Arno-Schmidt-Splitter [<<]Von und über Arno Schmidt
Arno Schmidt im Netz GräkosemitischWieso ?! : Bitte sehr : "Sind Eure Heiligen und Engel nich ebenso Minister mit eigenen Ressorts ? : wir beobachten eben die Regierungsbildung ! Einer allein (Gott, oder wie Ihr das Dings nennt) kann halt doch nicht überall zugleich sein : deswegen verwalten seine höheren Beamten Feuer und Zahnschmerzen, Mondschein und Artillerie. Welche Unverfrorenheit der Christianer, frech und gottesfürchtig, von ihrer krausen und knolligen Mythologie zu behaupten, sie sei etwas ganz Neues, oder Anderes, als die der alten Völker ! : anstatt des antiken Namenskrimskrams kriegen die Leute lediglich einen gräkosemitischen eingepaukt ! : Siehst DU einen anderen als phonetischen Unterschied, ob ich bei Bauchweh Sankt Erasmus anrufe oder Hera? Ich nich!!" (Arno Schmidt: Kosmas oder Vom Berge des Nordens) Sprit & GeniusDer Begriff "exzessives Trinkverhalten" wird von unbelesenen Drogenforschern oft naiv verwendet. Arno Schmidt, der sich der Trockenheit in Bargfeld mit eruptiver Konsequenz erwehrte, inkriminierte in "Zettels Traum" auch deren ökonomische Hintergründe: "Wer von 'Entgleisungen' & 'fundamentalen Anzeichen eines geistigen Notstandes' dozieren möchte: der spinnt! Und hat keine Ahnung von den Höheren Alkoholvergiftungen : POE hat seine Dipsomanie doch recht=ordentlich in Literatur umgesetzt:? Also 'natürlich !' trank er; (Bekannte haben's geschildert, wenn er wieder nach Fusel roch - es kann nicht Jeder nach Rüdesheimer duften! Ja ich möchte fast des Satz aufstellen): Je größer der Genius, desto billiger der Sprit den Er sich leisten kann - Saufen ist normal !" (Michael Krüger; Faude, Ekkehard: Literatur & Alkohol. Zur Konvergenz von Flüssigkeitsbedarf und exzessivem Buchstabenverbrauch, S. 47) Sonntagsskat"Sonntax geht er ins Gasthaus. Allwo er mit, vom langen Gebrauch eiförmich gewordenen, Schpielkartn Schkaat betreibt; wenn nicht gar das, mit Recht so genannte, 'Schaaf=Kopp'. Trinkt auch dazu den guten Doppelkorn; beziehunxweise, wenn er wieder 1 Flüchtlink erfolkreich über's Ohr gehauen hat, 1 weenijer ...". ("'Ratzeputz' -" murmelte hier mein Glück; ich hatte sie, anläßlich der Her=Reise, kurz hinter Adelheidsdorf, jenen ingwer=reichen Haidelikör gelehrt. Aber) : "Nee nee, Hertha. Der iss dem richtijen Bauern viel zu teuer : Der iss doch nich verrückt ! Den überläßt er dem prahlenden Dorf=Trunkenbolt. Oder trinkt ihn höchstens, wenn der reiche Willen=Besitzer aus Bremen sich ma unter's Volk mischt, und ne Runde ausgiebt. 'Da sauft, Ihr Schweine !'; er=selbst ermattet, von der (gepachteten) Jagd beschtaupt. -: Neenee Du !" "Er also betreibt dort seinen Denk= Schbort, nach Altenburger oder Schtralsunder Vorlagn ..." : ? " : Die Schpielkartn=Fabriekn : Herzchen mach bitte mit." / "Wankt dann, obwohl nicht nennenswert schwereren Tritz als sonst, nach Hause. Drischt dort, 'Trautes Heim', die 4 erreichbaren, als dooweren, von seinen 11 Blondköpfm. Geht in den Schtall, und kickt unterweex die schwangere Hauskatze 10 Meter weit : wenn se Schwein hat, überleebt se's; wenn nich, dann 'Es lebe das Kristntum !'. Schlägt noch dem Feerd, das unruhich um sich kuckt, rasch 1 Auge aus......" "Hertha=nein ! : Ich schpreche keine Sattiere : ich hab's wort=wörtlich erlebt ! Ich : Moa=Mäme. ich habe 1 Jahrzehnt meines unschätzbaren Lebens 'beim Bauern' wohnen müssen. - So wahr ich zu 90% vom Brot lebe; meist an Deiner Seite im Schtehen genossen." : "Dann schtellt er sich, geducktn Hauptz, neben sein' Tracktorr; und knurrt in dieslijem Wohlgefallen: 4=Tackt : 4=Tackt. - Macht selbst etwas Mist. -: Schreitet dann, Septembers, 'zur Urne'; und wählt so weit 'Rechz' wie möglich - worauf ihm dann, am nächstn Tage, die 'Heimatzeitung' seine 'politische Reife' bescheinicht. (Arno Schmidt: Kaff auch Mare Crisium, S. 179f.) Ende 20Ende Zwanzig und schon volle Glatze; dazu jenes fatale Benehmen, wie es stets die Offiziere aller Zeiten ausgezeichnet hat. Pfui Bock. Worte, Worte; blöd, blöd : außerdem Einer von Denen, die schon mit 20 Jahren "aus Gesundheitsrücksichten" nicht rauchen oder trinken (Viele davon wandern dann sonntags seppelhosig und halsfrei nicht unter 60 km, und schätzen Holzschalen und Bauernblumen in primitiven Vasen; der hier tanzte; "leidenschaftlich", wie ihm zu sagen beliebte : Du hast ne Ahnung von Leidenschaft! (Arno Schmidt: Brand's Haide) KunstEs ist ja geradezu wie ein Fluch, daß unsere Bildhauer und Maler (in wohlberechnender Spekulation auf die Lüsternheit des Publikums) nur noch nackte Weiber zurechtschmieren und -hacken. Und ihren Produkten dann Namen geben wie "Mittag" (wenn sie besonders fett und schläfrig geraten ist), oder "Schwermut", oder sie machen eine "Kniende" und "Sinnende", gerade als wenn man diese Tätigkeiten nur noch im unbekleideten Zustande auszuüben vermöchte. (Arno Schmidt: Enthymesis oder W.I.E.H.) Schmidt & Alkohol"Der Begriff 'exzessives Trinkverhalten' wird von unbelesenen Drogenforschern oft naiv verwendet. Arno Schmidt, der sich der Trockenheit in Bargfeld mit eruptiver Konsequenz erwehrte, ... (Michael Krüger; Faude, Ekkehard: Literatur Alkohol. Zur Konvergenz von Flüssigkeitsbedarf und exzessivem Buchstabenverbrauch) MondbibliothekGeorg Klein schreibt in Der Eros der nahen Ferne über Arno Schmidts Mondroman Kaff auch Mare Crisium. Bibliomanisch interessant daran die Mondbibliothek, die das "lunare Alter ego" des Protagonisten Karl Richter, der Amerikaner Charles Hampden, pflegt. Sie "besteht zwar aus stolzen 859 Büchern, allerdings sind 843 Bände Exemplare der Bibel, die einst von borniert-bigotten Raumfahrern mit auf die Reise genommen wurden." Die Kolonie auf dem Mond muß mit knapp gewordenen Schreibmaterialen haushalten, versucht u.a. die Papierherstellung aus Bimsstein. Man plant eine Reise zum Mars. "Die Literatur ahnt, wo dies alles enden wird! Mit etwas Glück jedoch enthält eine zukünftige Mars-Bibliothek neben den wohl unvermeidlichen 800 Bibeln zumindest ein Exemplar dieses grossen Mondromans, der über der Melancholie, in die alle unsere Weltraumvorstösse münden müssen, das 'Wortall' des Erzählens, den Sternenhimmel der Sprache aufspannt", resümiert Georg Klein. Interview mit Walter KempowskiWeltwoche: Fühlen Sie sich Arno Schmidt nahe? -- Walter Kempowski: Ja, ich bin nur viel dümmer, als er es je war. Wir haben uns beide gegen die Verherrlichung des Sozialismus gestellt. Er war natürlich gegen die überkandidelte deutsche Intelligenzija, aber er hat immer die Kirche im Dorf gelassen. Seine Armut, dass er immer weitergemacht hat, beeindruckte mich, ich lese seine frühen Sachen und was er an Lektüre empfiehlt. Meine Frau liest gerade Herder, von einem Feature von Schmidt angeregt. Wielands Schriften haben die Deutschen verbrannt und als Fidibus benutzt – ist das ein Volk? Ich muss aber sagen, wenn es heute TV-Journalisten gibt, die vor laufender Kamera Bücher in den Papierkorb werfen, die ihnen nicht gefallen, das verurteile ich auch. (Quelle) Grenzen der Achtung"Hittler war ooch der 'Überzeugunk', my Dear, daß die Judn oder Slaawn minderwertije Geschöpfe seien. Und hat se - immer aus 'Überzeugunk', gelt ja ? ! - milljohn'weise weck geputzt. - : 'Überzeugunk' iss so ziemlich die elendste Begründung, mit der Eener antantzen kann; höchstns 'Glaube' geht noch drüber : hier liegt zum Beischpiel einer der Fehler der beliebtn Argumentatztjohn, 'daß ich Überzeugunk & Glaubm meines Nächstn achtn & ehren solle' (Arno Schmidt: Kaff auch Mare Crisium, S. 113) Arno Schmidt? - Allerdings!Selbst ist der Dichtersmann: Mit der Ausstellung Arno Schmidt? - Allerdings! widmet sich das Marbacher Schiller-Nationalmuseum den unorthodoxen Schreibweisen und einem eher durchschnittlichen Leben eines Autors, der zugleich der Tradition des 18. Jahrhunderts wie den Avantgardisten seiner Zeit verpflichtetet war. Die Ausstellung präsentiert Manuskripte und Fotografien, dazu persönliche Gegenstände und die bekannten Zettelkästen. Ehe"Och. Er hadde auch seine gudn Seidn." sagte sie, (unangenehm gefaßt. - Frage : sind alle Frauen nach dem Tode ihrer, angeblich einst=geliebt, Männer so? Hertha, das Höllenkind, nickte gleich : nix Witwenverbrennunk !). - "Aber, immerhin : nach fümmunndreißich Jaa'n Ehe, mien Schung ..."; (und wiegte unverbindlich den mächtigen Kopf). (Arno Schmidt: Kaff auch Mare Crisium, S. 46) 2. Supplementband erschienenNeues aus Bargfeld (mp3): Der zweite Band der Supplemente ist erschienen. Während Teil 1 Fragmente. Prosa, Dialoge, Essays, Autobiografisches enthält, gibt es in Teil 2 Lesungen, Interviews, Umfragen. Über diesen heißt es: "Arno Schmidts ablehnende Haltung den Medien gegenüber ist Teil seiner Legende – daß sie korrigiert werden muß, zeigt diese Edition. Sie präsentiert (auf DVD) drei Fernseh-Interviews, in denen Schmidt vor allem seine Schreibtechnik und sein Verhältnis zu Karl May erläutert; sie bietet über fünf Stunden Tonmaterial, auf dem Schmidt als brillanter Vorleser seiner Erzählungen und Essays zu hören ist; außerdem, wie er zwei Stunden lang in einem Radiovortrag unterhaltsam über sein Hauptwerk Zettel’s Traum plaudert; private Mitschnitte zweier Gespräche des Ehepaars Schmidt mit dem Spiegel- Redakteur Gunnar Ortlepp vermitteln Eindrücke von der häuslichen Atmosphäre im Bargfelder Refugium; ein Ergänzungsband versammelt alle Zeitungsinterviews und Umfragen sowie die Abschriften der Fernseh- und Rundfunkinterviews. Diese Medien-Edition zeigt ausführlich, wie sich der 'Solipsist in der Heide' in der Öffentlichkeit dargestellt wissen wollte." Der Körper"Was ist der Körper?, wenn nicht ein Pferd, das im Finstern den trunkenen Reiter durch den Wald der Welt befördert; eine Vorrichtung für den denkenden Kopf, die den Abstand zum Erdboden hält? - Sollte ich mich irren, so irre ich mich ja wohl in bester Gesellschaft!" (Arno Schmidt: Die Abenteuer der Sylvesternacht) Wirt & Wirtin"Kann ich bei Ihn'n noch 1 Zimmer für die Nacht haben ?!"; ich, vornehm & unzufrieden; (immerhin bedeutete das 'noch', da er unsicher genug geworden schien, ein probeweis'=erstes Einlenken : wie wenn ich ihm 500 Gastzimmer zutraute, und sie=alle überbelegt). - "Moment-" sagte er, jetzt achtungsvoll; nahm die pRatzen vom Tisch, drehte Kopf plus Schultern um 90°, und brüllte die dritte Tür des Raumes an : "Oll=sche!". [...] Aber jene angeschriene Tür - tendierte die Farbe nich eig'ntlich auch wieder verdammt in Richtung Leinöl ? - schickte sich zum Aufgehen an-: eine recht junge Frau noch. Nach seinem oxygen Gebrälle hatte ich mehr auf eine Zweizentnerramme als Haus-Majestät getippt; mit eisengrauen Schnauzbärten, und dem Hintern einer Ritt=Meisterin. (Arno Schmidt: Caliban über Setebos) Private OrdnungMan lebte, wie Genien zu leben pflegen: das heißt, gemäß einer Tagesordnung von geradezu unsinnigem Pedantismus. - Der echte Künstler hat nämlich, von Berufswegen, in seiner Arbeit, 'dienstlich' so viel mit dem Chaos zu tun, daß er es sich gar nicht leisten kann, auch im häuslichen Leben noch Boheme zu spielen - wie der Nicht=Künstler sich das meistens vorstellt. (Arno Schmidt: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 148f.) Dramatische LesungenCharles Dickens hat sich einen Spaß daraus gemacht, bei seinem Publikum durch besonders eindrückliche Lesungen Angstanfälle auszulösen. Je mehr, desto besser. Das vorausgeschickt, um ein Originalzitat verstehen zu können, das Arno Schmidt in seinem Funk=Essay "Tom all alone's" anbringt und Dickens sagen läßt: "C. (lustvoll=widerlich): Heute habe ich den bisher besten 'Mord' geleistet! Wir hatten in Clifton eine förmliche Kettenreaktion von Ohnmachten, und dabei hatten wir das Lokal noch nicht einmal sonderlich überheizt - ich glaube, man hat im Ganzen zwischen 20 und 30 Damen, steif & verkrampft, aus dem Saal tragen müssen: ich bekam allmählich fast Lust zum Lachen!" (in: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 129) AutobiografienAuch bei diesen pseudo=Autobiografien braucht der Dichter - ähnlich wie beim dubiosen 'Reiseroman' - wiederum keinen 'Plan'; ein bildender Künstler würde sagen: keine 'Anatomie'. / Die Mühe der kunstvollen Erfindung ist ihm wieder abgenommen; wieder kann er, anstatt einer Bildsäule, einen Haufen interessanter Gesteinsproben liefern: ein Mineralienkabinett kann furchtbar nett sein - Insekten in Bernstein; Fischabdrücke aus dem Kupferschiefer; Feuersteine äugeln gekonnt - aber mit 'Kunstwerk' hat das ebensowenig zu tun, wie eine Briefmarkensammlung mit einer Gemäldegalerie. (Arno Schmidt: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 111) SichtweisenUnd da hab'ich gerade vor ein paar Tagen bei Turgenjeff gelesen: 'Die Urteile von Ausländern sind wertvoll: sie sind nicht patriotisch beeinflußt'. - Denk an die Nazi= Zeit! Chauvinistisch von innen gesehen?: ein strahlendes HerrenVolk; führend in Kultur & überhaupt allem! - Von außen betrachtet?: eine Horde Irrsinniger FolterKnechte; auf einem förmlichen Wettrennen in finsterste Barbarei begriffen! (Arno Schmidt: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 73) Edward Bulwer-LyttonVon Kindheit an ist der kleine Edward (Bulwer-Lytton)- übrigens der jüngste von 3 Brüdern; von denen 1 auch noch Lord wurde, und ebenfalls Bücher geschrieben hat, allerdings nur politische militärische - Edward also ist zum BuchMenschen prädestiniert; seine erste Erinnerung=überhaupt ist 'Opas Haus': 'es schwebt mir noch vor, wie ein verworrener Eindruck von endlosen Buchnissen - Bücher geistern vor mir, in jeglichem Zimmer, das ich betrat - ich glaube, selbst die Korridore und TreppenAbsätze waren damit tapeziert.' Und auch die Folge bleibt nicht aus: 'Ich muß lesen gekonnt haben, und zwar fließend, in einem ganz ungewöhnlich zarten Alter; kann ich mich doch keiner Epoche meines Lebens entsinnen, wo es mir nicht geläufig=selbstverständlich gewesen wäre. Wo immer mir ein englisch geschriebenes Buch aufstieß, gleichviel wie trocken es war, oder meine Fassungskraft übersteigend -: dennoch starrte ich hinein wie gebannt; und brütete darüber; und las mehr davon, und staunte'; diese Neigung zu ausdauerndster und vielseitigster Lektüre blieb ihm sein ganzes Leben. Auch das schicksalhaft: der erste Band, der ihn ihm ganze Reigen von KinderTräumungen weckt, ist eine umfangreiche 'Englische Geschichte'; und historische Studien sind denn auch eine seiner Steckenpferde geblieben. (Arno Schmidt: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 48f.) Klarheit gefordertIst denn so was möglich? Also wenn ich etwas hassen könnte, dann wären das derlei TextFoppereien! Daß die Realität, um uns herum, wackelt?: schlimm genug. Aber daß nun auch noch die Herren TraumBildner sich da zu variieren=vexieren herausnehmen dürfen! Neulich hab ich doch tatsächlich ein Theaterstück mit 2 Schlüssen gesehen: 'such Dir einen aus'! Das find'ich hahnebüchen: diese ElfenbeinthurmSitzer sollen gefälligst nich ihre Faulheit an uns auslassen. (Arno Schmidt: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 71f.) Puten bei Arno Schmidt10.000 Puten sollen in einer Intensivmastanlage in Bargfeld eine neue Heimat finden. Diese läge nur unweit des Arno-Schmidt-Hauses, einer literarischen Gedenkstätte. Puten in großen Mengen riechen nicht wohl. Schweine ebenso. Und weil deswegen der böse Nachbar immer wieder vor Gericht zieht, haben die hohen Richter der Republik eine ausgefeilte "Schweinemäster- Rechtsprechung" entwickelt, die für alle stinkenden Fälle herhalten muss. Wann kann von einer Geruchsbelästigung gesprochen werden? Der Bundesgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht halten dies zunächst einmal für eine "Tatfrage": Die Feststellungen müssten auf einer "sachverständigen Beurteilung nach der VDI-Richtlinie 3471 - Emissionsminderung Tierhaltung/Schwein - und der Schilderung von Zeugen sowie auf einer Ortsbesichtigung" beruhen. Dabei seien "atmosphärische Besonderheiten zur Häufigkeit bestimmter Windrichtungen und von Windstille" und das Anwenden von "Flüssigmistverfahren, das besonders unangenehme, ja Ekel erregende Gerüche bedinge" nicht unwesentlich. Daneben empfehle es sich aber, in die Rolle eines "verständigen Durchschnittsmenschen" zu schlüpfen. Denn mit der Mast verbundene Gerüche seien "unter Berücksichtigung der in einem ländlichen Dorfgebiet bestehenden Vorbelastung entweder erheblich oder nicht". Haben wir es aber bei Literaturfreunden wirklich mit "Durchschnittsmenschen" zu tun? Schließlich gehört das Naserümpfen zu ihrer vornehmsten Aufgabe. Die Rechtssprechung wird sich weiter entwickeln müssen. Ein Zirkel von Torheiten und MißbräuchenBegründung ? : "Lisa !!" : "Rufen Sie sich doch das Bild der Menschheit zurück ! Kultur !? : ein Kulturträger war jeder Tausendste; ein Kulturerzeuger jeder Hunderttausendste ! : Moralität ? : Hahahah ! : Sehe jeder in sein Gewissen und sage er sei nicht längst hängensreif !" Sie nickte, sofort überzeugt. "Boxen, Fußball, Toto : da rannten die Beine ! - In Waffen ganz groß !" - "Was waren die Ideale eines Jungen : Rennfahrer, General, Sprinterweltmeister. Eines Mädchens : Filmstar, Mode'schöpferin'. Der Männer : Haremsbesitzer und Direktor. Der Frau : Auto, Elektroküche, der Titel 'gnädige Frau'. Der Greise : Staatsmann -" Die Luft ging mir aus. "Setzten wir den Fall" hob ich wieder die Rede des alten Kalenders an, "es gäbe - in welchen Planeten Sie wollen - eine Art von Geschöpfen, die mit einer so schlechten Anlage in die Welt kämen, daß unter Tausenden kaum Eines, und auch dies nicht anders als durch die sorgfältigste und mühsamste Kultur, unter einem Zusammenstoß der günstigsten Umstände, wovon auch nicht einer fehlen dürfte, zu einem bemerkenswerten Grade von Wert zu bringen wäre : was würden wir von der ganzen Art halten ?!!" "Die menschliche Gattung ist von der Natur mit Allem versehen, was zum Wahrnehmen, Beobachten, Vergleichen und Unterscheiden der Dinge nötig ist. Sie hat zu diesen Verrichtungen nicht nur das Gegenwärtige unmittelbar vor sich liegen und kann, um weise zu werden, nicht nur ihre eigenen Erfahrungen nützen : auch die Anzahl von scharfsinnigen Menschen, die, wenigstens sehr oft, richtig gesehen haben, liegen zu ihrem Gebrauch offen. Durch diese Erfahrungen und Bemerkungen ist schon längst ausgemacht, nach welchen Naturgesetzen der Mensch - in welcher Art von Gesellschaft und Verfassung er sich befinde - leben und handeln muß, um in seiner Art glücklich zu sein. Durch sie ist Alles, was für die ganze Gattung zu allen Zeiten und unter allen Umständen nützlich oder schädlich ist, unwidersprechlich dargetan; die Regeln, deren Anwendung uns vor Irrtümern und Trugschlüssen sicher stellen können, sind gefunden; wir können mit befriedigender Gewißheit wissen, was schön und häßlich, recht oder unrecht, gut oder böse ist, warum es so ist, und inwieweit es so ist; es ist keine Art von Torheit, Laster und Bosheit zu erdenken, deren Ungereimtheit oder Schädlichkeit nicht schon längst so scharf als irgend ein Lehrsatz im Euklides bewiesen wäre : Und dennoch ! Dessen Allen unerachtet, drehen sich die Menschen seit etlichen tausend Jahren immer in dem nämlichen Zirkel von Torheiten, Irrtümern und Mißbräuchen herum, werden weder durch fremde noch eigene Erfahrung klüger, kurz, werden, wenns hoch in einem Individuum kommt, witziger, scharfsinniger, gelehrter, aber nie weiser." "Die Menschen nämlich raisonieren gewöhnlich nicht nach den Gesetzen der Vernunft. Im Gegenteil : ihre angeborene und allgemeine Art zu vernünfteln ist diese: von einzelnen Fällen aufs Allgemeine zu schließen, aus flüchtig oder nur von einer Seite wahrgenommenen Begebenheiten irrige Folgerungen herzuleiten, und alle Augenblicke Worte mit Begriffen und Begriffe mit Sachen zu verwechseln. Die Allermeisten - das ist nach dem billigsten Überschlagen 999 unter 1000 - urteilen in den meisten und wichtigsten Vorfallenheiten ihres Lebens nach den ersten sinnlichen Eindrücken, Vorurteilen, Leidenschaften, Grillen, Phantasien, Launen, zufälliger Verknüpfungen der Worte und Vorstellungen in ihrem Gehirne, anscheinenden Ähnlichkeiten und geheimen Eingebungen der Parteilichkeit für sich selbst, um deretwillen sie alle Augenblicke ihren eigenen Esel für ein Pferd, und eines anderen mannes Pferd für einen Esel ansehen. Unter den besagten 999 sind wenigstens 900, die zu all diesem nicht einmal ihre eigenen Organe brauchen, sondern aus unbegreiflicher Trägheit lieber durch fremde Augen falsch sehen, mit fremden Ohren übel hören, durch fremden Unverstand sich zu Narren machen lassen, als dies wenigstens lieber auf eigene Faust tun wollen. Gar nicht von einem beträchtlichen Teil dieser 900 zu reden, die sich angewöhnt haben, von tausend wichtigen Dingen in einem wichtigen Tone zu sprechen, ohne überhaupt zu wissen, was sie sagen, und ohne sich einen Augenblick zu bekümmern, ob sie Sinn oder Unsinn sagen." (Arno Schmidt: Schwarze Spiegel) Bibliomane Arno-Schmidt-Zitate
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