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Von und über den großen deutschen Fabulierer


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Degradierung

Jean Paul berichtet aus Weimar per Brief an seinen Freund Christian Otto, daß bei einem der Hofkonzerte, in denen die Bürgerlichen auf der Galerie zu sitzen hätten, wo wenig zu hören sei, ihm gesagt worden wäre, er dürfe zu den Edelleuten in den Saal, nur müsse er einen Degen anlegen, um nicht aufzufallen. worauf er geantwortet hätte: "So ists vorbei; andere werden durch Degenabnehmen degradiert, ich würd es durchs Gegenteil."


Parodie und Kuriosum

Karl August Varnhagen von Ense "gehörte zu den wenigen Bewunderern von Jean Pauls Roman 'Flegeljahre'. Durch seine Initiative entstand, in unmittelbarer Nachfolge, ein Kuriosum der deutschen Literatur. Als 1806 die Franzosen Halle besetzt und die Universität geschlossen hatten, vertrieben sich die Studenten Varnhagen und Wilhelm Neumann ihre studienlose Zeit damit, nach dem Vorbild des 'Doppelromans' der Zwillingsbrüder einen Roman zu schreiben, der 1808, nachdem auch noch Fouque und Bernhardi mitgeschrieben hatten, unter dem Titel 'Versuche und Hindernisse Karls' anonym erschien. In ihm tritt, neben Wilhelm Meister, auch Jean Paul auf, ein dicker Mann, der viel trinkt und viel redet und einen Steckbrief gegen sich selbst aufsetzt, aus Angst, er könnte sich beim Schreiben entlaufen. (Günter de Bruyn: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter, S. 263)


Auf lange Sicht

Welche reine, widerirdische, höhere Wünsche und Meinungen halten sich nicht Jahrhunderte lange in tausend stillen Herzen auf - und nichts geschieht als das Gegenteil -, bis endlich ein Mann zur Keule greift und jede Brust aufspaltet und dem Himmel so viel Luft macht, als die Hölle vorher hatte. (Jean Paul: Dr. Katzenbergers Badereise)


"Schulmeisterlein Wutz"

Eine der schönsten deutschen Erzählungen: "Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal". Geschrieben hat diese Erzählung Jean Paul, der eigentlich Johann Paul Friedrich Richter hieß und aus Wunsiedel stammte und mir der liebste unter den deutschen Dichtern ist, ich sage der liebste, also nicht der größte, nicht der virtuoseste, nein, einfach der liebste. Manche Leser sprechen Jean Paul ganz französisch aus und sagen "Schong Pohl", damit geben sie aber nur zu, dass sie Jean Pauls Werke nicht kennen, denn unser Johann Paul verehrte in seiner Jugend besonders Jean-Jacques Rousseau, dem zu Ehren er seinen ersten Vornamen zu einem französischen Jean umtaufte, während er den zweiten deutsch beibehielt, so dass er heute ausgesprochen werden muss, als wäre er ein französisch- deutscher Zwitter: "Schong Paul". Das "Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal" heißt im Untertitel "Eine Art Idylle", das trifft diese Erzählung genau. Einerseits nämlich ist sie eine lupenreine Idylle, andererseits aber ist sich der Erzähler nicht so ganz sicher, ob er dem Leser eine solche Lupenreinheit ein Jahr nach der Französischen Revolution noch zumuten kann. Daher murmelt der Erzähler vielsagend und beschwörend vom "unbändigen stürzenden Strom der Dinge", der "auf seinen Katarakten und Strudeln zerstößet und schüttelt und rädert", während sein naiver Held, das Schulmeisterlein Maria Wutz, von all diesem Chaos nichts mitbekommt, sondern - trotz aller Armut - an einer Kunst, glücklich zu sein, arbeitet. Da zu dieser Kunst eine Bibliothek gehört, eine solche wegen der großen Armut aber nicht zur Verfügung steht, setzt sich das Schulmeisterlein hin und schreibt sich die bedeutendsten Werke der Weltliteratur selbst: "Jedes neue Messprodukt, dessen Titel das Meisterlein ansichtig wurde, war nun so gut als geschrieben oder gekauft: denn es setzte sich sogleich hin und machte das Produkt und schenkt' es seiner ansehnlichen Büchersammlung, die, wie die heidnischen, aus lauter Handschriften bestand." (Hanns-Josef Ortheil)


Charakteristik

Der Zoller war zwar kein Mann von glänzendem Verstande - er traute seiner Frau einen größern zu -, und seine Ausgaben der Langenweile überstiegen weit seine Einnahme derselben; aber wer Langmut im Ertragen, Dienstfertigkeit und ein anspruchsloses redliches Leben liebte, der sah in sein immer freudiges und freundliches Gesicht und fand dies alles mit Lust darin. (Dr. Katzenbergers Badereise)


Auf Post gewartet

Ein fremder feingekleideter und feingesitteter Herr trat in die Wohnstube ein, nannte sich Herr von Nieß und überreichte der Tochter des Doktors, nach der Frage, ob sie Theoda heiße, ein blaueingeschlagenes Briefchen an sie; es sei von seinem Freunde, dem Bühnen-Dichter Theudobach, sagte er. Das Mädchen entglühte hochrot und riß zitternd mit dem Umschlag in den Brief hinein (die Liebe und der Haß zerreißen den Brief, so wie beide den Menschen verschlingen wollen) und durchlas hastig die Buchstaben, ohne ein anderes Wort daraus zu verstehen und zu behalten als den Namen Theudobach. (Dr. Katzenbergers Badereise)


Heuchler

Der Heuchler kehrt die alte Methode, wornach man mit einem nur an einer Schneiden-Seite vergiftetem Messer die Frucht zerschnitt und die damit geätzte Hälfte dem Opfer hinreichte und die gesunde zweite selber aß, so uneigennützig gegen sich selber um, daß er gerade die gute moralische Hälfte und Seite dem andern zeigt und gibt und nur sich die giftige vorbehält. Himmel, wie schlecht erscheint einem solchen Manne gegenüber der Teufel! (Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz, S. 65)


Unverdautes

Wenige deutsche Gelehrte sind nicht originell, wenn man anders (wie wenigstens aller Völker Sprachgebrauch ist) jedem Originalität zusprechen darf, der bloß seine eignen Gedanken auftischt und keine fremden. Denn da zwischen ihrem Gedächtnis, wo das Gelesene oder Fremde wohnt, und zwischen ihrer Phantasie oder Erzeugungskraft, wo das Geschriebne und Eigne entsteht, ein hinlänglicher Zwischenraum und die Grenzsteine so gewissenhaft und fest gesetzt sind, daß nichts Fremdes ins Eigne und umgekehrt herüberkann, so daß sie wirklich hundert Werke lesen können, ohne den Erdgeschmack des eignen einzubüßen oder dasselbe sonst zu ändern: so ist, glaub' ich, ihre Eigenheit bewährt; und ihre geistige Nahrungsmittel, ihre Plinzen, Laibe, Krapfen, Kaviare und Suppenkugeln werden nicht, wie nach Buffon die körperlichen, zu organischen Kügelchen der Erzeugung, sondern erscheinen rein und unverändert wieder. Oft denk' ich mir solche Gelehrte als lebendige, aber tausendmal künstlichere Entriche von Vaukansons Kunst-Ente aus Holz. Denn in der Tat sind sie nicht weniger künstlich zusammengefügt als diese, welche frißt und den Fraß hinten wieder zu geben scheint - zarte Nachspiele der Ente, welche unter dem Schein, die Kost in Blut und Saft verwandelt zu haben, bloß einem vom Künstler im Hinterleibe gar nicht zusammenhängt, illusorisch in die Welt setzt und drückt. (Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz)


Tage

Die Weiber haben wöchentlich wenigstens einen aktiven und passiven Neids-Tag, den heiligen, den Sonntag; - nur die höhern Stände haben mehr Sonn- als Werkeltage, so wie man in großen Städten seinen Sonntag schon Freitags mit einem Türken feiern kann, Sonnabends mit einem Juden, Sonntags mit sich selber. Weiber gleichen köstlichen Arbeiten aus Elfenbein: nichts ist weißer und glätter, und nichts wird leichter gelb. (Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz, S. 16)


Vorsichtsmaßnahmen

Es ist bekannt, daß ich immer wenigstens zehn Äcker weit von jedem Ufer voll Badegäste und Wasserschwimmer fern spazieren gehe, um für mein Leben zu sorgen, bloß weil ich gewiß voraussehe, daß ich, falls einer davon ertrinken wollte, ohne weiteres (denn das Herz überflügelte den Kopf) ihm, dem Narren, rettend nachspringen würde, in irgendeine bodenlose Tiefe hinein, wo wir beide ersöffen. (Jean Paul: Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz, S. 14)


Nach seinen Interessen

Allerdings äußerste Katzenberger gern einige Grobheit gegen Gäste, bei denen nicht Gelehrtes zu holen war, und er gab sogar den Tisch lieber her als die Zeit. Es war für jeden angenehm zu sehen, was er bei einem Fremden, der, weder besonders ausgezeichnet durch Gelehrsamkeit noch durch Krankheit, gar nicht abgehen wollte, für Seitensprünge machte, um ihn zum Lebewohl und Abscheiden zu bringen; wie er die Uhr aufzog, in Schweigen einsank oder in ein Horchen nach einem nahen lautlosen Zimmer, oder wie er gleich zu einem Vorläufer des Aufbruchs verdrehte und scheidend selber in die Höhe sprang, mit der Frage, warum er denn so eile. Beide Meckel hingegen, die Anatomen, Vater und Sohn zugleich, hätte der Doktor tagelang mit Lust bewirtet. (561) Dr. Katzenbergers Badereise)


Freunde und Feinde

Wer unserm Herzen zu nahe ist, der zeigt uns selten unsre wahre Gestalt; er ist ein Spiegel, den unser warmer Atem dunkel macht. - Der Feind ist oft der treueste Kundschafter unsrer Mängel, und zeigt durch Bellen unsre gefährlichsten Feinde an. Unsre Tugend sagt uns der Busenfreund, der uns liebt; unsre Laster der Feind, der uns haßt - beide sagen zuviel; allein dann ist es leicht, die Wahrheit zwischen entgegengesetzten Lügen zu finden. (Jean Paul: Rhapsodien)


Dumm genug sein

Der Dumme kann ein Priester sein, wenn er nur Verstand genug hat, um Oftgesagtes noch einmal zu sagen, und das Echo der symbolischen Bücher zu werden. In Gerichtshöfen wird er übel wegkommen, wenn er nicht selbst - Richter ist. Als Arzt wird er glücklich sein; die, die seine Kur noch nicht erfahren haben, werden ihn loben, und die, die er heilen wollte, werden ihn nicht mehr tadeln können. (Jean Paul: Rhapsodien)


Anerkennung

Der Trieb, dem andern zu gefallen, begleitet den Menschen bei jeder seiner Handlungen und die Rumbegierde ist eine von den Haupttriebfedern, die uns in Tätigkeit setzt. Man will also vom andern geschätzt sein. Aber nicht genug; der andre soll uns nicht nur so hoch schätzen, als wir uns selbst; sondern er soll auch eine noch größere Meinung von uns bekommen. Wir verbergen unsre Fehler vor dem andern; ja was noch mehr ist, wir hören nicht einmal gern diejenigen Mängel aus seinem Mund, die wir selbst eingestehen. (Tagebuch meiner Arbeiten, September 1781)


Vom Neid

Der Neid ist ein Kind des Mangels; und nicht selten der Bastard eines unsrer heiligsten Triebe. Er ist die Nahrung einer ausgezehrten Seele, und wächst nur auf den Ruinen des menschlichen Geists wie Moos auf den verfallnen Palästen. Er nährt sich von den Fehlern des andern, wie der Rabe von Aas. - Es ist so unredlich, neidisch zu sein, und doch so schwer, es nicht sein; daß wir, wenn alle Laster soviel Zusammenhang mit unsrer Natur hätten, auf die Güte unsrer Natur Verzicht zu müßten. (Tagebuch meiner Arbeiten, September 1781)


Weisheit ist nützlich

Der Weise weiß vielleicht weniger, aber von diesem wenigen macht er mehr Gebrauch; bei ihm verwandelt sich alles in Nahrung; er liest des andern Gedanken, um sie zu eignen zu machen. Der Gelehrte webt bloß in der Studierstube; er glänzt am meisten, wenn er allein ist, er ist mein Licht, das unter dem Scheffel leuchtet; draußen in der Welt verblasset sein Schein. Der Weise ist überall nützlich, er wärmt in der Nähe und leuchtet in der Ferne. (Tagebuch meiner Arbeiten, September 1781)


Leidenschaften

Die Leidenschaften sind die Winde, die uns durch das weite Meer des Lebens treiben; je stärker sie sind, desto geschwinder die Fahrt, desto leichter sind alle Hindernisse überwunden, desto früher neue Länder entdeckt. Allein sie können uns eben so leicht gegen Steinklippen treiben, in Meerstrudel stürzen und der größten Verirrung aussetzen. Die Vernunft bloß ist unser Steuermann; sie kann uns nicht forttreiben, allein sie kann den rechten Weg zeigen. Wer ohne Leidenschaft sein will, der will nichts sein; diesem ist dann seine Vernunft so wenig nütze als ein Wegweiser dem Lahmen, der nicht gehen kann. (Tagebuch meiner Arbeiten, September 1781)


Ewig Schüler

Man sollte überhaupt mehr die Geschichte der Philosophie als sie selbst vortragen. Nichts ist nötiger als Selbstdenken, nichts ist schätzbarer, und vielleicht auch nichts schwerer zu erwerben. Der Mensch ist geboren Lügen zu sagen und zu glauben; er ist geboren, sich den Wellen der Mode und des Schicksals zu überlassen, eh' er sein eignes Ruder ergreift, kurz wir sind ewig Kinder, ewig Schüler. (Jean Paul: Tagebuch meiner Arbeiten, August 1781)


Mitleid II

Nichts macht mehr zum Freunde, als gemeinschaftliches Leiden. Das Unglück erweicht das Herz; laßt den andern dasselbe Unglück fühlen - o dann fließen ihre Herzen zusammen, wie ein Tautropfen in den andern, alles zerschmilzt sich in eine Empfindung. - Die Menschenliebe ist eine Blume, die nur im weichen und feuchten Erdboden wächst; Tränen sind der Tau, der ihren Wachstum befördert. Wer nie über sein eigen Elend geweint hat, wird eben so wenig über das des andern weinen; wer nie gelitten hat, wird mit dem Leidenden nicht sympatisieren . (Jean Paul: Tagebuch meiner Arbeiten, August 1781)


Die Jugend

Unsre Jugend ist die Zeit unsrer Freude, sie ist der Frühling im Jahr. Unser junges feuriges Blut wiegt die Seele in süße Träume zukünftigen Glücks, die blühende Wange verjagt das ganze Gefolge von blassen Schrecken, Schwermut und Qualen, die Gesundheit des Körpers stählt die Gesundheit der Seele, unsre Unerfahrenheit der Leiden, die so oft im menschlichen Leben aufstoßen, der Mut, der noch nicht durch mißglückte Versuche entnervt ist, die Einbildung, daß lauter Engel die Welt bewohnen, und der Schluß von der gegenwärtigen Freude auf die zukünftige, alles dieses macht die glückliche Zeit unsers Leben, die so bald verfließt, so oft beklagt, und nie zurückgerufen wird. (Tagebuch meiner Arbeiten, September 1781)


Vom Wissen

Jeder hält den für weise, der weit in der Wissenschaft gekommen ist, die er selbst liebt; allein den hält er nur für gelehrt, der da viel weiß, wo wir nichts wissen. Jeder erteilt der Wissenschaft, die er vorzüglich betreibt, einen Wert vor den andern - jeder hält seine Art von Kenntnissen für unentbehrlich, für unschätzbar. Deswegen findet jeder Gelehrte in der Welt; allein nicht viel Weise: weil die Anzahl der Menschen, die sich mit unsrer Lieblingswissenschaft abgeben, geringer ist als die, welche die übrigen Kenntnisse bearbeiten. (Tagebuch meiner Arbeiten, August 1781)


Mitleid I

Tränen sind der Regen, der alle Tugenden befruchtet, und sie milde macht. Der Hartherzige kann auch Tugenden verrichten; allein sie haben das Ansehen des Heroischen, sie erregen mehr unsre Bewunderung als unsre Liebe, sie sind nicht menschlich genug. Das weiche Herz gibt allen Handlungen etwas angenehmes, etwas rührendes. Ich werde dem danken, der mir aus kalten Beweggründen angetrieben mein Elend mildert; aber den werd' ich umarmen, der seine Tränen mit meinen vermischt und mein Helfer wird. Bei jenem tut's weh, seine Hülfe zu brauchen; bei diesem verschmilzt sich eignes Elend und fremdes Teilnehmen in eine so angenehme Empfindung zusammen , daß wir diese Empfindung in der allerglücklichsten nicht hingeben würden. Die Tränen des Mitleidigen sind heilender Balsam in die Wunden des Unglücklichen gegossen. Seine Leiden vermindern sich, weil er sie nicht allein leidet. (Jean Paul: Tagebuch meiner Arbeiten, Auguste 1781)


Glück

Wahrlich, es gehört weniger dazu, glücklich zu sein, als man glaubt. All' unser Unglück kommt daher, weil wir das wahre Glück nicht kennen, und, indem wir uns nach einem zu großen bestreben, uns einbilden, gar keines erreicht zu haben. Wir halten es nicht für Glück zufrieden zu sein, darum gefällt uns keiner unsrer Zustände; wir wollen nicht allein glücklich sein, wir wollen es auch andern zeigen; deswegen so viel Pomp, so viel Aufwand, der uns nichts als den Neid der andern erwirbt, unser Vergnügen durch einen willkürlichen Zwang einschränkt und unsre Glückseligkeit unsrer Eigenliebe aufopfert. (Tagebuch meiner Arbeiten, 1781)


Schule

Nichts ist unbedachter, als den Jüngling aus seinen Schularbeiten kennen lernen zu wollen. Habt mit ihm Umgang; hört seine Urteile. Aber dann muß nicht ein feierlicher Ernst auf eurer Stirne seine Offenheit in kalte Ehrfurcht verwandeln - um ihn kennen zu lernen, müßt ihr das Schulgesicht ablegen, und auf eurem Gesicht den männlichen Ernst mit der jugendlichen Freimütigkeit vertauschen. (Tagebuch meiner Arbeiten, 1781)


Eitelkeiten

Der Mensch verdient unsre Verachtung, wenn er eitel ist; aber er kann auch zugleich auf unsre Bewunderung Anspruch machen, wenn er bei seiner Eitelkeit Verstand zeigt. Ich sehe hier vorzüglich auf die Eitelkeit in der Kleidung, auf die Abwechslung der Moden. Hier gibt er deutliche Beweise seiner Erfindsamkeit, aber nur bloß um die Zahl seiner Torheiten zu vergrößern; hier zeigt er, daß er gute Augen habe, um besser durch eine - falsche Brille zu sehen. Wir lernen aus der Abwechslung der Moden, daß es nur Gewohnheit braucht, um seinem Geschmacke alle Torheiten annehmlich zu machen, daß bloß diese fehlen darf, um ihm mit Tadel gegen alle Abweichungen vom Gewöhnlichen bewaffnet zu sehen. Vielleicht sind uns gewisse Torheiten eben so nötig zu unserm Leben, als Brot zu unsrer Speise, und wir können gewissen Trieben nicht genugtun, ohn' auf Extreme zu springen. (Etwas über den Menschen)


Beides zugleich

Der Mensch ist das Geschöpf, das die Fähigkeit besitzt, das Unvereinbare zu vereinigen - das Geschöpf, welches Narr und Weiser, Bösewicht und Heiliger zugleich ist. Wir sind im Stande, alles zu werden, aber nicht, etwas ganz und lange zu sein; wir leben nur von der Veränderung. - Wir sind gemacht, unvollkommen und doch groß zu sein, uns Lieb' und Haß, Bewunderung und Verachtung in demselben Augenblicke zu erwerben. Unsere Tugend beweist unsere Größe; aber auch noch im Laster sieht man das Gepräge unsrer Hohheit. Wir können uns keine große Eigenschaft erwerben, ohne zugleich eine andre wieder zu verlieren, wir können nicht groß werden, ohn' unsre vorige Niedrigkeit nicht zum Begleiter zu haben. (Etwas über den Menschen)


Realitätsferne

Ihr malt die Freuden des künftigen Elysiums - ihr betrügt euch, es sind die Freuden des gegenwärtigen Lebens: ihr setzt euren Himmel nur aus Bruchstücken von dieser Welt zusammen. - Ihr fliegt bis an die urgraue Schöpfung zurück, um da ein -- unendliches Nichts zusehen - sehr viel! Ihr seht das Zukünftige? Deswegen, um das Gegenwärtige schlechter zu seuhen - ihr hebt eure Augen gen Himmel, um besser auf der Erde zu stolpern.


Bösartiges Geschöpf

Aber vielleicht ist nur der Verstand die schwache Seite des Menschengeschöpfs, vielleicht wird sein Mangel durch gute Trieb' ersetzt, und wir sind weniger weise, um mehr gut zu sein? Wenn es wäre! allein der Mensch ist nicht bloß ein schwaches, sondern auch ein bösartiges Geschöpf; er verdient nicht bloß Verachtung, auch Haß. Sein ganzes Leben ist eine Kette von Fehlern, davon die äußern Gegenstände sie erzeugen, das Herz sie gebiert, der Irrtum ihnen Nahrung gibt, und der Verstand sie zur Reife bringt. Sei nicht froh so viel Verstand zu haben: es würde besser sein, wenn du dümmer wärest, deine Laster würden geringer, dein Unglück würde kleiner sein. Was ist diese Reue anders, als ein Richter, der zwar deine Torheiten bestraft, aber ihre Folgen nicht mindert - als ein Pfeil, der doppelt schmerzt, wenn du die bereute Tat zum zweitenmal begehst? (Etwas über den Menschen)


Benennungen und Umschreibungen

Andere Wissenschaften erlangen ihre Wichtigkeit nur von den Namen, womit man sie benennt, z.B. "wir bringen alle Tiere in ein Geschlechtsregister, alle Pflanzen in eine Nomenklatur" heißt mit andern Worten, wir können sehen und zählen; oder "wir zerteilen den Lichtstrahl" ist eben so viel, als: wir erfinden als Männern, was wir im Knabenalter schon an der Seifenblase sahen - ferner, "wir sind Redner, wir haben die Gemüter in Händen" ist eine Umschreibung des Worts Betrüger, und heißt, wir haben die Gabe blind zu machen. (Jean Paul: Etwas über den Menschen)


Imagination

Unsere Einbildungskraft verschönert uns die Liebenswürdigkeit der geliebten Person in's unendliche; da uns die Sinne sie nur in ihren natürlichen Reizen darstellen. Die Einbildung läßt jede Unvollkommenheit des Bildes weg; die Sinne verbergen sie nicht. Deswegen ist Einsamkeit der Liebe so gefährlich - nein! nicht gefährlich, so tröstlich, so nährend. ( Abelard und Heloise)


Unverschwiegenheit

Man beschuldigt gemeiniglich das schöne Geschlecht der Geschwätzigkeit, und ihrer Folge davon, der Unverschwiegenheit. Ich glaube, daß es wahr ist; aber ich glaube nicht, daß man ihm das als Fehler anrechnen kann; ja ich bin vielmehr überzeugt, daß eben diese Eigenschaft ihrem Herzen - obwohl auf Kosten des Verstandes - Ehre macht. Denn war ist eigentlich Unverschwiegenheit? Nichts als die Geschwätzigkeit, zur unrechten Zeit angewandt. Und was tut der Mensch der geschwätzig ist? Er teilt gerne mit, was er hat. Ihm schmeckt nichts, was andre nicht auch kosten. Er will nichts allein wissen; andre sollen auch davon unterrichtet sein. Er sagt also, was er verschweigen soll - ohne die Absicht zu haben, einem Andern dadurch Schaden zu verursachen. Er ist in gewissem Betrachte menschenfreundlich; obgleich er nicht das rechte Mittel dazu wählt. Daher sind Frauenzimmer so unverschwiegen, weil ihr Herz so offen, so aufschließend ist. Daher sind's Frauenzimmer mehr als Mannspersonen, weil sie mehr Güte des Herzens besitzen, als Anteil am Verstand' haben. Daher soll man selten einem guten, offnen Menschen ein Geheimnis anvertrauen. Wer gut gegen uns ist, wird Müh' haben, es bei andern nicht zu sein. Daher sind Bösewichter am verschwiegendsten. (Jean Paul: Übungen im Denken, Mai 1781)


Gekonnt kopieren

Wer zu schwach ist, zu erfinden, der trage das Erfundene in besserer Gestalt vor, und wer uns nichts neues sagen kann, der sage das Alte mit andern Worten. Und vielleicht haben sich diese Regel manche neuere Schriftsteller fast zu sehr zunutze gemacht. Sie haben sich eine gewisse kraftvolle Sprach' erfunden, in der alles, was man darinnen vorträgt, von einer andern Seit' erscheint. Sie scheinen Erfinder, Leibnitze zu sein, und sind nur -- Modeschneider. (Jean Paul: Übungen im Denken, Mai 1781)


Etwas Zufriedenheit

Mancher denkt, recht gottesfürchtig zu sein, wenn er die Welt ein Jammertal nennt. Aber ich glaube, er würd' es eher sein, wenn er sie ein Freudental hieße. Gott wird mit dem eher zufrieden sein, dem alles in der Welt recht ist, als mit dem, dem gar nichts recht ist. Bei so vielen Freuden in der Welt - ist's nicht schwarzer Undank, sie einen Ort des Kummers, und der Qual zu nennen??? (Übungen im Denken, 1780)


Selbstbewußtsein

Es gefällt jedem, wenn ein Schriftsteller demütig ist, wenn ein Genie sagt, daß es keines sei. Man preist diese Art, seinen Wert nicht in Augen zu haben, jedem Schriftsteller an. Aber ich glaube, mit Unrecht. Warum soll der Mann, der's wohl kann, seine Größe nicht fühlen lassen - warum soll der aufgeklärte Kopf mit den Bücklingen eines Dummkopfs vor's Publikum treten? Vielleicht ist wohl dies die Ursache. Wir leiden's noch, daß einer ein großer Mann ist: aber wir mögen's nicht von ihm selbst erfahren. Unre Eigenliebe wird zu sehr beleidigt. Wenn jemand von sich sagt, daß er groß sei: so ist's eben so viel, als wenn er sagte, daß wir klein sind. Man braucht also die gar zu große Demütigung nicht zu empfehlen. - Man kann bescheiden sein; man muß sich aber deswegen nicht selbst heruntersetzen. Man ist bescheiden, wenn man sich nicht mehr zueignet, als sich gehört, und andern das nicht raubt, was ihnen gehört. (Übungen im Denken, 1780)


Ehespiegel

Je später die Ehe, desto schwieriger. Einen Hagestolzen zu ehelichen, ist fast gefährlicher als eine Witwe. Denn diese erwartet Männer, wie sie sind, und fühlt weniger Furcht, als sie vielleicht gibt. Jener hingegen verlangt alle seine vorigen Liebschaften in seiner letzten konzentriert, falls er nämlich bescheiden ist; - denn ein Unbescheidener fordert, daß die letzte alle übertreffe, und seine vorigen Untreuen und seine jetzige Wahl rechtfertige. Aber freilich, da man in Flüssen täglich fischt, in Teichen nur im Herbst einmal, so muß sich der ältliche Mann nachher sehr verwundern, und er sagt: "Ei verdammt! so hab' ich mich doch noch zu früh verplempert" (Trümmer eine Ehespiegels)


Demut

Der Demütigste ist oft der Hochmütigste - paradox, aber wahr. Dieser äußerst seinen Hochmut dadurch, daß er jeden seine Größe, seine Kräfte fühlen läßt - jener aber dadurch, daß er seine Kräfte zwar auch äußert, aber mit minderer Beleidigung des andern - ja daß er sogar durch eben diese Demut sich eine gute Eigenschaft mehr erwirbt. Man nehm' einem Demütgen seine Demut - und seh' wie er entrüstet wird. Eben das, womit der Demütige prahlt, ist die Demut. (Übungen im Denken, 1780)


Narre und Weise

Der Narr kennt seine Unwissenheit nicht; aber andre kennen sie. Er kennt nur seine Wissenschaft, die andre an ihm nicht finden. Der Weise hingegen findet überall Grenzen seines Verstandes, die andre nicht bemerken; weil sie sie noch nicht erreicht haben. Er weiß am besten, wie wenig er kann. Er kennt am besten den grenzenlosen Umfang des Reichs der Wahrheiten, um sein kleines Terrain, das er darinnen in Besitz hat, für nichts zu achten: welches aber andre für groß ausschreien, weil ihres unendlích kleiner ist. Der Dummkopf dünkt sich viel zu wissen, weil er das nicht kennt, was er nicht weiß - und der Weise glaubt wenig zu wissen, weil er das kennt, was er nicht weiß. Der Dummkopf gibt ungern oder gar nicht nach, weil er selbst wenig dachte, und deswegen selten zu irren glaubte. Der Weise hingegen nicht. (Übungen im Denken, Dezember 1780)


Selbst ist der Student

Daß die Bücher auch auf der Universität wichtigste Studienmittel für ihn bleiben werden, hat er schon vorher gewußt. In "Abelard und Heloise" heißt es: "Da bin ich nun da, auf der Universität! Und zu was Ende? daß ich Geld verzehre, das ich besser hätt' anwenden können, Sachen vergesse, die ich gewußt habe, und Dinge lerne, die mir nichts nützen... Was mir all die Professoren sagen wollen, kann ich aus den Büchern besser - gründlicher und mit weniger Zeit und Geldverlust lernen. Aber das Dinge hat man einmal in finstern Zeiten angefangen, wo man wenig Bücher schrieb, und wo man, um klug zu werden, die Leute selbst hören mußte. Jetzt nun, da's einmal Mod' ist, hält man's für Sünde, diese Sitt' abzuändern - man hat Bücher, hört die Professoren und der Dümmling bleibt doch allemal derselbe. (Günter de Bruyn: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter, S. 58)


Huhn oder Ei?

Der Geist, der Staaten umwarf, war der Geist der Zeit, nicht der Bücher, die er ja selber erst schuf und säugte. Wird denn der Autor nicht früher als sein Buch gemacht? Werther erschoß sich, ohne noch von Werthers Leiden eine Zeile gelesen zu haben... Warum glaubt man überhaupt, daß verderbliche Bücher so großes Unheil stiften können? Ich wünschte, sie könnten dies stark und schnell; dann brächten gute desto leichter Heil.


Exzerpieren

Ich fing mir anfangs aus jedem Buche zwei, drei Sonderbarkeiten wie Schmetterlinge aus und machte sie durch Dinte in meinem Exzerptenbuche fest. Ich hob aus allen Wissenschaften meine Rekruten aus. Drei Zeilen Platz, mehr nicht, räumt' ich jeder Merkwürdigkeit ein. [...] Die Hauptsache ist, daß ich Exzerpten aus meinen Exzerpten mache und den Spiritus noch einmal abziehe. Einmal les' ich sie z.B. bloß wegen des Artikels vom Tanze durch, ein anderes Mal bloß über die Blumen, und trage dieses mit zwei Worten in kleinere Hefte oder Register und fülle so das Faß auf Flaschen.


Textstreusel

  • Er gehörte unter die wenigen Seelen, die von Natur klein sind; mit Seelen ists nun wie mit Vergrößer- Linsen: je kleiner und winziger diese sind, desto breiter und ausgezogener stellen sie den Gegenstand vor. (Dr. Katzenbergers Badereise)
  • So wird uns nun der Schlaf - dieses schöne Stillleben des Lebens - von allem zugeführt, was einförmig so fortgeht. (Dr. Katzenbergers Badereise)
  • Der Mensch - der sich immer zu selten und andere zu oft befragt - hegt nicht nur heimliche Neigungen, sondern auch heimliche Meinungen, deren Gegenteil er zu glauben wähnt, bis heftige Erschütterungen des Schicksals oder der Dichtkunst vor ihm den bedeckten Grund seines Innern gewaltsam entblößen. (Dr. Katzenbergers Badereise)
  • Fett-Mangel macht zu empfindsam; denn die Nerven liegen halb nackt da und stoßen sich an alles. Ein Fetter hingegen führt sie, wie Eier, unter diesem Überguß gut bewahrt bei sich; Speck schützt gegen geistige Hitze und gegen äußerliche Kälte. (Jean Paul: Dr. Katzenbergers Badereise)
  • Er selber litt weniger; ihn verließ nie jene Heiterkeit, welche zeigen konnte, daß er sich den Stoikern beigesellte, welche verboten, etwas zu bereuen, nicht einmal das Böse. (Dr. Katzenbergers Badereise)
  • Recht geschliffenes Eis ist ein Brennglas. Man ist ohnehin der alltäglichen Liebfloskeln der Bücher so satt! (Dr. Katzenbergers Badereise)
  • Am Morgen tat oder war Theoda in der weiblichen Weltgeschichte nicht nur das achte Wunder der Welt - sie war nämlich so früh fertig als die Männer -, sondern auch das neunte, sie war noch eher fertig. (Dr. Katzenbergers Badereise)
  • (...) wehmütige Empfindungen einer Schwangern, die vielleicht zwei Todespforten entgegengeht. (Jean Paul: Dr. Katzenbergers Badereise)
  • ... seine einzige Tochter Theoda, in der er ihres Feuers wegen als Vater und Witwer die vernachlässigte Mutter nachliebte. (Dr. Katzenbergers Badereise)
  • Einzelne Seelen, ja Staatskörper gleichen organischen Körpern: zieht man aus ihnen die innere Luft heraus, so quetscht sie der Dunstkreis; pumpt man unter der Glocke die äußere widerstehende hinweg: so schwellen sie von innerer über und platzen. Demnach behalte jeder Staat innern und äußern Widerstand zugleich. (Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz, S. 65)
  • Der Jüngling ist aus Willkür sonderbar und freuet sich; der Mann ists unabsichtlich und gezwungen und ärgert sich. (Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz, S. 43)
  • Was sind denn Berge und Lichter und Fluren ohne ein liebendes Herz und ein geliebtes? Nur wir beseelen und entseelen den Leib der Welt. Ist ein Garten eine engere Landschaft, so ist die Liebe nur ein verkleinertes All; in jeder Freudenträne wohnt die große Sonne rund und licht und in Farben eingefaßt. (Dr. Katzenberges Badereise)
  • Das Unglück macht mitleidig - dies ist nur mit gewisser Einschränkung wahr. Man ist gegen diejenigen nicht mitleidig, die vorher unsern Neid, und jetzt unser Bedauern erregen; wer tief im Elend klagt, lächelt mit einer gewissen Zufriedenheit über den Sturz desjenigen, dessen Höh' ihm beneidenswert schien. (Tagebuch meiner Arbeiten, September 1781)
  • Das System machen ist dem Menschen angeboren; aber wir sollten nur jeden sein eignes machen lassen, und ihm nicht unsers anpeinigen; wir sollten jedem seine eigne Art zu sehen lassen, weil er andere Augen hat, und ihm nicht ein Brille aufsetzen, durch die er wie wir sieht. (Jean Paul: Tagebuch meiner Arbeiten, August 1781)
  • Es gibt Menschen, die an jeder Sache nur das aufsuchen, was sie fähig macht, in ihrem System einen gewissen Platz einzunehmen. Sie haben für nichts einen Sinn, was nicht in einen Paragraphen gehört; sie empfinden nie die wahre Wirkung der Dinge auf sie, weil sie allemal daran formen, um sie ihrem System anzupassen. (Tagebuch meiner Arbeiten, August 1781)
  • Überhaupt halten wir viele Handlungen für Torheiten, weil sie ungewöhnlich sind. Mancher Tor würde den Namen eines Weisen erhalten, wenn er mehrere hätte, die ihm gleich wären, und wenn er Schwäche genug hätte, seine eignen Torheiten gegen die kanonisierten Torheiten der andern zu verwechseln. (Tagebuch meiner Arbeiten, August 1781)
  • Von dem Frauenzimmer, das sich schminkt, vermut' ich, daß es mehr als sein Gesicht schminken werde. Wer uns einmal betrogen hat, dem traut man weniger. Und wirklich wenn die Wange schon lügt, so darf man nicht viel Wahrheit von der Zung' erwarten. Beide werden mit dem prahlen, was sie nicht haben. (Tagebuch meiner Arbeiten, September 1781)
  • Man erstickt das Mitleid, wenn man täglich Gelegenheit hat, es zu äußern, und nicht Kräfte genug, es zu befriedigen. Jede Neigung wird befriedigt, wenn ihr Gegenstand oft ist - das Mitleid wird endlich abgehärtet, wenn's immer Unglückliche sieht.
  • Die Scharfrichter des menschlichen Geschlechts, die Eroberer, glänzen mit goldnen Buchstaben in den Jahrbüchern der Welt - den Mörder des einzelnen Menschen hängt man an den Galgen, den Mörder der vielen beehrt man mit der Krone. (Etwas über den Menschen)
  • In allen Wissenschaften gibts Gelehrte, allein die Menschenkenntnis hat keine. Wir erspähen den Weg, den der Komet nimmt, welcher in tausend Jahren einmal sichtbar wird; aber wir kennen die geheimen Gänge nicht, wodruch die Leidenschaft den Sieg über unsre Vernunft erhält. (Etwas über den Menschen)
  • Es ist ein eigen Ding mit dem Menschen. Je mehr zwei Freund' in eins zusammenfließen, je wärmer ihre Freundschaft ist; desto mehr konstrastieret eine kleine Mißhelligkeit mit der vorigen Liebe. (Abelard und Heloise)
  • Die neuen Ideen eines Schriftstellers widerlegen, nachdem er das Buch in der letzten Messe herausgegeben, heißt die Ursache sein, daß er seinen Irrtum nie widerruft. Aber disputiere mit ihm nach 10 Jahren darüber; dann wird er selbst...
  • Der Geist, der Staaten umwarf, war der Geist der Zeit, nicht der Bücher, die er ja selber erst schuf und säugte. Wird denn der Autor nicht früher als sein Buch gemacht? Werther erschoß sich, ohne noch von Werthers Leiden eine Zeile gelesen zu haben... Warum glaubt man überhaupt, daß verderbliche Bücher so großes Unheil stiften können? Ich wünschte, sie könnten dies stark und schnell; dann brächten gute desto leichter Heil.
  • Das Mittelmäßige ist der Polype zwischen dem Guten und Schlechten. - Kein schwerers Geschäfte ist für den Kunstrichter, als ein mittelmäßiges Buch zu rezensieren: er weiß nicht wo er's hinsetzen soll; es geht ihm wie dem Naturkünder, der stillschweigt, wenn er Polypen oder Korallen sieht. (Jean Paul: Jugendwerke. Tagebuch meiner Arbeiten)
  • Der Mensch gehört unter die Amphibien, bald ist er im Himmel, bald auf der Erde, bald Weiser, bald Tor, Epikur wollt' uns zu Wasser-, der Stoiker zu Erdgeschöpfen machen. Dem einen fehlt die Seele, dem andern der Körper, da er schrieb.- Laßt uns doch so lange Menschen bleiben, so lange wir noch Leib und Seele haben. (Jugendwerke. Tagebuch meiner Arbeiten)
  • Die Kindheit: der "Morgenschlummer des Lebens" (Titan)
  • Die Gegenwart: der "Affe der Vergangenheit" (Titan)
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