Fragen zur Bücherliebe


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Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für Bücher entdeckt?

Seitdem ich denken kann, faszinieren mich Bücher. "Schuld" daran ist meine Großmutter, bei der ich sehr viel Zeit verbrachte und die - als religiöse Frau mit unzähligen Bibeln und Traktaten - mir Bücher nahebrachte, indem sie sie den ganzen Tag um sich hatte, darin las, daraus betete. Bücher umgaben sie und damit auch mich wie selbstverständlich und gehörten einfach dazu. Daß es sich dabei "nur" um religiöses Schrifttum handelte, stört mich als "Steppke" nicht. Beeindruckend für mich, wieviel Zeit man mit diesen Büchern und Heften verbringen, was man alles aus ihnen herausholen kann. Ich vermutete eine geheime Kraft ihn ihnen, derer auch ich unbedingt habhaft werden wollte. Als 20-Jähriger besuchte ich ein auf ein katholisches Theologiestudium hinführendes Studienkolleg, in dem sich meine Bücherliebe in neuer, anderer Weise entwickelte und intensivierte. Zum einen traf ich dort auf eine unglaubliche Bibliothek, denn deren Bestand war für einen DDR-Bürger utopisch. Das gesamte Oeuvre von Autoren, das, wenn überhaupt, im herkömmlichen Buchhandel, nur in homöopathischen Dosen zu finden war, stand dort; nebst Büchern, die ich sonst nie und nimmer zu Gesicht bekommen hätte, z.B. den Archipel Gulag von Solschenizyn. Zum anderen prägte mich ein Lehrer, dessen Begeisterung für Kunst und Literatur so ansteckend war, daß sich selbst ein verstockter Buchhasser zum Vielleser enwickelt hätte. Ich schreibe diesem genialen Lehrer noch heute zauberische Kräfte zu.


Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen der Platz für die Bücher ausgeht und Sie immer mehr Stauraum benötigen?

Langfristig gesehen werde ich wohl Bücher ausmisten müssen. Da ich alleine in einer 49-qm-Wohnung lebe und ich, abgesehen von zwei Sammelgebieten, nicht mehr Bücher kaufe, als ich lesen kann, ist der Zuwachs überschaubar. Jährlich lese ich zirka 150 Bücher, so daß in 10 Jahren maximal 1500 Bücher hinzukommen; regelmäßige Zweit- und Mehrfachlektüren und gelegentliche Bibliotheksbesuche entschärfen sie Situation. Die Zeit, meine Bücher mittels einer Datenbank zu erfassen, ist vertan, weswegen mein Buchbestand im Ungewissen bleibt. Sind es 2000, 2500 oder gar 3000 Bücher? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist angesichts des obigen Leseverhaltens gewiß, daß in den nächsten 30 Jahren nur schätzungsweise 5000 Bücher hinzukommen können. Für sie hätte ich Platz; dann würde es knapp. Allerdings muß man bedenken, daß ich dann 70 Jahre alt wäre und durch Aussortieren von Büchern und zunehmender Kaufbeschränkung und Konzentration auf Wiederlektüren kaum Platzprobleme bekommen dürfte. Harz IV würde jedoch alle diese Überlegungen über den Haufen werfen. In einer kleineren Wohnung mit minimalem Budget würde ich lediglich die Bibliomanika behalten und ansonsten meine Zeit in der Bibliothek verbringen.


Mußten Sie sich schon einmal verschulden, um Bücher zu erwerben, oder sonst irgendwelche Kompromisse eingehen?

Das kann ich strikt verneinen. Erstens verdiene ich genügend Geld, um mir notfalls alle Bücher als Hardcover kaufen zu können. Zweitens beschränke ich mich aus sportiven Gründen auf gebrauchte Bücher, wobei der durchschnittliche Preis eines Buches bei 4 Euro liegt, was eingedenk des Lesepensums von 12 Büchern monatlich eine Ausgabe von höchstens 50 Euro zeitigt. Meine Bücheracquisition verläuft soweit vernünftig, weil ich Bücher nur zur Lektüre anschaffe, aber nicht, um eine wie auch immer geartete, möglichst vollständige Privatbibliothek zu etablieren. Da ich weder auf Erstauflagen noch auf wertvolle alte Bücher erpicht bin, bleiben mir pekuniäre Bedenken erspart, zumindest solange ich meine Arbeitsstelle behalte. Dieser Zusatz ist mittlerweile bei allen Aussagen, selbst im bibliomanischen Bereich, erforderlich. Man will ja nicht als Tinius enden.


In den (geschichtlichen) Biographien der Bibliomanen geht oft hervor, dass sie immer häufiger ihre sozialen Kontakte abbrachen, sich von der Außenwelt abschirmten und sich auch nicht mehr der Körperpflege widmeten, wie es im Normalfall üblich ist. Mit dieser Frage möchte ich Ihnen nicht zu nahe treten, aber sind Sie sich dessen bewußt, dass ihre Bücherliebe im Extremfall auch diese Konsequenzen nach sich ziehen kann?

Dessen bin ich mir bewußt. Vielleicht ist es weniger meine Bücherliebe als vielmehr eine depressive Grundstimmung, die meine sozialen Kontakte schrumpfen ließ; dennoch stelle ich fest, daß mir mitunter andere Menschen in die Beschäftigung mit Büchern "pfuschen", indem sie mich beispielsweise am Telefon beanspruchen. Auch bei in Aussicht stehenden Unternehmungen geht mir immer sofort durch den Kopf, wieviel Lesezeit verloren gehen wird. Unwillkürlich entstehen Fragen wie "Kannst du das aufholen?", "Wie kompensierst du das?", "Wissen die eigentlich, wovon sie dich abhalten?". Den Haushalt betreffende Dinge müssen sich stets den Büchern unterordnen. Anstatt sauber zu machen, lese ich lieber. Insofern spielen Bücher immer die dominierende Rolle, als vorhandene Zeit am ehesten für die Lektüre eingesetzt wird als für andere Dinge. Die Verwahrlosung kann ich dabei allerdings nicht von der der Depression entspringenden Antriebsarmut abgrenzen. Ob die Bibliomanie ein die Depression kaschierendes Element darstellt oder separat davon betrachtet werden sollte, bleibt offen. Ein weiterer Aspekt besteht darin, daß ich mir bei allen Menschen, denen ich begegne, die Frage stelle, wie sie Büchern gegenüber eingestellt sind. Ein Mensch, dem Lesen und Literatur nichts bedeuten, bekommt unweigerlich das Prädikat "Kannste vergessen!". Warum soll ich mich mit jemand einlassen, der nicht liest? Er scheint einer fremden Spezies anzugehören, mit der ich nichts zu tun haben will. Ich will Büchermenschen um mich! Um so frustrierender, daß es diese nur im virtuellen Leben zu geben scheint. Trotzdem würde ich soziale Kontakte, auch wenn es schwer fällt, im Zweifelsfall den Büchern vorziehen, weil Bücher auf einen warten, die Menschen jedoch weg sind, wenn man sie nicht erwartet und sich ihnen widmet.


Nehmen wir an, Sie würden anerkennen, Sie wären nach Büchern süchtig. Im Vergleich wäre es so, daß ein Alkoholiker sich eingesteht, nicht mehr ohne seinen "Stoff" leben zu können. Oder ein Messie, der sich bewußt ist, nicht mehr mit seiner Sammelsucht klar zu kommen. Was würden Sie dagegen tun?

Nichts! Ich würde nichts dagegen tun! Warum eine so wunderbare Sucht zerstören? Solange ich niemanden mit der Büchersucht schädige, kann ich sie verantworten. Und solange ich lese, kommt hoffentlich niemand zu Schaden! Daß meine Gedanken fast ständig auf Bücher ausgerichtet sind, betrifft nur mich. Freilich läßt sich immer auch die Frage stellen, ob man seine Zeit nicht anders nutzen sollte, sprich besser, womit beispielsweise ein ehrenamtliches oder soziales Engagement gemeint ist. Daß Bibliomanie eine egoistische Lebensform impliziert, ist mir bewußt. Als Trost darf ich erwähnen, daß mein Beruf als Krankenpfleger auf einer Inneren Station mit 36 Betten, in denen Patienten mit einem Durchschnittsalter zwischen 70 und 80 Jahren liegen, nicht wenig Einsatz & Kraft erfordert.


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