Drittes Reich (1)

Nazideutschland & Zweiter Weltkrieg [^^] [^]


Themenstreusel: Geschichte
Themenstreusel: Drittes Reich
Schwärende Pestbeule
Wiener Kindergarten
Flüsterwitz
Abschied in den Krieg
Gesinnungsakrobaten
Wie heiss soll es noch werden?
Nachkriegssommer
Blockwart
Sie können nicht alle nehmen...
Hysterisch Schlagworten folgen
Das Rote Meer
Hitlers Weingesetz
Das Totenreich
Schulmilch und Russen
Hündler oder Fitler
Faschismus
Dr. Ley
Angepaßte Konzepte
Ein Aufschrei?
... und wachsen
Idiosynkrasie gegen Juden
Und morgen die ganze Welt
In (fast) unverbrüchlicher Treue
Der Hüttler
Deutsche Arbeit
Ein ganzes deutsches Volk
Die Schuldfrage
Harter Kriegswinter
Ein einiges Volk
Himmel oder Hölle
Das Ende aller Dinge
Mein Deutschtum ist anders
Eine noch nie da gewesene Menschenart
Anfängliche Begeisterung


Schwärende Pestbeule

"Ich habe mich nämlich gerade gefragt, was meine dummen, kleinen Sorgen überhaupt für eine Berechtigung haben neben diesen ganzen verrückten Weltgeschehnissen." "Ich glaube, da kann ich dich beruhigen. Erstens sind Sorgen in Bezug auf Frauen zwar meistens dumm, aber selten klein. Und zweitens könnte man die Frage auch andersrum stellen. Was hat dieses ganze verrückte Weltgeschehen überhaupt für eine Berechtigung neben deinen Sorgen?" "Sie machen sich lustig über mich, Herr Professor!" "Nein, das mache ich nicht!", widersetzte Freud und erhob statt des Zeigefingers energisch seine Zigarre. "Das derzeitige Weltgeschehen ist nichts weiter als ein Tumor, ein Geschwür, eine schwärende, stinkende Pestbeule, die bald platzen und ihren ekeligen Inhalt über die gesamte westliche Zivilisation entleeren wird." (Robert Seethaler: Der Trafikant) ^


Wiener Kindergarten

Von den Zuständen in der lieben Wienerstadt sprach er, von diesem riesengroßen Kindergarten, in dem sich der Schuschnigg-Bub und seine Spielkamerdaden so gerne austoben würden, aber schon längst nicht mehr dürften; von den kleinen Nazis, die sich im Sandkasten so gerne mit den kleinen Sozis prügelten, und von den kleinen Katholiken, die still daneben stünden, in ihre Windeln schissen und nachher den großdeutschen Kindergartentanten alles beichteten. (Robert Seethaler: Der Trafikant) ^


Flüsterwitz

"Lieber Gott, mach mich stumm,
daß ich nicht nach Dachau kumm.
Lieber Gott, mach mich taub,
daß ich an unsre Zukunft glaub.
Lieber Gott, mach mich blind,
daß ich alles herrlich find:
Bin ich erst taub und stumm und blind,
bin ich Adolfs liebstes Kind..."
(Robert Seethaler: Der Trafikant)  ^


Abschied in den Krieg

Am Tag der Kriegserklärung brachen Vater und Sohn gemeinsam auf, Bernard nach Lothringen, Yves zu einem Flugplatz in Beauce. So wie man ein Haus betritt, in dem man früher gelebt hat, und sich tastend zwischen den vertrauten Möbeln bewegt, so fanden die Französinnen ohne Erschütterungen und ohne sichtbare Mühe zu ihrem Gewohnheiten des anderen Kriegs zurück. Sie erinnerten sich zum Beispiel daran, daß man den Mann, der abreist, nicht zum Bahnhof begleiten darf, daß der letzte Kuß zu Hause gegeben werden muß, weitab von der Menge, in einem etwas dunklen Zimmer, daß der Soldat sich entfernt, ohne den Kopf zu wenden, und daß man dann keine Tränen vergießen darf, als hielte man instinktiv alle Tränen für die Zukunft in Reserve. (...) ... weil sie sich vor der Rückkehr in das Eßzimmer fürchtete, das sie gerade verlassen hatten und wo sie die Aschenbecher voller Zigarettenkippen sähe, die vom Tisch abgerückten Stühle, die Gedecke der Männer, jener Männer, die der Krieg ihr raubte. Diese Qual behielt sie in Erinnerung... All die Kleider, die man aufräumen muß, die Bücher, zwischen deren Seiten noch ein wenig Pfeifenasche ist, dieser nur langsam verfliegende Geruch nach Lavendelwasser und Zigarren, dieses kalte, leere Bett. (...) Glücklicherweise konnten die leeren Hände sich damit beschäftigen, die Kleider und die Wäsche zu falten, zu streicheln. Glücklicherweise könnten endlich die Tränen eine nach der andern auf zu flickende Dinge fallen. Glücklicherweise mußten Einkäufe gemacht, die Kinder versorgt, das Essen zubereitet werden... Glückliches, glückliches Los der Frauen! (Irène Némirovsky: Feuer im Herbst)  ^


Gesinnungsakrobaten

Der Mehltau der politischen Entwicklung hatte sich auf alle menschlichen Beziehungen gelegt, und da Leopold eine entschiedene und eindeutige Stellung bezogen hatte, hielten es die Gesinnungsakrobaten, aus denen zu neunundneunzig Teilen alle Volksklassen bestehen, weder für wichtig noch für vorteilhaft, eine lang genossene Freundschaft mit Leuten zu unterstreichen, die eigentlich nie "ernst zu nehmen" gewesen sind. Die Heliotropie des menschlichen Opportunismus trat in ihr Recht. Die Tüchtigen wandten ihre Köpfe der neuen Sonne zu, wenngleich diese noch unterm Horizont in einem fahlen Zwielicht stand. Zumeist ahnten sie gar nicht, dass sie Verräterei begingen, denn die erwähnte Kopfwendung ist ein ganz natürlicher und kein gesinnungshaft geistiger Vorgang, und der Mensch ist so schwach geboren, dass er jede "Weltanschauung" gläubig anzunehmen willens ist, sofern sie nur zur Herrschaft kommt und ihm sein Futter nicht vermindert. Diese Gattung Mensch würde auch glatt ihre eigenen Kinder abschlachten, wenn's die durch Macht erhärtete und mit Wissenschaft verbrämte Weltanschauung von ihr fordern sollte. (Franz Werfel: Der veruntreute Himmel. Die Geschichte einer Magd) ^


Wie heiss soll es noch werden?

"Wenn ihr Pässe dabeihabt, dann habt ihr jetzt die einmalige Gelegenheit mitzukommen. Vier Auswanderer haben es sich anders überlegt! (...) Was habt ihr hier in Deutschland eigentlich noch verloren?", fuhr sie die Schwestern vorwurfsvoll an. "Meine Güte, nun mach mal halblang! Wir wohnen hier und haben unsere Familien hier! Und nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird." "Wie kann man nur so blind sein", bellte Selma verächtlich zurück. "Wie heiß soll es eigentlich noch werden?" (Marcia Zuckermann: Mischpoke!) ^


Nachkriegssommer

Die ersten Nachkriegssommer waren eine wettergeschichtliche Rarität, endlose Folgen schöner und heißer Tage. Man hatte zwar Hunger in Deutschland, man schämte sich des letzten Jahrzehnts, man hatte die staatliche Souveränität verloren und musste sich vor alliierten Spruchkammern verantworten. Aber man hatte überlebt. Es gab wieder Hoffnung auf ein normales Leben. Und es gab plötzlich Bücher und Bilder, in denen diese Hoffnung künstlerisch kodifiziert war als intellektuelle Freiheit, als der Traum einer stabilen deutschen Demokratie. Als das Land, in dem wir heute leben. (Stephan Wackwitz: Die Bilder meiner Mutter) ^


Blockwart

Blockleiter waren für die Durchsetzung der antisemitischen Rassenpolitik der Nazis zuständig, machten Meldung über die Stimmung an der Basis, denunzierten Unzufriedene und Juden, überwachten bekannte Regimegegner, führten Haushaltskarteien, kassierten allerlei Beiträge, ordneten die zu allen offiziellen Anlässen üblichen Beflaggungen an, waren für das "Winterhilfswerk" und die Organisation der regelmäßigen Eintopfsonntage zuständig. (Stephan Wackwitz: Die Bilder meiner Mutter) ^


Sie können nicht alle nehmen...

"Sie wissen, daß kein Visum erteilt wurde, wenn nicht nachgewiesen werden konnte, daß man sehr gefährdet sei, oder wenn man nicht in Amerika auf eine Liste bekannter Künstler, Wissenschaftler oder Intellektueller gesetzt wurde. Als ob wir nicht alle gefährdet gewesen wären - und als ob Mensch nicht Mensch wäre! Ist der Unterschied zwischen wertvollen und gewöhnlichen Menschen nicht eine ferne Parallele zu den Übermenschen und den Untermenschen?" "Sie können nicht alle nehmen", erwiderte ich. "Nein?" fragte Schwarz. (Erich Maria Remarque: Die Nacht von Lissabon)  ^


Hysterisch Schlagworten folgen

Es schien mir auch bezeichnend zu sein für die leere, finstere Besessenheit unserer Zeit, die voll Furcht und Hysterie Schlagworten folgt, ganz gleich, ob jemand von rechts oder von links sie schreit, wenn er der Masse nur das lästige Denken und die Verantwortung abnimmt, für das einstehen zu müssen, was sie fürchtet und dem sie nicht ausweicht. (Erich Maria Remarque: Die Nacht von Lissabon) ^


Das Rote Meer

"Was ich wirklich brauche, ist eine Aufenthaltserlaubnis für diesen Bezirk hier, und niemand anders kann mir die geben als Sie, Herr Präfekt." Er lachte. "Aber wenn Sie gesucht werden, sind Sie hier doch am gefährdetsten." "Wenn ich gesucht werde, bin ich in Marseille gefährdeter als hier. Man wird mich dort vermuten, aber nicht hier. Geben Sie uns eine Erlaubnis für eine Woche. Wir werden in dieser Zeit den Zug durchs Rote Meer antreten können." "Das Rote Meer?" "Das ist ein Ausdruck unter Flüchtlingen. Wir leben wie die Juden beim Auszug aus Ägypten. Hinter uns die deutsche Armee und die Gestapo, zu beiden Seiten das Meer der französischen und spanischen Polizei, und vor uns das Gelobte Land Portugal mit dem Hafen von Lissabon zum noch gelobteren Lande Amerika." (Erich Maria Remarque: Die Nacht von Lissabon)  ^


Hitlers Weingesetz

"Ist noch Wein da?" "Genug. Darin ist meine Familie zuverlässig. Seit wann trinkst du Wein?" "Seit ich in Frankreich bin." "Gut", sagte sie. "Verstehst du schon etwas davon?" "Nicht viel. Hauptsächlich von Rotwein. Billigem." Helen stand auf und ging in die Küche. Sie kam mit zwei Flaschen und einem Korkenzieher zurück. "Unser glorreicher Führer hat das alte Weingesetz modifiziert", sagte sie. "Früher durfte bei Naturweinen kein Zucker zugefügt werden. Jetzt darf sogar die Gärung unterbrochen werden." Sie sah mein verständnisloses Gesicht. "Das macht saure Weine in schlechten Jahrgängen süßer", erklärte sie und lachte. "Ein Schwindel der Herrenrasse, um den Export zu erhöhen und Devisen hereinzubekommen." (Erich Maria Remarque: Die Nacht von Lissabon)  ^


Das Totenreich

Das unaufhörliche Erschrecken, das deutsche Reich in ein Totenreich verwandelt zu sehen, ein nicht mehr stabiles, nicht mehr vorwärtsstürmendes Vaterland, das nun an allen Grenzen kämpfend stillsteht und jeden Sieg mit einer Niederlage bezahlt und jede Niederlage mit einem Sieg wettmacht und die Friedhöfe füllt mit jungen Toten, in den Formeln der Abschiedsanzeigen schnell noch zu Helden befördert, sodaß man wieder und wieder erschrickt über die Inflation an Helden. Die von Monat zu Monat wachsende Beschwörung von Kampf, Opfer, Pflicht, Einsatzbereitschaft, Sieg und Siegfrieden und die Hoffnung auf die Weisheit der Obersten Heeresleitung und die Allmacht des Kaisers, während es in den Geschäften immer weniger zu kaufen gibt und alles teurer wird und der Teller nicht mehr so gefüllt wie im Jahr zuvor und erst recht in den nun schmerzlich vermißten, einst so unerträglich öden Friedensjahren. (Friedrich Christian Delius: Die Liebesgeschichtenerzählerin) ^


Schulmilch und Russen

In der großen Pause gab es für alle Kinder Schulmilch, obwohl der Krieg schon seit Längerem vorbei war und wir längst im Land der Verheißung lebten, in dem alle genug zu essen und zu trinken hatten, aber so ganz traute keiner dem Frieden. Sicherheitshalber gab es noch immer Schulmilch und Lebertran. In der Pause redeten die Kinder vom Krieg und daß vielleicht demnächst die Russen kämen und man dann alles in Sicherheit bringen müßte, die Teppiche zusammenrollen und die Mädchen und Frauen verstecken, weil die Russen es besonders auf die Teppiche und die Mädchen und Frauen abgesehen hätten, je blonder, desto lieber, aber zur Not nähmen sie sogar die Alten, und natürlich war es verdächtig, daß ich aus dem Osten kam, weil es in der Zone vor Russen nur so wimmelte, die gleich hinter der Grenze standen und darauf warteten, sich endlich über die westdeutschen Teppiche und Frauen hermachen zu können. (Birgit Vanderbeke: Ich freue mich, dass ich geboren bin) ^


Hündler oder Fitler

"Nach München zurück - wollen Sie nicht?" "Und Sie?" "Hm." "Was ich diesem - ich will ihm nicht die Ehre geben, daß er in meinem Hirn auch nur als Namen herumspukt, deswegen behaupte ich, ich habe den Namen vergessen, diesen: Hündler oder Fitler - was ich diesem Strick nicht verzeihe, ist, daß er mir Deutschland verleidet hat." "Deutschland - das möchte ich verkraften. Die Deutschen verkrafte ich, fürchte ich, nicht mehr." "Dabei sind wir selber welche. Deutsche, meine ich." "Deutsche? Nicht Juden?" "Jetzt werden Sie nicht philosophisch, das hilft im praktischen Leben bekanntlich überhaupt nicht weiter." "Sie ewiger Pessimist." "Hat den Vorteil, daß man meistens recht behält." (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Faschismus

Faschismus bedeutet: ein Staatssystem (oder auch ein anderes soziales System, eine Kirche zum Beispiel), das behauptet, die allein richtige und allein seligmachende Lehre zu vertreten: den Anspruch der ausschließenden Wahrheit erhebt. Das ist allen faschistischen Systemen gemeinsam. Weiter unten fächern sie sich auf: entweder singen sie vom Klassenkampf oder träumen von alten Imperien oder wollen die Welt mit rückgezüchteten Blondinen bevölkern. Und alle werden korrupt, und war von innen heraus, denn kein Mensch kann die hohen Ansprüche eines Faschismus erfüllen. Der deutsche Faschismus war der unappetitlichste. Der entstand schon pervertiert. Der deutsche Faschismus roch von Anfang an nach Kartoffelschalen und Dörrgemüse, der deutsche Faschismus schrie vom ersten Tag an nach Frühaufstehen und dem Waschen des Kochgeschirres, der deutsche Faschismus kleidete sich seit seinem Entstehen in Loden und Windjacke, kurzum: der deutsche Faschismus war die Ideal- Inkarnation der Wohnküche auf politischem Gebiet. (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen) ^


Dr. Ley

Es gab sogar einen Reichsorganisationsleiter, er hieß Dr. Robert Ley und war Chemiker. Sein soziales Engagement resultierte daraus, daß er im Jahr 1928 von Bayer-Leverkusen wegen Alkoholexzessen entlassen worden war. Er gründete und leitete (organisierte) in der NSDAP die "Deutsche Arbeitsfront", eine Art gleichgeschalteter, völkisch erneuerter Einheitsgewerkschaft, in der er nicht müde wurde, Alkoholabstinenz zu predigen. Er selber blieb einer der bedeutendsten Champagnerkonsumenten der Nazi-Nomenklatura. Er erfand die Organisation "Kraft durch Freude" und die Bezeichnung "Soldat der Wirtschaft" für den Arbeiter. (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Angepaßte Konzepte

Der Hitler, Herr Peschmowitz, hat kein politisches Konzept. Hat er nie gehabt. Darf er auch nicht haben. Mit einem politischen Konzept wäre er nie so weit gekommen. Eine diktatorische Bewegung schlägt je schärfer durch, desto verquollener ihre Argumente sind. Die Masse will nicht denken, die Masse will fühlen. Sehen Sie: freilich hat es Programme der NSDAP gegeben, Absichtsbedkundungen, Pläne, Kampfschriften... alles hundertmal geändert. Bei jeder neuen politischen Situation hat der Hitler sein Programm angepaßt. Wenn er selber heute sein Programm von 1920 durchliest... die Haarlocke steht ihm zu Berg. Muß komisch aussehen. Glauben Sie, es hat nichts zu bedeuten, daß er selber den Zeitungen verboten hat, das NSDAP-Programm abzudrucken oder zu zitieren? Daß er sogar verboten hat, aus 'Mein Kampf' zu zitieren? Wie früher die Christen mit der Bibel. Herr Peschmowitzer: eine Masse eint man nie, nie für etwas. Eine Masse kann man immer nur gegen etwas einen. (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Ein Aufschrei?

"Eine braune Zukunft." "Ja - da - der ganze Marienplatz, alles voll Hakenkreuzfahnen... im Rathaus lauter braune Uniformen. Der Bürgermeister ein Nazi, der Ministerpräsident ein Nazi, der Reichskanzler ein Nazi... und wir Juden müssen wieder so gelbe Hüte tragen. So gelbe, spitzige Hüte." "Aber wir sind doch nicht mehr im Mittelalter, Herr Blumenthal." "Das kommt darauf an, was man unter Mittelalter versteht." "Ich würde mich weigern..." "Weigern? Haben sich unsere Alten, damals, geweigert, spitzige gelbe Hüte zu tragen? im Ghetto zu leben? zu kuschen, zu kriechen?" "Das waren doch aber andere Zeiten." "Die Zeiten, Herr Peschmowitzer, sind nie anders." "Der Antisemitismus, Herr Blumenthal, ist doch im Prinzip überwunden. Ein vernünftiger Mensch..." "Vernünftiger Mensch?" "Ich weiß, Herr Blumenthal, Sie zweifeln an der Vernunft, aber, ich bitte Sie, das deutsche Volk, die Guten... und... und... wir sind doch auch Deutsche... die Guten würden doch aufstehen wie ein Mann, und ein Aufschrei..." (...) (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


... und wachsen

"Habe ich es nicht gesagt, Herr Blumenthal? Die völkische Bewegung ist tot." "Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Peschmowitzer, sechs Nazis sitzen da drüben im Rathaus, als Stadträte - ihre neune im Landtag, und im Reichstag sind sie zu zwölft." "So. Aha. Von wieviel?" "Zwölf von 491." "Zwölf Nazis unter 491 Reichstagsabgeordneten? Sehen Sie, Herr Blumenthal: eine absolut ungefährlich gewordene Splitterpartei." "Schreien aber am lautesten." "Kleine Kinder schreien auch lauter als größere." "Eben, Herr Peschmowitzer, und wachsen." (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Idiosynkrasie gegen Juden

"Der Überall auf Kommerzienrat Fränkel. Das Schöffengericht München verhandelte dieser Tage gegen den Nationalsozialisten Christian Weber wegen seiner Beteiligung an dem bekannten Überfall auf Kommerzienrat Sigmund Fränkel und dessen Angehörige. Weber hatte sich bei der Verhandlung gegen die übrigen Beschuldigten wegen Krankheit entschuldigt, jetzt brachte er zu seiner Rechtfertigung vor, er sei durch Äußerungen des jungen Fränkel gereizt gewesen. (...) ... beantragte Weber, ihn ärztlich auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen (das Journalistendeutsch ist nicht ganz klar: Weber beantragte nicht, den jungen Fränkel auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen, sondern beantragte: daß er, Weber, selber untersucht würde. Tollkühn? Ohne Rücksicht darauf, was bei der Untersuchung des Geisteszustandes eines Weber, Christian, eventuell womöglich alles herauskommt?) "denn... er habe eine derartige Idiosynkrasie gegen Juden, daß er, sooft er einem Juden begegne, ihn sofort niederschlagen müsse." (Schon ein politisches Talent, dieser Weber. Hut ab. Oder vielleicht besser: Helm ab. Nicht zum Gebet, aber zur stillen Andacht unter Thinglinde. Völlig unschuldig, diese Germanen. Ist eben ein genetisch unbesiegbarer Zwang: wenn so ein Beikeles mit krummer Nase und Kaftan kommt... förmlich eine Reflexhandlung, nicht steuerbar: bumm, ein Schlag mit der nervigen Faust. Das Zyklon B: Zwanghaft, wir konnten nicht anders. Haben einen Itzig auf der Straße gesehen, auf dem Absatz umgekehrt, Zyklon B erfunden, zwanghaft KZ gebaut, Gasöfen aufgestellt... wie in Trance. Wir können nichts dafür. Eine unüberwindliche Idiosynkrasie gegen Beschnittene.) (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Und morgen die ganze Welt

Eine gewisse Bewaffnung war dann später erforderlich, denn unverständlicherweise war die Welt freiwillig nicht bereit, am deutschen Wesen zu genesen. Müssen also die morschen Knochen erst einmal zum Zittern gebracht werden. Mores gelehrt. Werden mal sehen, ob nicht. Mal zeigen, was 'ne Harke ist. "Heute gehört uns Deutschland / und morgen die ganze Welt." Was wollen wir eigentlich mit der ganzen Welt? Mit Anatolien, der Halbinsel Kola, mit Persien, Tasmanien, Feuerland, den Pescatores-Inseln... mit der ganzen, ganzen Welt, wenn dort überall eh nur Cretins mit morschen Knochen wohnen? Oder werden alle Knochen zu Seife verarbeitet? Soll uns nur die leere Welt gehören? Ohne Knochen? Neu besiedelt? Überall Deutsche? "Wer meldet sich für die Fidji-Inseln?" "Ich, Herr Ortsgruppenleiter!" Überall nur noch Germanen. Selbst im australischen Busch und auf dem grönländischen Eis nur noch blond und blauäugig. Die ganze Welt eine einzige Ruine. Wollte sagen: Rune. Sieg-Rune. Hakenkreuz. Am deutschen Wesen ist die Welt genesen. "Freude, schöner Götterfunken" wird nur noch mit dem Contrapunkt "- die Fahne hoch..." gespielt. (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


In (fast) unverbrüchlicher Treue

Klein Gerhardi war inzwischen - sagen wir - Obergefreiter in irgendeiner Kompanie irgendeines Regiments irgendeiner Division der Herresgruppe Mitte im Kuban-Brückenkopf, und die Knochen des Obergefreiten Gerhard Müller, ehemals Funkamateur, zittern auf Grund der näherkommenden Einschläge der russischen schweren Artillerie, und als dann so ein von der plutokratisch-kommunistisch-jüdischen Weltverschwörung losgeschicktes Geschoß direkt in den Unterstand einschlägt, zittern die Knochen nicht mehr, sondern fliegen in kleine Stückchen verteilt durch die linde Mailuft, "--im festen Glauben an den Endsieg, in unverbrüchlicher Treue zu Führer und Vaterland--", wie der stets weiter hinten sich aufhaltende Bataillonskommandeur schon sehr routiniert verliehene EK II-", dann zittern die morschen Knochen der Eltern, und vielleicht geht Vati Müller, der tiefinnerst nicht mehr so recht an den Endsieg, Führer und Vaterland glaubt und womöglich sogar bereut, 1933 auf dem Wahlzettel dieses eckige Brandmal mit den Buchstaben NSDAP angekreuzt zu haben, vielleicht geht Vati Müller hinauf... (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Der Hüttler

"Die Prostitution abgeschafft?" "Ja." "Geht denn das überhaupt?" "Mit dem eisernen Besen, sagt der Hüttlinger, dem Karli sein Freund. Die Juden, die Homo, die Zigeuner, das ganze Gschwerl, wird alles abgeschafft." "Pimperlt der Hüttlinger nie? Oder wie oder was?" "Komm her - im Vertrauen g'sagt: der Karli weiß das, weil er ja quasi ganz eng befreundet ist mit dem Hüttler. Der Hüttler... komm näher... der Hüttler hat keine zwei Eier. Hihi. Hat nur eins. Deswegen geniert er sich. "Ein solchener." "Aber ein feuriger Redner." (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Deutsche Arbeit

Zehn Jahre später entblödeten die Nazi sich nicht, sich auch diesen Feiertag anzueignen, als: "Tag der deutschen Arbeit". Was ist eine deutsche Arbeit? Selbstverständlich fällt unter diesen Begriff nicht jede Arbeit, die auf deutschem Boden (d.i. Scholle) verrichtet wird. Wenn ein Jude zum Beispiel in Bad Tölz oder in Mellrichstadt oder irgendwo im Deutschen Reich eine Arbeit verrichtet, sofern man das, was ein Itzig so herumwurstelt, überhaupt als Arbeit bezeichnen kann, so ist das selbstredend keine Deutsche solche. Später hat der Itzig dann mehr in Dachau oder in Theresienstadt oder in Treblinka gearbeitet. "Arbeit macht frei" stand über dem Lagereingang in Auschwitz. Auch bei dieser Arbeit hat es sich, obwohl sie frei gemacht hat, nicht um Deutsche Arbeit gehandelt, da ja von Artfremden verrichtet. Auch passive Arbeit haben die Itzigs geleistet. Öfen geheizt. Also - geheizt worden. Umwandlung von Itzigs in Energie. Haha. Das aktive Heizen, als das... na ja, das Verbringen der Itzigs in die Öfen, war ja anstrengend, sind ja nicht freiwillig hineingegangen, haben den Braten gerochen... ha, ha... Braten gerochen, sehr gut, bitte noch ein Dornkaat. (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Ein ganzes deutsches Volk

"Sie sehen zu schwarz, Herr Blumenthal." "Schwarz, Herr Peschmowitz, würde mich nicht stören oder nur wenig. Nein: ich sehe braun." "Auswüchse, Auswüchse, Herr Blumenthal. Lassen Sie die Inflation endlich aufhören, lassen Sie die Leute wieder was Anständiges zu essen bekommen, lassen Sie ein paar Jahre vergehen, daß sie den Krieg vergessen, und dann werden sie schon zur Vernunft kommen. Ein ganzes Volk, liebster Herr Blumenthal, ein ganzes deutsches Volk kann doch nicht auf die Dauer verblöden. Ein ganzes deutsches Volk kann doch nicht vergessen, daß es einen Goethe und einen Beethoven hervorgebracht hat." (Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen)


Die Schuldfrage

Ein Bosnier und ein Serbe waren bei ihm angestellt, er hatte keine Ahnung, was der Unterschied genau war. Und dann hat er erfahren, dass die es auch nicht wirklich wussten. Den Krieg haben sie beide verdammt. Ein Mal nur ging es um die Schuldfrage, weil es ein Mal halt immer bei allen Dingen um die Schuldfrage geht, aber das haben sie friedlich gelöst und danach beschlossen, nur noch deutsche Nachrichten zu gucken, weil da seien alle gleich schuld, nur die Deutschen nicht ... die dürften sich für die nächsten tausend Jahre keine Schuld mehr leisten, und damit konnten beide leben. (Sasa Stanisic: Vor dem Fest)


Harter Kriegswinter

Der Winter blieb hart bis zum Ende. Der Krieg begann über die Fronten zu springen und ins Volk zu stoßen. (...) Bauern, die starkes Vieh und gute Äcker besaßen, wuchsen zu Instanzen, denen man sich näherte wie früher hochgestellten und reichen Verwandten. Wenn wir in eine Bauernküche traten, in der in breiten Eimern frische Milch stand oder ein Schinken im Rauchfang schaukelte, überkam uns dieselbe Scheu wie August und seine proletarischen Kameraden, als sie vor Jahren einen bürgerlichen Salon sahen oder ein Klavier. (Ernst Glaeser: Jahrgang 1902)


Ein einiges Volk

Wir fühlten uns unter dem Schutz der Fronten geborgen wie eine gläubige Gemeinde unter dem Dach ihrer Kirche und in der Verheißung ihres Herrn. Gott war auf unserer Seite, unsere Väter waren seine Werkzeuge, wir sein Volk. Die Gesichter der Erwachsenen bekamen langsam jenen selbstsicheren Ausdruck, wie ihn die Adventisten haben. Sie fühlten sich alle auserwählt. "Wir Deutsche", sagten sie und machten Augen dazu, als sollten sie auf ein Heiligenbild gemalt werden. Dauernd betonten sie ihre Brüderlichkeit, als sei es ein großes Verdienst, einig zu sein. Ihre Stimmen waren gesalbt, sie vermieden jeden lauten Ton, jedes böse Wort. Die "armen Leute", wie sie das Proletariat nannten, wurden liebevoll behandelt, niemand fand es mehr unter seiner Würde, mit Arbeitern und kleinen Bürgern mehr als das Notwendige zu sprechen. Der Name Sozialist verlor seinen anrüchigen Klang. Wir waren ein einiges Volk, der Krieg hatte alle sozialen Kluften überbrückt. (Ernst Glaeser: Jahrgang 1902) ^


Himmel oder Hölle

"Gestern fragte Marnix mich plötzlich, wer Hitler war. Er hatte irgend etwas über ihn aufgeschnappt. Ich erzählte ihm dies und das, und dann sagte er: 'Hitler ist in der Hölle. Aber weil er böse Dinge mag, ist sie für ihn der Himmel. Im Himmel sind alle jüdischen Mmenschen, also ist das die Hölle für ihn. Zur Strafe müßte er eigentlich im Himmel sein.' Was sagst du dazu? Sieben Jahre. Von dem kannst du noch was lernen." (Harry Mulisch: Siegfried) ^


Das Ende aller Dinge

Ich habe das Ende aller Dinge gesehen, Blitz. Ich bin in die Eingeweide der Hölle gestiegen, und ich habe das Ende gesehen. Von einer solchen Reise zurückgekehrt, lebt man vielleicht noch lange weiter, aber ein Teil von einem ist für immer tot. Wann ist das passiert? Im April 1945. Meine Einheit war in Deutschland, und wir waren es, die Dachau befreit haben. Dreißigtausend noch atmende Skelette. Sie kennen die Bilder, aber die Bilder sagen Ihnen nicht, wie es wirklich war. Man muß selbst dort hingehen, muß es selbst riechen, muß dort sein und es mir eigenen Händen berühren. Menschen haben das Menschen angetan, und sie haben es mit reinem Gewissen getan. Das war das Ende der Menschheit, Mister Unschuld. Gott hat sein Auge von uns abgewandt und die Welt für immer verlassen. Und ich habe es selbst mit angesehen. (Paul Auster: Nacht des Orakels) ^


Mein Deutschtum ist anders

Als 1933, dem Jahr, unter dessen Spätfolgen wir heute noch leiden, die Preußische Akademie der Künste von ihren Mitgliedern eine Loyalitätserklärung für Hitlers Regierung verlangte, fiel die Antwort Ricarda Huchs mutiger und entschiedener als die anderer Autoren aus. "Daß ein Deutscher deutsch empfindet". schrieb sie unter anderem an den Akademiepräsidenten, "möchte ich fast für selbstverständlich halten; aber was deutsch ist, und wie Deutschtum sich betätigen soll, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, den Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll." (Günter de Bruyn: Jubelschreie, Trauergesänge) ^


Eine noch nie da gewesene Menschenart

Das war wirklich eine Menschenart, die es noch nicht gegeben hatte in der Geschichte. Sie schändeten Berg und Tal mit ihrem krachenden Herrschaftswillen, voraussetzungslose Barbaren, doch ohne die Unschuld und Unwissenheit von Barbaren, übten sie die Psychologie gehauter Schaubudenbesitzer und erstickten die Seelen von Freund und Feind mit ihren gigantischen Rummelorgien. Ihre unüberwindliche Kraft war die vollkommende Schamlosigkeit, mit der sie alle besseren Triebe verleugneten, welche die Menschheit auf ihrem Leidensweg erworben hatten. Nagy hatte recht. Sie unterboten jede Niedrigkeit, die in den Seelen der Völker der Entfesselung harrte. (Franz Werfel: Cella oder Die Überwinder)


Anfängliche Begeisterung

Als hätte ein gütiges Geschick für mich ein großes Ereignis aufsparen wollen: Am nächsten Tag brach der Weltkrieg aus! Glocken dröhnten, Fahnen hingen aus allen Fenstern, die Männer eilten zu den Waffen. Ich lief dem Marschzug nach, der zum Bahnhof strebte, streute Blumen über die Helden, und mir schien es, als könnte kein größeres Fest mich für die Mühen belohnen. Nur eines machte mein Herz bänglich, daß es mir nämlich nicht vergönnt war, mit den anderen hinauszuziehen. Vierzehn Jahre war ich ja erst alt, und wie man hörte, sollte der Krieg Weihnachten zu Ende sein. (Erich Loest: Die Mäuse des Dr. Ley) ^


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