Ausgewählte Gedichte I

von Hermann Hesse


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A-D

Abends

Abends gehen die Liebespaare
Langsam durch das Feld,
Frauen lösen ihre Haare,
Händler zählen Geld,
Bürger lesen bang das Neuste
In dem Abendblatt,
Kinder ballen kleine Fäuste,
Schlafen tief und satt.
Jeder tut das einzig Wahre,
Folgt erhabner Pflicht,
Säugling, Bürger, Liebespaare —
und ich selber nicht?

Doch! Auch meiner Abendraten,
Deren Sklav' ich bin,
Kann der Weltgeist nicht entraten,
Sie auch haben Sinn.
Und so geh ich auf und nieder,
Tanze innerlich,
Summe dumme Gassenlieder,
Lobe Gott und mich,
Trinke Wein und phantasiere,
Daß ich Pascha wär,
Fühlen Sorgen an der Niere,
Lächle, trinke mehr,
Sage ja zu meinem Herzen
(Morgens geht es nicht),
Spinne aus vergangenen Schmerzen
Spielend ein Gedicht,
Sehe Mond und Sterne kreisen,
Ahne ihren Sinn,
Fühle mich mit ihnen reisen
Einerlei wohin.

Abendgespräch

Was blickst du träumend ins verwölkte Land?
Ich gab mein Herz in deine schöne Hand.
Es ist so voll von ungesagtem Glück,
So heiß - hast du es nicht gefühlt?

Mit fremdem Lächeln gibst du mir's zurück.
Ein sanfter Schmerz ... Es schweigt. Es ist gekühlt.

Abendwolken

Was so ein Dichter sinnt und treibt,
Sich Reim und Vers ins Büchlein schreibt,
Manch einem scheint es ohne Kern,
Doch Gott versteht's und duldet's gern.

Er selber, der die Welt ermißt,
Zuzeiten auch ein Dichter ist,
Und wenn das Abendläuten ruft,
Greift er wie träumend in die Luft,
Baut sich zum Feierabendspiel
Zartgoldene Wölklein schön und viel,
Läßt sie an Bergesrändern säumen
Und rot im Abendglanz erschäumen.
Und manche, die ihm wohl gelang,
Die leitet er und hütet lang,
Daß sie, die fast aus nichts gemacht,
Am Himmel ruht und selig lacht.
Und die nur Tand und Reimwerk schien,
Wird nun ein Zauber und Magnet
Und zieht der Menschen Seelen hin
Zu Gott in Sehnsucht und Gebet.
Der Schöpfer lächelt und erwacht
Vom kurzen Traum, das Spiel verglüht,
Und aus der kühlen Ferne blüht
Herauf die friedevolle Nacht.
Nur daß aus Gottes reiner Hand,
Sei's auch im Spiel, jedwedes Bild
Vollkommen, schön und selig quillt,
Wie es kein Dichter je erfand.

Mag denn dein irdisch Lied bedeuten
Ein schnell vertönend Abendläuten,
Darüber hin, im Licht entbrannt,
Die Wolken wehen aus Gottes Hand.

Absage

Als Antwort auf einige Anfragen, warum ich mich
nicht auf die Seite der Kommunisten stelle

Lieber von einem Faschisten erschlagen werden
Als selber Faschist sein!
Lieber von einem Kommunisten erschlagen werden
Als selber Kommunist sein!

Wir haben den Krieg nicht vergessen. Wir wissen,
Wie das berauscht, wenn man Trommel und Pauke rührt.
Wir sind taub, wir werden nicht mitgerissen,
Wenn ihr das Volk mit dem alten Rauschgift verführt.
Wir sind weder Soldaten noch Weltverbesserer mehr,
Wir glauben nicht, dass "an unserem Wesen
Die Welt müsse genesen".
Wir sind arm, wir haben Schiffbruch gelitten,
Wir glauben alle an die hübschen Phrasen nicht mehr,
Mit denen man uns in den Krieg gepeitscht und geritten -
Auch die Euren, rote Brüder, sind Zauber und führen zu Krieg und Gas!

Auch Eure Führer sind Generäle,
Kommandieren, schreien und organisieren,
Wir aber, wir hassen das,
Wir trinken den Fusel nicht mehr,
Wir wollen Herz und Vernunft nicht verlieren,
Nicht unter roten noch weissen Fahnen marschieren.
Lieber wollen wir einsam als "Träumer" verderben
Oder unter Euren blutigen Brüderhänden sterben,
Als irgend ein Partei- und Machtglück geniessen
Und im Namen der Menschheit auf unsere Brüder schiessen!

Alle Bücher dieser Welt

Alle Bücher dieser Welt
Bringen dir kein Glück,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurück.

Dort ist alles, was du brauchst,
Sonne Stern und Mond,
Denn das Licht, wonach du frugst,
In dir selber wohnt.

Weisheit, die du lang gesucht
In den Bücherein,
Leuchtet jetzt aus jedem Blatt -
Denn nun ist sie dein.

Allein

Es führen über die Erde Strassen und Wege viel,
Aber alle haben dasselbe Ziel,

Du kannst reiten und fahren, zu zweien und zu dreien...
Den letzten Schritt musst du gehen allein.

Drum ist kein Wissen, noch Können so gut,
Als dass man alles Schwere nicht alleine tut

Altern

So ist das Altern: was einst Freude war,
Wird Mühsal, und der Quell rinnt trüber,
Sogar der Schmerz ist seiner Würze bar -
Man tröstet sich: bald ist's vorüber.

Wogegen wir uns einst so stark gewehrt:
Bindung und Last und auferlegte Pflichten,
Hat sich in Zuflucht und in Trost verkehrt:
Man möchte doch ein Tagwerk noch verrichten.

Doch reicht auch dieser Bürgertrost nicht weit,
Die Seele dürstet nach beschwingten Flügen.
Sie ahnt den Tod, weit hinter Ich und Zeit,
Und atmet tief ihn ein in gierigen Zügen.

An einem Grabe

Er sehnte sich nach Ruhe, Stille, Nacht,
Wir wissen nur, daß er ein Leid verbarg
Und müde war. Wir haben ihn im Sarg
Gebettet und zum stillsten Ort gebracht.

Ihn birgt und schützt die tiefe Grube nun
Vor Welt und Zeit. Da soll der Müde Mann
Sein Weh vergessen und in Frieden ruhn.
Wohl ihm, der dieser bittern Zeit entrann!

Uns andern bleibt vor Lärm und Krieg der Welt
Von ihrer Todesangst und bittern Not
Noch unser Teil, und Leid ist unser Brot
Bis auch für uns der bange Traum zerschellt.

Dann wird, so glauben wir, das Gleichgewicht,
Der Wert und Sinn der Welt uns wieder tragen,
Es wird des Menschen Bildnis wieder licht.
Und wird des Vaters ewige Züge tragen.

Altwerden

All der Tand, den Jugend schätzt,
Auch von mir ward er verehrt,
Locken, Schlipse, Helm und Schwert,
Und die Weiblein nicht zuletzt.

Aber nun erst seh ich klar,
Da für mich, den alten Knaben,
Nichts von allem mehr zu haben,
Aber nun erst seh ich klar,
Wie dies Streben weise war.

Zwar vergehen Band und Locken
Und der ganze Zauber bald;
Aber was ich sonst gewonnen,
Weisheit, Tugend, warme Socken,
Ach, auch das ist bald zerronnen,
Und auf Erden wird es kalt.

Herrlich ist für alte Leute
Ofen und Burgunder rot
Und zuletzt ein sanfter Tod -
Aber später, noch nicht heute.

An den indischen Dichter Bhartrihari

Wie du, Vorfahr und Bruder, geh auch ich
Im Zickzack zwischen Trieb und Geist durchs Leben,
Heut Weiser, morgen Narr, heut inniglich
Dem Gotte, morgen heiß dem Fleisch ergeben.
Mit beiden Büßergeißeln schlag ich mir
Die Lenden blutig: Wollust und Kasteiung;

Bald Mönch, bald Wüstling, Denker bald, bald Tier;
Des Daseins Schuld in mir schreit nach Verzeihung.
Auf beiden Wegen muß ich Sünde richten,
In beiden Feuern brennend mich vernichten.

Die gestern mich als Heiligen verehrt,
Sehn heute in den Wüstling mich verkehrt,
Die gestern mit mir in den Gossen lagen,
Sehn heut mich fasten und Gebete sagen,
Und alle speien aus und fliehen mich,
Den treulos Liebenden, den Würdelosen;
Auch der Verachtung Blume flechte ich
In meines Dornenkranzes blutige Rosen.
Scheinheilig wandl' ich durch die Welt des Scheins,
Mir selbst wie euch verhaßt, ein Greuel jedem Kinde,
Und weiß doch: alles Tun, eures wie meins,
Wiegt weniger vor Gott als Staub im Winde.

Und weiß: auf diesen ruhmlos sündigen Pfad
Weht Gottes Atem mich, ich muß es dulden,
Muß weiter treiben, tiefer mich verschulden
Im Rausch der Lust, im Bann der bösen Tat.

Was dieses Treibens Sinn sei, weiß ich nicht.
Mit den befleckten, lasterhaften Händen
Wisch ich mir Staub und Blut vom Angesicht
Und weiß nur: diesen Weg muß ich vollenden.

An die Melancholie

zum Wein, zu Freunden bin ich dir entflohn,
da mir vor deinem dunklen Auge graute,
In Liebesarmen und beim Klang der Laute
Vergaß ich dich, dein ungetreuer Sohn.

du aber gingst mir verschwiegen nach
Und warst im Wein, den ich verzweifelt zechte,
Warst in der Schwüle meiner Liebesnächte
Und warest noch im Hohn, den ich dir sprach.

Nun kühlst du die erschöpften Glieder mir
Und hast mein Haupt in deinen Schoß genommen,
Da ich von meinen Fahrten heimgekommen:
denn all mein Irren war ein Weg zu dir.

Auf den Tod eines kleinen Kindes...

Jetzt bist du schon gegangen, Kind,
Und hast vom Leben nichts erfahren,
Indes in unseren welken Jahren
Wir Alten noch gefangen sind.

Ein Atemzug, ein Augenspiel,
Der Erde Luft und Licht zu schmecken,
War dir genug und schon zuviel;
Du schliefst ein, nicht mehr zu wecken.

Vielleicht in diesem Hauch und Blick
Sind alle Spiele, alle Mienen
Des ganzen Lebens dir erschienen,
Erschrocken zogst du dich zurück.

Vielleicht wenn unsre Augen, Kind,
Einmal erlschen, wird uns scheinen,
Sie hätten von der Erde, Kind,
Nicht mehr gesehen als die deinen.

August

Das war des Sommers schönster Tag
Nun klingt er vor dem stillen Haus
in Duft und süßem Vogelschlag
unwiederbringlich leise aus.

In dieser Stunde goldnen Born
gießt schwelgerisch in roter Pracht
der Sommer aus sein volles Horn
und feiert seine letzte Nacht.

Ausklang

Wolkenflug und herber Wind
Kühlt mich, der ich krank gewesen.
Träumend wie ein stilles Kind
Ruh ich aus und bin genesen.

Nur ein Klang in tiefer Brust
Ist von meinem armen Lieben,
Dämpfend alle laute Lust,
Leis und trauernd überblieben.

Diesen namenlosen Klang,
Während Wind und Tannen rauschen,
Kann ich Stunden, Tage lang
Schweigend hingegeben lauschen.

Aus zwei Tälern

Eine Glocke läutet
im Grund fernab,
läutet und bedeutet
ein frisches Grab.

Ein Lautenschlagen
vom andern Tal
bringt hergetragen
der Wind zumal.

Mir aber will bedeuten:
liedsang und Sterbeläuten
ist recht für einen Wandrer
zusammengestimmt.

Mich wundert, ob ein andrer
die beiden zumal vernimmt?

Bahnhofstück

Auf einer Reise, heiß und matt,
Saß ich im überfüllten Wagen,
Ein altes, breites Zeitungsblatt
In beiden Händen aufgeschlagen.

Der Zug hielt an. Ich schaute auch
Wie andre müßig durch die Scheiben,
Sah Hüte, Schleier, halb im Rauch
Mir fensterlang vorübertreiben.

Da bog aus dunklem Seidenflor
Mit feiner Stirn und blonden Haaren
Ein schöner Frauenkopf sich vor,
Den ich gesucht seit vielen Jahren.

Ich schrak empor, und meine Hand
Fuhr zitternd nach dem Fensterrahmen,
Da hört ich im Gewühl genannt
Mit lauter Stimme ihren Namen.

Ich sah nun, den ich lang gehaßt,
Mit kühlem Gruße zu ihr treten,
Am Arm die leichte Reiselast,
Und hört ihn leise mit ihr reden.

Sie gingen weg. Der Pfiff erklang,
Ich sank zurück; ein schwerer, trüber,
Schmerzhafter Dunst ins Aug´ mir drang,
Und draußen flog die Stadt vorüber.

Bhagavad Gita

Wieder lag ich schlaflos Stund um Stund,
Unbegriffenen Leids die Seele voll und wund.

Brand und Tod sah ich auf Erden lodern,
Tausende unschuldig leiden, sterben, modern.

Und ich schwor dem Kriege ab im Herzen
Als dem blinden Gott sinnloser Schmerzen.

Sieh, da klang mir in der Stunde trüber
Einsamkeit Erinnerung herüber,

Und es sprach zu mir den Friedensspruch
Ein uraltes indisches Götterbuch:

"Krieg und Friede, beide gelten gleich,
Denn kein Tod berührt des Geistes Reich.

Ob des Friedens Schale steigt, ob fällt,
Ungemindert bleibt das Weh der Welt.

Darum kämpfe du und lieg nicht stille;
Daß du Kräfte regst, ist Gottes Wille!

Doch ob dein Kampf zu tausend Siegen führt,
Das Herz der Welt schlägt weiter unberührt."

Ballade vom Klassiker

Frühe schon zum Klassiker berufen
fühlte sich der Jüngling Emil Bums,
nahte, Gott im Busen, sich den Stufen
des Appoln geweihten Heiligtums.

Selten sah man wahrlich einen Dichter
so von herer Streberei beseelt,
bald schon sah er sich vom Chor der Richter
als des Volkes Liebling auswerwählt.

Niemals gab er sich die kleinste Blöße,
wich vom Pfad strengster Tugend nie,
sang von Gott und nationaler Größe,
was ihm ungeheuren Ruhm verlieh.

Leider war dem Hochpflug nicht gewachsen
dieses Edeldichters schwaches Herz,
und auf einer Vortragsreise durch Sachsen
ward er krank und schwang sich himmelwärts.

Eine Trauerfeier ohne gleichen,
der Bedeutung des Moments sich voll bewußt,
schmückte mit des Vaterlands Eichen
des verewigten Sängers Heldenbrust.

Industrie, Finanz, Behörde, Presse
stand ergriffen um das offne Grab,
Gerhard Hauptmann warf und Hermann Hesse
eine Schaufel voll Papier herab.

Unter andern herrlichen Trophäen
in des Volksmuseums Heiligtum
sieht man seine Schreibmaschine stehen,
sonntags viel bestaunt vom Publikum.

Nie wird dieser alte Mann vergessen werden,
Deutschlands letzter Klassiker vielleicht,
denn fürwahr, es findet sich auf Erden
keiner, der ihm nur das Wasser reicht.

Ja ich selbst, der ich den Bums erfunden,
der ihm Namen, Ruhm, Gestalt verlieh,
beuge mich beschämt und überwunden
vor so viel Talent, so viel Genie.

Und so wallt des Göttlichen Gedächtnis,
von der rauhen Wirklichkeit befreit,
seines Volkes edelstes Vermächtnis,
durch Jahrhunderte zur Ewigkeit.

Bei der Toilette

So viele Jahre lebt ich fern der Welt,
Fremd diesem Markt der Weiber und Genüsse,
Wild, ungepflegt, und auf mich allein gestellt,
Bruder der Bäume, Freund der Seen und Flüsse.
Jetzt lern ich Abende damit vertun,
Frisur, Krawatte, Hemd und Haut zu pflegen,
Im Smoking auszugehen und blanken Schuhn,
Am Boy vorbei, der Tanzmusik entgegen.

Im Spiegel seh ich lächeln mein Gesicht,
Ein wenig müd, ein wenig grauer, bleicher,
Ein wenig böser auch und faltenreicher.
Einst war das Auge klar, die Stirne licht,
Wange und Lippe lachender und weicher,
Da braucht ich Puder und Pommade nicht.

Nun, altes Männlein, kämme hübsch den Scheitel,
Rasier dich gut und schlüpf ins Abendhemd!
All dein Bemühn ist doch vermutlich eitel,
Du bleibst doch in dieser Welt immer fremd.
Und einmal wird der Wald zurück dich reissen,
Der Bach, der Regen, Sterne, Berge, Seen,
Du wirst den hübschen Plunder von dir schmeissen
Und noch einmal die alten Wege gehn,
Wirst wieder wandern, schweifen, schauen dürfen,
Den Becher Einsamkeit zu Ende schlürfen
Und sterben in der Wildnis ungesehn.

Beim Lesen in einem alten Philosophen

Was gestern noch voll Reiz und Adel war,
Jahrundertfrucht erlesener Gedanken,
Plötzlich erblaßt's, wird welk und Sinnes bar
Wie eine Notenschrift, aus deren Ranken

Man Kreuz und Schlüssel löschte; es entwich
Aus einem Bau der magische Schwerpunkt; lallend
Wankt auseinander und zerlüdert sich,
Was Harmonie schien, ewig widerhallend.

So kann ein altes weises Angesicht,
Das liebend wir bewundert, sich zerknittern
Und todesreif sein geistig strahlend Licht
In kläglich irrem Fältchenspiel verzittern.

So kann ein Hochgefühl in unsern Sinnen
Sich, kaum gefühlt, verfratzen zu Verdruß,
Als wohne längst schon die Erkenntnis innen,
Daß alles faulen, welken, sterben muß.

Und über diesem eklen Leichentale
Reckt dennoch schmerzvoll, aber unverderblich,
Der Geist voll Sehnsucht glühende Fanale,
Bekriegt den Tod und macht sich selbst unsterblich.

Beim Schlafengehen

Nun der Tag mich müd' gemacht,
soll mein sehnliches Verlangen
freundlich die gestirnte Nacht
wie ein müdes Kind empfangen.

Hände, lasst von allem Tun,
Stirn, vergiss du alles Denken,
alle meine Sinne nun
wollen sich in Schlummer senken.

Und die Seele unbewacht
will in freien Flügen schweben,
um im Zauberkreis der Nacht
tief and tausendfach zu leben.

Beim Wiederlesen des Maler Nolten

Bescheiden klopf ich wieder an dein Tor
Und tret in den geliebten Garten ein,
Da atm ich meiner Jugend Lieblingsflor
Aufs neue mit geschärften Sinnen ein.

Herüber duftet aus der Jugendzeit
Begeisterung entrückter Lesestunden,
Doch hab ich nie so tief wie jetzt im Leid
Geliebter Dichtung innigen Wert empfunden.

Aus kühlen Grotten ruft mir Blütenglut
Und süße Leidenschaft ihr Lied ins Herz,
Und heilig wird, was sonst so wehe tut;
Die Dichtung winkt, und lächeln lernt der Schmerz.

Bei Nacht

Nachts, wenn das Meer mich wiegt
Und bleicher Sternenglanz
Auf seinen weiten Wellen liegt,
Dann löse ich mich ganz
Von allem Tun und aller Liebe los
Und stehe still und atme bloß
Allein, allein vom Meer gewiegt,
Das still und kalt mit tausend Lichtern liegt.

Dann muss ich meiner Freunde denken
Und meinen Blick in ihre Blicke senken,
Und frage jeden still allein:
"Bist du noch mein?
Ist dir mein Leid ein Leid? Mein Tod ein Tod?
Fühlst du von meiner Liebe, in meiner Not
Nur einen Hauch, nur einen Widerhall?"

Und ruhig blickt und schweigt das Meer
Und lächelt: Nein.
Und nirgendwo kommt Gruß und Antwort her.

Bekenntnis

Holder Schein, an deine Spiele
Sieh mich willig hingegeben;
Andre haben Zwecke, Ziele,
Mir genügt es schon, zu leben.

Gleichnis will mir alles scheinen,
Was mir je die Sinne rührte,
Des Unendlichen und Einen,
Das ich stets lebendig spürte.

Solche Bilderschrift zu lesen,
Wird mir stets das Leben lohnen,
Denn das Ewige, das Wesen,
Weiß ich in mir selber wohnen.

Belehrung

Mehr oder Weniger, mein lieber Knabe,
sind schließlich alle Menschenworte Schwindel,
verhältnismäßig sind wir in der Windel
am ehrlichsten, und später dann im Grabe.

Dann legen wir uns zu den Vätern nieder,
sind endlich weise und voll kühler Klarheit,
mit blanken Knochen klappern wir die Wahrheit,
und mancher lög und lebte lieber wieder.

Berge in der Nacht

Der See ist erloschen,
Schwarz schläft das Ried,
In Träume flüsternd,
Ungeheuer ins Land gedehnt
Drohen die hingestreckten Berge,
Sie ruhen nicht.
Sie atmen tief, und sie halten
Einer den andern an sich gedrückt.
Tief atmend,
Mit dumpfen Kräften beladen,
Unerlöst in verzehrender Leidenschaft.

Besinnung

Göttlich ist und ewig der Geist.
Ihm entgegen, dessen wir Bild und Werkzeug sind,
Führt unser Weg; unsre innerste Sehnsucht ist:
Werden wie er, leuchten in seinem Licht!
Aber irden und sterblich sind wir geschaffen,
Träge lastet auf uns Kreaturen die Schwere.
Hold zwar und mütterlich warm umhegt uns Natur,
Säugt uns Erde, bettet uns Wiege und Grab;
Doch befriedet Natur uns nicht,
Ihren Mutterzauber durchstößt
Des unsterblichen Geistes Funke
Väterlich, macht zum Manne das Kind.
Löscht die Unschuld und wendet uns zu
Kampf und Gewissen.

So zwischen Mutter und Vater,
So zwischen Leib und Geist
Zögert der Schöpfung gebrechlichstes Kind.
Zitternde Seele Mensch, des Leidens fähig
Wie kein anderes Wesen, und fähig des Höchsten:
Gläubiger, hoffender Liebe.
Schwer ist sein Weg, Sünde und Tod seine Speise,
Oft verirrt er ins Finstre, oft wär ihm
Besser, niemals erschaffen zu sein.
Ewig aber strahlt über ihm seine Sehnsucht,
Seine Bestimmung: das Licht, der Geist.
Und wir fühlen: ihn, den Gefährdeten,
Liebt der Ewige mit besonderer Liebe.

Darum ist uns irrenden Brüdern
Liebe möglich noch in der Entzweiung,
Und nicht Richten und Haß,
Sondern geduldige Liebe,
Liebendes Dulden führt
Uns dem heiligen Ziele näher.

Betrachtung

Ich bin einmal ein Dichter gewesen,
Jetzt kann ich nur noch Knittelverse machen,
Die Leute, die sie lesen,
Schimpfen darüber oder lachen.
Ich war einmal ein Weiser und wusste viel,
Ich war schon ganz nahe am Ziel,
Nun bin ich wieder ein Narr geworden,
Fange wieder von vorne an,
Vielleicht werde ich noch brennen und morden,
Wie es im Krieg die Helden getan.
Es war mir nicht bestimmt,
Etwas ordentliches zu werden,
Das Leben ist schwer auf Erden;
Schon meine Schullehrer haben gewusst,
Diesem bösen Ende entgegen
Lockt mich die Stimme in meiner Brust,
Die singt so dunkel und macht mir Lust,
Mich auf die Eisenbahnschienen zu legen.
So schlimm wie das Leben kann der Tod nicht sein,
Denn gar manche Leute nahmen sich das Leben;
Aber niemals fiel es einem Toten ein,
Wieder sich den Tod zu nehmen,
Er müsste sich ja schämen.
Nein, in den Tod ging schon mancher freiwillig hinein,
Aber noch keiner in das Leben.

Bitte

Wenn du die kleine Hand mir gibst,
Die so viel Ungesagtes sagt,
Hab ich dich jemals dann gefragt,
Ob du mich liebst?

Ich will ja nicht, daß du mich liebst,
Will nur, daß ich dich nahe weiß
Und daß du manchmal stumm und leis
Die Hand mir gibst.

Blauer Schmetterling

Flügelt ein kleiner blauer
Falter vom Wind geweht,
Ein perlmutterner Schauer,
Glitzert, flimmert, vergeht.
So mit Augenblicksblinken,
So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern, flimmern, vergehn.

Brief von der Redaktion

"Wir danken sehr für Ihr ergreifendes Gedicht,
Das uns so tiefen Eindruck hinterlassen hat,
Und wie bedauern herzlich, daß es nicht
So recht geeignet scheint für unser Blatt."

So schreibt mir irgendeine Redaktion
Fast jeden Tag. Es drückt sich Blatt um Blatt.
Es riecht nach Herbst, und der verlorne Sohn
Sieht deutlich, daß er nirgends Heimat hat.

Für mich allein denn schreib ich ohne Ziel,
Der Lampe auf dem Nachttisch les ich's vor.
Vielleicjht leiht auch die Lampe mir kein Ohr.
Doch gibt sie hell, und schweigt. Das ist schon viel.

Buchstaben

Gelegentlich ergreifen wir die Feder
Und schreiben Zeichen auf ein weißes Blatt,
Die sagen dies und das, es kennt sie jeder,
Es ist ein Spiel, das seine Regeln hat.

Doch wenn ein Wilder oder Mondmann käme
Und solches Blatt, solch furchig Runenfeld
Neugierig forschend vor die Augen nähme,
Ihm starrte draus ein fremdes Bild der Welt,
Ein fremder Zauberbildersaal entgegen.
Er sähe A und B als Mensch und Tier,
Als Augen, Zungen, Glieder sich bewegen,
Bedächtig dort, gehetzt von Trieben hier,
Er läse wie im Schnee den Krähentritt,
Er liefe, ruhte, litte, flöge mit
Und sähe aller Schöpfung Möglichkeiten
Durch die erstarrten schwarzen Zeichen spuken,
Durch die gestabten Ornamente gleiten,
Säh Liebe glühen, sähe Schmerzen zucken.
Er würde staunen, lachen, weinen, zittern,
Da hinter dieser Schrift gestabten Gittern
Die ganze Welt in ihrem blinden Drang
Verkleinert ihm erschiene, in die Zeichen
Verzwergt, verzaubert, die in steifem Gang
Gefangen gehn und so einander gleichen,
Daß Lebensdrang und Tod, Wollust und Leiden
Zu Brüdern werden, kaum zu unterscheiden...

Und endlich würde dieser Wilde schreien
Vor unerträglicher Angst, und Feuer schüren
Und unter Stirnaufschlag und Litaneien
Das weiße Runenblatt den Flammen weihen.
Dann würde er vielleicht einschlummernd spüren,
Wie diese Un-Welt, dieser Zaubertand,
Dies Unerträgliche zurück ins Niegewesen
Gesogen würde und ins Nirgendland,
Und würde seufzen, lächeln und genesen.

Bücher

Alle Bücher dieser Welt
Bringen dir kein Glück,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurück

Dort ist alles, was du brauchst,
Sonne, Stern und Mond
Denn das Licht, danach du frugst,
In dir selber wohnt

Weisheit, die du lang gesucht
In den Büchereien,
Leuchtet jetzt aus jedem Blatt -
Denn nun sind sie dein. [April 1918]

Das Glasperlenspiel

Musik des Weltalls und Musik der Meister
Sind wir bereit mit Ehrfurcht anzuhören,
Zu reiner Feier die verehrten Geister
Begnadeter Zeiten zu beschwören.

Wir lassen vom Geheimnis uns erheben
Der magischen Formelschrift, in deren Bann
Das Uferlose, Stürmende, das Leben,
Zu klaren Gleichnissen gerann.

Sternbildern gleich ertönen sie kristallen,
In ihrem Dienst ward unserm Leben Sinn,
Und keiner kann aus ihren Kreisen fallen,
Als nach der heiligen Mitte hin.

Es führen über die Erde
Strassen und Wege viel,
Aber alle haben
Dasselbe Ziel

Du kannst reiten und fahren
Zu zwein und zu drein,
Den letzten Schritt
Mußt du gehen allein.

Drum ist kein Wissen
Noch Können so gut,
Als daß man alles Schwere
Alleine tut.

Das Leben, das ich selbst gewählt

Ehe ich in dieses Erdenleben kam
Ward mir gezeigt, wie ich es leben würde.
Da war die Kümmernis, da war der Gram,
Da war das Elend und die Leidensbürde.
Da war das Laster, das mich packen sollte,
Da war der Irrtum, der gefangen nahm.
Da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte,
Da waren Haß und Hochmut, Stolz und Scham.

Doch da waren auch die Freuden jener Tage,
Die voller Licht und schöner Träume sind,
Wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage,
Und überall der Quell der Gaben rinnt.
Wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden,
Die Seligkeit des Losgelösten schenkt,
Wo sich der Mensch der Menschenpein entwunden
als Auserwählter hoher Geister denkt.

Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute,
Mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel.
Mir ward gezeigt die Wunde draus ich blute,
Mir ward gezeigt die Helfertat der Engel.
Und als ich so mein künftig Leben schaute,
Da hört ein Wesen ich die Frage tun,
Ob ich dies zu leben mich getraute,
Denn der Entscheidung Stunde schlüge nun.

Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme.-
"Dies ist das Leben, das ich leben will!"-
Gab ich zur Antwort mit entschloßner Stimme.
So wars als ich ins neue Leben trat
Und nahm auf mich mein neues Schicksal still.
So ward ich geboren in diese Welt.
Ich klage nicht, wenns oft mir nicht gefällt,
Denn ungeboren hab ich es bejaht.

Dem Frieden entgegen

Aus Haßtraum und Blutrausch
Erwachend, blind noch und taub
Vom Blitz und tödlichen Lärm des Krieges,
Alles Grauenhafte gewohnt,
Lassen von ihren Waffen,
Von ihrem furchtbaren Tagwerk
Die ermüdeten Krieger

"Friede" tönt es
Wie aus Märchen, aus Kinderträumen her.
"Friede". Und kaum zu freuen
Wagt sich das Herz, ihm sind näher die Tränen.

Arme Menschen sind wir,
So des Guten wie des Bösen fähig,
Tiere und Götter. Wie drückt das Weh,
Drückt die Scham uns heut zu Boden.

Aber wir hoffen. Und in der Brust
Lebt uns glühende Ahnung
Von den Wundern der Liebe.
Brüder! Uns steht zum Geiste,
Steht zur Liebe die Heimkehr
Und zu allen verlorenen
Paradiesen die Pforte offen.

Wollet! Hoffet! Liebet!
Und die Erde gehört euch wieder.

Der Blütenzweig

Immer hin und wider
Strebt der Blütenzweig im Winde,
Immer auf und nieder
Strebt mein Herz gleich einem Kinde
Zwischen hellen, dunkeln Tagen,
Zwischen Wollen und Entsagen.

Bis die Blüten sind verweht
Und der Zweig in Früchten steht,
Bis das Herz, der Kindheit satt,
Seine Ruhe hat
Und bekennt: voll Lust und nicht vergebens
War das unruhvolle Spiel des Lebens.

Der Dichter

Nur mit dem Einsamen
Scheinen des Nachts die unendlichen Sterne,
Rauscht der steinerne Brunnen sein Zauberlied,
Mir allein, mir dem Einsamen
Ziehen die farbigen Schatten
Wandernder Wolken Träumen gleich übers Gefild.
Nicht Haus noch Acker ist,
Nicht Wald noch Jagd noch Gewerb mir gegeben,
Mein ist nur, was keinem gehört,
Mein ist sitürzender Bach hinterm Waldesschleier,
Mein das fruchtbare Meer,
Mein der spielenden Kinder Vogelgeschwirre,
Träne und Lied einsam Verliebter am Abend.
Mein auch sind die Tempel der Götter, mein ist
Der Vergangenheit ehrwürdiger Hain.
Und nicht minder der Zukunft
Lichtes Himmelsgewölbe ist meine Heimat:
Oft in Flügen der Sehnsucht stürmt die Seele empor,
Seliger Menschheit Zukunft zu schauen,
Liebe, Gesetz besiegend, Liebe von Volk zu Volk.
Alle find ich sie wieder, edel verwandelt:
Landmann, König, Händler, emsiges Schiffervolk,
Hirt und Gärtner, sie alle
Feiern dankbar der Zukunft Weltfest.
Einzig der Dichter fehlt,
Er, der vereinsamt Schauende,
Er, der Menschensehnsucht Träger und bleiches Bild,
Dessen die Zukunft, dessen die Wetlerfüllung
Nicht mehr bedarf. Es welken
Viele Kränze an seinem Grabe,
Aber verschollen ist sein Gedächtnis.

Der Einsame an Gott

Einsam stehe ich, vom Wind gezerrt,
Ungeliebt und verlassen
In der feindlichen Nacht.
Schwer ist mein Gemüt und voll Bitterkeit,
Wenn ich Deiner gedenke,
Blinder Gott, der voll Grausamkeit
Immer das Unbegreifliche tut.
Warum lässest Du, wenn Du die Macht hast,
Warum lässest Du Hunde und Säue
Eines Glückes genießen, das nie
Dem verschmachtenden Edleren wird?
Warum peitschest Du mich, der Dich liebte,
Jagst mich alleine durch die Nacht,
Warum raubst Du mir alles,
Was Du doch jedem Erbärmlichen gönnst?
Selten hab ich geklagt, und seltener
Dir im Unmut geflucht,
Jahrelang in gläubiger Priesterschaft
Lebte ich Dir, nannte Dich Herr und Gott,
Sah in Dir meines Daseins Kron und Sinn;
Immer ging ich, ob auch im Dunkeln oft,
Tastend dem Guten nach, immer war Liebe,
Immer Güte und Reinheit mein hohes Ziel.
Dennoch hast Du, der meinen Feinden schmeichelt,
Niemals mir einen einzigen Traum,
Eine einzige Bitte erfüllt!
Niemals kannte ich andres als Kampf und Arbeit,
Während drüben im Hause der Fröhlichen
Laute und Tanz und süßer Gesang erscholl.
O und wie hast Du, mein Peiniger,
Wenn ich einmal in blinder Hoffnung
Zärtlicher Liebe mein Herz voll Vertrauen bot,
Wie hast Du mit Spott und Verachtung mich überschüttet,
Daß ich grimmig entfloh, vom Gelächter der Frauen verfolgt!
Einsam nun und ohne Glauben an Glück,
Schlaflos bei Nacht und am Tag voller Zweifel
Geh ich gottlos durch diese Welt,
Mir zur Qual und Dir zur traurigen Schande.
Trotzdem, o Gott, wenn auch Dein Finger tief
Und voll blinder Wollust in meiner Wunde wühlt,
Trotzdem sollst Du mich nicht verzagen,
Nicht im Staube knien und weinen sehen.
Denn Dein heimlicher Wunsch, Grausamer,
Tönt ja doch unbesiegbar im Herzen mir,
Und das Leben zu lieben,
Und das sinnlose Leben wild und sinnlos zu lieben
Hab ich in aller Verfolgung
Aller Versuchung niemals völlig verlernt.
Dich auch und Deine launischen Wege
Liebt mein Herz, indem es Dich trotzdem höhnt.
Ja, ich liebe Dich, Gott, und ich liebe
Heiß die verworrene Welt, die Du schlecht regierst.
...Horch! Von drüben, wo die Fröhlichen sind,
Weht mir Lied und Gelächter,
Weiberschrei und silbernes Bechergeläut.
Aber mit tiefer Wollust,
Süßer und trunkener glüht als diesen Genügsamen
Mir die Liebe zum Leben
In der glücklos hungernden Brust.
Und ich schütte zornig
Aus den schlaflosen Augen die Müdigkeit,
Trinke Nacht und Wind, Sternschein und Wolkengebirg
Gierig mit atmenden Sinnen
In die unersättlich Seele ein.

Der Geliebten

Wieder fällt ein Blatt von meinem Baum,
Wieder welkt von meinen Blumen eine,
Wunderlich in ungewissem Scheine
Grüßt mich meines Lebens wirrer Traum.

Dunkel blickt die Leere rings mich an,
Aber in der Wölbung Mitte lacht
Ein Gestirn voll Trost durch alle Nacht,
Nah und näher zieht es seine Bahn.

Guter Stern, der meine Nacht versüßt,
Den mein Schicksal nah und näher zieht,
Fühlst du, wie mein Herz mit stummem Lied
Dir entgegenharrt und dich begrüßt?

Sieh, noch ist voll Einsamkeit mein Blick,
Langsam nur darf ich zu dir erwachen,
Darf ich wieder weinen, wieder lachen
Und vertrauen dir und dem Geschick.

Der Heiland

Immer wieder wird er Mensch geboren,
Spricht zu frommen, spricht zu tauben Ohren,
Kommt uns nah und geht uns neu verloren.

Immer wieder muss er einsam ragen,
Aller Brüder Not und Sehnsucht tragen,
Immer wird er neu ans Kreuz geschlagen.

Immer wieder will sich Gott verkünden,
Will das himmlische ins Tal der Sünden,
Will ins Fleisch der Geist, der ewige, münden.

Immer wieder, auch in diesen Tagen,
Ist der Heiland unterwegs, zu segnen,
Unsern Ängsten, Tränen, Fragen, Klagen
Mit stillen Blicke zu begegnen,
Den wir doch nicht zu erwidern wagen,
Weil nur Kinderaugen ihn ertragen.

Der letzte Glasperlenspieler

Sein Spielzeug, bunte Perlen, in der Hand,
Sitzt er gebückt, es liegt um ihn das Land
Verheert von Krieg und Pest, auf den Ruinen
Wächst Efeu, und im Efeu summen Bienen.
Ein müder Friede mit gedämpftem Psalter
Durchtönt die Welt, ein stilles Greisenalter
Der Alte seine bunten Perlen zählt,
Hier eine blaue, eine weiße faßt,
Da eine große, eine kleine wählt
Und sie im Ring zum Spiel zusammenpaßt.
Er war einst groß im Spiel mit den Symbolen,
War vieler Künste, vieler Sprachen Meister,
War ein weltkundiger, ein weitgereister,
Berühmter Mann, gekannt bis zu den Polen,
Umgeben stets von Schülern und Kollegen.
Jetzt blieb er übrig, alt, verbraucht, allein,
Es wirbt kein Jünger mehr um seinen Segen,
Es lädt ihn kein Magister zum Disput;
Sie sind dahin, und auch die Tempel, Büchereien,
Schulen Kastaliens sind nicht mehr... Der Alte ruht
Im Trümmerfeld, die Perlen in der Hand,
Hieroglyphen, die einst viel besagten,
Nun sind sie nur noch bunte gläserne Scherben.
Sie rollen lautlos aus des Hochbetagten
Händen dahin, verlieren sich im Sand...

Der Liebende

Nun liegt dein Freund wach in der milden Nacht,
Noch warm von dir, noch voll von deinem Duft,
Von deinem Blick und Haar und Kuß - o Mitternacht,
O Mond und Stern und blaue Nebelluft!
In dich, Geliebte, steigt mein Traum
Tief wie in Meer, Gebirg und Kluft hinein,
Verspritzt in Brandung und verweht zu Schaum,
Ist Sonne, Wurzel, Tier,
Nur um bei dir,
Um nah bei dir zu sein.
Saturn kreist fern und Mond, ich seh sie nicht,
Seh nur in Blumenblässe dein Gesicht,
Und lache still und weine trunken,
Nicht Glück, nicht Leid ist mehr,
Nur du, nur ich und du, versunken
Ins tiefe All, ins tiefe Meer,
Darein sind wir verloren,
Drin sterben wir und werden neugeboren.

Der Mann von fünfzig Jahren

Von der Wiege bis zur Bahre
sind es fünfzig Jahre,
dann beginnt der Tod.
Man vertrottelt man versauert,
man verwahrlost, man verbauert
und zum Teufel gehn die Haare.
Auch die Zähne gehen flöten,
und statt daß wir mit Entzücken
junge Mädchen an uns drücken,
lesen wir ein Buch von Goethen.

Aber einmal noch vorm Ende
will ich so ein Kind mir fangen,
Augen hell und Locken kraus,
nehm´s behutsam in die Hände,
küsse Mund und Brust und Wangen,
zieh ihm Rock und Höslein aus.
Nachher dann, in Gottes Namen,
soll der Tod mich holen. Amen.

Der Schmetterling

Mir war ein Weh geschehen,
Und da ich durch die Felder ging,
Da sah ich einen Schmetterling,
Der war so weiß und dunkelrot,
Im blauen Winde wehen.

Oh du! In Kinderzeiten,
Da noch die Welt so morgenklar
Und noch so nah der Himmel war,
Da sah ich dich zum letztenmal
Die schönen Flügel breiten.

Du farbig weiches Wehen,
Das mir vom Paradiese kam,
Wie fremd muß ich und voller Scham
Vor deinem tiefen Gottesglanz
Mit spröden Augen stehen!

Feldeinwärts ward getrieben
Der weiß' und rote Schmetterling,
Und da ich träumend weiterging,
War mir vom Paradiese her
Ein stiller Glanz geblieben.

Die Flamme

Ob du tanzen gehst in Tand und Plunder,
Ob dein Herz sich wund in Sorgen müht,
Täglich neu erfährst du doch das Wunder,
Daß des Lebens Flamme in dir glüht.

Mancher läßt sie lodern und verprassen,
Trunken im verzückten Augenblick,
Andre geben sorglich und gelassen
Kind und Enkeln weiter ihr Geschick

Doch verloren sind nur dessen Tage,
Den sein Weg durch dumpfe Dämmrung führt,
Der sich sättigt in des Tages Plage
Und des Lebens Flamme niemals spürt.

Die Geheimnisvolle

So viele Frauen, wenn sie lieben, geben
Uns in der Wollust ihr Geheimnis preis,
Wir pflücken es, und kennen sie fürs Leben,
Denn ob die Liebe auch zu täuschen weiß,
Ob auch die Wollust noch vermag zu trügen.
Wo beide Eins sind, können sie nicht lügen.

Du hast mit mir das Sakrament gefeiert,
Und Wollust schien bei dir mit Liebe Eins,
Und dennoch hast du dich mir nicht entschleiert,
Du hast das bange Rätsel deines Seins
Mir nie gelöst und anvertraut im Lieben,
Bist immer ein Geheimnis mir geblieben.

Dann bist du, plötzlich meiner müd, gegangen,
Und tatest mir zum letzten Male weh.
Ein Stück von mir blieb noch bei dir gefangen,
Und wenn ich fern dich Schlanke gehen seh,
Kann ich die fremde schöne Frau begehren,
Als ob wir nie ein Paar gewesen wären.

Die Kindheit

Du bist, mein fernes Tal,
verzaubert und versunken.
Oft hast du mir in Not und Qual
empor aus deinem Schattenland gewunken
und deine Mädchenaugen aufgetan,
daß ich entzückt in kurzem Wahn
mich ganz zu dir zurück verlor.

O dunkles Tor,
o dunkle Todesstunde,
komm du heran, daß ich gesunde
und daß aus dieses Lebens Leere
ich heim zu meinen Träumen kehre!

Die Magie des Tages versagt am Tage oft

Die Magie des Tages versagt am Tage oft,
weil auch noch der beste Träumer
die Außenwelt im Wachsen wichtiger nimmt
als er sollte.
Die Verrückten können das besser;
sie erklären sich füre Kaiser
und die Zelle für ihr Schloß,
und alles stimmt wunderbar.
Die Außenwelt umzaubern können,
ohne verrückt zu werden, das ist unser Ziel.
Es ist nicht leicht,
dafür aber ist wenig Konkurrenz da.

Die Stunde

Es war noch Zeit; ich konnte gehen,
Und alles wäre ungeschehn,
und alles wäre rein und klar,
Wie es vor jenem Tage war!

Es mußte sein. Die Stunde kam,
Die kurze, schwüle, und sie nahm
Unwandelbar mit jähem Schritt
Den ganzen Glanz der Jugend mit.

Die Unsterblichen

Immer wieder aus der Erde Tälern
Dampft zu uns empor des Lebens Drang,
Wilde Not, berauschter Überschwang,
Blutiger Rauch von tausend Henkersmählern
Krampf der Lust, Begierde ohne Ende,
Mörderhände, Wuchererähäande, Beterhände,
Angst- und lustgepeitschterMenschenschwarm
Dunstet schwül und faulig, roh und warm,
Atmet Seligkeit und wilde Brünste,
Frißt sich selbst und speit sich wieder aus,
Brütet Kriege aus und holde Künste,
Schmückt mit Wahn das brennende Freudenhaus,
Schlingt und zehrt und hurt sich durch die grellen
Jahrmarktsfreuden ihrer Kinderwelt,
Hebt für jeden neu sich aus den Wellen,
Wie sie jedem einst zu Kot zerfällt.

Wir dagegen haben uns gefunden,
In des Äthers sterndurchglänztem Eis,
Kennen keine Tage, keine Stunden,
Sind nicht Mann noch Weib, nicht jung noch Greis.
Eure Sünden sind eure Ängste,
Euer Mord und eure geilen Wonnen
Schauspiel uns gleichwie die kreisenden Sonnen,
Jeder einzige Tag ist uns der längste.
Still zu eurem zuckenden Leben nickend,
Still in die sich drehenden Sterne blickend
Atmen wir des Weltraums Winter ein,
Sind befreundet mit dem Himmelsdrachen,
Kühl und wandellos ist unser ewiges Sein,
Kühl und sternhell unser ewiges Lachen.

Doch heimlich dürsten wir ...

Anmutig, geistig, arabeskenzart
Scheint unser Leben sich wie das von Feen
In sanften Tänzen um das Nichts zu drehen,
Dem wir geopfert Sein und Gegenwart.

Schönheit der Träume, holde Spielerei,
So hingehaucht, so reinlich abgestimmt,
Tief unter deiner heiteren Fläche glimmt
Sehnsucht nach Nacht, nach Blut, nach Barberei.

Im Leeren dreht sich , ohne Zwang und Not,
Frei unser Leben, stets zum Spiel bereit,
Doch heimlich dürsten wir nach Wirklichkeit,
Nach Zeugung und Geburt, nach Leid und Tod.

Dunkelste Stunden

Das sind die Stunden, die wir nicht begreifen!
Sie beugen uns in Todestiefen nieder
Und löschen aus, was wir von Trost gewußt,
Sie reißen uns geheimgehaltene Lieder
Mit blutend wunden Wurzeln aus der Brust.

Und doch sind das die Stunden, deren Last
Uns Stille lehrt und innerlichste Rast
Und die zu Weisen uns und Dichtern reifen.

Dunkle Augen

Mein Heimweh und meine Liebe
Ist heut in dieser heißen Nacht
Süß wie ein Duft von fremden Blumen
Zu heißem Leben aufgewacht.

Mein Heimweh und meine Liebe
Und all mein Glück und Mißgeschick
Steht wie ein stummes Lied geschrieben
In deinem dunklen Märchenblick.

Mein Heimweh und meine Liebe,
Der Welt und allem Lärm entflohn,
Hat sich in deinen dunklen Augen
Erbaut einen heimlichen Königsthron.


E-J

Ein Brief

Mein hochgeehrter Herr von Klein,
Ihren schmeichelhaften Brief habe ich erhalten,
Der mich einlädt, in Ihrem werten Verein
Einen literarischen Abend abzuhalten.
Aber leider kann ich mich nicht verpflichten,
Noch im Januar kommenden Jahres zu existieren;
Das Existieren freut mich mitnichten,
Schon jetzt beginn ich die Lust daran zu verlieren.

Und was nun meine Dichtungen betrifft,
So wurde Ihnen darüber allzu Hübsches erzählt:
Für Ihren Verein wären sie das reine Gift.
Viele meiner Freunde habe ich damit gequält,
Denn sie meinen, es sei des Dichters Beruf,
In des Bürgers Interesse das Leben stramm zu bejahen,
Wie sie das von so manchem Dichter betätigt sahen,
Der berühmte Romane und herrliche Dramen schuf.
Was mich betrifft, so schrieb ich zwar auch solche Sachen,
In der Lebensbejahung war ich früher groß,
Heute muß ich darüber lachen,
Und wenn ich ehrlich sein will, muß ich gestehen:
Nein, mit dem allzuviel bejahten Leben ist nichts los.

Wenden Sie sich gütigste an andre Adressen,
Wie der Kürschner sie Ihnen zu Hunderten nennt;
An Kürschners Schreibtisch bin ich lange genug gesessen,
Nun ziehe ich vor, gleich dem verlorenen Sohn
Brüderlich zwischen den Schweinen zu sitzen,
Das heißt in der Bar zwischen all den widrigen Fritzen
Cognac zu schlürfen oder Flip oder eine Flasche Beaune.
Dabei ist mir verhältnismäßig wohl,
Ich liebe Jazzmusik und den Alkohol,
Und mit diesem Bekenntnis zum Guten und Schönen
Hoffe ich Sie, sehr geehrter Herr Groß und Klein,
Samt Ihrem so verdienstvollen Verein
Wieder einigermaßen zu versöhnen.

Einem Freunde

Wie kommt es, daß du mich verstehst,
Wenn ich die Sprache meiner Heimat rede,
Die doch so weit jenseits der Meere liegt?
Und wenn ich still zu meinen Göttern bete,
Daß du unsichtbar bei mir stehst
Und deine Freundeshand in meiner liegt?

Auch fühl ich oft mit weichem Strich
Beim Geigen deine Hand mich rühren,
Und wenn ich krank bin, ängsteti's mich,
Du möchtest meine Leiden spüren.

Einem Mädchen

Von allen den Blumen
Bist du mir die liebste,
Süß ist und kindlich der Hauch deines Mundes,
Voll von Unschuld und doch voll Lust lacht dein Blick,
Dich nehm ich, Blume, in meine Träume mit,
Dort zwischen den bunten,
Singenden Zaubergewächsen
Ist deine Heimat, dort welkst du nie,
Ewig blüht dort, im Liebesgedicht meiner Seele,
Deine Jugend fort mit dem innigen Duft.

Viele Frauen hab ich gekannt,
Viele mit Schmerzen geliebt,
Vielen wehe getan -
Nun im Abschiednehmen grüß ich in dir
Noch einmal alle Zauber der Anmut,
Alle holden Reize der Jugend.
Und im Träumegarten
Meiner heimlichsten Dichtung
Stell ich dich, die mir so viel geschenkt,
Lächelnd und dankbar zu den Unsterblichen.

Einsame Nacht

Die ihr meine Brüder seid,
Arme Menschen nah und ferne,
Die ihr im Bezirk der Sterne
Tröstung träumet eurem Leid,
Die ihr wortelos gefaltet
In die blass gestirnte Nacht
Schmale Dulderhände haltet,
Die ihr leidet, die ihr wacht,
Arme, irrende Gemeinde,
Schiffer ohne Stern und Glück -
Fremde, dennoch mir Vereinte,
Gebt mir meinen Gruss zurück.

Einst vor tausend Jahren

Unruhvoll und reiselüstern
Aus zerstücktem Traum erwacht
Hör ich seine Weise flüstern
Meinen Bambus in der Nacht.

Statt zu ruhen, statt zu liegen
Reißt michs aus den alten Gleisen
Weg zu stürzen, weg zu fliegen
Ins Unenedliche zu reisen.

Einst vor tausend Jahren gab es
Eine Heimat, einen Garten,
Wo im Beet des Vogelgrabes
Aus dem Schnee die Krokus starrten.

Vogelschwingen möcht ich breiten
Aus dem Bann, der mich umgrenzt,
Dort hinüber zu den Zeiten,
Deren Gold mir heut noch glänzt.

Elisabeth

I

Dir liegt auf Stirne, Mund und Hand
Der feine, zärtlich helle Lenz,
Der holde Zauber, den ich fand
Auf alten Bildern zu Florenz.

Du lebtest schon einmal vorzeit,
Du wunderschöne Maigestalt,
Als Flora im beblümten Kleid
Hat Botticelli dich gemalt.

Auch bist du jene, deren Gruß
Den jungen Dante übermannt,
Und unbewußt ist deinem Fuß
Der Weg durchs Paradies bekannt.

II

Ich soll erzählen,
Die Nacht ist schon spät -
Willst du mich quälen,
Schöne Elisabeth?

Daran ich dichte
Und du dazu,
Meine Liebesgeschichte
Ist dieser Abend und du.

Du mußt nicht stören,
Die Reime verwehn.
Bald wirst du sie hören,
Hören und nicht verstehn.

III

Wie eine weiße Wolke
Am hohen Himmel steht,
So weiß und schön und ferne
Bist du, Elisabeth.

Die Wolke geht und wandert,
Kaum hast du ihrer acht,
Und doch durch deine Träume
Geht sie in dunkler Nacht.

Geht und erglänzt so silbern,
Daß fortan ohne Rast
Du nach der weißen Wolke
Ein süßes Heimweh hast. [Mai/Juni 1900]

IV

Dir liegt auf Stirne, Mund und Hand
Der feine, zärtlich helle Lenz,
Der holde Zauber, den ich fand
Auf alten Bildern zu Florenz.

Darf ich dir sagen, daß du mir
Wie eine schöne Schwester scheinst
Und leises Glück mit Lustbegier
In meiner Seele seltsam einst?

Und daß wir beide Gäste sind
Von ferneher, und daß wir beiden,
Sobald die dunkle Nacht beginnt,
Dasselbe bange Heimweh leiden?

Entgegenkommen

Die ewig Unentwegten und Naiven
Ertragen freilich unsre Zweifel nicht.
Flach sei die Welt, erklären sie uns schlicht,
und Faselei die Sage von den Tiefen.

Denn sollt es wirklich andre Dimensionen
Als die zwei guten, altvertrauten geben,
Wie könnte da ein Mensch noch sicher wohnen,
Wie könnte da ein Mensch noch sorglos leben?

Um also einen Frieden zu erreichen,
So laßt uns eine Dimension denn streichen!

Denn sind die Unentwegten ehrlich,
Und ist das Tiefensehen so gefährlich,
Dann ist die dritte Dimension entbehrlich.

Es gibt so Schönes

Es gibt so Schönes in der Welt,
Daran du nie dich satt erquickst
Und das dir immer Treue hält
Und das du immer neu erblickst:
Der Blick von einer Alpe Grat,
Am grünen Meer ein stiller Pfad,
Ein Bach, der über Felsen springt,
Ein Vogel, der im Dunkel singt,
Ein Kind, das noch im Traume lacht,
Ein Sterneglanz der Winternacht,
Ein Abendrot im klaren See
Bekränzt von Alm und Firneschnee,
Ein Lied am Straßenzaun erlauscht,
Ein Gruß mit Wanderern getauscht,
Ein Denken an die Kinderzeit,
Ein immer waches, zartes Leid,
Das nächtelang mit feinem Schmerz
Dir weitet das verengte Herz
Und über Sternen schön und bleich
Dir baut ein fernes Heimwehreich.

Falter im Wein

In meinen Becher mit Wein ist ein Falter geflogen,
Trunken ergibt er sich seinem süßen Verderben,
Rudert erlahmend im Naß und ist willig zu sterben
Endlich hat ihn mein Finger herausgezogen.

So ist mein Herz, von deinen Augen verblendet,
Selig im duftenden Becher der Liebe versunken,
Willig zu sterben, vom Wein deines Zaubers betrunken,
Wenn nicht ein Wink deiner Hand mein Schicksal vollendet.

Frühling

In dämmrigen Grüften
träumte ich lang
von dein Bäumen und blauen Lüften,
von deinem Duft und Vogelsang.

Nun liegst du erschlossen
in Gleiss und Zier
von Licht übergossen
wie ein Wunder vor mir.

Du kennst mich wieder,
du lockst mich zart,
es zittert durch all meine Glieder
deine selige Gegenwart!

Gebet

Laß mich verzweifeln, Gott, an mir,
Doch nicht an dir!
Laß mich des Irrens ganzen Jammer schmecken,
Laß alles Leides Flammen an mir lecken,
Laß mich erleiden alle Schmach,
Hilf nicht mich erhalten,
Hilf nicht mich entfalten!
Doch wenn mir alles Ich zerbrach,
Dann zeige mir,
Daß du es warst,
Daß du die Flammen und das Leid gebarst,
Denn gern will ich verderben,
Will gerne sterben,
Doch sterben kann ich nur in dir.

Glück

Solang du nach dem Glücke jagst,
Bist du nicht reif zum Glücklichsein,
Und wäre alles Liebste dein.

Solang du um Verlornes klagst
Und Ziele hast und rastlos bist,
Weißt Du noch nicht, was Friede ist.

Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst,

Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz, und deine Seele ruht.

Going to Sleep

Now that day wearies me,
my yearning desire
will receive more kindly,
like a tired child, the starry night.

Hands, leave off your deeds,
mind, forget all thoughts;
all of my forces
yearn only to sink into sleep.

And my soul, unguarded,
would soar on widespread wings,
to live in night's magical sphere
more profoundly, more variously.

Harte Menschen

Wie ist euer Blick so hart,
Will alles versteinern,
Ist nicht der kleinste Traum darin,
Ist alles kalte Gegenwart.

Mag denn in eurem Sinn
Gar keine Sonne scheinen?
Und müsset ihr nicht weinen,
Dass ihr nie Kinder wart?

Herbstbeginn

Der Herbst streut weiße Nebel aus,
Es kann nicht immer Sommer sein!
Der Abend lockt mit Lampenschein
Mich aus der Kühle früh ins Haus.

Bald stehen Baum und Garten leer,
Dann glüht nur noch der wilde Wein
Ums Haus, und bald verglüht auch der,
Es kann nicht immer Sommer sein.

Was mich zur Jugendzeit erfreut,
Es hat den alten frohen Schein
Nicht mehr und freut mich nimmer heut -
Es kann nicht immer Sommer sein.

O Liebe, wundersame Glut,
Die durch die Jahre Lust und Mühn
Mir immer hat gebrannt im Blut -
O Liebe, kannst auch du verglühn?

Hingabe

Dunkle du, Urmutter aller Lust,
Die ich floh, die ich so oft verflucht,
Die mich dennoch immer hat gesucht,
Endlich werf ich mich an deine Brust!

Nimm mich hin, furchtbare Mutter Nacht,
Todeswollust ist's, dich zu umarmen,
Heimlich aus dem heißen Abgrund lacht
Ahnung von Erlösung, von Erbarmen.
Tief in deinen schwarzen Augen brennt
Deiner düstern Liebe Glut so wehe,
Deiner Liebe, die mich ganz erkennt,
Deren Todesruf ich ganz verstehe.
Willig folg ich dir durch Blut und Angst,
Fühle, wie du mich zurückverlangst,
Um noch einmal mich dein Kind zu nennen,
Um in einem Kuß mich zu verbrennen.

Höhe des Sommers

Das Blau der Ferne klärt sich schon
Vergeistigt und gelichtet
Zu jedem süßen Zauberton,
Den nur September dichtet.

Der reife Sommer über Nacht
Will sich zum Feste färben,
Da alles in Vollendung lacht
Und willig ist zu sterben.

Entreiß dich, Seele, nun der Zeit,
Entreiß dich deinen Sorgen
Und mache dich zum Flug bereit
In den ersehnten Morgen.

How Heavy the Days...

How heavy the days are.
There's not a fire that can warm me,
Not a sun to laugh with me,
Everything bare,
Everything cold and merciless,
And even the beloved, clear
Stars look desolately down,
Since I learned in my heart that
Love can die.

Ich bin ein Stern

Ich bin ein Stern am Firmament,
Der die Welt betrachtet, die Welt verachtet,
Und in der eignen Glut verbrennt.

Ich bin das Meer, das nächtens stürmt,
Das klagende Meer, das opferschwer
Zu alten Sünden neue türmt.

Ich bin von Eurer Welt verbannt
Vom Stolz erzogen, vom Stolz belogen,
Ich bin ein König ohne Land.

Ich bin die stumme Leidenschaft,
Im Haus ohne Herd, im Krieg ohne Schwert,
Und krank an meiner eignen Kraft.

Ich log

Ich log! Ich log! Ich bin nicht alt,
Ich bin nicht satt vom Leben,
Mir macht jede schöne Frauengestalt
Noch Puls und Gedanken erbeben.

Mir träumt noch von Weibern heiß und nackt,
Von guten und von schlechten,
Von wilder Walzer brillantem Takt
Und von verliebten Nächten.

Mir träumt von einer Liebe sogar,
Einer schweigsam schönen und reinen,
Wie jene erste, heilige war,
Und ich kann noch um sie weinen.

Ich weiß von solchen...

In manchen Seelen wohnt so tief die Kindheit,
Dass sie den Zauber niemals ganz durchbrechen,
Sie leben hin in traumgefüllter Blindheit
Und lernen nie des Tages Sprache sprechen.

Weh ihnen, wenn ein Unheil sie erschreckt
Und plötzlich hell zur Wirklichkeit erweckt!
Aus Traum gescheucht und kindlichem Vertrauen
Starren sie hilflos in des Lebens Grauen.

Ich weiß von solchen, die der Krieg erst weckte,
Da sie des Lebens Mitte überschritten,
Und die seither am Leben wie erschreckte
Traumwandler zitternd und geängstigt litten.

Es scheint: in diesen Hoffnungslosen sucht
Die Menschheit ihrer blutgetränkten Erden,
Sucht ihrer Grausamkeit und Seelenflucht
Erschauernd und beschämt bewusst zu werden.

Im Altwerden

Jung sein und Gutes tun ist leicht,
Und von allem Gemeinen entfernt sein;
Aber lächeln, wenn schon der Herzschlag schleicht,
Das will gelernt sein.
Und wem's gelingt, der ist nicht alt,
Der steht noch hell in Flammen
Und biegt mit seiner Faust Gewalt
Die Pole der Welt zusammen.
Weil wir den Tod dort warten sehn,
Laß uns nicht stehen bleiben.
Wir wollen ihm entgegengehn,
Wir wollen ihn vertreiben.
Der Tod ist weder dort noch hier,
Er steht auf allen Pfaden.
Er ist in dir und ist in mir,
Sobald wir das Leben verraten.

Im Auto über den Julier

Stein-Öde, Trümmerfelder tot,
Dünnfargbige Algen grün, grau, rot,
Felsgipfel steil ins Graue drängend,
Gewölk die Grate überhängend,
Kaltfeindlich scharf der mürrische Wind,
Moorwasserlachen stumm und blind,
An bleichen Wänden frische Wunden
Blutbraun und schorfig, felsgeschunden.
Müd aber streng und scharfgeschnitten
Zieht lang der Straße Band inmitten,
Einst Heer- und Pilgerweg, und jetzt
Von schnurrenden Maschinen abgewetzt
Mit Menschen drin, die alles hätten,
Sich aus dem Lärm ins Sommerglück zu retten,
Nur keine Zeit, nur keine Zeit.
Wir hasten mit, es ist noch weit
Bis Bivio, bis Chur, Paris, Berlin,
Wir hasten auf der hageren Straße hin,
Wir sehen grat-entlang die Wolken ziehn,
Das Steingeröll mit blinden Wasserlachen;
Die graue Kühle will uns schauern machen,
Doch die Maschine reißt uns ohne Gnade
Hinan, hinab, hinweg. Heroisch hart
Ins Grau empor die steile Steinwelt starrt.
Wir fliehen, fliehen, und wir fühlen: "schade..."

Im malayischen Archipel

In allen Nächten steht die Heimat nah,
Als wäre sie noch mein,
Vor meinen traumbeglückten Augen da.
Doch muss ich lange noch auf Reisen sein
Und in entlegener Inseln Sonnenglut
Mein Herz zur Ruhe bringen
Und wie ein widerspenstig Kind
Einwiegen und zur Ruhe singen.
Und immer wieder ist es ungemut,
Ist nicht zur Ruh' zu bringen,
Ist wild und schwach wie Kinder sind.

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.

Voll von Freuden war mir die Welt,
Als noch mein Leben Licht war,
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkle kennt,
Das unentrinnbar und leise.
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsam sein.
Kein Mensch kennt den anderen,
Jeder ist allein.

In Sand geschrieben

Dass das Schöne und Berückende
Nur ein Hauch und Schauer sei,
Dass das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Dass sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer,
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd, sie gleichen
Uns Vergänglichen nicht, erreichen
Nicht das Innerste der Seelen.
Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
Zugeneigt, stets nah dem Sterben,
Und das Köstlichste: die Töne
Der Musik, die im Entstehen
Schon enteilen, schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet schon und rinnt von dannen.
So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben,
Eines Wolkenspieles Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweg geflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
Das uns im Vorübergehen
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten
Oder wehtun kann. Wir lieben,
Was uns gleich ist, und verstehen,
Was der Wind in Sand geschrieben.

In Weihnachtszeiten

In Weihnachtszeiten reis´ ich gern
Und bin dem Kinderjubel fern
Und geh in Wald und Schnee allein.
Und manchmal, doch nicht jedes Jahr,
Trifft meine gute Stunde ein,
Dass ich von allem, was da war,
Auf einem Augenblick gesunde
Und irgendwo im Wald für eine Stunde
Der Kindheit Duft erfühle tief im Sinn
Und wieder Knabe bin ...

Irgendwo

Durch des Lebens Wüste irr ich glühend
Und erstöhne unter meiner Last,
Aber irgendwo, vergessen fast,
Weiß ich schattige Gärten kühl und blühend.

Aber irgendwo in Traumesferne
Weiß ich warten eine Ruhestatt,
Wo die Seele wieder Heimat hat,
Weiß ich Schlummer warten, Nacht und Sterne.

Jeden Abend

Jeden Abend sollst du deinen Tag
Prüfen, ob er Gott gefallen mag,
Ob er freudig war in Tat und Treue,
Ob er mutlos lag in Angst und Reue;
Sollst die Namen deiner Lieben nennen,
Haß und Unrecht still vor dir bekennen,
Sollst dich alles Schlechten innig schämen,
Keinen Schatten mit ins Bette nehmen,
Alle Sorgen von der Seele tun,
Daß sie fern und kindlich möge ruhn.
Dann getrost in dem geklärten Innern
Sollst du deines Liebsten dich erinnern,
Deiner Mutter, deiner Kinderzeit;
Sieh, dann bist du rein und bist bereit,
Aus dem kühlen Schlafborn tief zu trinken,
Wo die goldnen Träume tröstend winken,
Und den neuen Tag mit klaren Sinnen
Als ein Held und Sieger zu beginnen.

Jede Nacht

Jede Nacht der gleiche Jammer,
Erst getanzt, gelacht, gesoffen,
Müde dann in meine Kammer
Und ins kühle Bett geschloffen.
Kurzer Schlaf und langes Wachen,
Verse aufs Papier geschrieben,
Brennende Augen wund gerieben,
Lieber Gott, es ist zum Lachen!
Zwischen Träumetrümmern lieg ich,
Wünsche dieser Qual ein Ende,
In zerwühlten Kissen schmieg ich
Heiße Wangen, feuchte Hände,
Schütte Whisky in die Kehle,
Und in den verlorenen Schlünden
Jammert die erstickte Seele.
Irgendwo aus Höllengründen
Kommt der Morgen dann geschlichen,
Und der Tag mit fürchterlichen
Augen stiert auf meine Sünden.

Julikinder

Wir Kinder im Juli geboren
Lieben den Duft des weißen Jasmin,
Wir wandern an blühenden Gärten hin
Still und in schwere Träume verloren.

Unser Bruder ist der scharlachene Mohn,
Der brennt in flackernden roten Schauern
Im Ährenfeld und auf den heißen Mauern,
Dann treibt seine Blätter der Wind davon.

Wie eine Julinacht will unser Leben
Traumbeladen seinen Reigen vollenden,
Träumen und heißen Erntefesten ergeben,
Kränze von Ähren und roten Mohn in den Händen. [Mai 1904]


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