Sprit & Spirit (1)

Drogen /amp; Sucht in der Literatur [^^] [^]


Themenstreusel: Alkohol
Altersgrenze für Alkohol
Im Theatermilieu
Ein großer Gedanke
Eine Form von Selbstmord
Nachmittagstrinken
Wohldosierte Drogen
Der drogenorientierte Jugendliche
Unwiederbringliche Zeit
Allmählicher Untergang
Naloxon
Kant, Bier & Wein
Bloße Turnübungen
Anpassungsleistung
Krankenhauskaffee
Süffelhänger
Bausparerrausch
Trinkerwohnung
Absinth
Die stets letzte Zigarette
Alles unter Kontrolle
Kneipenleben
Betäubung und Verstümmelung
Erfolgreicher Alkoholiker
Die allerbetrunkensten Menschen
Provoziertes Leben
Wein, Wein, Wein
Antwort eines trunknen Dichters
Die Herrlichkeit der Dinge
Urs: Widmer: Trunksucht
Bier-Choreografie
Der Duft des Bourbon
Heroin
Übernächtigt und verkatert
Kunst des Pegeltrinkens
Fortschrittenes Stadium
Sprit und Genius
Zum Kenner werden
Ohne Frauen trinken
Vernünftiges" Trinken
Literatur & Alkohol
Die ersten Prägungen
Keine Spur von Ewigkeit
Paradoxe Wirkungen
Gute Gründe
Sternsinger
Weißer Whisky
Ein anstrengender Beruf
Familienbetrieb


Altersgrenze für Alkohol

Das Klischee vom tapfer Tore schießenden Deutschen stimmte offensichtlich nicht, aber ein anderes konnte ich bedienen: das vom allzeit bereiten Bierkonsumenten. Es war nicht einfach, Bier aufzutreiben, da ich auf eine Quäkerschule ging und bei Quäkern wohnte. Verschärfend hinzu kam, daß es in Pennsylvania niemandem vor dem einundzwanzigsten Lebensjahr erlaubt war, berauschende Getränke zu trinken oder zu erwerben. Dieses Gesetz gibt es noch heute in mehreren US-Staaten. Man darf mit achtzehn in den Irak ziehen und sich abknallen lassen, aber ein Glas Bier trinken darf man nicht. (Michael Schulte: Ich freu mich schon auf die Hölle. Szenen aus meinem Leben) ^


Im Theatermilieu

Das Theater ist ja, zumal in der Provinz, ein einziger Säuferverein. In trostlosen Kantinen und holzvertäfelten Kneipen kippt man Biere und Kurze und verlallt sich die schiere Unentrinnbarkeit zu einem schummrigen Zusammengehörigkeitsgefühl zurecht. Dazu sind Psychodynamiken am Werk, die denen einer dysfunktionalen Familie ähneln, jedoch im Zeitraffer durchgespielt werden. Man hängt aufeinander, spielt die intensivsten Rollen durch, lässt Konflikte wuchern und aufplatzen, schmiedet Koalitionen und Ränke, lässt Fiktion und Realität verschwimmen und trinkt sich am Ende noch ins Nirwana. (Thomas Melle: Die Welt im Rücken) ^


Ein großer Gedanke

Ich habe die Beobachtung gemacht, dass viele Trinker einen großen Gedanken haben, den sie Tag für Tag saufend zum Schweigen zu bringen versuchen, während er doch mit jedem Glas nur immer größer wird, bis er den Schädel ganz ausfüllt und durch die einzige dafür geeignete Öffnung, den Mund, entweichen muss. Und weil der Gedanke auch dann noch weiterwächst, hält der Strom des Entweichens an, solange der Trunkenbold etwas zu trinken hat und sich auf den Beinen halten kann. (Alex Capus: Das Leben ist gut)  ^


Eine Form von Selbstmord

Ephraim Gershon, geboren 1851, verlor seine Mutter Isidora, als er sieben Jahre alt war. Seine ältere Schwester hieß Abigail, seine jüngere Adaja. Ihr aller Vater Mordechai verwand den Tod seiner Frau niemals, was sehr viel länger klingt, als er tatsächlich benötigte, um sich unter die Erde zu trinken. Keine fünf Jahre genügten, er gab sich wirklich große Mühe. Im Grunde war es eine Form von Selbstmord, die sich mit seinem Glauben vereinbaren ließ und vor der Welt vertuscht werden konnte. (Helmut Krausser: Alles ist gut)  ^


Nachmittagstrinken

Cheng saß im Adlerhof, vor sich ein Glas Weißwein, wobei das Glas und der Wein die gleiche Art von Transparenz besaßen: Sie offenbarten die Leere, die sie füllten. Nebenbei gesagt, schmeckte Cheng der Wein, das zweite Glas besser als das erste. Er mußte sich erst wieder an die Wiener Weißweinsitte gewöhnen, an das Nachmittagstrinken, welches dazu führte, das alles was dann im Laufe des Abends geschah - vorausgesetzt man versoff diesen Abend nicht -, einen feinen Glanz besaß. Und etwas ganz leicht Unwirkliches. Wie man das von Papageien kennt, die die ganze Zeit in der üblichen Weise vor sich herplappern, um dann plötzlich etwas zu sagen wie "Ich liebe Doris", nur daß eben niemand eine Doris kennt. So war das, wenn man nachmittags trank und abends damit aufhörte. (Heinrich Steinfest: Ein dickes Fell)


Wohldosierte Drogen

Ich hätte gern eine Zigarette geraucht, ein friedlicher Moment zwischen dem unerreichbaren Gestern und dem ungewissen Morgen. So eine Zigarette gab einem den Anschein, sein Schicksal im Griff zu haben oder zumindest nicht zu fürchten und ein Mann der Tat zu sein, der sich einen ruhigen Moment gönnt, dabei aber schon wieder Pläne schmiedet. Außerdem sah jeder, daß man die Last der Erinnerungen nur mit wohldosierten Drogen, aber trotzdem standhaft ertrug. (Jochen Schmidt: Müller haut uns raus)


Der drogenorientierte Jugendliche

"Der drogenorientierte Jugendliche ist unternehmungsfreudiger als seine Altersgenossen, und zwar nach allen Regeln der altmodischen Arbeitsmoral: er ist ständig in Betrieb, knüpft Kontakte, und das Vertriebssystem ist mindestens so leistungsfähig wie das von Sears Roebuck. Ein Drogensüchtiger ist ein vielbeschäftigter Bursche. Er muß sich auf Einbruch und Hehlerei verstehen, und er muß lernen, die Polizei reinzulegen und sich vor Gericht zu verteidigen. Das technische Geschick, über das manche von ihnen verfügen, ist bemerkenswert. Allein schon, wie sie sich einen ‹Schuß› verpassen, ist chemischer Anschauungsunterricht. Du mußt es als angewandte Chemie sehen." (John Updike: Der Sonntagsmonat)


Unwiederbringliche Zeit

Und was war mit all den verstreichenden und verlorenen, den ungezählten und unwiederbringlichen Tagen, die in diesen Tiefen verbraucht wurden, der Zeit, die dabei durchs Rohr ging und nie wiederkam? Gibt es irgendetwas auf der Welt, das dich je dafür entschädigen kann? Wer außer dir selbst kennt das Panikgefühl, wenn du dich mitten an einem solchen furchtbaren Morgen plötzlich fragst: Welcher Tag ist heute? Oft auch, welcher Monat, welche Jahreszeit? Und nur dich selbst, denn du kannst nicht zugeben, dass du es nicht weißt. Sind dir zehn Tage durchgerutscht oder nur einer? Nicht bloß durchgerutscht - du hast sie gar nicht erlebt. Ist es März oder September? Und brauchst du das Leben auf diese Weise nicht erschreckend schnell auf - oder schlimmer als schnell: unbewusst? Zeit ist alles, was du hast, was alle haben, und du zählst nicht mit, du lässt sie vorbeiziehen, als würden sich die ungenutzten Tage oder Wochen morgen noch einmal anbieten. Aber das tun und können sie nicht - sie sind verbraucht, auch wenn du keinen Gebrauch von ihnen gemacht hast. Hast du keine bessere Verwendung für kostbare Zeit? Was bist du, wenn der Hauptnutzen und -wert deiner Zeit darin liegt, zu trinken und zu schlafen? Hast du als junger Mensch nicht oft laut gejubelt, weil so ein schöner Tag zum Leben vor dir lag? Und wie viele Tage hat es seither gegeben, an denen du nicht einmal imstande gewesen bist, dich nach dem Tod zu sehnen? (Charles Jackson: Das verlorene Wochenende)


Allmählicher Untergang

Und konnte man in der Zwischenzeit nicht irgendetwas tun, um jene Gaben zu retten und dem Mann selbst wieder auf die Beine zu helfen? Würde das Talent sich noch einmal behaupten und den Mann beflügeln, oder würde es unter immer mehr Alkohol verschwinden? Obwohl er ihn nicht kannte und nie kennen lernen würde, sorgte er sich persönlich um sein Wohlergehen, bangte um ihn wie um einen geliebten Freund, der sich selbst in Not gebracht hatte. Der bloße Gedanke an ihn erfüllte ihn mit solcher Traurigkeit, dass er hätte weinen mögen. Nichts schmerzt mehr, als einen hochfliegenden Geist am Boden zu sehen. (Charles Jackson: Das verlorene Wochenende)


Naloxon

"Keine Sorge. Der wird wieder." "Das sah aber nicht so aus." "Nein, aber er hat geatmet, und Horst hat Naloxon. Das bringt ihn gleich zurück. Wie Zauberei - hast du das mal gesehen? Du hast sofort Entzugserscheinungen. Du fühlst dich beschissen, aber du lebst." "Sie sollten ihn ins Krankenhaus bringen." "Wieso?", fragte Boris nüchtern. "Was machen sie in der Notaufnahme? Sie geben ihm Naloxon, sonst gar nichts. Das kann Horst schneller. Und ja - er wird kotzend zu sich kommen und das Gefühl haben, man hätte ihm ein Messer in den Schädel gestoßen, aber besser da als im Krankenwagen, BUUUMM, Hemd aufgeschnitten, Maske aufs Gesicht geknallt, Leute klatschen ihm ins Gesicht, um ihn wach zu halten, das Gesetz kommt ins Spiel, alle sind hart und voreingenommen - glaub mir, Naloxon ist ein sehr, sehr brutales Erlebnis, und dir geht’s dreckig genug ohne Krankenhaus, das helle Licht, und alle sind ablehnend und feindselig und behandeln dich wie Scheiße, 'Drogensüchtiger', 'Überdosis', und all die fiesen Blicke, und vielleicht lassen sie dich nicht nach Hause gehen, wann du willst, sondern stecken dich in die Psychiatrie, und der Sozialarbeiter kommt reinmarschiert und hält dir eine große Rede über die vielen Dinge, für die es sich zu leben lohnt, (Donna Tartt: Der Distelfink)


Kant, Bier & Wein

Um exakt ein Uhr saß er [Immanuel Kant] wieder zuhause am Mittagstisch. Dazu lud er sich regelmäßig Gäste zum gelehrten Small Talk ein: mindestens drei, nach der Zahl der Grazien in der römischen Mythologie, und nicht mehr als neun, nach der Zahl der Musen in der griechischen Mythologie. Pro Gast wurde exakt eine halbe Flasche Wein ausgeschenkt. Bier hingegen gab es nie, denn das hielt Kant für ein schleichendes Gift. Als er eines Tages von einem Mann hörte, der in seinen besten Jahren gestorben war, kommentierte er nur knapp: "Vermutlich hat er Bier getrunken." (Jörg Zittlau: Langweiler leben länger. Über die wahren Ursachen eines langen Lebens)


Bloße Turnübungen

"Der blaue Rauch beruhigt, so es nötig ist, nicht nur die Nerven" - War nun Fräulein oder Frau zu sagen? - "und ist zugleich ein Zeichen der Freiheit. Wo guter Tabak, wahrlich eine Kulturpflanze, oder auch der Likör einem Verdikt verfallen, ist der Weg zur Gängelung, ja zur Tyrannis über die privatesten Lebensverhältnisse geebnet, Fräulein Kückebein. Insbesondere das Abendland erschuf aus Rausch, dem kleinen und dem großen, genährt aus geistigen Stimulanzien, maßgebliche Civilisation. Kaltes Kalkül und eine allzu beklommene Sorge um den bloßen nichtigen Erhalt des Leibs haben auch eine tote Gesellschaft im Gefolge. Wehe den nur noch schal beflissenen Generationen. Sie hinterlassen Turnübungen statt Leben." (Hans Pleschinski: Königsallee)


Anpassungsleistung

Das Trinken, nennen wir es freiweg Saufen, ist in Wahrheit eine kolossale Anpassungsleistung der unglücklich Geborenen. Stellen Sie sich vor, Sie werden geboren und sind vom ersten Augenblick an unheilbar unglücklich. Sie ahmen nach, was Ihnen vor die Augen kommt, Sie plappern, verziehen den Mund zum Lachen, und alle Welt denkt, Sie sind ein normales glückliches Kind. Sie wollen niemanden enttäuschen und spielen Ihre Rolle. Und weil es so anstrengend ist, immerfort ein Glück zu spielen, das Sie nicht empfinden, lastet ein unverstandenes Unglück mit jedem Tag schwerer auf Ihren kindlichen Schultern, bis Sie alt genug sind für die erste Begegnung mit Ihrem Retter, dem Alkohol. (Monika Maron: Zwischenspiel)


Krankenhauskaffee

Ich schlurfe bis zum Tablettwagen, auf dem die Thermoskannen stehen, nehme eine der Tassen, eigentlich sind es Becher, und gieße mir Kaffee ein. So schlecht schmeckt der Kaffee hier gar nicht, er schmeckt mir sogar ganz gut, er schmeckt mir jeden Morgen besser, es stimmt nicht, daß Krankenhauskaffee - leicht säuerlicher, nicht besonders starker Filterkaffee - nicht schmeckt. Oft denke ich schon am Abend, kurz vor dem Einschlafen, an den ersten Schluck am nächsten Morgen, und manchmal ist die Vorfreude dann so groß, daß ich gar nicht mehr einschlafen kann. Auf dem Rückweg vom Tablettwagen halte ich den Kaffeebecher wie ein Pfarrer den Kelch beim Abendmahl. Es geht mir so gut, ich bin, obwohl ich erst einen winzigen Schluck abgetrunken habe, damit ich Richtung Zimmer nichts verschütte, schon kaffeeeuphorisch, der Kaffee ist ein Zaubertrank, der mich verwandelt, motiviert. (David Wagner: Leben)


Süffelhänger

Dann und wann wird Ihnen, meine zügellosen Leser, schon aufgefallen sein, daß Schnaps den Schlaf eher vertreibt als ihn herbeizuführen, es sei denn, man trinkt ihn bis zur Bewußtlosigkeit. Von Leuten, die dergleichen trinken, habe ich gehört, daß die Wirkung bei billigem Schnaps noch ausgeprägter ist. Bei schottischem Whisky, eine wohltuende Flüssigkeit, ist das anders. Ich sage immer, Lob und Preis dem Manne, der ihn erfunden hat - welcher Hautfarbe er auch immer sei. Die einzige Klage, die ich zu führen habe, ist die, daß die tägliche orale Einnahme von einem halben Liter seines Geistesprodukts über die Dauer von etwa zehn Jahren hinweg das Veröangen nach dem wichtigetsen Akt überhaupt dämpft. Ich hatte immer geglaubt, daß meine schwindenden Kräfte das Ergebnis fortschreitenden Alters seien, verbunden mit dem natürlichen Ennui, der erfahrene Herumtreiber plagt, aber Jock belehrte mich eines Besseren. Er nennt es "Süffelhänger". (Kyril Bonfigliolo: Nimm das Ding da weg!)


Bausparerrausch

"Nicht ein Gläschen? Nur eins, zum Anstoßen? Nein, kein zum Gläschen verniedlichtes Alkoholglas für mich, und eins schon gar nicht, eins ist ja ganz zwecklos. Wenn ich am Alkoholtrinken etwas immer verachtet habe, so ist es das sogenannte maßvolle Trinken. Vernünftig trinken wohl gar noch, Rausch ohne Reue? Amateure! Was "leicht angeheitert" genannt wird, nenne ich Bausparerrausch, fast so absurd wie alkoholfreies Bier. Das alkoholfreie Bier verstehe ich wirklich nicht. Des Geschmacks wegen? Ach, komm! Da ist es nicht mehr weit bis zum andachtsvoll zerschlürften "guten Glas Wein"; analog dazu sprechen ja auch insbesondere Wenigleser gern vom "guten Buch", das sie angeblich gern lesen, dabei ist doch klar, dass man auch ganz viele schlechte Bücher lesen muss, um die guten zu erkennen. Ein Glas Wein – wozu? Diese Aromen? Das ist Glasschwenkkennertum, Jahrgangsgeschwätz, Verkostungstristesse." (Benjamin von Stuckrad-Barre)


Trinkerwohnung

Es war damals noch nicht üblich, Kindern übertriebene Aufmerksamkeit zu schenken. Sie wurden weder bis zum sechsten Lebensjahr gestillt, noch mit Knieschonern in Spielgruppen gefahren, sie wurden nicht in Waldkindergärten oder zum Kinderpsychologen verbracht. Kinder waren nicht der Lebenssinn von Erwachsenen, Ritalin noch nicht erfunden, und dennoch zögerte die Frau kurz, als ahnte sie, dass man Babys nicht allein in Trinkerwohnungen liegen lassen soll, doch sie konnte auf ihr Zögern keine Rücksicht nehmen. Zu stark war ihre Sehnsucht nach Entspannung und einem farbigen Schleier, zu mächtig der Wunsch zu fliehen, ich bin kurz weg, fass nichts an, sagte sie zu Toto, schloss die Tür und atmete tief durch. (Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben)


Absinth

"L'heure verte. (...) So nannte man im neunzehnten Jahrhundert die Stunde am Nachmittag, die der fee verte geweiht war." "Absinth." "Ich dachte, der sei verboten?" "Nur noch bei uns". "Baudelaire, Manet, Verlaine, Rimbaud, Oscar Wilde, Degas, Toulouse- Lautrec, Poe, van Gogh, Gauguin, Picasso, Hemingway, alle passionierte Absintheure." "Die grüne Fee. Weckt die Phantasie, regt den Esprit an, belebt die Sinne, inspiriert die Kreativität - so etwas muss bei uns ja verboten sein." (Martin Suter: Richtig leben mit Geri Weibel; stark gekürzt)


Die stets letzte Zigarette

Zeno Cosini, der ein geradezu besessener Sammler von Aufhörstrategien ist, entweiht das immer wieder gegebene Versprechen, indem er es mit der Illusion von Geschmack verknüpft und bewahrt sich so die vielleicht auch beruhigende Aussicht auf künftiges Scheitern: "Ich bin überzeugt, dass die Zigarette anders und besser schmeckt, wenn sie die letzte sein soll." Folglich raucht er in seinem Leben lauter letzte Zigaretten und gelangt von einer Zigarette zu einem guten Vorsatz und von einem guten Vorsatz zu einer Zigarette. So dreht sich der Zirkel des Lasters. Aber es ist ein kulturelles Spiel, denn anders als bei einer zerstörerischen Sucht attestiert man dem Rauchen, eine noch zu behebende Malaise zu sein. Der Schaden, so die stets mitschwingende Hoffnung, ist nicht irreversibel. Während Alkoholabhängigkeit immer auch im Ton einer gewissen Tragik gesprochen wird, hat der Raucher Aussicht auf Umkehr. Dem Trinker droht sozialer Ausschluss, der Raucher muss bloß raus auf den Balkon. (Harry Nutt: Mein schwacher Wille geschehe)


Alles unter Kontrolle

Nun darf keineswegs der Eindruck entstehen, als ob Dr. Ley in ordinärer Art Humpen auf Humpen in sich hineingeschüttet hätte. Im Gegenteil, ich möchte seine Weise zu trinken geradezu als diszipliniert bezeichnen, wußte er doch stets dem Gelage ein Höchstmaß an Genuß abzugewinnen. Seine Rede war, sieht man vom letzten Stadium ab, logisch und entbehrte nicht der Heiterkeit. Gern und mit Sachkenntnis verbreitete er sich über den Charakter des Getränks, dem er zusprach, und nur zweimal erlebte ich es, daß er die Kontrolle über seinen Magen verlor und gesäubert sowie ins Bett gebracht werden mußte. (Erich Loest: Die Mäuse des Dr. Ley, S. 101)


Kneipenleben

Tagsüber war hier immer viel los. Händler vom Albert- Cuyp-Markt, die hier schnell ein Bier zischten... Um die Essenszeit, am frühen Abend, leerte es sich, und gegen Mitternacht trat noch einmal eine kleine Belebung ein. In den Stunden dazwischen blieb es ruhig. Nur ein paar Engländer, die nun mal daran gewöhnt waren, daß ein Lokal um zehn oder elf schloß, und ansonsten eine Handvoll alter Männer, deren Schnapsgläser sich nie wahrnehmbar leerten, auf einen Augenwink hin aber doch immer aus einer Flasche nachgefüllt wurden, die in der Stille schnurrten... (A.F.Th.van der Heijden: Der Gerichtshof der Barmherzigkeit, S. 23)


Betäubung und Verstümmelung

Der rüde Umgang des Menschen mit seinem Geist ist ein mindestens ebenso großes Rätsel wie der Geist selbst. Warum muß diese strahlende Lampe ständig heruntergederht werden? Oder höhergedreht, so daß sie anfängt zu qualmen? Warum muß in die Kerzenflamme, die hoch und hell brennt, geblasen werden? Warum muß das menschliche Gehirn und dieses überaus ingeniöse System der Sinne regelmäßig betäubt, gedämpft, stimuliert, verstümmelt werden? So geht es schon seit Jahrhunderten, mit Mitteln, die je nach Zeit, Ort und Kultur wechseln. Alkoholische Getränke, Kokablätter, Opium, Haschisch, Heroin... Hauptsache, der Geist schlüpft in einer anderes Gewand. Warum? (A.F.Th.van der Heijden: Der Gerichtshof der Barmherzigkeit, S. 609f.)


Erfolgreicher Alkoholiker

O je, er hatte den 'Marker's Mark' ein wenig zu stark beansprucht. Der logische nächste Schritt bestand darin, damit nach oben zu gehen, den Rest in die leere Bourbonflasche zu füllen, die er in seinem Rucksack versteckt hatte, und sich anschließend davonzuschleichen und in der Stadt eine neue für Nancys Getränketisch zu kaufen. Aus der würde er natürlich eine überzeugende Menge trinken müssen, damit sie aussah wie die alte Flasche, bevor er sie beinahe geleert hatte. Es gab praktisch nichts Komplizierteres, als ein erfolgreicher Alkoholiker zu sein. Länder der Dritten Welt bombardieren - das war etwas für Laien mit mehr Freizeit. (Edward St. Aubyn: Muttermilch, S. 257)


Die allerbetrunkensten Menschen

Am nächsten Tag betrank ich mich vor Leid, weiß nicht mehr viel von diesem Tage, bin ein sündiger Mensch. Mütterchen hatte auch gefangen zu weinen - Mütterchen habe ich sehr lieb - nun, und so hatte ich mich denn berauscht. Sie, Verehrtester, verachten Sie mich nicht: in Rußland sind die Trinker die besten Menschen. Die allerbesten Menschen sind bei uns die allerbetrunkensten. (Fedor M. Dostoevskij: Die Brüder Karamasow)


Provoziertes Leben

Glücklich werden sie kaum, die Millionen Elenden, Bettelnden, Verwahrlosten, die Wermutbrüder, die Wodka- Leichen, die Stadtstreicher, die Clochards: dem Alkohol verfallen, kaum je noch vor ihm zu retten, aber ein bißchen von ihm getröstet und wahrscheinlich durch ihn vor dem größeren Unglück bewahrt, klaren Kopfes registrieren zu müssen, in welcher Misere sie leben. Dabei ist der Alkohol ein staatlich konzessioniertes Rauschgift, im Unterschied zu den verbotenen: Zwischen den zerstörenden Suchtgiften wie Opium, Morphium, Heroin und LSD und den milden Stimmungsveränderern wie Nikotin, Koffein und der im südlichen Asien beliebten Betelnuß liegt eine Gruppe von Giften, die bei mäßiger Dosierung euphorische Stimmungen ohne schweren Katzenjammer erzeugen können: Meskalin, Kokain und Haschisch. Sollte die Menschheit ohne 'chemische Ferien', ohne künstliche Paradiese das Leben ertragen können? fragte Aldous Huxley. Unser Gehirn sei ein Filter, der aus der unendlichen Fülle der Erscheinungen nur diejenigen durchlasse, die uns das Überleben erleichtern; damit sich in uns auch die üppige Vielfalt des biologisch Unnützen ereignen könne, brauchten wir den Rausch. Meskalin helfe jedem, das zu sehen, was sonst nur der Künstler wahrnehme: tanzende, schwellende Farben, "einen langsamen Reigen goldener Lichter, ein Fluten von Schönheit". Dies alles gleichgültig gegen Raum und Zeit, ohne Anstoß, irgend etwas Bestimmtes zu tun, denn: "Dieses Teilhaben an der offenkundigen Herrlichkeit der Dinge ließ sozusagen keinen Platz für die gewöhnlichen, die notwendigen Angelegenheiten des menschlichen Daseins." Ja, sagt auch Gottfried Benn, wir brauchen 'provoziertes Leben': "Die Farben werden feiner, aus den Dingen blicken Wunder her, das Ich zerfällt." Und provozierend fährt er fort: "Potente Gehirne stärken sich nicht durch Milch, sondern durch Alkaloide." Ein so hochgezüchtetes Organ wie das Gehirn könne man nicht wie ein Verhißmeinnicht mit Grundwasser begießen. (Wolf Schneider: Glück. Eine etwas andere Gebrauchsanweisung)


Wein, Wein, Wein

Menschen, welche sich stark körperlich bewegen, sollen guten Wein trinken zur Erhaltung der Muskelkraft; solche aber, welche eine sitzende Lebensart führen, sollen guten Wein trinken, um den Reiz jener Bewegung zu ersetzen. Im Winter ist es sehr dienlich, guten Wein zu trinken, um sich zu erwärmen, und was ist im heißen, trocknen, staubigen Sommer erfrischender und belebender, als ein gutes Glas Wein? Am besten schmeckt der Wein, wenn man ihn in der Absicht trinkt, sich ihn schmecken zu lassen. (Antonius Antus, 1852)


Antwort eines trunknen Dichters

Ein trunkner Dichter leerte
Sein Glas auf jeden Zug;
Ihn Warnte sein Gefährte:
Hör' auf! du hast genug.

Bereit vom Stuhl zu sinken,
Sprach der: Du bist nicht klug;
Zu viel kann man wohl trinken,
Doch nie trinkt man genug.
[Lessing: Lieder (Ausgabe 1771)]


Die Herrlichkeit der Dinge

... ist der Alkohol ein staatlich konzessioniertes Rauschgift, im Unterschied zu den verbotenen: Zwischen den zerstörenden Suchtgiften wie Opium, Morphium, Heroin und LSD und den milden Stimmungsveränderern wie Nikotin, Koffein und der im südlichen Asien beliebten Betelnuß liegt eine Gruppe von Giften, die bei mäßiger Dosierung euphorische Stimmungen ohne schweren Katzenjammer erzeugen können: Meskalin, Kokain und Haschisch. Sollte die Menschheit ohne chemische Ferien, ohne künstliche Paradiese das Leben ertragen können? fragt Aldous Huxley. Unser Gehirn sei ein Filter, der aus der unendlichen Fülle der Erscheinungen nur diejenigen durchlasse, die uns das Überleben erleichtern; damit sich in uns auch die üppige Vielfalt des biologisch Unnützen ereignen könne, brauchten wir den Rausch. Meskalin helfe jedem, das zu sehen, was sonst nur der Künstler wahrnehme: tanzende, schwellende Farben, "einen langsamen Reigen goldener Lichter, ein Fluten von Schönheit". Dies alles gleichgültig gegen Raum und Zeit, ohne Anstoß, irgend etwas Bestimmtes zu tun, denn: "Dieses Teilhaben an der offenkundigen Herrlichkeit der Dinge ließ sozusagen keinen Platz für die gewöhnlichen, die notwendigen Angelegenheiten des menschlichen Daseins." Ja, sagt auch Gottfried Benn, wir brauchen provoziertes Leben: "Die Farben werden feiner, aus den Dingen blicken Wunder her, das ich zerfällt." Und provozierend fährt er fort: "Potente Gehirne stärken sich nicht durch Milche, sondern durch Alkaloide." Ein so hochgezüchtetes Organ wie das Gehirn könne man nicht wie ein Vergissmeinnicht mit Grundwasser begießen. (Wolf Schneider: Glück. Eine etwas andere Gebrauchsanweisung, S. 108/109)


Urs: Widmer: Trunksucht

Und nun noch ein Wort zur Trunksucht. Ziemlich lange nämlich war ich erschrocken darüber gewesen, daß die Mächtigen der Erde trinken, schnupfen und Tabletten essen. Ich dachte, in ihrem Dusel machen die gewiß einmal einen Blödsinn, den zu bereuen sie am nächsten Morgen keine Gelegenheit haben, weil es keinen nächsten Morgen gibt. Aber inwischen denke ich, ob es nicht sein könnte, daß gerade die nüchterne Menschheit immer todessehnsüchtiger wird, während die mit dem Daumen am Drücker von Party zu Party taumeln und uns das Ende verweigern, weil sie sich so wohl fühlen? Ich, schlaflos aus Berufung, trinke auch gern. Lange Zeit dachte ich sogar, aufpassen, Urs!, wenn überhaupt, dann ist das deine Sucht! Wenn nur. In Wirklichkeit bin ich einer, der am Morgen zuerst ein paar Zeilen schreiben muß, und dann kann ich den Kaffee trinken ohne ihn zu verschütten. (Urs Widmer: Auf, auf, ihr Hirten. Die Kuh haut ab, S. 252)


Bier-Choreografie

Warum wir ausgerechnet im Friseurmuseum herumsaßen? Fakt ist, es lag genau zwischen drei Kneipen: der 'Budike', dem '1900' und dem 'Cafe Husemann'. So war es eine Art natürlicher Rastplatz, um auf dem 30 Meter langen "Gewaltmarsch" dazwischen ein, wie Karl-Werner vorschlug, "Zwischenbier", mal war ein schnelles "Frischebier" vonnöten, ein "kurzes Spätbier" stand an, dann mußte unbedingt ein "Begegnungsbier" genommen werden, ein "Überbrückungsbier", ein "Problembier", ein "Nachbereitungsbier", ein "Bierbegrüßungsbier" - Karl- Werner hatte für jedes Bier einen eminent relevanten Anlaß und eine treffende Würdigung der speziellen persönlichen Bier-Choreographie parat. (Rayk Wieland: Ich schlage vor, daß wir uns küssen, S. 132)


Der Duft des Bourbon

Er goß sich ein Glas voll und gab ein paar Eiswürfel dazu. Der Duft des Bourbon schien ihm unendlich fein und ergreifend. Und als er so, am Fenster stehend, den ersten brennenden Schluck nahm, mit Blick auf den Central Park, der belaubt und heiß unter einem fahlen weiten Himmel dalag, hätte er weinen mögen. Es war so verdammt schön. Er spürte, wie seine Traurigkeit und Erschöpfung mit der lösenden, sentimentalen Umarmung des Bourbon verschmolzen. Es war ein Augenblick katastrophalen Reizes. Wie konnte er auch nur hoffen, jemals mit den Drogen aufzuhören? Sie ließen ihn so heftig empfinden. Das Machtgefühl, das sie ihm verliehen, war zugegebenermaßen ein eher subjektives (von unter der Bettdecke aus die Welt zu beherrschen, bis der Milchmann kommt und man denkt, er sei ein Sturmtrupp, der einem die Drogen klauen und das Hirn wegpusten will), aber andererseits war das Leben an sich ja auch reichlich subjektiv. (Edward St. Aubyn: Schlechte Neuigkeiten, S. 23)


Heroin

Nein, er durfte nicht daran denken, oder an überhaupt irgendwas, und vor allem nicht an Heroin, weil Heroin das Einzige war, das wirklich funktionierte, das Einzige, das ihn davor bewahrte, in einem Hamsterrad unbeantworteter Fragen herumzuhetzen. Heroin war die Kavallerie. Heroin war das fehlende Stuhlbein, das mit solcher Genauigkeit gemacht war, daß es mit jedem Splitter der Bruchstelle zusammenpaßte. Heroin landete behaglich schnurrend auf seiner Schädelbasis und wand sich dunkel um sein Nervensystem, wie eine schwarze Katze, die es sich auf ihrem Lieblingskissen gemütlich macht. Es war so weich und üppig wie die Kehle einer Ringeltaube oder der Siegelwachstropfen auf einem Blatt Papier oder ein Häufchen Edelsteine, das man von einer Hand in die andere gleiten läßt. Was die anderen bei der Liebe empfanden, das empfand er bei Heroin, und er empfand bei der Liebe, was andere bei Heroin empfanden: eine gefährliche und unverständliche Zeitverschwendung. Wie sollte er Debbie das begreiflich machen? "Du weißt ja, daß der Haß auf meinen Vater und die Liebe zu Drogen die beiden wichtigsten Beziehungen in meinem Leben sind, doch du sollst wissen, daß du gleich an dritter Stelle kommst." Welche Frau wäre in einem so stark besetzten Rennen nicht stolz, 'auf den Medaillenrängen' zu landen? (Edward St. Aubyn: Schlechte Neuigkeiten, S. 54)


Übernächtigt und verkatert

Ich habe noch nie davon gehört, daß Alkoholiker besonders gerne erwachen. (...) Trotz der unangenehmen Begleitumstände ist der Zustand nach dem Alkohol unbedingt dem ohne vorzuziehen. Die Aufgabe, meine schuhlose Füße voreinanderzusetzen und ein anmutiges Gesicht zu machen, ist erfüllend. Selbstredend ist die Bootsfahrt mit einem Kater genau so, wie jeder, der Erfahrung mit Überdosierung von Rauschmitteln gemacht hat, sich die Sache vorstellt. Ich verbringe die gesamte Überfahrt, ungefähr hundert Stunden, auf der Toilette. An Land bewege ich mich sehr unsicher, den Zustand überstandener Trunkenheit deutlich ausstrahlend. Keiner nimmt Notiz von mir. Die Chinesen haben sich an Ausländer am Rande der Katastrophe gewöhnt. All die ausgebleichten, rotgesichtigen westlichen Menschen, die verzweifelt versuchen, ihr Heimweh zu vergessen. Vergessen gibt es nicht. Ein gepflegtes Pegeltrinken muß erlernt werden. Ich bin zu dicht von Menschen umgeben. (Sibylle Berg: Der Mann schläft, S. 251)


Kunst des Pegeltrinkens

Pegeltrinken ist durchaus eine Leistung, die nach Respekt verlangt. Da denkt man dich, das wäre nichts, sieht man gutgelaunte Penner vor Sacre-Coeur sitzen, die einem mittags mit einem frohen Lied zuprosten. Als Anfänger in dem Geschäft erwische ich entweder zu viel und muß mich übergeben oder zu wenig und sehe klar. Den Zustand freundlich gelaunter Umnachtung zu halten ein Unterfangen, das nicht zu den einfachsten zählt. Es muß ähnlich sein, die Eigernordwand zu besteigen, adrenalinabhängige Grenzerfahrung. Und dann werden Filme darüber gemacht, wie Männer sich die Beine abfrieren und von schlechtbezahlten Helikopterpiloten aus Gletscherspalten gekratzt werden. (Sibylle Berg: Der Mann schläft, S. 242)


Fortschrittenes Stadium

Seine Hände arbeiten mechanisch, als sie das Getränk zu seinem Mund führen. Sein Körper ist starr und in jenem Stadium der Vergiftung, in der Logik und Wirklichkeit Versteck spielen und sich in den Gedanken verbergen. Das Spiel wiederholt sich zu schnell, als daß die betäubten Nerven es kontrollieren könnten, so daß anstatt des Bieres, das von der Flasche in das Glas fließt und dann in den Mund, der ganze Vorgang völlig unlogisch umgekehrt erscheint. (Meja Mwangi: Nairobi, River Road, S. 94)


Sprit und Genius

Der Begriff "exzessives Trinkverhalten" wird von unbelesenen Drogenforschern oft naiv verwendet. Arno Schmidt, der sich der Trockenheit in Bargfeld mit eruptiver Konsequenz erwehrte, inkriminierte in "Zettels Traum" auch deren ökonomische Hintergründe: "Wer von 'Entgleisungen' & 'fundamentalen Anzeichen eines geistigen Notstandes' dozieren möchte: der spinnt! Und hat keine Ahnung von den Höheren Alkoholvergiftungen : POE hat seine Dipsomanie doch recht=ordentlich in Literatur umgesetzt:? Also 'natürlich !' trank er; (Bekannte haben's geschildert, wenn er wieder nach Fusel roch - es kann nicht Jeder nach Rüdesheimer duften! Ja ich möchte fast des Satz aufstellen): Je größer der Genius, desto billiger der Sprit den Er sich leisten kann - Saufen ist normal !" (Michael Krüger; Faude, Ekkehard: Literatur & Alkohol. Zur Konvergenz von Flüssigkeitsbedarf und exzessivem Buchstabenverbrauch, S. 47)


Zum Kenner werden

Der Wein macht zum Kenner der Zustände der Seele. Man achtet da alles und achtet wieder nichts. Im Wein schimmert der Takt. Bist du ein Freund des Weines, so bist du auch ein Freund der Frauen und ein Beschützer dessen, was ihnen lieb ist. Die Beziehungen, auch die verzweigtesten, die es zwischen Mann und Frau gibt, gehen dir aus dem Weinglas wie Blumen auf. Alle Lieder, die auf den Wein gedichtet worden sind, sollen als berechtigt anerkannt sein. (Robert Walser: Der Räuber, S. 19)


Ohne Frauen trinken

"Es mag ein dummes Klischee sein", sagte der Amerikaner, "aber es trinkt sich besser, wenn keine Frauen dabei sein. Gleich, wie diese Frauen denken. Denn mit einem Glas in der Hand - Sie verzeihen meine Offenheit - komme ich mir vor, als würde ich onanieren. Wobei gegen die Onanie, so modern bin ich schon, ja wirklich nichts zu sagen ist. Vom medizinischen Standpunkt so wenig wie vom psychologischen. Das ist erwiesen, habe ich gelesen. Aber unter Männern onaniert es sich natürlich um einiges leichter, als wenn Damen anwesend sind. (Heinrich Steinfest: Der Umfang der Hölle, S. 271)


"Vernünftiges" Trinken

Für Leo ergab sich der Sinn des Trinkens weniger dadurch, große Mengen in kurzer Zeit hinunterzustürzen und einen Zustand der Benommenheit zu erklimmen (als klettere man gipfelwärts auf einen auf dem Kopf stehenden Berg), sondern einfach darin, nie wirklich nüchtern zu sein. Diese mengenmäßige Beschränkung, die Art, wie er die Drinks gleich einem herzkranken Langstreckenläufer geordnet über den Tag verteilte, wurde ihm als Vernunft ausgelegt. (Heinrich Steinfest: Der Umfang der Hölle, S. 250)


Literatur & Alkohol

Reisiger wurde zum Trinker, zu einem wirklichen, was also bedeutete, daß sein Frühstück nach einem ersten Kaffee aus einem ersten Glas Gin bestand. Wobei die Sache mit dem Gin und überhaupt mit der ganzen Trinkerei ein wenig auch damit zusammenhing, daß Reisiger zu lesen begonnen hatte. Es gibt ja genug Leute, die Bücher für etwas Gefährliches halten und dringend davon abraten. Nicht wegen politischer Verführung, daran glaubt schon lange niemand mehr. Nein, wegen der Verführung hin zu irgendwelchen Unarten, Phobien, Verhaltensweisen, Eigentümlichkeiten. Verführung zum Snobismus. Und das Trinken, das echte, das hingebungsvolle und körperzerfressende, ist nun wahrlich eine Art von Snobismus. Ein Snob, das ist etwas anderes. Darüber muß man nicht reden. Aber ein Trinker lebt seinen Snobismus mit jedem Schluck. Ganz gleich, ob eine Verzweiflung dahintersteckt oder nicht. Und es ist ein großer Fehler zu glauben, und die meisten glaubten es, Leo Reisiger hätte wegen seiner Querschnittslähmung mit dem Saufen angefangen. Das Buch war es, das ihn animiert hatte: Malcolm Lowrys famos unlesbares "Unter dem Vulkan". Nur ein unlesbare Buch war für Reisiger auch ein gutes. (Heinrich Steinfest: Der Umfang der Hölle, S. 249)


Die ersten Prägungen

In den ersten Lebensmonaten eines Knaben gibt es mehrere traumatische Erlebnisse, die sein Weltbild und seine Entwicklung prägen. Das erste ist die Geburt, deren Problematik wir schon besprochen haben. Als nächster einschneidender Moment folgt die Umstellung von der Brust auf die Flasche. Ein Schritt, bei dem Frauen gar nicht wissen, wie sehr sie ihr Kind damit prägen. Dieser brutale Umstieg von Brust auf Flasche führt nämlich im späteren Geschlechtsleben zu einer unbewußten Assoziation, die uns Männern zu Unrecht vorgeworfen wird: Das Bedürfnis, nach dem Sex sofort ein Bier zu trinken. Diesen Drang haben Frauen in uns gepflanzt! (Jens Oliver Haas: 101 Gründe ohne Frauen zu leben, S. 36)


Keine Spur von Ewigkeit

Die Augen zu schließen und das Leben in die Breite zu dehnen... das hatte ich verlernt. Viel zu lange schon wieder hatte es sich einzig und allein "in die Länge" entrollt, schneller noch als die Zeiger der Uhr, die durch Zutun von Alkohol seltsame Sprünge machen und oft große Löcher in einen Tag schlagen. Die Spannung war raus. Muskeln, die lange nicht benutzt worden sind, erschlaffen - das gilt auch für geistige Muskelgewebe. Für mich gab's nicht mal die leiseste Spur von Ewigkeit. Ich hatte mein Recht auf eine Seele verscherzt. Es war vorhersehbar, daß wir den Weg des geringsten Woderstands wählen würden: uns dem Suff ergeben. Alkohol schien die Lösung für fast alles - eine Art Leim, freilich von der Sorte, die sich jeden Tag wieder löst. (A.Th.F. van der Heijden: Fallende Eltern, S. 99)


Paradoxe Wirkungen

Der Alkoholkonsum, auch wenn man nur Bier trinkt, kann schlimme Folgen haben, das mußte ich am nächsten Morgen einsehen, als ich im Büro der Singapore Airlines saß. Ich bin nicht übertrieben ordnungsliebend, aber im Suff sucht mich zuweilen der Drang heim, so herrlich aufzuräumen, daß selbst meine Mutter in Verzückung geraten wäre. (Michael Schulte: Bambus, Coca-Cola, Bambus, S. 22)


Gute Gründe

Meiner Erfahrung nach gibt es verschiedene gute, wenn auch zweitrangige Gründe - Scham, Angst, Leid, Freude -, beim Trinken etwas über die Stränge zu schlagen, und einen erstrangigen Grund, sehr über die Stränge zu schlagen: Langeweile. Ich kannte einmal einen cleveren Alkoholiker, der steif und fest behauptete, er trinke, weil das Dinge in Gang setze, die er in nüchternem Zustand nie erlebte. Ich habe ihm das so halbwegs abgenommen, obwohl das Trinken meiner Meinung nach eigentlichts nichts in Gang setzt, es hilft einfach nur über den Kummer hinweg, daß nichts in Gang kommt. (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen, S. 56)


Sternsinger

Auswüchse gab es natürlich auch bei den Volksbräuchen um das Sternsingen. Die Sternsinger, die in meiner Kindheit von Hof und Hof und von Haus zu Haus durch die verschneite Landschaft stapften (oder bei mildem und schneelosen Wetter manchmal mit dem Rad, dem sogenannten Drahtesel, fuhren.), haben Schnaps und Most zu trinken bekommen, sodaß sie abends oft schon betrunken waren und ihr "Die haülign drei Kinign hand do" und ihre Neujahrswünsche mehr lallend als feierlich singend vortrugen. Wegen der Trinkerei mußten sie unterwegs auch ständig austreten. Es machte aber kein schönes Bild, wenn man immer wieder nach den Hausbesuchen die drei Könige am Straßenrand stehen und umständlich in ihren vielen Kleidern wühlen und etwas suchen sah, um dann mit dem Gefundenen gelb in den Schnee zu zeichnen. (Alois Brandstetter: Vom Schnee vergangener Jahre, S. 133)


Weißer Whisky

Noch könnte ich sie aussteigen lassen. Auf den ersten Seiten tun meine Leute, was ich ihnen sage. Wenn ich sie in eine Bar schicke und dort weißen Whisky trinken lasse, gehen sie widerstandslos hinein und trinken den weißen Whisky, anstatt Kaffee zu bestellen oder Bier oder Limonade. Sie fragen nicht einmal, warum ausgerechnet sie in ausgerechnet dieser Bar ausgerechnet weißen Whisky trinken müssen, alle anderen Gäste trinken Bier, der Kellner versteht nicht, was sie verlangen, weil es alle möglichen Sorten Whisky gibt, aber von weißen Whisky hat er noch nie gehört, meine Leute würden auch viel lieber Bier trinken, als sich erst mit dem Kellner und sodann mit dem Wirt über die Existenz weißen Whiskys zu unterhalten, die dieser bei aller Höflichkeit rundheraus wenn nicht abstreitet, so doch lebhaft bezweifelt. Auf den ersten Seiten bringe ich sogar den Wirt dazu, seine Frau sich an eine Flasche weißen Whisky erinnern zu lassen, die irgendwo endgelagert im Keller herumliegt, Geschenk eines Gastes nach einer Irlandreise, und schließlich sitzen sie brav in der Bar und rinken meinen überteuerten weißen Whisky, weil ich es will. Leider geht das nur auf den ersten Seiten. Nach und nach werden sie renitent. (Birgit Vanderbeke: Ich will meinen Mord, S. 11)


Ein anstrengender Beruf

Ich wage die Behauptung: Schreiben ist ein derart anstrengender Beruf, daß Sport, Wandern oder ein freies Wochenende keine Entspannung bringen können. Entspannung läßt sich auf die Dauer nur noch (vorübergehend) künstlich herbeiführen - durch Alkohol oder andere "Mittel". So bleibt es auch nach getaner Arbeit ein äußerst ungesunder Beruf. Ein umständlicher Selbstmord - aber zugegebenermaßen einer, der etwas bringt. (A.F.Th. van der Heijden)


Familienbetrieb

Als vielversprechender Juniorpartner im Familienbetrieb DeTamble & DeTamble - Alkoholiker auf freiem Fuß, ist es mir bisher nicht gelungen herauszufinden, wo das äußerste Limit meiner Alkoholverträglichkeit liegt. Ein paar Drinks später sieht Mia mich besorgt über die Bar hinweg an. "Henry?" "Jaja?" "Es reicht." Vermutlich hat sie Recht. Ich will ihr nickend zustimmen, aber es ist zu anstrengend. Stattdessen gleite ich langsam und beinahe anmutig zu Boden. (Audrey Niffenegger: Die Frau des Zeitreisenden, S. 132)


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