit 1999 durch Perlentaucher und seit vielen Jahren durch Hinweise innerhalb des Web 2.0 bin ich bestens versorgt. Ich habe seit 13 Jahren kein neues Buch mehr gekauft. Ich beziehe meine Bücher zu 100% durch Booklooker. Wenn Sie, die Buchhändler, immer schon durch die Masse verdient haben, ist doch alles in bester Ordnung. Ich sehe eigentlich keinen Diskussionsbedraf mehr, weil ich nicht verstehe, wer sich nun eigentlich was wünscht. (22. August 2013)


Der Buchhandelsstreit (1)

Mein Kommentar auf das Posting Warum ich nicht mehr in Buchhandlungen gehe des Schriftstellers Norbert W. Schlinkert: Geradezu unheimlich, wie paßgenau der Artikel meine Erfahrungen und Vorgehensweisen abdeckt bzw. wiedergibt! Als Jugendlicher in der DDR war ich mehrmals wöchentlich auf Perlensuche in den Buchhandlungen und freute mich, wenn zwischen den Myriaden an omnipresenter sowjetischer Literatur auch einmal etwas anderes gab. Und das kam durchaus vor. Gerade die Taschenbuchreihen "Taschenbuch der Weltliteratur", "spektrum" (Volk Welt), "bb" (Aufbau) und vor allem die Reclam-Leipzig- Taschenbücher förderten Neues zutage, von dem mir nicht selten erst heute klar wird, was damals schon zu haben war. Gleich nach der Wende verpulverte ich zweimal meine 100.- DM Begrüßungengeld in dem umwerfenden Buchladen von Kiepert am Berliner Ernst- Reuter-Platz. Dann kam ich nach Leipzig zurück und stieß nie auf eine so erhebende Präsenz von (Taschen)Büchern, wobei anfangs noch einige durchaus lobenswerte Buchhandlungen existierten. Spätestens als eine 200 Jahre alte Buchhandlungen der Mädlerpassage schließen mußte (Hinrichs?), ging die Ladenkultur den Bach herunter. Ich wandte mich den Antiquariaten zu und lebte damit einige gute Jahre. Als langjähriger Leser (kürzlich bezeichnete mich jemand als Lesemaschine) stößt man irgendwann an Grenzen, wenn es nämlich gilt, der Titel seiner Autoren habhaft zu werden, die nicht als die übglichen Verdächtigen gelten, die also schwerer zu bekommen sind und beim örtlichen Antiquar oft in vielen Jahren nicht. Das Internet zeigte dann, was es kann. Und somit bin ich seit 15 Jahren für den örtlichen Handel mit Büchern einfach verloren. (21. August 2013)


Ein unlösbares Dilemma

Wieder im Literaturschockforum: (1) "Ein Dilemma. Ich erkenne, daß ich nur gut lesen kann, wenn der PC ausgeschaltet ist. Aber wenn er das ist, kann ich nichts mehr ins Netz stellen (Notizen, Blogs, Twitter). Ich muß mich also entscheiden. Außerdem laufen bei ausgeschaltetem PC keine Downloads usw. Aber JEDER Versuch, den PC angeschaltet zu lassen und dann aber nichts darüber hinaus an ihm zu tun als eben die Verwaltung von Downloads und wenige andere Dinge, SCHEITERN IMMER. Es gibt keine Alternative. Um gut lesen zu können, muß er aus sein. Punkt." -- (2) "Ja, aber mir fällt es superschwer, das auf die Reihe zu kriegen. Ich bin der Typ, der gerne alle teilen und mitteilen muß. Darauf zu verzichten, ist ein Widerstand, den ich sehr schwer brechen kann. Seit 1995 macht es mir Spaß, im Internet meine Funde, Ideen und Informationen zu präsentieren und unter die Leute zu bringen. Das geht, wenn ich offline bin, aber nicht. Und so hadere ich mit mir über einen Kompromiß, den es aber nicht gibt. Um lesen zu können, muss der PC aus sein. Fertig und aus. Darunter leide ich jeden Tag!" -- (3) "Mein absolutes Herzensanliegen sind diese Zitate, die ich FAB nenne (Fundstücke aus Büchern). Rezensionen und Bucheinschätzungen liegen mir nicht, ich kann das nicht. Neben dem Literarischen widme ich aber viel mehr anderen Dingen, die ich immer sofort mitteilen MUSS. Anderfalls gehen sie verloren. Ich habe das alles durchgetestet. Ich bin von Ideen, Einfällen und Gedankensprüngen durchdrungen. Die Erfindung des Web 2.0. ist eigentlich das Beste, was mir passieren konnte, weil es mit meinen genialen Fähigkeiten korrespondiert. Nur eben nicht mit dem Lesen. Dazu muss der PC aus sein. Dieses Dilemma werde ich nicht lösen können. Und muss entweder aufhören mit Lesen oder mich erschießen." -- (4) "Das Gefühl, daß es sonst verloren gehen würde, basiert auf der Tatsache, daß es sonst verloren ginge. Es gibt diese Informations- und Verbreitungstypen, von denen ich einer bin. Leider hat mir der Schöpfer die unsägliche Lust zu lesen mitgegeben, was mich veranlaßt, zu glauben, daß er sadistisch sein muß. Wenn mir jemand das bezahlen würde, könnte ich nur leben, um Dinge zu sammeln. Bibliomanie. 24 Stunden lang. Und anderes. Da es mir aber niemand bezahlt, bin ich gezwungen, den Zwang des Sammelns mit dem Zwang zu lesen zu vereinbaren, was sehr, sehr schlecht möglich ist. Deswegen leide ich seit 20 Jahren." (30. Mai 2013)


Unerwartete Blockade

Im LSF eben geschrieben: Ich hatte gestern einen Schockmoment, als ich Agajews "Roman mit Kokain" zu lesen versuchte und nach 20 Prozent und mehrere Anläufen aufgeben mußte. Das Buch gilt als Wiederentdeckung und Perle der russischen Literatur, so daß es mich wurmt, so kläglich versagt zu haben. Aber mich brachte die exaltierte Sprache in Rage; ich spürte innerlich einen enormen Widerstand gegen das Buch und konnte ihn nicht überwinden. Danach begann ich Roald Dahls "Küßchen Küßchen" und landete den nächsten Fauxpas. Nach diesen zwei Erlebnissen, die meinen Lesefluß, der mich in den letzten Wochen doch stolz werden ließ, abrupt unterbrachen, haderte ich mit mir und der Welt. Überhaupt verlor ich , wie mir scheint, durch die Konzentration auf E-Books, die quasi auf einem unsichtbaren eSUB liegen, was einmal separat diskutiert werden sollte, ziemlich die Orientierung über meinen Lese/Buchwünsche, über Prioritäten Dringlichkeiten, las seit langem keine meiner so genannten Jahresautoren mehr, weil sie als E-Book nicht auftreibbar gewesen sind... Und so wird ein durchtrieber Bibliomane eben auch in die Pfanne gehauen und blockiert sich selbst. (29. Mai 2013)


Konzentration & Aufmerksamkeit

Aufgrund meiner Inkonsequenz, bei der Stange zu bleiben, geriet und gerät mir Lektüre immer wieder und immer öfter durch die ständigen Unterbrechungen zu einem Stückwerk. Das zerstört die Konzentration, den Lesefluß und letztlich gar die Lust am jeweiligen Buch. Man dringt nicht mehr in es hinein, sondern die Aufmerksamkeit schwappt an der Oberfläche entlang und empfindet selbst Bücher, die es verdient hätten, als weniger oder nicht mehr lesenwert, die bei einer anderen Herangehensweise weit besser eingestuft worden wären. Die Ablenkungen durch Internet und andere Verrichtungen, denen man bei eingeschaltetem PC auf den Leim geht, beeinträchtigen das Lesen folglich in zweifacher Weise: sowohl quantitativ als auch qualitativ. Regelmäßig nahm ich mir vor, nurmehr bei ausgeschaltetem Computer zu lesen; jedoch unterschätze ich die Macht der Gewohnheit und schalte morgens die Kiste ein. Der Drang, andauernd etwas nachzusehen, den Timelines bei Twitter und Facebook zu folgen, mit Freunden Messages auszutauschen, Beiträge aus den Mediatheken auf- und alle paar Minuten Mails abzurufen, Funseiten zur Auflockerungen zu besuchen, Downloads zu verwalten - undsoweiter, undsofort - dieser Drang wuchs mit den Jahren und schuf eine Situation, in der ungestörte Lektüre nahezu unmöglich geworden ist, weswegen der Impuls, dies zu verändern, lebendig blieb und, je länger man ihm nicht nachgibt, desto bedrohlicher wirkt; die Zufriedenheit ist lange schon im Eimer. Überlegungen hin und her, ich MUSS es eben tun und schaffen, in Ruhe zu lesen und den PC währenddessen in den Ruhezustand zu verabschieden. Zwei Runden von je 1 Stunden an diesem Vormittag zeigten eindrücklich, wie befriedigend die Lektüre und Konzentration dann anspringt und wie anders geartet der Text empfunden wird, wenn man sich auf ihn und nur auf ihn beschränkt. (27. Mai 2013)


Lektüreschwierigkeiten

Ich hatte vorgestern Fattaneh Haj Seyed Javadis "Der Morgen der Trunkenheit" angefangen, dann beiseite gelegt, weil ich eine merkwürdige Unlust verspürte, mich durch 400 Seiten dieser orientalischen Geschichte durchzuhangeln. Daraufhin begann ich gestern Darcy Ribeiros Mulo und ertrug nach 100 Seiten das Gejammere nicht mehr. Ein aus armen Verhältnissen kommender brasilianischer Großgrundbesitzer beschuldigt sich vieler Untaten und beichtet einem potenziellen Geistlichen nach seinem antizipierten Tod. Ich kam einfach nicht in das Buch hinein. Die redundanten Reflektionen gehen einem bald auf den Keks. Es passiert wenig. Abends legte ich das Buch beiseite. Jetzt hatte ich zwei angefangene Bücher und guter Rat war teuer. Durch den Infekt bin ich eh neben der Spur. Um Mitternacht, nachdem ich gestern von 18.30 Uhr an mehr als 5 Stunden geschlafen hatte, griff ich für einen weiteren Versuch zu "Der Morgen der Trunkenheit", las zwei Stunden lang bis Seite 100, so daß ich heute Morgen nun beide Bücher angelesen beim Stand von 100 Seiten hatte. Bei gleicher Ausgangsposition - 100 Seiten geschafft und noch 300 vor mir - entschied ich mich für die im Iran spielende Liebesgeschichte "Der Morgen der Trunkenheit". Von den äußeren Bedingungen her fühlt man sich an Nagib Machfus' Kairo-Trilogie erinnert. -- Ich werde über den Ausgang dieses Zwists zwischen zwei dicken Büchern berichten.


Bücher nicht abbrechen

Erfahrene Leser spüren, woran es liegt, wenn man mit einem Buch nicht richtig warm wird. Bei schlechten Büchern, keine Frage, weg damit! Aber bei guten Büchern kann der Zeitpunkt falsch sein oder man selbst gerade indisponiert. Oder, oder. Nach den ersten 100 Seiten von Laszlo Nemeths "Abscheu" wollte ich das Handtuch werfen. Ich erkannte zwar, daß es ein literarisch ansprechendes Buch sein muß, wie die Beschreibungen es ausweisen; jedoch langweilte ich mich furchtbar. Weil mein SUB, wie ich an anderer Stelle klagte, mir wie ein Stein im Magen liegt, war der Impuls, es wegzutun, beinahe übermächtig. Ich mahnte mir Geduld an, biß die Zähne zusammen und las weitere 60 langweilige Seiten bis gestern Nachmittag. Eine weitere Zäsur. Und das Buch schon beinahe wieder in der Mülltonne. Nach einer Pause abends erneut weitergelesen. Und, zack, bin ich drin. Bei Seite 160 von 540. Und merke jetzt nach weiteren 140 Seiten, welch Verlust es gewesen wäre, hätte ich aufgegeben. Ich vertraute meiner Intuition, die, entgegen anfänglichen Widerstandes, einen Lesegewinn witterte und werde nicht betrogen. Also, Leute, Geduld lohnt sich manchmal! (1. Dezember 2012)


Bei Lehmanns

Seit Jahren war ich kaum noch in Buchhandlungen. Dank Internet fühlte ich mich ausreichend angeregt und mit Informationen versorgt, was nächste Bücher anbelangt. Das Gefühl, ein nagelneues Buch in der Hand zu halten, ist somit verblaßt. Ich dachte, das hätte ich hinter mir, das hätte ich nicht mehr nötig. Selbst Antiquariate frequentierte ich kaum noch, höchstens 3 bis 4 Mal im Jahr. Durch Onlineverkaufsplattformen wie Booklooker und Amazon Marketplace bin ich seit einer Dekade gut versorgt. Aus reinem Übermut ging ich in den letzten Tagen zu Hugendubel und heute zu Lehmanns. Nahm Neuerscheinungen zur Hand, las Klappentexte, die erste Seite an, ließ Bücher auf mich wirken. Und es fühlt sich klasse an! Warum ich mich von Buchhandlungen fern gehalten habe? Aus zwei Gründen. Zum einen scheue ich den Input. Noch mehr Bücher bedeutet: noch mehr Bücherwünsche, eine wachsende Liste. Zum anderen bestand meiner Meinung nach kein Bedarf; denn wenn ich mit den erprobten Mitteln eine ordentliche Wunsch- und Kaufliste zuwege bringe - wozu dann noch einen weiteren Kanal? Außerdem kaufe ich Bücher bekanntlich antiquarisch, so daß eine Buchhandlung, so meinte ich, der denkbar falsche Ort sei. Was hat sich jetzt geändert? Nicht die Tatsache, nun spontan neue Bücher zu kaufen. Aber der Buchladen als Inspirationsquelle erschließt sich mir neu. Ich nehme unbekannte Namen wahr, neu auf den Markt gekommene Bücher bereits arrivierter Autoren, die ich schätze, ich lasse mich treiben und entdecke Bücher, die ich eben rein durch mein virtuelles Vorgehen nicht gefunden hätte. Heute schaute ich bei Lehmanns vorbei, wo ich ganz selten bin. Im dritten Stock, wo ich ursprünglich nach Sachbüchern zur Kultur- und Zeitgeschichte suchen wollte, entdeckte ich einen Grabbeltisch. Und wühlte. Und fand schließlich ein Buch, welches zu kaufen mir nicht unliebt vorkam. Dann sah ich das Schild "1 Buch = 2,99 € - 2 Bücher = 4,99 €". Was heißt, daß, wenn ich ein weiteres Buch fände, der Preis für das einzelne Buch um 50 ct sänke. Welchem Geizhals sagt man so etwas vergeblich? Wühlte ich als weitere 15 Minuten, während ich ohne Wahrnehmung des Schildes vermutlich bereits zuhause am heimischen Kamin gesessen hätte. Als Ausbeute zwei Bücher. Nachdem ich Hüftkreisen mit Nancy von Stefan Schwarz beiseite getan hatte, weil ich ihn tags zuvor beim Anlesen von Das wird ein bisschen wehtun als humoristischen "Zwischendurchautor" erfaßt hatte, dauerte es eben länger, bis ich Rabbit, eine Rückkehr sah, bei dem mir nicht klar war, welcher Teil der Rabbit-Pentalogie das jetzt war. Ein beistehender PC versprach kostenloses Sufen, was mich anheischig machte, mal rasch zu goooglen, wodurch ich das Ergebnis in Kürze gefunden hätte. Dieser Kunden-PC gab keinen Ton von sich. Ein Verkäufer war wesentlich analoger und diesmal schlauer, indem er nämlich einfach in den Klappentext guckte und las: "Mit diesem fünften Roman ist Rabbit der Unsterblichkeit nochmal ein Stück näher gerückt." Nicht immer ist Internet die schnellere Lösung. Und ich hatte mein zweites Buch, bezahlte € 5.- an der Kassen und entschwand in Richtung heimatlichen Kamin, den niemand nachzuprüfen gewillt sein wird, wenn draußen 25 Grad Celsius zu verzeichnen waren. (11. Mai 2012)


Zeiten zum Lesen

Spätdienste sind die lektürefeindlichsten Dienste. Oft nur maximal 2 Stunden Zeit zum Lesen, während es an Früh- und Nachtdiensttagen zwischen 3 und 4 Stunden sein können. Das liegt zum einen daran, daß ich NACH dem Dienst (ab 23.30 Uhr) nicht mehr lesen kann, sondern mich Serien oder Filmen zuwende, dann spät ins Bett gehe, spät aufstehe und häufig erst 10.30 Uhr zu lesen anfangen kann, um 12 Uhr mittags das Haus verlassen muß und 12 Stunden aushäusig bin. Die Lektüre unterwegs ist nicht so bemessen, daß sie dem Pensum entscheidende Vorteile verschaffen kann. Wenn alles optimal verläuft: 40 Seiten - 20 auf der Hin-, 20 auf der Rückfahrt. Insofern die Anschlüsse klappen, der Einkauf, den ich täglich absolviere, ohne Hindernisse verläuft, habe ich vor dem Dienst noch einen Zeitpuffer von 30 Minuten, den ich im Krankenhaus im "Raum der Stille" mit Lektüre verbringe. Aber diese 'ganz guten' Tage gibt es nicht sehr oft. An Frühdiensttagen sieht es wie folgt aus: Nach dem Heimkommen zirka 16 Uhr ein Schlaf bis 18 Uhr, dann relativ homogene Lektüre bis 21 oder 22 Uhr. An den Nachtdiensttagen schlafe ich bis 13 oder 14 Uhr. Danach etwas disparate Lektüre bis 18 Uhr. Zwischen 18 und 20 Uhr meistens nochmals eine Schlafphase. Nur lasse ich mich in der eigentlichen Lesezeit durch den angeschalteten PC zu sehr ablenken, so daß die "reine Lesezeit" deutlich weniger als 4 Stunden beträgt. Freie Tage sind schwer einzuschätzen. Nach dem Aufstehen in einem sehr variierenden Zeitraum (zwischen 6 und 10 Uhr) sitze ich am Computer und lese Facebook, Twitter, News, E-Mails, mache Instant Messaging, besuche Fun-Seiten; kurzum: verplempere gemeinhin meine Zeit - hier können schon 3 bis 4 Stunden ins Land gehen. Dann werde ich müde und schlafe 2 Stunden, danach Einkauf. Und dann, erst dann beginnt an freien Tage die eigentliche Lesezeit. Nachmittags bis in den Abend hinein, bis ich mich dann ab 20 Uhr den Serien zuwende oder erneuten Internetmauscheleien. Während des Schreibens wird eines klar: Ich darf Spätdienst- und freien Tagen den PC, nachdem ich aufgestanden bin, nicht einschalten, sondern müßte und sollte mir eine Sperrfrist für die Lektüre setzen, sagen wir, 2 Stunden.


Barrieren und Erinnerungen

Indem ich während der vergangenen Tage vermehrt in Literaturforen schrieb, die ich lange links liegen ließ, kamen einige Notate zustande, die ich innerhalb der Plaudereien aufgehoben wissen will. Ich reihe sie lose aneinander und markiere sie mit Anführungszeichen & Bindestrichen. "Im Prinzip habe ich immer LUST zu lesen, zweifle aber zunehmend an meinen Fähigkeiten dazu. Ich werde immer unkonzentrierter, immer doofer. Ich habe seit 5 Jahren keinen Jean Paul mehr gelesen, einfach aus Respekt, nein, aus Angst, den "Titan" nicht zu bewältigen. Uwe Johnsons "Jahrestage" liegen aus ebensolchem Mangel an "Schaffenskraft" ungelesen da. Und und und. Es ist ein Jammer." -- "Ich weiß, daß es nur helfen würde, wenn ich den PC ausließe, nur kann ich mich nicht konsequent genug dazu durchringen, weil ich immer versucht bin, nebenbei hier mal etwas nachzusehen, dort etwas zu schreiben." -- "Mich durch eine Lektüre regelrecht durchzubeißen scheue ich, indem ich dank Bibliothek leichteren Stoff ranschaffe. Und so bleiben einige Leselücken wohl noch bestehen. Ebenso wie dich wundert mich, wie unbedarft ich durch manche Autoren gegangen bin, wie ich beispielsweise damals den "Zauberberg" oder "Doktor Faustus" lesen konnte und nicht das Gefühl hatte, überfordert zu sein." -- Solange man durch fremde äußere Umstände der Zeit beraubt wird, mag es zwar bitter sein, aber man fügt sich ins Gegebene. Wenn man erkennt, daß man selbst der Klotz ist, der am Bein hängt, kommt noch ein Quäntchen Bitternis hinzu, das einem das Stück Lebens/ Lesensfreude vergällt, das man zu retten bemüht war." -- "Ich merke immer erst, wenn es mir mal gelingt, 1 Stunde am Stück zu lesen, wie qualitativ unterschiedlich dieses Lesegefühl von dem ist, welches man bei diesem Häppchenlesen erfährt." -- "Wenn man jedoch die Zügel gänzlich locker läßt, schleicht sich ein laissez-faire-Stil ein, bei dem man in absehbarer Zeit nur noch Seichtes liest. Ab und zu etwas Lesearbeit und -mühe kann nicht schaden." -- Wobei "Bleak House" als Pageturner durchgehen könnte. Ich habe vor einiger Zeit mal Wolfgang Hilbigs "Ich" lesen wollen, ´ kam aber keine 10 Seiten weit. Wenn man MÜSSTE, wenn man beispielsweise keine Alternativbücher in Griffnähe hätte, dann hätte ich wohl weitergekämpft. Aber die Verlockung einer einfacheren Lektüre ließ mich die Mühe gar nicht erst weiter in Betracht ziehen. Verhängnisvoll, wenn man es dermaßen an Courage fehlen läßt." -- "Karl May ist zu 100% an mir vorbeigegangen, obwohl er in meiner Jugend (in den 80 Jahren), soweit ich weiß, schon wieder einigermaßen rehabilitiert gewesen sein muß, oder? An typischen Kinder- und Jugendbüchern las ich sehr wenig, auch nicht, was in der DDR so "in" war, z.B. Die Söhne der Großen Bärin. Auch die Digedags u.v.m. "Typische" erreichte mich nicht, einfach weil ich mit anderem blockiert war, siehe unten. Mein Hinwendung zur Literatur erfolgte erst ab dem 17./18. Lebensjahr. Vorher las ich ausschließlich Religiöses: Hagiografien, Traktätchen, Mystiker (Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Seuse usw.) und vorrangig die Bücher meiner Sekte, in der ich lebte. Literatur initiiert wurde ich durch die Russen. Mit 20 Jahren, als ich als Theologieaspirant ins Seminar einzog, fing ich an, mehr und systematischer zu lesen, dank auch einer hervorragenden Bibliothek, die, weil wir sozusagen in einer westdeutschen Enklave innerhalb der DDR leben durften, komplett mit allem bestückt war, was uns in der DDR größtenteils verwehrt war: Frisch, Dürrenmatt, Böll, Walser, Grass, Bachmann usw. usf. Es war der Himmel auf Erden." (13. Januar 2012)


Die Web-2.0-Ferne der Büchermenschen

Seit langer Zeit schaue ich den Literaturclub wieder. Und sofort virulent, abgesehen von der Leidenschaft für Literatur, ist wieder das Befremden darüber, daß Menschen, mit denen ich diese Leidenschaft teile, so enorm abseits der Wirklichkeit leben, die mein Leben befruchtet: dem Internet, dem Web 2.0, den Netzwerken. Mich verblüfft deren gänzliche Unbeholfenheit, deren völliges Unverständnis, ja deren Hilflosigkeit. Peter Hamm, Iris Radisch, Stefan Zweifel - alles sehr belesene Menschen, aber weitab von der Daseinswirklichkeit im Netz. Dabei schrumpft und verpufft dann leider auch meine Verbindung, mein Interesse für ihre literarische Ansichten, weil die erwähnte Inkongruenz mich mißtrauisch macht und mich beklommen macht und wir nicht mehr auf gemeinsamer Wellenlänge schwimmmen. Von diesen Literaturmenschen sind die wenigsten internetaffin. Wie konnte es nur geschehen, daß ich beiden Sphären zugetan bin, was ging bei mir da nur schief? -- In diesem Literaturclub Peter Hamm als Verweigerer des digitalen Lebens. Gibt es nicht die Möglichkeit zu sagen: "Ich will das nicht wissen?" Ich will da nicht mitmachen. Was mich an dieser Verweigerungsperspektive fasziniert, ist die Tatsache, daß ich selbst ständig zwischen Faszination und Abscheu schwanke. Ich mag das, ich mache gerne mit, ich genieße die Aktionen und Reaktionen im Netz, mit den anderen usw. Aber andererseits sehe ich diese Offline-Version, sehe ich die Ruhe und Konzentration dessen, der sich, sich dem verweigernd, um essentielle Gedanken kreist, der tiefe spirituelle Erfahrungen macht, die inmitten des virtuellen Daseins kaum denkbar erscheinen. Dann taucht die Frage auf, ob man sich für eine Seite zu entscheiden hat oder ob nicht beide Welten miteinander zu vereinbaren sind. Lesen als kontemplativer Akt - ist es vereinbar mit dem Anwesenheitszwang im Netz, mit dem Sich-Offenbaren-Willen, mit der Informationsschraube, dem Drang, sich mitzuteilen und etwas mitgeteilt zu bekommen? (10.1.2012)


Das zermantschte Hirn

Mein Hirn ist vom Alkohol offenbar schon dermaßen zermanscht, daß sich jetzt erste beunruhigende mentale Ausfälle bemerkbar machen. Gestern beabsichtigte ich einen Gang in die Bibliothek, stand dann vergebens am Tresen, weil ich den Bibliotheksausweis in einem neuen Portemonnaie deponiert hatte, welches ich dann nicht in Betrieb nahm. Hoher Trotteligkeitsfaktor, die Sinne nicht beisammen bzw. nicht bei dem, was solche Situationen vermeiden ließe. Ergo verschob ich den Bibliotheksbesuch auf heute, einen freien Tag, stand dann 10.30 Uhr vor verschlossener Tür, weil ich nicht bedacht hatte, daß mittwochs die Leipziger Stadtbibliothek eine beschränkte Öffnungszeit hat, d.h. erst 13 Uhr zugänglich ist. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit eingezogenem Schwanz und Bitternis im verhärmten Herzen nach Hause zu pilgern und meinen Schwermutsrausch auszuschlafen. Als ich erwachte, sprangen schon die ersten Skispringer in Innsbruck. Nach diesem 3. Springen der Vierschanzentournee dann nochmals aufgemacht. Vorher kritisch und neurotische 4- bis 5 Mal die Tasche überprüft, ob auch wirklich alles vorhanden ist: Bibliotheksausweis, abzugebende Bücher, Zettel mit den Büchern, die ich mir ausgeguckt hatte. Kräftigestes Zugpferd dieses nochmaligen und dritten Weges innerhalb von 24 Stunden war die Tatsache, daß mich gestern Abend die Benachritigungsmail erreichte, daß "Der Hals der Giraffe" von Judith Schalansky abholbereit sei. Und es wurde alles gut, es klappte endlich. Endlich! So habe ich nun zwar eine Menge neuer Bücher, aber durch den verplemperten Tag keine Zeit mehr, mich wenigstens einem von ihnen mit gebührender Konzentration zu widmen. (4.1.2012)


Bibliothekarische Nebenstraße

Wenn ich in die Bibliothek gehe, dann gut vorbereitet, bewaffnet mit einem Zettel, auf dem die vorrecherchierten Wunschtitel stehen. Der Aufenthalt in den Gemäuern der Bücherhallen dauert normalerweise dementsprechend kurz: reingestürzt, Zettel aufgefaltet, ruckzuck die Bücher aus den Regalen gerissen, zum Buchungsstand, und weg. Allerdings werfe ich meist noch einen Blick ins benachbarte Regal mit den gerade zurückgegebenen Titeln, die noch nicht wieder regulär einsortiert wurden und in das Regal mit den Neuzugängen. Und da sah ich heute eine neue Literaturzeitschrift: "Das Lindenblatt. Jahresschrift für Schöne Literatur. Titelthema: Satire" - Heuer erschienen im Arnshaugk-Verlag, der in Neustadt an der Orla sein Zuhause hat. Eigentlich hasse ich Anthologien und mache nur bei für mich berückenden Themen Ausnahmen. So gewiß bei Satire! Zum Inhalt findet man hier etwas. Dieses grundsätzliche Festhalten an Prinzien bei der eigenen Buchfindung sind nur erträglich, wenn sie sporadisch aufgeweicht werden, wenn einen inkonseqente Nebengänge von der Hauptstraße weglocken. Bei allzu rigidem Handeln nach Prinzipien, auch in der Bibliomanie, leidet auch beim dressiertesten Buchleser der dem Menschen stets inhärenten Forscherdrang. Das Fremdgehen in dieser Beziehung Buch - Mensch fügt hier glücklicherweise niemandem Schaden zu. Bibliomanie ist genuin polygam. Eine fantastische Sache! (9. Dezember 2011)


Leseschwingungen

Habe zwischen 10 und 13.30 Uhr nochmals Schlaf nachholen können, der dringend fehlte. Deswegen kam die Lektüre heute nur zögerlich in Fahrt. Grundsätzlich muß man sich nach jeder Pause wieder "einlesen", schätzungsweise mindestens 30 Minuten hintereinander, um in befriedigende Leseschwingungen zu geraten und in das Buch einzudringen, es zu "fassen" zu bekommen. Alles darunter greift zu kurz und führt mögicherweise zu der Erkenntnis, mit dem Text nicht zurecht zu kommen, was falsch ist bzw. sich vermeiden ließe, wenn man nur lange genug dran bliebe, bis der Knoten platzt. Diese Prozedur wiederholt sich bei jedem Neuansatz, also jeden Tag und nach mehrstündigen Pausen am betreffenden Lesetag. Lediglich Unterbrechungen bis zu 1 Stunde, so meine Beobachtung, erhalten die Schwingung, den Zugang zum Buch; dann ist die Tür wieder zu. (7. August 2011)


Bibliomanie in Zeiten des Web 2.0

Der Stapel ungelesener Bücher (SUB) ist ein Topos, der Bücherleser reizt. Insofern kein Wunder, daß er immer wieder aufgegriffen wird. In vielen Stöckchen innerhalb der Blogosphäre kommen die ungelesenen Bücher seit mehr als 10 Jahren immer wieder vor. Nur konsequent, wenn sie nun auch auf Facebook "gewürdigt" werden. Ich verfolge seit 16 Jahren im Internet die Bibliomanie. Während sich das Geschehen anfangs im Usenet abspielte, verlagerte sich ein Teil dann in Mailinglisten und in der Folge in Onlineforen, die immer interessanter wurden, je einfacher und preiswerter man ins Internet kam. Die damals aufkommenden Flatrates, verbunden mit DSL, gaben dieser Entwicklung Vorschub. Als 2000/2001 die Weblogs entstanden, übernahmen sie einen Großteil des bibliomanen Traffics. Auch die liebevoll gestalteten persönlichen Webseiten mancher Enthusiastens ragten heraus, nicht zuletzt mein eigenes Projekt. Das social web übernimmt seit einigen Jahren die Führungsposition, indem es die Funktionen bietet, die wir früher entweder entbehrten oder mühsamst zusammenbasteln mußten, z.B. Kommentarfunktion. Beispielsweise die virtuellen Bücherregale wie Lovelybooks, die underdessen zu stattlichen Communities ausgeformt sind, wo man seinen Buchbestand pflegen kann, Rezensionen, Links und Erfahrungen mit anderen austauscht. - Facebook und Google+ sind nun die neuesten Emanationen, die Büchermenschen offen steht, die ihnen ungeahnte Möglichkeiten verschaffen. Trotzdem findet sich immer noch eine Schar Unentwegter, die den guten alten Literaturforen treu bleibt. Ich selbst habe lange im Hermann-Hesse- Forum und im Literaturschockforum (auf Facebook) mitgemacht, mich dann aber auf den kleiner Bruder, das Klassikerforum (auf Facebook) beschränkt. Meine Affirmation zu sozialen Netzwerken bewirkte indes zweierlei: Ich zog mich nach und nach aus den Foren zurück, gucke nur noch sporadisch hinein: Zudem lasse ich keine Gelegenheit unversucht, altgediente Bücherfreunde aus den Foren für Facebook, Twitter und Google+ zu gewinnen. Als Blogger der ersten Stunde (April 2001) und Bewunderer des Web 2.0 konnte es gar nicht anders kommen, als daß ältere Aktivitäten in den Hintergrund traten. Anlaß für diesen kleinen Rückblick gab mir eine Frage von Anett Gläsel-Maslov, der Mitbegründerin der gestern gestarteten Facebookseite Stapel ungelesener Bücher, die infolge meines Statements ausgelöst worden war, daß der "SUB bisher noch allen Literaturforen für Resonanz gesorgt" habe. Prinzipiell haben Bücherleser diesen Schnickschnack, den das soziale Web bietet und forciert, kaum nötig, weswegen die einen ihm ablehend oder reserviert gegenüberstehen und entweder zuhause still im Kämmerlein weiterlesen oder auf herkömmlichen Wegen den Austausch mit anderen Bookaholics suchen, wobei selbst das gute alte Weblog mittlerweile als arriviertes Medium gelten dürfte. Jedes Blog hat einen Einzugsbereich von Freunden, in dem es lebt und gedeiht. Auch die Foren leben weiterhin. Überhaupt stirbt so schnell keines dieser Optionen ab, Kommunkation zu kanalisieren und zu transportien. Sogar die alte Newsgroup de.rec.buecher existiert noch. Ich gehöre zu den Bibliomanen, die den "neuen Verlockungen" nie widerstehen können und bei allem möglichst früh mitmischen müssen, was das Web 2.0 gebiert und zelebriert. Und so twittere ich, facebooke und googleplusse ich und weiß aber genau, daß jede Minute, die ich in den Netzwerken verbringe, eine Minute ist, in der ich nicht gelesen habe. Und das ist es, was die old schooled bibliomaniacs insgeheim womöglich hämisch grinsen läßt.


Ein Bücherfänger also doch

Ich hatte heute ein schönes Bibliothekserlebnis. Zuvor die Bücher ausgesucht, die ich entleihen wollte. 3 Bücher auch mühelos gefunden; Buch Nr. 4 nicht. Laut Datenbank hätte es vorrätig sein sollen, stand jedoch nicht an seinem Platz. Bibliothekarin und ich schlichen umher, forsteten in Fensterbänken, auf separaten Ausstellenplätzen nach - wo immer man ein präsentes Buch aus außerhalb der üblichen Ordnung präsentieren mag - kein Buch zu finden. Enttäuscht schnappte ich meine 3 Bücher und bewerkstelligte den Entleihvorgang am Computer im Erdgeschoss. Meiner Achtsamkeit ist es zu verdanken, daß ich jede Sekunde nutze, so daß meine schweifenden Blicke während des Wartens auf ein Regal im Eingangsbereich der Bibliothekszweigstelle fielen. Und das vermißte Buch entdeckte! “Ich habs”, entfuhr es mir, woraufhin ich die die bewundernden Blicke der Bibliotekarin, die ich zuvor im 1. Stock nach dem Buch fragte und die sich zufälligerweise gerade im EG aufhielt, erntete und mit mir in diesem Moment äußerst zufrieden war. Ein Bücherfänger also doch.


Vorsichtiger Optimismus

7,5 Stunden in einer Computerschulung zu sitzen ist für einen Pflegenden, der Herumrennen gewohnt ist, ungewohnt und hat mich ziemlich fertig gemacht. Mir dröhnte der Kopf, der Blutdruck spielte hinterher bis jetzt verrückt. Unsere Klinik stellt demnächst die Software auf SAP um. Ich als so genannter key-user soll mit anderen die Mitarbeiter des Pflegedienstes unseres Hauses schulen. Nach dem üblichen zweistündigen Nachmittagsschlaf, heute von 17 bis 19 Uhr etwas verschoben, las ich bis 22 Uhr, was den Tag rettete. Schon der dritte Tag, an dem ich konsequent mindestens 150 Minuten dem PC fern blieb, um zu lesen. Ich habe ja vor, die Prioritäten neu einzustudieren, d.h. mich wieder etwas vom Internet, speziell dem Web 2.0, zu lösen, um mein Bücherleben zu sanieren. Drei gute Tage, sprich Abende hintereinander stimmen hoffnungsvoll. Nachdem ich vorgestern Heimito von Doderers "Die Dämonen" zuende lesen konnte, an denen ich mehr als 14 Tage kaute, las ich gestern in einem Ruck den schmalen, frühen Roman "Der andere Schlaf" von Julien Green, um heute in ein weiteres dickes Buch einzutauchen, nämlich Oskar Maria Grafs "Wir sind Gefangene". Um dicke Bücher einen Bogen zu machen, war bedauerliche Realität in den letzten Monaten und Jahren. Dies abzuändern bemühe ich mich seit Oktober, als ich zu Christa Wolfs Tagebuchband "Ein Tag im Jahr" griff, um dann hintereinander mehrere dickere Bücher zu lesen wie Günter Grass' "Grimms Wörter"; Uwe Tellkamps "Der Turm" Reinhard Jirgls "Die Stille", Christa Wolfs "Stadt der Engel", Hermann Burgers "Schilten" und eben zuletzt Doderer Dämonen. Freilich warten noch viele, viele Aufgaben in diesem Jahr. Speziell sollte meine mehr als 4-jährige Jean-Paul-Durststrecke beendet werden. Und Johnsons "Jahrestage" sind ein Projekt, welches ich lange schon aufgeschoben hatte.


Wie mein Tag gerettet wurde

Der Weg zum Spätdienst unterliegt wie ein Arbeitsweg an sich, den man jahrelang gewohnt ist, einer sicheren Routine, die einen aber nicht vor Saumseligkeiten oder Fehler bewahrt. Ich fahre oft mit der S-Bahn von meinem Wohnort (Sellerhausen) 12.32 Uhr zum Hautpbahnhof, um dort bei ALDI einzukaufen und hernach mit einer anderen S-Bahn 13.01 Uhr zur Arbeitsstelle weiterzufahren. In den vergangenen Wochen wählte ich dieser Variante witterungsbedingt seltener, weil einem mit der Straßenbahn mehr Möglichkeiten weiterzukommen zur Verfügung stehen. Wie auch immer. Ich kaufte bei ALDI ein, setzte mich danach in die S-Bahn und wartete. Und wartete. Plötzlich wurde mir bewußt, daß ich einen Beutel mit dem Buch, welches ich zurzeit lese, am Einkaufswagen hängengelassen hatte. Urplötzlich sah ich das Drama vor mir: Nichts zu lesen auf dem Hin- und Rückweg. Langweile pur. Und der Ärger, daß man so dämlich war und einen Beutel an einen Einkaufswagen hängt. Dadurch daß die S-Bahn nicht losfuhr, ergab sich überhaupt erst die Alternative, auszusteigen und nochmals bei ALDI nachzuhaken. 13.09 Uhr - eine schnelle Entscheidung schien vonnöten. Also los. Und, man faßt es nicht, der Beutel samt Buch wurde an der Kasse abgegeben. Wie zur Belohnung fuhr sofort eine Anschlußbahn. Der Vorsatz, den ich vorher für den Fall eines guten Ausgehens faßte, nämlich mehr zu lesen, gilt es jetzt einzulösen. Verwundert war ich, mich selbst betreffend, daß mich weniger der Verlust eines Buches schockierte, als das Horrorszenario eines Tages ohne Lesemöglichkeit.


Warum ich am liebsten bei Booklooker kaufe

Seit wie vielen Jahren bestelle ich meine Bücher nun hauptsächlich via Booklooker? Und kam erst dieser Tage auf die Idee, die Funktion der 'Suchaufträge' auszuprobieren! Ich selten dämlicher Idiot! Wie es die Sache doch vereinfacht! Mir kommen die Angebote nun ins Haus, und Bestellungen gebe ich nicht mehr in Hauruckaktionen auf, sondern bequem einzeln, sobald ein Angebot in den Mailkasten flattert. - Dieses auf Facebook gepostete Notat beschwor die Reaktion eines Lesers herauf: "Nichts gegen irgendeine Plattform, aber da natürlich Provisionen für abgeschlossene Verkäufe fällig werden, könnte es sein, daß die Bücher direkt vom Antiquar etwas günstiger werden." Darauf antwortete ich: "Mitnichten! Davon abgesehen, daß die Bücher, die ich kaufe, eher selten beim örtlichen Händler in dieser Konsequenz erstanden werden können, geht doch nichts über Booklooker. Meine Liste Neuer Bücher beweist, daß professionelle Antiquare vor Ort SO nicht überleben würden. Der Antiquar, der mir da schrieb, "meinte nicht den örtlichen Händler, sondern die Möglichkeit, dem Händler direkt eine E-Mail zu senden, anzurufen oder von der Angebotseite des Antiquars zu bestellen." Dem entgegnete ich: "Ich kaufe ja Massenware, die größtenteils, da oft verlegt, sehr preiswert zu haben ist. Im Falle bibliophiler Recherche würde das Sinn ergeben, manchmal muß selbst ich www.sfb.at anwerfen, um eine Ausgabe irgendwo zu finden. Dann forsche ich nach, gehe auf Anbieterwebseiten usw. Aber bei mir, der ich im Jahr 150 Bücher lese und auch kaufe, würde so eine zertreute Vorgehensweise für jedes einzelne Buch zu stressig sein. Booklooker und Amazon Marketplace sind für mich daher die Erfindung, die mein Bücherleben in gnädig- milden Verläufen dahinplätschern lassen." Weiter in den Kommentaren schrieb ich: "Als alternder Bücherleser und somit auch -kenner besuche ich natürlich dann das örtliche Antiquariat, wenn ich weiß, daß ein besimmtes Buch dort eher und sicher zu haben ist, z.B. weil ich die DDR-Ausgabe erinnere oder weiß, daß der Titel so häufig vorhanden ist. Mein Händler ist und bleibt dann Herr Jens Förster (Bücherinsel) in der Leipziger Ritterstraße, den ich allen Leipziger und Umländern unbedingt anempfehle!" Abschließend noch der Scherz, den ich Herrn Förster gegenüber spontan erfand: "Ich trage ungemein zur Gesundheit meiner Postbotin bei, die sich bei fast jedem Bücherpäckchen 4 Stockwerke hochbemühen muß und so rank und schlank bleibt mit einem bewunderswerten Atemvolumen." Was Quatsch ist, denn nicht ich empfange meisten die Post, sondern der unter mir wohnenden Vater. Übrigens merke ich erst dann, daß mein Vater nicht zuhause ist, wenn ICH wegen meiner Büchersendungen belästigt werde. Er, ein vormittags meist zuhause weilender Rentner, fängt sie normalerweise für mich ab. Leider stapelt er sie dann oft und händigt sie mir alle paar Tage aus, während ich manchmal bereits Schmäh- Mails an die vermeintlich säumigen Lieferanten schreibe. (1. September 2010)


Ärger beim Buchkauf

Ich bin sprachlos und verärgert. Kürzlich kaufte ich via Booklooker John Barlows Roman Berauscht, 2007 bei Kein Aber erschienen, und bezahlte EUR 3,10 inklusive Versandkosten. Zuerst wunderte ich mich, daß das Buch so dünn ist, dachte mir nix dabei. Und als ich eben bei Seite 64 angekommen war, sah ich vorne im Titelblatt "Unlektorierte und unkorrigierte LESEPROBE". Auch das Cover enthält einen Aufkleber "Kein Aber Appetizer", der auf dem Bild, welches die Verkäuferin zum Buch präsentierte, NICHT zu sehen war. Nirgendwo stand der Hinweis, daß es sich lediglich um die 64- seitige LESEPROBE eines 544-seitigen Romans handelt. Eine skandalöse Mogelpackung und eine bittere Erfahrung. Überhaupt. Ein anderes Buch, welche ich vor 3 Wochen bezahlte, ist bislang nicht eingetroffen. Letztens auch ein Buch bestellt, bei welchem sich der Anbieter überhaupt nicht meldete; ein anderes, dessen Fund ich schon heftig abfeierte, wurde seitens des Verkäufers leider umgehend storniert. Anscheinend sind die Tage vorbei, in denen man bedenkenlos übers Internet private Geschäfte machen konnte. In vielen Jahren des Buchkaufens, in denen ich fast gänzlich zufrieden sein durfte, häufen sich nun die Fehlkäufe.


::kawai:: oder Bookwalking

Heute war ich wieder dankbar für die Editionsleistungen der DDR-Verlage. Ich besuchte einen Buch-Wein- und Kaffeeladen in der Leipziger Innenstadt (::kawai::), an dem ich bisher immer vorbeigefahren war. Anlaß war der Fund eines Buch mittels Boolooker, der diesen Laden angab. Und weil ich so prima die Versandkosten sparen konnte, stieg ich kurzerhand aus und beschnarchte mir diesen Laden, in dem Bücher sowohl zu Dekorationszwecken als auch, nebenher, zu Verkaufszwecken existieren. Es ist eine Art Mischmaschladen, ein Cafe, in dem man Wein, Kaffee, Getränke, Musik und eben auch Bücher kaufen kann. Aber auch nur lesen. Mann nimmt sich ein Buch, bestellt Kaffee etc. und läßt sich in einen herumstehenden Sessel oder auf das Sofa fallen. Die Bücher sind in verwinkelten Regalreihen - auf den ersten Blick - chaotisch drapiert. Auf den zweiten Blick erkennt man eine Sortierung nach Verlagen. Hardcover separat in recht düsteren Ecken, die eine Lampe nur dürftig ausleuchtet. Interessant nun dies: Ich sagte, ich hätte einen Werfel auf Booklooker gefunden. Wo ich ihn denn finde könne. Das wisse sie nicht. Tue ihr leid. Ich daraufhin, wie es nun gemacht würde, wenn tatsächlich jemand auf Booklooker eines ihrer Bücher anfordere. Ja dann, so die Aussage, würde man das Buch schon suchen gehen. Half mir in dem Moment nicht, was aber nicht schlimm war, weil ich eine Ausgabe mit Dürrenmatt-Erzählungen aus dem Verlag Volk & Welt für 3 Euro in Super-Qualität fand, die mir gleich 3 ramponierte Diogenes-Taschenbücher ersetzt. In selber Ausstattung gibt es auch Dürrenmatt-Komödien, die ich seit langem besitze. (11.8.2010)


1 Jahr ohne Bücherkauf [2]

Weiteres Posting innerhalb des im Vorposting erwähnten Threads: "Natürlich gibt es sowohl unter konformen als auch nonkonformen Verhaltensweisen üble und abzulehnende. Es ist kein Wert an sich, anders als andere zu denken und zu handeln. Gesellschaftliche Regeln, die Höflichkeit generieren und das Zusammenleben erträglich machen, sind, klar, auf Konformität gegründet. Ich habe mehrere Bücher über Exzentriker und Sonderlinge gelesen, die meistens ziemlich harmlos sind, wenn gelegentlich allerdings nervtötend sein können. Was - im Bücherwesen - könnten positive Sonderwege sein? Eine Buchhandlung, die nicht den üblichen Kram im Sortiment hat, eine Wohltat. Ein Verlag, der trotz des absehbaren finanziellen Mißerfolges, ein Buch oder eine Reihe verlegt, weil er es für wichtig hält. Ein Leser, der seine Leserlebnisse Intuition und Wagemut verdankt, der gelernt hat, abseits eingefahrener Wege Perlen zu finden. Exzentrische Projekte gibt es immer wieder; erinnert sei an A.J. Jacobs, der die EB durchlas und darüber ein Buch schrieb (Britannica & ich) und der in der Folge versuchte, alle Thora-Gebote zu erfüllen (Die Bibel und ich). Auch wenn ich mich an Listen orientiere, würde ich nicht sagen, ein erlebnis- und ergebnisärmeres Leseleben zu führen. Die Orientierung brauche ich eben, wenn ich z.B. bei einem Dutzend Erzählbänden von Maugham den Überblick behalten will. Je mehr man von einem Autor liest, desto zwingender bedarf man der Vorbereitung und Notation. Ansonsten würde ich als Simenon-Leser bei einem Oeuvre von 200 Werken schon längst verzweifelt sein."


1 Jahr ohne Bücherkauf [1]

Im Klassikerforum gibt es einen Thread über das Bücherkaufen, dessen Anlaß Susan Hills Erfahrungsbericht Howards End is on the Landing. A year of reading from home bildete, die ein Jahr lang darauf verzichtete, Bücher zu kaufen, und sich stattdessen des heimischen Bücherfundes bediente. Ich schrieb: "Ich bin ja einer der vielerorts so vehement gescholtenen zwanghaften Leser. Ausgeklügelte Leselisten steuern mein Leseverhalten. Beispielsweise habe ich so genannte Jahreautoren (zirka 45), das sind Autoren, von denen ich innerhalb eines Jahres mindestens 1 Buch lesen will. Diesem Ziel, welches ich seit vielen, vielen Jahren locker bewältigte, hänge ich jetzt ziemlich hinterher, was mit dem Topic dieses Threads zusammenhängt. Von Juni 2009 bis April 2010 habe ich nämlich so gut wie keine Bücher gekauft - und kaufe sie erst wieder seit Juni regelmäßig. Anlaß war ein Bibliotheksjahr. Weil ich ein Geizhals bin, habe ich mir gedacht, WENN ich schon eine Jahresgebühr von 16.- Euro für die Bibliothek berappen muß, dann nutze ich das gefälligst konsequent aus. So las ich also von Juli 2009 bis Juni 2010 fast nur Bibliotheksbücher. Dadurch brauchte ich eben keine neuen Bücher kaufen. Daß die Aktion des Bücherkauffastens so negativ aufgenommen worden ist, verstehe ich kaum, was kein Wunder ist, begreife ich Bibliomanentum doch wesentlich als ein Bücherleben MIT Macken allerlei Art. Das empfinde ich nicht als ungesund, sondern reizvoll. Überhaupt finde ich Exzentrizitäten als wesentlich ansprechender als konformes Leben. Ich liebe dieses Projekt und ich freue mich, daß aus ihm ein Buch entstanden ist. BücherBücher kann es nie genug geben."


Zerfledderte Willenskraft

"Ich weiß, warum Albin eigentlich nichts arbeitet: es fällt ihm zuviel ein". Dieser Satz aus Arthur Schnitzlers Erzählung "Er wartet auf den vazierenden Gott" spiegelt, abgewandelt, mein Dilemma wider. Vor lauter Ideen am Computer komme ich nicht zum Lesen und werde ständig abgelenkt und unterbrochen. Ein Stakkato von Einfällen und Vorhaben, dem ein Mensch mit mehr Widerstandskraft sich womöglich entziehen könnte. Ich aber nicht. Die Zerfaserung der Aufmerksamkeit erweist sich mehr und mehr als Problem, das man so nicht stehen lassen kann und sollte, ist doch langfristig die komplette Lesefähigkeit in Gefahr. Einmal verhunzt, wäre sie wohl nur mühsam wiederherzustellen. Die einzig richtige und notwendige Konsequenz, die ich aus der erkannten Gefährdung zu ziehen hätte, bestünde darin, den Netzstecker zu ziehen - das stringente Ausschalten schädlicher Noxen während des Lesens! Den Websüchtigen erkennt man an der Scheu, diesen Schritt zu wagen. Es fehlt der Zugriff auf Informationen, die bei der Lektüre eventuell gebraucht werden könnten. Die Vorstellung, abgeschnitten zu sein vom Netz, schafft ein Unbehagen, welches irrational erscheint, wenn ich bedenke, daß ich ehedem wunderbar ohne virtuelle Krücken zurande kam und weiterhin käme, wenn ich dies mir eingestände. Die Droge Internet und Web 2.0., derer ich bedarf, wirkt stark und steht dem Willen, mehr, konzentrierter und nachhaltiger zu lesen, bislang noch entgegen. Der Entzug scheitert an meiner zerfledderten Willenskraft. (29.7.2010)


Lektürestatus

Lektürestatus momentan eher disparat. Die während der Spätdienste sowieso beeinträchtigte Lesemöglichkeit wurde durch die Hitzeperiode quasi auf 0 reduziert, sprich, ich las während der letzten Woche so gut wie nicht. Den ersten Teil der "Serapionsbrüder" von E.T.A. Hoffmann schloß ich gestern ab. Wenn ich Schauerliteratur lesen möchte, greife ich zu Hoffmann oder Poe. Das hat sich so eingespielt, das bleibt so. Mittlerweile ist vieles schon Zweit- oder Drittlektüre, was den Genuß ob des Wiederkennens, ja Wiederschmeckens verstärkt. Heute begann ich "Durchsichtige Dinge" von Vladimir Nabokov. Zwei Jahre las ich ihn nicht. Nach den ersten Seiten klappt mir der Unterkiefer herunter. Habe ich eine Nabokov-Perle erwischt oder habe ich mich seinem Stil schon so weit entwöhnt, daß es mir nun wie ein erstes Aufeinandertreffen vorkommt? Bin gespannt, ob sich die Stärke der ersten Seiten erhält.


Wochenzeitung lesen

Gestern Nacht fand ich auf dem Heimweg von einem Umtrunk im Biergarten die neue Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT. Seit bestimmt mehr als 10 Jahren habe ich keine Zeitung mehr gelesen, von sporadischen Versuchen mit der LVZ während der Pausen auf Station einmal abgesehen. Mich erstaunte, wie anders es war, die Artikel zu lesen. Ich habe vergessen, welches Feeling, welch haptisches Erlebnis es ist, einen solchen Koloß von Wochenzeitung zu bändigen. Allein schon das Umschlagen der Seiten, die Kontrolle, welche Artikel einem fehlen, welche man auslassen wird, welche man später lesen möchte... Was mich bei dieser Sache am meisten überraschte, ist, wie unterschiedlich die Lektüre wirkt. Im Lauf der Jahre habe ich mich an die alleinige Rezeption von Online- Texten gewöhnt und die Überzeugung gewonne, daß sie deckungsgleich mit der Offline-variante wäre und es keine Rolle spiele, zu welcher man greife. Das stimmt so nicht. Wenn ich einen längeren Artikel in der Zeitung lesen, die ich aufgeschlagen halte, fällt das Mäandern weg, das sich unwillkürlich einstelllt, wenn man etwas am Bildschirm verfolgt. Papierzeitungen lesen ich linear. Am Bildschirm ist die Ungeduld weit größer, springe ich hin und her, folge ich Links, kehre zurück, überspringe viel schneller eine Passage usw. Die gebündeltere Aufmerksamkeit beim Lesen bescherte mir gestern Nacht ein bedenkenswerte Erlebnis, welches insofern von Bedeutung sein könnte, als sich die Erkenntnis, herkömmliches lineares Lesen sei auch bei der Lektüre der Zeitung ein qualitativer Zugewinn, unter Umständen viel regelmäßiger im Kauf eines Blattes auswirken sollte. Ich sollte infach nicht warten, bis der Zufall mir wieder liegen gebliebes Material beschert.


Der Ärger mit dem Technikkram

Eine meiner Antworten innerhalb meiner Facebook-Gruppe Vielbücherei im Thread über E-Books: Was mich vorerst von dem Gedanken abhält, ein elektronische Lesegerät welcher Couleur auch immer zu kaufen, ist die Unlust, mich mit Sachen wie Akku- Aufladen usw. zu beschäftigen. Ich hasse Akkus, und die ständige Pflicht, vielmehr Angst, sie könnten schon wieder nicht ausreichen, stellt sich in noch unvorteihafterem Licht dar, wenn ich mir vor Augen halte, wie einfach man mit einem Buch umgeht. Aufschlagen und loslesen. Sehr wahrscheinlich spielt auch die Erfahrung mit, daß ich mit elektrischen und elektronischen Kleingeräten in meinem Leben andauernd vom Pech verfolgt war. Erst gingen mir damals die Walkmen en masse kaputt, jetzt die mp3-Player, so daß ich mich einfach nicht der Gefahr ausgesetzt sehen will, Nerven und Zeit mit technischen Querelen der Wartung und Bedienung zu strapazieren, die dadurch ganz simple zu vermeiden sind, daß ich bei dem bleibe, was ich kenne und liebe: dem stinknormalen und doch so bewunderungswürdig genialem Papierbuch.


Leipziger Antiquariatsmeile

Über Leipzigs Antiquariatsmeile berichtete Egbert Pietsch. Artikel gefunden, nachdem ich gestern, als ich über die Riebeckbrücke gefahren war, plötzlich leere Schaufenster erblickte, wo ich doch seit vielen Jahren Jens Försters "Bücherinsel" wußte. Schockgedanke: Er wird doch nicht aufgegeben habe? Beruhigend nun zu wissen, daß er in der Leipziger Ritterstraße nun neben 3 anderen Antiquariaten residiert. Ich muß gestehen, nicht mehr der Antiquariatsgänger zu sein, der ich vor 10 oder 20 Jahren war. Bei der gezielten Suche bei einem so reichhaltigen Angebot, das mir Booklooker & Co von meinem Schreibtisch aus verschafft, ist mir das Herumstöbern im örtlichen Altbuchhandel ziemlich lästig geworden, weil die Ausbeute kaum den Zeitaufwand rechtfertigt. So verschlägt es mich nur alle Jubelmonate einmal in die Stadt oder wenn ich weiß, daß ein gewünschtes Buch viel einfacher vor Ort erworben werden kann, z.B. bei Buchreihen wie "TdW" von Aufbau oder "spektrum" von Volk und Welt. Dennoch freue ich mich von Herzen, daß es einem so leidenschaftlichen Antiquar wie Jens Förster gut geht und er nun quasi im Schatten der Nikolaikirche sein Buchwesen betreiben und durch die zentrale Lage vielleicht doch wieder öfter mit mir rechnen kann.


Literaturclub 2010

Das 'zweite Kind', im gestern gesehenen Literaturclub (LC) von Februar als "Anschlußtreffer" tituliert - als Beispiel für mißlungenen, ausgeleierten Humor, kannte ich trotzdem noch nicht. Der LC, übrigens an neuem Ort mit neuen Kritikern, wirkt aufgepeppt. Sie reden schneller. So bleibt Zeit für Einspieler. Jan-Josef Liefers mag ich. Seine "Ähms" zeugen von Überlegung, mit der er seine Gedanken formuliert - das ist verkraftbarer als eine flüssig vorgetragene Politikerrede. Bin gespannt, wie sich die Altkritiker in der nächsten Sendung mit der Verjüngungskur arrangieren. Mir fiel nur bislang immer auf, daß sie auf einem entfernten Literaturplaneten leben, auf dem Internet noch nicht erfunden scheint und andere Medien als die papierenen immer noch als suspekt gelten. Die Behäbigkeit, die der Lokalität (Schweiz) Tribut zu zollen scheint, die Nachdenklichkeit und rhetorische Verzögerung, mit der die Kritiker im Literaturclub der letzten Zeit (leider kenne ich ihn unter Roger Willemsen oder dem roten Dani nicht - wars da anders?) agierten, war manchmal schon ein wenig einschläfernd monoton. Mal sehen, wie es wird. Ich mag das gekünstelte Lachen von Iris Radisch ja nicht, ihren hechelnden Duktus. Dennoch gibt es zu dieser Sendung kein Pendant, keine Alternative.


10 Kuriositäten im Bücherregal

Es werden wieder Stöckchen geworfen. Zu 'Kuriositäten im eigenen Bücherregal" äußerten sich unter anderem: life less ordinary, Seelenkino, Bookaholics, Krötenwanderungen,Radeldudel, Trivial Delight, Buchhändleralltag und Kundenwahnsinn, Anke Gröner, ma vie et la folie, angemerkt. Kommt man kaum umhin, aufzustehen und sich mal in den eigenen Regalen umzuschauen.

  1. Novum Testamentum Graece (altgriechisches Neues Testament), von Philipp Buttmann aus dem Jahr 1890
  2. English for Nurses mit einem wunderbaren Cover.
  3. Tetrapla 1964 - das Neue Testement in einer vierspaltigen Ausgabe in den Übersetzungen: Martin Luther, Züricher Bibel, Fritz Tillmann und The New English Bible
  4. Weltall Erde Mensch - dieses Buch wurde in der DDR bis zum Jahr 1975 während der Zeremonie der Jugendweihe überreicht (siehe auch hier). Da ich als Katholik nicht Firmung UND Jugendweihe über mich ergehen lasse wollte, erstand ich das Buch später antiquarisch.
  5. Adolf Hitlers 'Mein Kampf' in der Münchener Ausgabe.
  6. Chiara Lubich: Jesus der Verlassene und die Einheit, und zwar in einer Art Sonderdruck, der ermöglichte, daß man in der DDR an Texte kam, die einem sonst verwehrt waren. Es handelt sich um ein Buch der Gründerin der Fokolarbwegung, der ich in meiner Jugend nahestand. Diese Drucke wurde alle mit "Nur für den innerkirchlichen Gebrauch" markiert.
  7. "Unser Kochbuch", im Verlag für die Frau in der DDR erschienen. Leider keine Jahreszahl. Aber es waren die Zeiten, in denen die Soße noch Tunke hieß; schätzungsweise irgendwann in den 60ern. Daneben besitze ich noch weitere "Schätze" aus meiner Zeit als Koch: Lehrbuch für Köche, Bde. 1 bis 4 aus dem VEB Fachbuchverlag 1981. Auf Seite zwei steht: "Als berufsbildende Literatur für verbindlich erklärt. Ministerium für Handel und Versorgung, Berlin, den 2. Mai 1980"
  8. "Küchenlexikon", ein 730-Seiten-Wälzer, ebenfalls aus dem VEB Fachbuchverlag Leipzig (1984). Soweit ich das recht sehe, gab es damals den Begriff Pizza noch nicht. Man verwendete Gemüsekuchen oder -pastete.
  9. Microsoft MS-DOS 5.0 Benutzerhandbuch. Relikt von 1992, als ich meinen ersten PC bei Vobis kaufte (386er DX40)
  10. Lexikon A-Z in zwei Bänden. Enzyklopädie. Volkseigener Verlag Leipzig, 1956. Enthält 70.000 Stichwörter. Leitung übrigens der Lexikograph Gerhard Wahrig. Interessant. Ist der Mann später in den Westen gegangen? Immerhin ist der "Wahrig" eines der bekanntesten Wörterbücher.

Das Gute nicht aufschieben

27 Bibliotheksbücher liegen bereit. Die Ausleihe erfolgte während der letzten Tage. Der Überblick droht verlorenzugehen. Doch wenn die Haupteinrichtung der Stadtbibliothek für mehr als 2 Monate zumacht, gilt es, der Panik vorzubeugen, ohne Bücher dazustehen. Hamsterleihe statt -käufe. 10 Bücher sind allerdings schon gelesen, harren aber noch des Abtippens der für bemerkenswert befundenen Stellen. Und 17 ungelesene Bücher klingen nicht üppig, wenn man weiß und bedenkt, daß ich in den kommenden vier Wochen noch nicht arbeiten darf. Heute erhielt ich die Bestätigung meiner Anschlußheilbehandlung (ambulante Rehabilitation nach wegen Bandscheibenvorfall mit Nervenquetschung notwendig gewordener Wirbelsäulenoperation), die nächsten Mittwoch starten und drei Wochen umfassen wird. Durch diese für das Lesen günstigen Umstände sollte es mir gelingen, die Dürrephasen der letzten Monate wettzumachen und mich an meinen alten Durchschnitt von 10 bis 12 Büchern pro Monat heranzurobben. Heute klapperte ich Bibliotheksfilialen ab, die ich selten besuche bzw. noch gar nicht kannte. In einer fand man mein gewünschtes Buch nicht, welches laut OPAC hätte vorrätig sein müssen. Betretene Gesichter und die Beteuerung, ich würde informiert, sobald das Buch auftauchen würde. Ich stelle fest, daß mein Leben mit Büchern auch vom Zeitfaktor her dergestalt verläuft, daß sich ein Broterwerb eher als hinderlich und störend erweist. Mit anderen Worten: selbst im Augenblick, während ich ganztägig zuhause bin, schaffe ich das Programm nicht, welches mir vorschwebt und dessen Minimum ich heute im Eintrag um 9:43 Uhr skizzierte. Diese Erfahrung der Knappheit der Ressource 'Zeit' selbst in arbeitsfreien Perioden legt es nahe, Überlegungen anzustrengen über den grundsätzlichen Umgang, d.h. möglichen Verzicht auf Zeitkiller, die einem Bücherleben zuwiderlaufen. Meine Internetaktivitäten schränkte ich in den vergangenen Wochen drastisch ein. Allem Anschein nach tut mir das gut. Mein größter Fehler besteht darin, die mir wichtigen Dinge aufzuschieben. Um die Vorfreude auszukosten? Die Prokrastination nicht der unangenehmen und üblen, sondern der angenehmen und ersehnten Dinge, ist pervers und muß bekämpft werden. Auch im Bücherbereich! Nicht zuletzt aus diesem Grund nutze ich nach vielen Jahren der Abstinenz Bibliotheken, um nämlich schneller an solche Bücher zu gelangen, die ich mir sonst lange nicht gegönnt hätte. Die Maxime nun: Zuerst möglichst das am heftigsten Begehrte und DANN erst die zweite Wahl, wenn der Nachschub an weiteren Highlights stocken sollte! Sie möge für alle Bereiche meines Leben Geltung erlangen.


Bibliophibians, Biblioholics, Bibliomaniacs

Eine (mir) neue, bibliomane Wortschöpfung entdeckt: Bibliophibian. David Malki erklärt in seinem Comic die Bedeutung dieses Ausdruckes, den auch andere Bücherverrückte mögen: "I love Bibliophibian its another great word to add to my vocabulary along with Bibliomaniac and Bibliophile". Ein berühmter Bibliophibian ist Alberto Manguel. Ihn und seine 30.000 Bände umfassende Bibliothek besuchte Journalist und Literaturkritiker Ulrich Greiner. Der "König der Leser" kann Deutsch, weil seine Mutter, die die deutsche Kultur verehrte, eine Kinderfrau engagiert, die dem Kind die Sprache beibringen sollte. Manguel ist sowohl ein von Büchern Umgebener, ein Bibliophibian, als auch ein Legomane, ein Lesemensch: "'Meine Erfahrung des Lesens ist meine Erfahrung der Welt.' Zuerst komme für ihn das Lesen, dann erst das, was wir Leben oder Wirklichkeit zu nennen gewohnt seien. "Das ist auch ganz normal, denn wir alle konstruieren immerzu Modelle der Wahrnehmung. Um wirklich eine Erfahrung machen zu können, müssen wir sie uns selber erzählen können, und die Muster dieser Erzählung finden wir in der Literatur, sie bietet uns die Formen der Aneignung. Aber jeder Leser liest auf seine eigene Weise." Einen weiteren Begriff prägte Tom Raabe mit seinem leider immer noch nicht ins Deutsch übersetzten Buch Biblioholism: The Literary Addiction. Seitdem bezeichnen sich manche als Biblioholics, die wohl für diejenigen stehen, die ihre Bücherleidenschaft gerne artikulieren und zelebrieren, ihre Besessenheit als unaufgebbares Laster sehen.


Gekaufte und geliehene Bücher

Der Vorteil, wenn ein Bibliotheksbuch vor einem liegt und einem nach dem ersten Kapitel die Intuition sagt, laß lieber die Finger davon, ist, man läßt die Finger leicht davon, ohne finanziell etwas eingebüßt zu haben, ohne Ärger, sich durch ein Buch quälen zu müssen. Weg damit! Zurückbringen, und alles ist auf einfachste Art und Weise ungeschehen. So geschehen mit Last Lecture - Die Lehren meines Lebens von Randy Pausch, dessen Banalität mir auf den ersten Seiten das Gefühl der Leselust killte. Den Einwand eines Freundes, daß die paar Euro für ein Buch keine Rolle spielen, läßt mich feststellen, daß ein gekauftes Buch irgendwie "schwerwiegender" ist, weil in ihm Mühe der Anschaffung steckt: oft monate-, wenn nicht jahrelange Recherche, dann Bestellung, der E-Mail-Verkehr mit dem Verkäufer, Bezahlung via Online-Banking und schließlich das Warten aufs Buch. Wenn es dann vor einem liegt, habe ich, noch bevor ichs aufgeschlagen habe, das Gefühl, bereits ein gutes Stück Arbeit mit dem Buch hinter mir zu haben. Dadurch entsteht eine emotionale Form der Verplfichtung dem Buch gegenüber, die ein einfaches Beiseitelegen bei gefühltem Fehlkauf viel abseitiger erscheinen läßt.


Hesse-Apologie

Mein Vorschreiber im neuen und bekannt zu gebenden Literaturforum Litteratur.ch kann die Faszination für Hermann Hesse "nach Abschluss der Adoleszenzphase kaum bzw. gar nicht verstehen. Das ist spezifische Jugendliteratur, das hat (etwa der Steppenwolf) etwas Renitentes, Anarchisches oder aber man findet sich in Narziss und Goldmund (oder dem Glasperlenspiel) wieder, weil man von dieser vergeistigten Welt fasziniert ist, Bücher liebt. Paradigmatisch etwa der 'Traktat' im Steppenwolf: Einsamkeitsattitüde, in der sich viele Heranwachsende wiedererkennen - aber wenn man das später liest, hat man doch nur den Eindruck einer Peinlichkeit." Worauf ich schrieb: "Möglicherweise ist das bei mir anders, weil ich Hesse als über 20-Jähriger entdeckt habe. Ich mag die, wenns um Hesse geht, meist zuerst genannten Prosawerke wie Demian und Steppenwolf weniger. Die Zweitklektüre des letzten ließe mich so schulterzuckend zurück, wie du es als Normalfall für den annimmt, der Jugendlektüren noch mal vorzerrt. Ich lernte Hesse zurerst durch sein Leben kennen - und er war ja einer der größten Briefeschreiber des 20. Jahrhunderts -, durch die mehr oder weniger autobiografischen Schriften, die bibliomanen. Hier entwickelt er auch den Humor, der in seinen Prosawerken vermißt wird. Dadurch daß er in seinen Erzählungen die Kindheit so herausstellt und thematisiert, könnte er u.U. für älter Werdende wieder interessant werden, die sich den Blick zurück wieder gönnen. Und wie Nachgeborenen & Friedenskinder dürfens zumeist tun und eine vergangene Welt entdecken, wie auch Hesse sie entdeckte. Nämlich einfach durch die Zeit, die verging, die Dinge, die sich veränderten, ein Kontrastprogramm zu heute. Komischerweise werde ich bei Hesse nie satt, auch wenn in seinen Töpfen Themen köcheln, die man sich bis zum Überdruß zu Gemüte geführt hat. Bei mir nicht. Bei mir ist die Frage 'Warum lebe ich heute eigentlich noch, während doch rings um mich alles zu beschissen ist?' Tag für Tag von neuem der Renner."


Abgeschnitten vom Netz

Als ich in den vergangenen Tagen nicht ins Internet kam, weil mein neuer PC nicht überredet werden konnte, eine LAN-Verbindung anzuzeigen, saß ich schmollend in der Ecke und mußte, da ich überdies fernsehlos lebe, auf die einzige Zerstreuung zurückgreifen, die mir zur Verfügung steht und deren Limitierung durch exzessive Am-Computer- Hockerei ich sonst heftig beklage: das Lesen, die Bücher. An Arbeitstagen kein Problem; denn die knappen Stunden, in denen man wirklich Zeit, FREIzeit, hat, sind mit Lektüre füllbar und ERfüllen einen zur Gänze. Freie Tage allerdings werden einem, wenn man es gewohnt ist, morgens schon E-Mails zu checken, seine Foren abzugrasen, regelmäßig zu twittern, mit Freunden per ICQ oder Skype zu tratschen und all die Dinge zu tun, die ein Informationsjunkie am PC eben tut, - freie Tage werden einem plötzlich ohne jeden Zugriff auf diese Kanäle ziemlich lang. Die erzwungene Einkehr wirbelte die Gedanken durcheinander. Ich überlegte, ob und wie ich ohne Internet auskommen und leben könnte und stellte fest, daß der gravierendste Einschnitt bei den Büchern läge. Mein Wissen um Literatur, das Kennenlernen neuer Bücher, das Handling meines Bücherlebens (Bücherauswahl und -käufe, Online-Banking) läuft ausschließlich dank und mittels Netz. Ohnedem wäre ich aufgeschmissen. Müßte ich wieder auf örtliche Ressourcen wie Buchladen und Bibliothek zurückgreifen, fühlte ich mich deutlich zurückgesetzt und eingeschränkt. Der durch die Möglichkeiten des Internets geweitete Blick, die Handhabung der Bestellungen via Amazon oder Booklooker sind mir so in Fleisch und Blut übergegangen, daß ich ohne diesen Draht in den letzten Tagen regelrecht deprimiert vor mich hin brütete und mich sogar wieder in der Stadtbibliothek anmeldete. Zwar dürfte ich, unter welchen Bedingungen auch immer, meiner Intuition vertrauen. Sie führte mich gewiß zu guten Büchern. Doch die Fülle und Bandbreite wäre nur durch das Netz zugängig. Als Ergebnis dieser "bitteren" Tage der Unsicherheit und des Abgekoppeltseins nehme ich die Dankbarkeit mit, mit der Onlinewelt ein fantastisches Werkzeug zu besitzen, welches ich bewußter einsetzen sollte, d.h. die Tändeleien, die mich normalerweise von der Lektüre abhalten, abzustellen bzw. strikt zu begrenzen. Und - ich werde, wenn ich nun schon mal die 16 Euro Jahresgebühr für die Benutzung der Stadtbibliothek aufbrachte, diese nutzen. Die erste Ausleihe bescherte mir u.a. 2 neuere Bücher, auf die länger hätte warten müssen, bis sie mir in einigen Jahren als gebrauchtes Taschenbuch in die Hände gefallen wären: "Mobbing" von Annette Pehnt sowie "Teil der Lösung" von Ulrich Peltzer. Für neuere Bücher ist die Bibliothek durchaus ein probates Werkezeug, ebenso für "Zufallsbekanntschaften" und solche Bücher, die man kein zweites Mal lesen wird. Den einen oder anderen Krimi u.ä. werde ich also auf diese Weise acquirieren. Meine Lektürestatistik der letzten Wochen zeigt an, wie positiv es sich auswirkt, wenn die Konzentration auf die Bücher weniger störenden Einflüssen ausgesetzt ist.


Die Angst zu versagen

Kurt Drawerts erster Roman Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte (PT) könnte bei mir ein ähnliches Bedenken hervorrufen wie Die Stille (PT) von Reinhard Jirgl. Einerseits der Wunsch, sich durch die komplexe Literatur hindurchzuarbeiten, andererseits die Angst, es nicht zu können und buchstäblich steckenzubleiben. Das Gespür, großartiger Literatur gegenüberzustehen, welches mit Pawlowschem Reflex verbunden sofort Lesewünsche generiert; aber eben auch das Eingeständnis der Ungeduld gegenüber schwierigerer Literatur bei zunehmendem Zeitmangel und Alter.


Sanatoriumsromane

Aus dem Klassikerforum: Vorschreiber: "Ein SUB- Dauerkunde bei mir ist Nie wieder Höhenluft von Octave Mirbeau, ein satirischer Roman aus dem Jahr 1901, der in einem Luftkurort in den Pyrenäen spielt." Ein Sanatoriumsroman also, wie sie Thomas Mann mit dem Zauberberg, Knut Hamsun mit Das letzte Kapitel und Dieter Forte mit Auf der anderen Seite der Welt ebenso vorgelegt haben. Ich schrieb: "Autor und Buch sind bislang an mir vollständig vorbeigegangen. Erst gestern, als ich die Leipziger Jokers-Filiale durchstreifte und mir das Buch (derzeit für € 3,95 in der dtv-Ausgabe von 2002 zu haben) in die Hände fiel, sagte mir mein Bauchgefühl: Volltreffer. Mein Portemonnaie und meine Ungeduld und mein zuhause wartender SUB sprachen allerdings eine andere Sprache; und weil ich den Autor nicht kannte, wollte ich erst nachschauen, worums es geht. Mit dem Ergebnis, daß ich heute eben nochmals in die Stadt muß, um das Buch zu sichern."


Listenfronarbeit

Leselisten sind wie ein zu pflegender Garten, dessen Bäume man zuzeiten stutzen muß, in dem Unkraut zu wuchern beginnt. Ich baue sie immer wieder mal um, setze neue Prioritäten, es gibt Zu- und Abgänge zu verzeichnen, die Struktur muß den Gegebenheiten angeglichen werden usw. usf. Solche Gartenarbeit macht einen krummen Rücken, aber man fällt abends müde und glücklich ins Bett. Mit Leselisten meine ich in diesem Fall die Wunsch- und Kauflisten. Für das, was während und nach der Lektüre festzuhalten ist, gibt es Routinen, die relativ unverbrüchlich sind. Ach was, ich kopiere das mal hierher: Ergänzend zur Liste gelesener Bücher und zum SUB fange ich nochmal neu mit einer Lesestatistik an. Der SUB gibt Auskunft über die ungelesenen Bücher, die zuletzt gelesenen und gerade erst gekauften (mit "neu" attributiert). Mit der Lesestatistik will ich den Überblick über das Pensum gewinnen, wie es auf die Tage verteilt ist. Man sieht, welche Bücher flott gingen, an welchen ich länger zu kauen hatte. Ich ermittle die Anzahl gelesener Seiten vom Tag, Monat und die Jahresbilanz.


Hol- statt Bringepflicht

Selbst als langjähriger Buchbesteller bei Amazon, Booklooker Co begegne ich noch Ungewohntem und Neuem. Buch bestellt, worauf dann üblicherweise die Bestätigungsmail und die Mail des Verkäufers mit den Überweisungsdaten folgen. Diese enthielt allerdings - unter Angabe einer Nummer- die Aufforderung, IHN anzurufen, um die Zahlungsmodalitäten abzuklären. Skurril. Üblich ist, daß sie der Verkäufer angibt, daß der Anbieter einer Ware bekannt gibt, wie man zu ihr kommt. Eine Bringepflicht. Stattdessen erlegt man mir als Buchkäufer nun quasi eine Holepflicht auf. Wo sind meine Herztropfen?


Welterkenntnis im Informationszeitalter

Wie man im Internetzeitalter die Welt erkennen kann, möchte Claudia Klinger klären und wünscht eine rege Diskussion, in der ich schrieb: "Durch das Internet Daten, Fakten, Sachlagen eingetrichtert zu bekommen, verunmöglicht zunächst die Analyse. Die Zahlen und Tatsachen bombardieren die Sinne, saugen die Aufmerksamkeit so lange ab, bis man benommen aufspringt, sich schüttelt, ans Fenster tritt, tief durchatmet und einmal mehr ratlos ist. Die Dinge setzen sich nicht. Sie verknüpfen sich nicht mit den Erkenntnissen, die man gewonnen und verinnerlicht hat, zu denen man eine Sicht, eine Meinung entwickelt hat. Des öfteren denke ich an die Voraussage, daß wir in der Wissensgesellschaft nicht mehr das Problem haben, an Informationen zu kommen, sondern uns der Aufgabe stellen müssen, zu selektieren, zu filtern, auszusparen. Wir sind die modernen Goldsucher, die 1 Tonne audiovisuelles Rauschen sieben müssen, ehe wir 1 Gran wirklich bedeutende Information finden, dieses winzige Teil, das uns befähigt, so weise zu werden, daß wir dem geheimen Bild entsprechen, welches wir vom abgeklärten Greis besitzen, der pfeiferauchend mit schlohweißen Haaren im Schaukelstuhl am Kamin sitzt. Leider funktioniert der souveräne Umgang mit all den verfügbaren Kanälen auch bei mir nicht richtig. Jeder muß den Weg finden, der ihm ermöglicht, daß sich die Dinge "setzen", daß sie reifen, zueinander finden, daß das bloß angehäufte Wissen jene Weisheit und damit die Zufriedenheit erzeugen, die uns vom Informationsjunkie zum "vernünftigen" Menschen werden lassen. Ich bemerke eben, daß MEIN Weg der des Aufschreibens sein könnte. Indem ich Dinge formuliere, gruppieren sie sich im Hirn an, treten - wie früher beim Fahnenappell - vor, wieder zurück, stellen sich um, gehorchen meinem Verstand und nicht mehr nur den Sinnen. Was ich auch regelmäßig mache: laut sprechen, ausformulieren. Was wäre besser dafür geeignet als ein Spaziergang. Je schneller ich Auto fahre, desto weniger Details aus der Umgebung nehme ich wahr. Auf der Datenautobahn dürfte es nicht anders zu"gehen". Gehen! Eher schleichen. Entschleunigung auch im Wissenserwerb ist möglicherweise notwendig. Begrenzung der Kanäle. Wie man 100 Leuten auf Twitter folgen will, wie man sich in soundsoviel sozialen Netzwerken tummeln will, wie man nebenbei mehrere Blogs befüllen will, in weiteren 30 lesen und am besten noch kommentieren will, wie man in Webforen aktiv sein kann, die gute, alte E-Mail nicht austerben lassen will... Wie man das alles tagtäglich schaffen will, ohne zu verzweifeln, soll mir bittschön jemand erklären. Klar, Mut zur Lücke. Nur sollte man sich klar sein, daß die alte Einsicht, daß man Quantität zuungunsten von Qualität in Kauf nimmt, gültig bleibt." In den Plaudereien ist die Rubrik Internet versus Lektüre thematisch nahe dran an der Problematik, mit all den Möglichkeiten zu leben, die uns online zur Verfügung stehen.


Vorsätze für 2009?

Vorsätze für 2009? Was kann sich ein Bibliomane wünschen, der in permanenter Unzufriedenheit mit seiner Lektüre lebt? Mehr lesen, klar. Das Richtige lesen, klar. Nichts Neues unter der Sonne. Geht es konkreter? Das Minimum an täglicher Lektüre soll bei 100 Seiten liegen. Mehr zur aktuellen Lektüre schreiben. Sie begleitend schreiben. Den Stand festhalten. Statistik, um mir selbst Rechenschaft zu geben und Klarheit darüber, ob das subjektive Gefühl des Versagens grundlos oder gerechtfertigt ist. Psychologen raten einem ohnehin, Probleme schriftlich zu fixeren, zu formulieren. Ein weiterer Vorsatz und Wunsch besteht darin, nicht weiter um gewisse Bücher herumzuschleichen, nicht mehr zu taktieren, sondern gnadenlos zuzuschlagen und eben einfach lesen, ohne der Furcht, es nicht zu schaffen, damit nicht zu Rande zu kommen, Raum zu geben. Eine ordentliche Prise Unbedenklichkeit in Sachen Lektüre also. Größtes und seit vielen Jahren aufgeschobenes Projekt: Uwe Johnsons Jahrestage.


Beschränkung auf Bekanntes?

Außerdem im KF der Thread Was soll man lesen?, in dem ich kürzlich, biermotiviert, sinnierte: "Und wenn man nun entschiede, seine Autoren gefunden zu haben und sich auf die Wiederholungslektüre beschränkte? Würde man etwas verpassen? Ginge das? Der Literatur- und Buchmarkt drängt einen unentwegt zu Neuentdeckungen. Und wenn man das außer Acht ließe? Sich wieder und wieder auf die 30, 40 oder 50 Autoren einließe, die man bereits schätzt?" Später dann: "Mit der Beschränkung wollte ich auch keinen Keil zwischen Klassiker und Gegenwartsliteratur treiben, sondern meinte tatsächlich, ob es legitim, klug oder ratsam wäre, einen Schlußstrich, eine Grenze zu setzen und zu sagen: So, ab hier und heute beschränke ich mich auf die Autoren, die ich schon kenne und liebe und lasse alle anderen außen vor. In anderen Bereichen wäre eine solche Haltung ja reaktionär. Hier nicht?" Meine Jammerei führte ich heute fort mit: "Die Zeit, der Aufwand, die Energie, die für Selektion der wichtigen Bücher draufgeht. Ich hasse gewissermaßen die Fülle, weil ständig Entscheidungen vonnöten sind. Bei ALDI bin ich ruckzuck durch. Ich weiß, was ich brauche, wo es steht und verschwende keine weiteren Gedanken. Bei Kaufland stehe ich vor Regalen, in denen es Dutzende von Auswahlmöglichkeiten gibt. Das treibt mich in den Wahnsinn. Und bei jedem neuen Buch, bei jeder Vorstellung und Anpreisung erneut die Qual der Fragen: Ist das für mich wichtig? Wenn ja, warum? Aber nicht doch eher das andere Buch? Oder vielleicht doch eines derjenigen, die man immer zurückgestellt hat? (...) "Vor lauter Irregeleitetsein schiebe ich die Lektüre von Büchern, die ich immer schon lesen wollte, hinaus und lese stattdessen ein scheinbar 'näher' liegendes Buch."


Highlights 2008

2008 viele großartige Lektüren, die Erwähnung finden müßten. Nicht wirklich überraschend, jedoch möglicherweise wegweisend, die Erkenntnis, daß sättigend zumeist die Dickleiber sind, die Bücher mit epischem Atem. Am erstaunlichsten erwies sich dabei Irmtraud Morgners "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", eine skurrile Mischung aus DDR-Alltag und Fantasyelementen, die sich sehr erfrischend und erhellend auch noch nach 30 Jahren liest. Ein weiteres Buch kannte ich vor 2008 überhaupt nicht: "Die Thibaults" von Roger Martin DuGard. Hierin die fulminanteste Sterbeszene ever read. Andere Wälzer, die gelesen zu haben mich mit Befriedigung erfüllt: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst (Hans Fallada), Die Brautleute (Alessandro Manzoni), Die Islandglocke (Halldor Laxness), Das Fest des Ziegenbocks (Mario Vargas Llosa), Katzenauge (Margaret Atwood). Nach mehrere Jahren las ich erneut Hermann Burger (Diabelli. Erzählungen, S. Fischer) und staunte, wie geschliffen seine Prosa ist, wie exakt und treffsicher. Bedenken hatte ich vor Benoite Groults "Salz auf unserer Haut". Wie man so hört, ein Longseller, dem aber der Nimbus verpönter Unterhaltungsliteratur anhaftet. Ein Buch hartnäckiger Leidenschaften mit genau der richtigen Prise Ironie und Selbstironie. Eine "geplante" Neuentdeckung war Friesenblut (Olaf Schmidt), ein 'Krimi' um ein Bild, der uns weit in die Vergangenheit führt und uns Sprache und Heimat der Westfriesen plausibel näherbringt. Geplant deshalb, weil das Buch, seitdem es erschienen ist und voll des Lobes besprochen worden ist, auf der Ersatzbank saß und auf Einwechslung wartete und dann auch überzeugend einen Treffer zum Sieg verwandelte. Beeindruckt ließen mich Sandor Marais "Tagebücher 1984- 1989" zurück. Gut zwei Dutzend andere Lektüren pendeln ebenso in der Spitzenklasse. Als Indiz dafür wird das Prädikat "Zur Wieholek (Wiederholungslektüre) geeigent" vergeben. Nagib Machfus "Zwischen den Palästen" entführt zielsicher in die arabische Welt. Als Zweitlektüren begeisterten mich "Sämtliche Erzählungen, Bd 1: Der Schneesturm" (Lew Tolstoj) und Abschied von Gülsary (Tschingis Aitmatow). "Das Wetter vor 15 Jahren" von Wolf Haas ist konzeptionell ein Novum und brachte mich zum Nicken: Ja, auch so gehts - und nicht schlecht! "Der schwarze Obelisk", ein weiterer [Erich Maria] Remarque. Empfand ich als sehr humorvoll. Immer wenn ich mit dem Zitieren nicht mehr hinterherkomme, darf ich ein Buch nicht als medioker einstufen. Knallhart ist "Nairobi, River Road" von Meja Mwangi. Als neues Genre für mich entdeckte ich, tja, wie nennt man das: Erinnerungs- Reminizensbücher? Eine Mixtur aus Tagebuch, biografischem Erzählen und eingestreuten "special effects", möglichst mit Humor erzählt. Jakob Hein setzt dergestalt seiner Familie, speziell seiner Muuter in "Vielleicht ist es sogar schön" ein Denkmal. Toll. Ein weiteres Buch dieser Kategorie ist "Altern" des Schweizer Arztes und Schriftstellers Walter Vogt. Um mich zu berichtigen. Oben schrieb ich, die 'Tagebücher 1984-1989' von Sandor Marai [i]beeindruckten[/i] mich. Das ist zu schwach! Sie pusten dordentlich das mentale Rohr frei! Anwärter auf den Status eines Lebensbuches. Wenn einem der Optimismus zu sehr das Hirn zusäuselt, dann zwei Seiten Marai und man sinkt ordnungsgemäß auf Level 0 zurück. (26.12.2008)


Mehr Balance gewünscht

Da man nicht zwei Dinge gleichzeitig tun kann - jedenfalls können Männer dies bekanntlich nicht, dürfte klar sein, daß ich, wenn ich in diesen Tagen diese Notizen intensiv befülle, nur eingeschränkt lese. Ich KÖNNTE lesen, HÄTTE Zeit. Nur eben kaum Lust. Das ist tragisch. Liegt es an der Tatsache, daß ich mein Jahrespensum geschafft habe? 144 Titel gelesen. Oder warum diese pendelartigen Affinitäten mal zum Internet, mal zum Buch? Mit den Unvermeidlichkeiten auszukommen, mich über sie nicht mehr unendlich aufzuregen, lerne ich zwar immer besser; aber schöner wäre es schon, wenn ich mehr Balance in diese beiden Tätigkeiten, die ich gerne ausführe, brächte. Eine Internetphase kommt dem Bücherlei selbstverständlich zugute - ein Plus für den Besucher & Leser, ja. Bibliomanika aufzufinden, zu erfassen und sie möglichst ausführlicher vorzustellen, ist ein Anliegen, welches mich öfter beschäftigen sollte, als es das meist tut. Mir fiel auf, daß der non bibliomanic area viel öfter Inhalte zugeführt werden als den eigentlich essentiellen Bestandteilen des LB. Auch hier kein Gleichgewicht. Merkwürdig, weil diese Materialien wesentlich beständiger sind und weniger der Veraltung ausgesetzt als beispielsweise Beiträgen über aktuelle, zeitgebundene Phänomene. Die betreffenden Einträge im Projekt muß ich manchmal mehrmals im Jahr durchsehen, aktualisieren und ummodeln, wofür ein beachtlicher Zeit- und Kraftaufwand oft die Lust schmälert, überhaupt weiterzumachen. Darob verstehe ich mich selbst nicht, daß ich bibliomane Inhalte so vernachlässige, die auch forthin das Zentrum meines Bemühens bilden sollten. (19. Dezember 2008)


Schwergewichte

Es gibt so einige literarische Schwergewichte, die sich angesammelt haben, denen man seine Aufmerksamkeit zuwenden soll und will. Die Bedeutung erlangen und Beschäftigung einfordern. Die man unbedingt lesen möchte, weil einem klar wird, daß das sonstige literarische Herumkrebsen nicht alles ist, daß Unterhaltung zwar legitim und notwendig, aber nicht alles ist, daß die Lektüre und das Leseleben unvollständig und zu oberflächennah bliebe, wenn man diese gewichtigen Stimmen nicht vernähme. Vielleicht unterliege ich aber auch einer Täuschung. Vielleicht sind es einfach nur dicke Bücher, Wälzer, deren Umfang mir Gewichtigkeit vorgaukeln. In einer Sendung des Literaturclubs in diesem Jahr wurden Warlam Schalamows Gulag-Erzählungen Durch den Schnee. Erzählungen aus Kolyma mit einer Eindrücklichkeit besprochen und so einhellig empfohlen, daß ich sie unbesehen in meine Wunschliste aufnahm. Schalamows Werke erscheinen beim Berliner Verlag Matthes & Seitz, der eine Webseite zur Werkausgabe unterhält, auf der man alle wichtigen Informationen bekommt. Ein weiterer Russe geriet 2008 in mein Blickfeld: Wassili Grossman. Dessen Kriegsroman Leben und Schicksal (siehe Perlentaucher) ist als Taschenbuch erschienen und wird immer wieder als "Krieg und Frieden" des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Mit den Wälzern kann man fortfahren. Uwe Johnsons "Jahrestage" sind immer noch ungelesen. Mit Uwe Tellkamps "Der Turm" steht in der neuesten Literatur ein weiterer monumentaler Roman bereit. Inzwischen scheint mir, daß ich die Scheu vor Großwerken verliere. Immerhin gälte es, wie vorgenommen, sich auch Victor Klemperers Tagebuchwerk zu widmen - mehrere dickleibige Doppelbände (6 Bücher bzw. 3x2), die die Zeit zwischen 1918 und 1959 abdecken. Als sie damals erschienen, sorgten sie für Furore; seitdem hörte ich jedoch kaum mehr von ihnen. Die jeweils neuen Aufregungen des Buchmarktes verhindert offensichtlich, daß das einmal als groß und wichtig Erkannte ebenso rasch wieder in der Versenkung verschwindet, wie es aufgetaucht war. (19. Dezember 2008)


Unkonventionelle Bücheracquise

Einen Verkäufer unserer Connewitzer Verlagsbuchhandlung gelang es mir heute zu verblüffen. Auf dem Grabbeltisch entdecke ich zwei weitere Bücher von John Fante (Warten auf Wunder und Sein Weg nach Los Angeles), den ich kürzlich erst mit Unter Brüdern kennen- und schätzenlernte und die, weil sie in Deutschland so selten publiziert worden sind, selbst als Taschenbücher bei Booklooker nicht ganz so billig sind, so daß ich mit den verlangten € 3.- richtig glücklich war. Beim Erzählband Warum tanzt ihr nicht von Raymond Carver wußte ich partout nicht, ob ich diese Auswahl schon gelesen habe oder eine andere. Deshalb bat ich den Buchhändler, mich mal kurz an seinen Rechner zu lassen, um in meiner Liste gelesener Bücher nach den Titeln der Bücher zuschauen, die ich von Carver bereits las. Bingo; DEN hatte ich noch nicht! Die Erzähl- und Auswahlbände, welche ich schon kenne und ab 1998 las, sind: "Würdest du endlich still sein, bitte", "Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden" sowie mein Carver-Einstand - "Kathedrale". Buchkauf erfolgreich. Ende. Den Blick des Buchhändlers hättet ihr sehen sollen...


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