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[Taktik] Er gehörte selbstverständlich zu den Männern, die sich mit einem Schlag verändern, wenn sie in die Nähe einer Frau kommen, an deren Eroberung ihnen einmal gelegen sein könnte. (Joseph Roth: Rechts und Links, S. 144)

[Lächeln] Der Mann probierte ein Lächeln. Was er hinkriegte, ähnelte dem alten Schlüpfergummiband an meinem Katapult, wenn ich es gelegentlich noch einmal ohne Krampe, bloß aus Langeweile, zu spannen versuchte: so schmuddelig-weiß und ausgeleiert zogen sich seine Lippen dahin, von einem stumpfen Mundwinkel zum anderen. (Katja Lange-Müller: Verfrühte Tierliebe, S. 16)

[Abstand] Nennen Sie mir etwas, das nicht wert wäre, verlacht zu werden! Etwa die Freundschaft, das Familienglück, die Liebe? All diese Sentimentalitäten taugen doch nur zu einem Augenblick der Erholung, dann aber rasch die Beine unter die Arme geklemmt. Für einen anständigen Menschen verbietet es sich, in solchen Daunenbetten zu versinken... (Iwan Turgenjew: Wo alzu fein gesponnen wird, da reißt es eben)

[Fortschrittsgläubig] Er las mit Begeisterung am Ende eines jeden Jahres die Bilanz der Unglücksfälle und hielt alle überfahrenen Fußgänger für schuldig. Langsam sein und keine Geistesgegenwart haben hieß für ihn, ein Verbrechen gegen das Tempo begehen, das er verehrte. (Joseph Roth: Rechts und Links, S. 111)

[Erkenntnis] Sie hatte seine Augen aus der Nähe gesehen. Er ist einer, der etwas Schreckliches erlebt hat. Aber das ist ja nichts Besonderes. Es gibt fast niemanden mehr in unserem Jahrhundert, der nicht etwas unvorstellbar Schreckliches erlebt hat. (Alfred Andersch: Die Rote, S. 101))

[Sparsam] Als er erwachte, fand er einen jener dicken Briefe seiner Mutter vor, die immer Unangenehmes enthielten. Denn seitdem Frau Bernheim angefangen hatte, auch am Porto zu sparen, schrieb sie nur bei unseligen Anlässen und dann sehr ausführlich, um den ganzen Wert der Briefmarke und den ganzen Umfang des Briefpapiers auszunutzen. (Joseph Roth: Rechts und Links, S. 75)

[Sonntag] Es war ein echter Sonntag, einer jener Sonntage, die manchmal über die Städte Deutschlands verhängt werden: feierlich, furchtbar und voller Gesinnung. (Joseph Roth: Rechts und Links, S. 79)

[Frühling] Auf einmal kam in diesem Jahre der Frühling. In den Zimmern lagen noch die Kälte und die feuchte Dämmernis der Wintertage. Man öffnete die Fenster. Die Häuser erinnerten an gelüftete Grüfte und die Menschen, die ans Fenster kamen, an gelbe, freundliche Leichen. Der Klang der auferstandenen Leierkästen, die auf einem in Scharen durch die Höfe zogen, als wären sie mit den Zugvögeln aus dem Süden gekommen, erhöte den Lebensmut auch der Skeptiker. (Joseph Roth: Rechts und Links, S. 78)

[Beamte] Der Beamte saß hinter einer hölzernen Barriere und war, wie die Polizeibeamten der ganzen Welt, ein Freund überheizter Zimmer. Da er zur Fremdenpolizei gehörte, haßte er die Fremden. (...) Es ist eine Eigenschaft der Beamten, ihren Besucher erst nach dem dritten oder vierten Satz anzuschauen, als gingen sie von der Voraussetzung aus, daß alle Fremden gleich aussehen und daß es genügt, einen von ihnen zu kennen, um sich alle andern vorzustellen. (Joseph Roth: Rechts und Links, S. 73f.)

[Einseitig] Wie alle Großstädter bewunderten sie maßlos einen einfachen Strauch, überschätzten seine Schönheit, und ohne das Praktische aller sie umgebenden ländlichen Verhältnisse zu ahnen, sahen sie die Dinge vielleicht ebenso einseitig an wie ein Bauer - nur von der anderen Seite. (Kurt Tucholsky: Rheinsberg, S. 12)

[Eleganz] Seine Stimme ist wirklich etwas, in das man sich hineinschmiegen kann, und die lässigen Gesten der langen, sonnengebräunten Hände schmücken den kahlen Raum. (Ralf Rothmann: Flieh, mein Freund! S.142)

[Vergleich] Mr. Brindle war ein tüchtiger Esser, aber er wurde nicht dick. Er nahm nur an Dichte zu und wurde still, wie ein Fels im Gezeitenstrom. (A.L. Kennedy: Gleissendes Glück, S. 123)

[Zustände] Er war in jenem köstlichen Zustand der Inspiration, der nur eintritt, wenn man in einem Stadium der Übermüdung an Champagner gerät - ein melancholischer Schwips, der durchaus anregend ist. (Lawrence Durrell: Clea, S. 194)

[Heilung] Ein guter Arzt, und insbesondere der Psychologe, erschwert dem Patienten mit voller Absicht eine allzu rasche Genesung. Er tut das, um zu sehen, ob der Patient psychisch noch Schwung hat, denn das Geheimnis der Heilung liegt im Patienten, nicht im Arzt. Das einzige Maß ist die Reaktion! (Lawrence Durrell: Clea, S. 150)

[Anpassung] Wenn du geborener Künstler bist, ist es Zeitvergeudung, als Priester fungieren zu wollen. Man muß der eigenen Perpektive treu bleiben und zugleich wissen, daß sie nur eine Teilansicht bietet. Man kann eine Art von Vollendung erreichen, indem man sich seinen Möglichkeiten anpaßt - auf jeder Ebene. Damit gäbe es, denke ich mir, keinen Plazt mehr für Streben und auch nicht für Illusionen. (Lawrence Durrell: Clea, S. 124)

[Deutungen] Laßt euch durch die Pfeife nicht irritieren. Sie soll ihm nur das Aussehen eines kritischen Menschen geben. - Weißer Mann raucht, paff paff, weißer Mann denkt nach, paff paff. In Wahrheit ist weißer Mann unter den Insignien seines Amtes tief tief eingeschlafen - trotz Pfeife, Nase und frischgestärktem Taschentuch im Ärmel. (Lawrence Durrell: Clea, S. 111)

[Dasselbe] "Du hast gelacht?" "Ja, gelacht, bis mir die Tränen übers Gesicht liefen. Doch ich habe über mich gelacht, über dich, über uns alle. Man stößt an jeder Wegbiegung darauf, nicht wahr? Unter jedem Sofa derselbe Leichnam, in jedem Schrank dasselbe Skelett. Wie sollte man da nicht lachen?". (Lawrence Durrell: Clea, S. 61)

[Gebunden] Ein Künstler mit einer Frau am Hals ist wie ein Spaniel mit einer Zecke im Ohr, es juckt, man läßt Blut, man kann nicht hinlangen. (Lawrence Durrell: Clea, S. 59)

[Eine Wahrheit] "Man lernt nichts von denen, die unsere Liebe erwidern." Worte, die wie eine desinfizierende Flüssigkeit auf einer offenen Wunde brannten, aber reinigend wirkten wie jede Wahrheit. (Lawrence Durrell: Clea, S. 31)

[Flüchtig] Für die meisten von uns ist die sogenannte Gegenwart weggeschnappt wie ein köstliches Mahl, von Feen weggezaubert, bevor man auch nur einen Bissen anrühren kann. (Lawrence Durrell: Clea, S. 11)

[Gourmet] Über alle Maßen schätze ich die üppigen Gerichte meiner Heimat Frankreich, mit viel geschmolzenem Käse, der im empfindlichen Magen der Fremden wie eine Kanonenkugel liegt, aber in meinem nur das wohlige Gefühl verbreitet, auf dieser Erde zu Hause zu sein: (Fabienne Pakleppa)

[Kummer] Bekümmert saß er da, wie ein Kind, dass nicht weiß, warum man ihm über den Mund gefahren ist, und das sich trotzdem schämt. (Markus Werner: Festland, S. 85)

[Gefühle] Wäre alles, was man erlebt und was einem begegnet, von diesem Nie-wieder-Gefühl begleitet, so dürfte man sich zwar für weise halten, verbrächte seine Tage aber so wie ich die heutigen Stunden: entgeistert irgendwie und wie verhöhnt und innerlich wimmernd. Nicht auch gelöst? Nicht auch merkwürdig aufgeräumt? Doch. Doch, ein wenig auch das. (Markus Werner: Festland, S. 71)

[Typen] Nun, es gibt Menschen, in deren Gegenwart auch der Schüchterne auftaut, weil sie eine krampflösende Wärme abstrahlen und ihm das Gefühl geben, nicht auf der Hut sein zu müssen. (Markus Werner: Festland, S. 61)

[Begabungen] Auch mußte man beim Gehen reden, und Lena würde sofort merken, was für ein Redner ich war, zwei Mädchen hatte ich schon an Burschen abtreten müssen, die zwar keine Vespa besaßen, aber ein fröhliches Mundwerk und, nebenbei gesagt, wohl auch die forscheren Hände. (Markus Werner: Festland, S. 61)

[Zufrieden] Könnte es sein, fragte er, daß die phantasieärmsten Menschen am zufriedensten sind mit der Welt und sich infolgedessen am tüchtigsten in ihr bewegen? (Markus Werner: Festland, S. 59)

[Eigenschaften] Damals, ich war knapp vierundzwanzig und ohnehin im Rückstand, wußte ich noch nicht, daß der Ton die Musik macht und daß die Stimme eines Menschen fast alles über ihn sagt, weil sie von seinem Wesen imprägniert ist. (Markus Werner: Festland, S. 58)

[Bitte] Gebet eines deutschen Weingutbesitzers: "Laß meinen Wein gedeihen und verhagle den Franzosen und Italiener den ihren. (Luise Rinser: Kriegsspielzeug)

[Wünsche] An Zungenkrebs, an Zungengrundkrebs sterbe ich vielleicht einmal, das wäre dann die Sühne für das Geplapper seit Geburt, und falls ich etwas Letztes wünschen dürfte, bringt mich vor Tagesanbruch in ein Stadion, nur mich allein und eine Eiskunstläuferin, die eiskunstläuft, die eiskunstläuft, und bitte nackt. - Ich nehme deinen Wunsch zur Kenntnis, sagte ich, leicht zu erfüllen ist er allerdings nicht. - Ja, er ist groß und unbescheiden, sagte der Vater, und eigentlich bin ich mit Morphium zufrieden, und eigentlich müßte ich jetzt schlafen. (Markus Werner: Festland, S. 48f.)

[Verzögerungen] Ich beginne jeden Satz im Gefühl, etwas schuldig zu bleiben, daher mein Stottern. (Markus Werner: Festland, S. 47)

[Porträt] Sie gingen weg, von seinen spöttischen Blicken tief beeindruckt, beunruhigt von seinem Lächeln, erschreckt über dies Gesicht, das Menschen, die die Eigenart des Genies nicht zu erkennen vermochten, unheimlich erscheinen mußte. (Honore de Balzac: Die Fischerin in Trüben, S. 645 WA)

[Ersatz] Wie alle ungebildeten Menschen außerstande, sich geistig zu betätigen, ging sie restlos im Haushalt auf. (Honore de Balzac: Die Fischerin in Trüben, S. 611 WA)

[Vererbt] Nicht wahr, eine Frau von einschüchternder Schönheit? Und welch ein genetischer Segen, daß sie dir alles vererbt hat und daß du nur meine Hände mitschleppen mußt und meine grünlichen Augen, nicht aber den Rest. (Markus Werner: Festland, S. 46)

[Zeitpunkte] Du hast nicht zufällig Zigaretten bei dir? fragte er. - Ich rauche nicht. - Ich auch nicht, sagte er, aber wenn ich würde, so würde ich jetzt. (Markus Werner: Festland, S. 43)

[Frauen] Womöglich sind die Frauen noch bedürftiger als wir bedürftigen, aber abgelenkteren Männer, nicht wahr, man sollte die Frauen aufs zaghaft herzlichste bejahen. (Markus Werner: Festland, S. 42)

[Anziehung] Es flanieren immer mehr Frauen vorbei, die ein Ansteckschildchen am Busen tragen. Unberührbar, steht darauf, entziffern können es nur jene, für die es bestimmt ist. Dabei wäre das Schildchen entbehrlich, denn die Nicht-Blicke der Flanierenden verraten, was man geworden ist: eine Zumutung, eine Tränensackexistenz, ich nehme zur Not den Tod in Kauf, niemals das Ende der Anziehungskraft. (Markus Werner: Festland, S. 39)

[Gefunden] Manchmal stellten wir die Vespa ab und schwebten durch Buchenwälder, bis wir die Lichtung fanden, die unserem Blut gemäß war. (Markus Werner: Festland, S. 39)

[Zuflucht] Agathe nahm bald jene eintönige Regelmäßigkeit der Lebensgewohnheiten an, in der von einem heftigen Kummer gepeinigte Menschen einen gewissen Halt finden. (Honore de Balzac: Die Fischerin in Trüben, S. 545 WA)

[Reaktionen] Madame Bridau ihrerseits ließ aus Mutterliebe ihre Ausgaben gleichfalls nicht höher steigen. Um sich für ihre Vertrauensseligkeit zu strafen, versagte sie sich heldenhaft alle kleinen Genüsse. Wie es bei vielen schüchternen Gemütern mit beschränkter Intelligenz vorkommt, brachte eine einzige Verletzung ihres Gefühls und ihr erwachtes Mißtrauen sie dahin, einen Fehler so weit zu treiben, daß er schon wieder zur Tugend wurde. (Honore de Balzac: Die Fischerin in Trüben, S. 477 WA)

[Stimme] Ich war benommen von ihrer Stimme, die ich natürlich mangelhaft beschreibe, wenn ich sie biegsam und wolkenlos nenne. (Markus Werner: Festland, S. 38)

[Vermögen] Dabei war es früher durchaus verpönt gewesen, im Haus der Großeltern und in den Kreisen, in denen sie verkehrten, über Geld zu reden, man hatte Geist und dauerreservierte Plätze im Theater, und je vermögender man wurde, desto einiger war man sich in der Verurteilung des materiellen Denkens, das, wie es hieß, mit Rattenzähnen am Fundament des Abendlandes nagte. (Markus Werner: Festland, S. 35)

[Sperrstunde] Gebetläuten war das Abendläuten, das Avemarie-Läuten, bei dessen Klang die Kinder ins Haus laufen mußten. Dörfliche Sperrsstunde. (Luise Rinser: Den Wolf umarmen, S. 59)

[Briefe schreiben] Drei Briefe zugleich. Wie andere Männer auch, scheint Josef räumliche Distanz zu brauchen, um wirklich glühen zu können. (Markus Werner: Festland, S. 30)

[Zustände] Und, schon unter der Tür, sagte der Vater noch: Wenn man wie du ein hohes Ziel erreicht hat - ich habe das vor langer Zeit in einem Buch gelesen -, kann das Gemüt in einem Zustand kommen, den der Verfasser des Buches als Melancholie der Erfüllung bezeichnet, ich kenne sie leider nicht. (Markus Werner: Festland, S. 17)

[Aussehen] Er wurde beängstigend blaß, so als bescheine ihn Mondlicht. (Markus Werner: Festland, S. 17)

[Einkaufen] Obwohl mich diese Uhr, wie gesagt, schon seit längerem fesselte, war ihr Kauf doch eher ein Spontankauf, und ich verließ das Geschäft mit dem mehr zweifelnden als seligen Gefühl, das einem Spontankauf zu folgen pflegt. (Markus Werner: Festland, S. 14)

[Gewöhnung] Nach und nach gewöhnten sich die Leute an den merkwürdigen Charakter Danijars, und schließlich bemerkten sie ihn überhaupt nicht mehr. Und das war ja wohl auch ganz natürlich: Wenn sich ein Mensch in keiner Weise hervortut, dann vergißt man ihn allmählich. (Tschingis Aitmatow: Dshamilja, S.27)

[Fragt mich nicht!] "Na ja, alles ist besser, als daß er vor sich hin stiert", sagte ich, "und darauf wartet, daß einer von uns ihn fragt: 'Was hast du?', damit er sagen kann: 'Nichts'". (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 166)

[Zustände] Der ordentliche, anmutige Jack war neugierig, achtsam und schüchtern. Er wachte langsam auf. Er sagte zu mir: "Bist du auch manchmal traurig, und dir ist zum Heulen, auch wenn dir gar nichts Schlimmes passiert ist?" Ja, natürlich! Er war mein Sohn; ich kannte ihn gut. Er konnte wegen des Spiegels eine Stunde damit zubringen, sich die Zähne zu putzen - sich anzusehen, als würde ihm das helfen, sich eine Seinsweise zurechtzulegen. (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 140)

[Selbstgewiß] Wenn Bart auf eine Tür zurannte, rannte er darauf zu, als ob die Tür für ihn aufgehen würde. (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 139)

[Ferien] "Ferien?" echote Severin. "Wenn man so lebt, wie man will, dann wird die Vorstellung von Ferien obsolet. (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 126)

[Befangen] "Töchter haben Schwierigkeiten, im Haus ihrer Mütter Orgasmen zu haben." (John Irving: Eine Mittelgewichts- Ehe, S. 119)

[Feststellungen] Er war jemand, den es stest aus der Fassung brachte, seine eigene Arglosigkeit festzustellen. (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 92)

[Entwicklung] In diesen sieben Jahren wurde ihr Englisch besser, ihr Russisch bekam Übung, und ihr muttersprachliches Deutsch wurde fast ausschließlich mit zwei Freunden gesprochen, die beide in sie verliebt waren und am Ende des Ganges ein Zimmer teilten. Es bedurfte fast dreier Jahre der Bekanntschaft mit ihnen, ehe sie beschloß, mit einem von ihnen zu schlafen, und als sie sah, wie das den anderen mitnahm, schlief sie auch mit ihm. (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 74)

[Typen] Dann kamen zwei ineinander fast wie Zwillinge ähnelnde Männer, deren Namen so verblüffend waren wie ihr Äußeres. Ihre Namen waren wie etwas auf einer Speisekarte, das unberaten zu bestellen man sich nicht trauen würde. Sie waren Mitte Sechzig und sahen aus wie Spione oder Gangster oder pensionierte Preisboxer, die öfter verloren als gewonnen hatten. (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 46)

[Style] Der Junge in der Tür war glattrasiert und trug Turnschuhe, Jeans und ein T-Shirt; er sah wie der geschmackloseste amerikanische Tourist in Europa aus. Er trug ein schreiendes College-Buchstabenjackett, schwarz mit Lederärmeln und einem dicken, übergroßen goldenen "I" auf der Brust. Amerikanischer Barock, dachte Edith. (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 45)

[Topfit] Ich bin Basketballtrainer des Alterheims, in dem meine Eltern wohnen. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 218)

[Momente] In der Passage, die zu einem Kaufhaus gehört, macht ein Mann den Eindruck, als gäbe es nichts Lustvolleres und Interessanteres, als unermüdlich Gemüse zu raspeln. (Libuse Monikova: Treibeis, S. 198)

[Macht des Wortes] Wenn es draußen nicht so aussah, wie im Wetterbericht, glaubte ich natürlich dem Bericht, den Worten. (Libuse Monikova: Treibeis, S. 176)

[Ärzte] Anläßlich eíner Erkältung der beiden Mädchen war der alte Doktor Juli Solomonowitsch ins Haus gerufen worden, ein Arzt der Gattung, die etwa zur selben Zeit ausstarb wie die Seekuh. Die Anwesenheit eines solchen Arztes beruhigt, seine Stimme senkt das Fieber, und seine Kunst enthält, oft ohne daß er selbst es ahnt, einen Tropfen uralter Zauberei. (Ljudmila Ulitzkaja: Sonetschka und andere Erzählungen, S. 156)

[Sicher ist sicher] "Seit 50 Jahren koche ich Knödel", sagt die Mutter, "und noch immer mache ich einen Probeknödel kochen ohne Probeknödel ist wie eine Scheune ohne Feuerversicherung." (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 210)

[Paradoxon] Meine Eltern sind gestorben. Jetzt muß ich keine Angst mehr haben, daß meine Eltern sterben. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 215)

[Schieflage] Tut dir leid?! Ihre Stimme klingt wie ein Griffel, der auf einer Schiefertafel ausrutscht. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 196)

[Bestimmung] Es ist zum Verrücktwerden, ich kann mich abhampeln, wie ich will, nichts reimt sich. Kanzler reimt sich nicht auf Arschloch, Umweltverschmutzung reimt sich nicht auf Ozonschicht, Waffenschmuggel nicht auf Profitsucht. Nach einer Stunde weiß ich, daß ich der geborene Prosautor bin. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 177)

[Voraussetzungen] Die Journalistin ist pünktlich und Brillenträgerin. Ich mag Frauen mit Brille. Heiraten könnte ich nur eine Frau, die Beethoven und Laurel und Hardy mag und eine Brille trägt. Das sind Grundvoraussetzungen. Über alles andere kann man reden. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 177)

[Essen] Ich kaufe ein vegetarisches Kochbuch. Während der folgenden Tage übe ich, probiere eine Reihe Rezepte aus. Das Zeug schmeckt ekelerregend, und ich weiß nie, ob mir meine Mahlzeiten ge- oder mißlungen sind. Ich gehe mit einer selbstgefertigten Sojabohnenfrikadelle in ein vegetarisches Restaurant und überreiche sie dem Küchenchef zur Prüfung. Der beißt rein, kaut und sagt mit vollem Mund: Nicht schlecht, ein bißchen viel Salz vielleicht. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 167)

[Geschwindigkeit] An der Decke dreht sich ein Ventilator, so langsam, daß die Fliegen darauf Karussell fahren können. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 145)

[Typen] Eine Frau wie Christel Moltke will sicherlich Kinder. Sie ist genau der Typ, der jede Nacht fünfmal fröhlich aufsteht, um Breichen zu kochen. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 167)

[Relationen] Wyoming ist nicht viel dichter besiedelt als der Mond. Jede Ansammlung von mehr als zwanzig Häusern wird als Stadt bezeichnet. und wenn öfter als zwei Mal pro Woche ein Auto durchfährt, tritt der Gemeinderat zusammen, um über rushhour und Verkehrsüberlastung zu diskutieren. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 126)

[Beschützen] Jasja gehörte zu den kleinen schutzlosen Frauen, denen man unbedingt einen Edelstein auf den Finger schieben und einen Mantel um die fröstelnden Schultern legen möchte. (Ljudmila Ulitzkaja: Sonetschka und andere Erzählungen, S. 121)

[Pflichten] Kopf an Fuß in der Wiege liegend, die Onkel Wassja, der Tischler aus ihrem Haus, gebaut hatte, von den ringbeschwerten Händen und geschwollenen Gelenken der Großmutter mit warmen Fläschen versorgt, taten sie rechtschaffen ihre Pflicht vor dem Leben: Sie nuckelten, räusperten sich, verdauten und schieden zufrieden ächzend die gelben, käsigen Überreste der schwer zu bescchaffenden Milch aus. (Ljudmila Ulitzkaja: Sonetschka und andere Erzählungen, S. 135)

[Begehrt] Seit Tanja Boriska den Laufpaß gegeben hatte, begann die reinste Hundehochzeit. Von Steroiden überquellende Jünglinge umschwirrten sie harnäckig und unentwegt. (Ljudmila Ulitzkaja: Sonetschka und andere Erzählungen, S. 87)

[Kleidung] Sonetschka konnte gar nicht schnell genug die Türen öffnen und wieder schließen für die Jünglinge in zoologischen Pullovern mit eckigen Hirschen oder in grauen Hemden und Militärjacken, der anachronistischen Schulkleidung der Endfünfziger, die sich ein uralter Volksbildungsminister in einem Anfall nostalgischer Geistesschwäche ausgedacht hatte. (Ljudmila Ulitzkaja: Sonetschka und andere Erzählungen, S. 83)

[Desinteresse] In Mathematik war ich schon immer eine Flasche gewesen, weil es mich nie interessierte, wieviel ein Zentner Kartoffeln kostet oder um welche Uhrzeit sich die beiden Radfahrer treffen. (Michael Schulte: Zitroneneis, S. 16)

[Empfindungen] "Ein Mädchen, es wird ein Mädchen", sagte die Mutter leise. "Töchter, die saugen immer die Schönheit aus der Mutter. (Ljudmila Ulitzkaja: Sonetschka und andere Erzählungen, S. 60)

[Immer unten] Einmal sagte Sonetschka träumerisch und mit einem leisen Anflug von Pathos, das ihr sonst nicht eigen war: "Wenn wir gesiegt haben und der Krieg zu Ende ist, dann werden wir glücklich leben". Ihr Mann unterbrach sie trocken und gallig: "Mach dir keine Illusionen. Wir leben wunderbar, und zwar jetzt. Und was den Sieg angeht... Wir beide werden immer die Verlierer sein, egal, welcher Menschenfresser gewinnt. (Ljudmila Ulitzkaja: Sonetschka und andere Erzählungen, S. 56)

[Lernen] Bei meinem Geographieleherer hätte ich von dem ewigen Suchen der Städte und Flüsse auf den Karten nur erblinden können. (Fedor M. Dostoevskij: Njetotschka Neswanowa)

[Mauerblümchen] Sie empfand gegenüber ihren erfolgreichen Altersgenossinnen weder zerstörerischen Neid noch kräftezehrende Gereiztheit und kehrte zu ihrer wilden Leidenschaft und berauschenden zurück - dem Lesen. (Ljudmila Ulitzkaja: Sonetschka und andere Erzählungen, S. 50)

[Sinnliche Liebe] Man spürte in ihr eine begierige Liebe zum Leben, zu Menschen, Tieren und Dingen. Er hatte gesehen, wie sie mit sinnlicher Lust den knorrigen Stamm eines der alten Olivenbäume auf der Terasse streichelte, und ebenso machte sie es mit den alten Weinpressen, deren Holz unter dem Lack rissig war und auf denen die Bar ruhte. (Georges Simenon: Sonntag)

[Boulevard] Sie hieß Nancy Moore und war nach ihrem Paß zweiunddreißig Jahre alt. Von Beruf war sie Journalistin. "Ich schreibe blöde Geschichten für blöde Magazine, in denen arme Frauen Beispiele suchen, wie man glücklich wird." (Georges Simenon: Sonntag)

[Mißtöne] Ich kann nicht verstehen, warum sie so furchtbar aufeinander herumhacken. Es ist, als seien die Horizonte enger geworden, sie haben keine Ideen mehr, nur Zank und Streit. Wie in einer kleinen Firma, die auf den Konkurs zusteuert. Alle rechnen mit der Entlassung, alle rennen herum, beschimpfen einander und versuchen, den Schuldigen zu finden. (Lars Gustafsson: Sigismund. Aus den Erinnerungen eines polnischen Barockfürsten, S. 63)

[Herbst] Es war die Zeit der leuchtenden Farben. Das Herbstlaub flatterte über den Rasen wie Schwärme kleiner Vögel. In der Luft lag der Geruch feuchter, bloßer Erde wie der Duft einer Frau, die nach dem Fest die Kleider vom nackten Körper gleiten läßt. (Guy de Maupassant: Meisternovellen. Bd. 3, S. 297)

[Porträtiert] Sie war ein guter Mensch. Aber ihr Gemüt war immer in Hochspannung. Wenn sie ins Schwärmen kam, kannte sie keine Grenzen. Ihr fehlte das Gleichmaß der Seele, wie allen Mädchen in den Fünfzigern. Sie schien eine säuerliche, alte Hungfer; aber sie hatte sixch ein gut Stück Jugend bewahrt, sie konnte sich noch begeistern. (Guy de Maupassant: Meisternovellen. Bd. 3, S. 195)

[Liebe] Liebe ist immer köstlich, ganz gleich, wer sie uns entgegenbringt. Ein Herz, das höher schlägt, wenn Sie kommen, ein Auge, das voller Tränen steht, wenn Sie wieder gehen, das sind so seltene, zarte, kostbare Dinge, daß man sie nie achtlos übersehen darf. (Guy de Maupassant: Meisternovellen. Bd. 3, S. 185)

[Nagend] Die Tuvaches aber waren arm geblieben. Das war der Grund eines Zornes, der nicht zu besänftigen war. (Guy de Maupassant: Meisternovellen. Bd. 3, S. 132)

[Natur] Der Herbst, ein prachtvoller Herbst, mischte sein Gold und sein Purpur in das letzte lebendige Grün des Laubes, als wären Tropfen flüssiger Sonne vom Himmel über den tiefen, dichten Wald herniedergefallen. (Guy de Maupassant: Meisternovellen 3, S. 158)

[Daseinsgrund] Frauen stellen sich beim Kommen oft Männer vor, also haben Männer auch eine Existenzberechtigung. (Nicholson Baker: Vox, S. 75)

[Schutzschild unten] Von Beckerath, zu einem unbewaffneten Enthusiasmus geneigt, hatte schweren Stand, besonders, da er der ältere war. (Thomas Mann: Wälsungenblut)

[Armut] Arm zu sein sah bei ihnen so leicht aus, daß ich beschloß, ihrem Beispiel zu folgen und eines Tages selbst arm zu werden, entweder als Professor für Englisch wie Bob oder als ernsthafter Schriftsteller, der so gut war, daß seine Bücher kein Geld einbrachten. (Philip Roth: Tatsachen. Autobiografie eines Schriftstellers, S. 73)

[Anzeichen] Das war noch so ein Zeichen der Altknackeritis: das Erfinden mäßig komischer Doktorarbeitstitel. (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen, S. 192)

[Gnade] Anfang der neunziger Jahre war er einmal in Zürich gewesen und dort in einen schmucklosen, wenig einladenden Zug nach München gestiegen. Der Grund für diese Schäbigkeit wurde bald ersichtlich: Die Endstation war Prag, und es handelte sich um altes kommunistisches Material, das gnädigerweise die untadelig kapitalistischen Gleise beflecken durfte. (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen, S. 192)

[Steigerung] Jung, in mittleren Jahren, älter, alt, tot; so steigerte man das Leben. (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen, S. 188)

[Prophylaxe] Vor ein paar Jahren hatte er seinen Schlachtplan gegen die Senilität verkündet: Jeden Tag das Kreuzworträtsel lösen und sich selbst als alten Knacker bezeichnen, wenn man merkt, daß man sich schon wie ein alter Knacker benimmt. Obwohl - hatten nicht allein schon diese Vorsichtsmaßnahmen etwas Seniles oder Präseniles an sich? (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen, S. 38)

[Beschreibungen] In Wirklichkeit war Mr. Rothwell nur fünf Jahre jünger als sie; doch Miss Moss - wie sie nach der Rückgabe von Denis wieder hieß - war rasch, beinahe willentlich gealtert. (...) Mit dreiundfüntig Jahren hatte sie die Fahrprüfung auf Anhieb geschafft, und sie steuerte ihren Wagen mit einer Präzision, die schon an Elan grenzte. (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen, S. 105/06)

[Sterben] Der Versuch zu sterben ist etwas anderes als ein Versuch, Selbstmord zu begehen - es ist vielleicht sogar schwerer, denn man versucht etwas zu tun, von dem man am wenigsten will, daß es eintritt; man fürchtet sich davor, doch es steht nun einmal an, und es muß getan werden, und von niemand anderem als einem selbst. (Philip Roth: Tatsachen. Autobiografie eines Schriftstellers, S. 26)

[Realitätssinn] Bertha Zahnstecker Roth war eine einfache Frau aus der alten Heimat, gutherzig und weder zu Melancholie noch zum Jammern neigend, wenn auch ihr alltäglicher Gesichtsausdruck deutlich machte, daß sie keinerlei Illusion darüber hatte, daß das Leben etwa leicht sei. (Philip Roth: Tatsachen. Autobiografie eines Schriftstellers, S. 20)

[Vorlieben] Befragt, welche sexuelle Stellung er am liebsten hat, antwortete mein Onkel, daß er gern auf dem Rücken liegt, die Frau aufrecht auf ihm sitzend. "Aha", sagte Benjamin Peret, "die sogenannte 'faule Position'". (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen, S. 53)

[Fantasie] Als ich meinem Onkel einmal die Widersprüchlichkeit seiner Erinnerungen vorhielt, lächelte er zufrieden vor sich hin. "Phantastische Einrichtung, das Unterbewußtsein, nicht wahr?" gab er zurück. "So einfallsreich." (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen, S. 49)

[Beschäftigungen] Am wenigsten gefielen mir die in diesen Schlafröcken sich mitunter vorfindenden Läuse von ganz besonderer Größe und Wohlgenährtheit. Die Arrestanten knackten sie mit schadenfrohem Hochgenuß, und wenn unter dem harten, plumpen Nagel des Arrestantenfingers eins dieser gefangenen Tiere mit einem Knall sein Leben aufgab, so ließ sich sogar am Gesichtsausdruck des Jägers die ganze Größe der von ihm empfundenen Genugtuung ermessen. (Fedor M. Dostoevskij: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, S. 256)

[Selbsteinschätzung] War die Arbeit beendet, so räumte er sorgfältig alles auf, breitete seine kleine Matraze aus, betete zu Gott und legte sich artig auf sein Bett. Wohlanständigkeit und Ordnung trieb er, wie man sah, bis zur kleinsten Pedanterie. Ersichtlich hielt er sich für einen ungewöhnlich klugen Menschen, wie das ja schließlich alle stumpfen und beschränkten Leute tun. (Fedor M. Dostoevskij: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, S. 95)

[Unterschied] Der Magister nimmt einen Anlauf, offen zu sein: Was soll es schaden, Euer Gnaden, wenn unsereins dem schönen Traum christlicher Brüderlichkeit anhängt? Nichts schadet es, sagte der Bischof, solange Ihr Eure Träume für Euch behaltet. Alles, wenn Ihr sie zu Papier bringt und das Volk das Lesen lehrt! (Christa Wolf: Till Eulenspiegel, in: Erzählungen 1960-1980, S. 165)

[Mißtrauisch] Ich bin ja sehr religiös, eine Zeugin Jehovas, aber den Fluggesellschaften, deren Piloten an ein Weiterleben nach dem Tod glauben, habe ich nie vertraut. (Muriel Spark: Töte mich! S. 88)

[Blicke] Es ist ein ähnlich verkniffener Blick, wie man ihn von Männern kennt, die einen am Tresen danach abschätzen, ob man für ihre schmutzigen Witze infrage kommt, die es unwiderstehlich reizt, ihre Stinkspur um sich zu ziehen und einen damit ins Bündnis zu locken. (Botho Strauß: Rumor, S. 172)

[Pioniere der Bewegung] Das Fahrrad ist eines jener Werkzeuge, vermöge deren der Mensch sowohl sich selbst der Erde als auch die Erde sich schneller und leichter anpaßt. Er kann von Stund an auf größerem Fuße leben. Zugleich ist die Maschine eine Waffe, mit deren Hilfe der Mensch die Schranken, die in der Distanz liegen, niederreißt und somit ihr Herr wird. (Uwe Timm: Der Mann auf dem Hochrad, S. 110)

[Profi vs. Laie] Der Oberarzt erläutert Bekker anhand von Röntgenfotos, welchen Befund er sich am untersten Segment von Grits Rückenmark vorzustellen habe. Offenbar ist er stolz auf seinen eigenwilligen Redestil, den er sich für Gespräche mit Laien zugelegt hat, ein unerträgliches Gemisch aus humorigen, schnoddrigen Wendungen und leichenkalter Fachsprache, die er dann umgehend verdolmetscht. (Botho Strauß: Rumor, S. 170)

[Ohrenpracht] Das Ohr wird unentwegt freigelegt und da es schön ist und zart angewachsen, mag die Geste wohl beides bedeuten: ein wenig Entblößung, Verlockung, wie auch ängstliche Obacht, jetzt nur ja richtig zu verstehen, unbehindert von der Haargardine, nur ja nicht danebenhören. (Botho Strauß: Rumor, S. 162)

[Verstecke] Wir kamen in das verwinkelte Haus von Onkel Schröder, in dem ich mich anfangs immer wieder verlief und nur durch mein kräftiges Schreien wiedergefunden wurde. Später, nach einigen Wochen Eingewöhnung, bot es Verstecke, die den Erwachsenen unzugänglich waren, wie jene Nische unter der Holztreppe, die ich nur kriechend durch einen engen, muffig riechenden Gang erreichen konnte, Dann saß ich unter der Treppe und hörte das dumpfe Treppauf-treppab-Tappen der rufenden und suchenden Erwachsenen. (Uwe Timm: Der Mann auf dem Hochrad, S. 19)

[Funktionen] Die Kissenbezüge rochen nach Lavendel, der nicht nur Brust- und Leberleiden heilen hilft, Silberfische und Motten vertreibt, sondern auch, zumal bei zunehmendem Mond, wankelmütige Liebhaber wieder anzieht. (Uwe Timm: Der Mann auf dem Hochrad, S. 65)

[Kraftverlust] ... Seitenstechen nach erschöpfendem Lebenslauf. (Botho Strauß: Rumor, S. 135)

[Beobachtungen] Ich seh seit Jahr und Tag keine Menschen mehr, die gerade blicken können. Ich seh sie alle nur ihr Essen in sich gabeln und wie sie ihr Gehirn verziehen und Witze überlegen, geschulte Bemerkungen über nie gesehene Dinge. (Botho Strauß: Rumor, S. 95)

[Auf der Suche] Bin Patriot, weiß aber nicht, an wen soll ich mich wenden. Aber wo ist zu meiner Treue der Herr? (Botho Strauß: Rumor, S. 78)

[Zuhören] Zuhören ist eine schöne Unterwerfung und die einzig würdige. Doch die wenigsten wissen das. man kann ja heute erzählen was man will, man kann sein Innerstes preisgeben, es wird nur dazu führen, daß neben dir ein anderer beständig mit dem Kopf nickt, immer unruhiger dich und vor allem sich selbst bestätigt, kaum mehr deiner Worte achtet und nur darauf brennt, dir einzuwenden, daß er dasselbe, aber haargenau dasselbe auch schon erlebt habe... (Botho Strauß: Rumor, S. 49)

[Zäh und hingewürfelt] So wie die Leute reden, in diesem endlosen Einerlei, genauso empfinden sie auch, keinen Deut darüber hinaus. In einem zähen Strudel der Wiederholungen dreht sich das ganze Seelenleben und mehr als nur eine Handvoll tiefere Regungen haben wir nicht. Denn wir sind rundum bloß mit Einem Würfelwurf hingewürfelt... (Botho Strauß: Rumor, S. 45)

[Hier wie dort] "Wie willst du bloß das lange, lange Leben rumbekommen, wenn du dich so sehr quälst?!" ... Ah, jawohl, Suizid! Das ist ihre ganze Apotheke, den Freitod doch zumindest einmal in Erwägung ziehen, wie? "Aber", ruft sie flehentlich, als ich nun aufs bitterste zufrieden lache, "aber wie denn, wie denn?" ... Im Mutterleib ist es ebenso naßkalt wie überall sonst in der Unterwelt. (Botho Strauß: Rumor, S. 41)

[Vergessen] Statt Geschichte und Entziffern der Kulturen lernen sie vernünftig fernzusehen. Die Schule! Hand in Hand mit den täglichen Löscharbeiten des Fernsehens, dieser dicke weiße Löschkalk, der in den Kindern jeden Brand von Gier und Ach erstickt. Ich sage dir: ein, zwei Generationen noch, und es werden vollkommen erinnerungsfreie Menschen durch irh Schicksal schweben. Die werden einfach alles vergessen haben. Nach uns werden sie alles vergessen. (Botho Strauß: Rumor, S. 39)

[Lapidar] Sie mache gerade eine Trennung durch, es sei entsetzlich. Das sagt sie so vorneweg, wie andere Leute wissen lassen, daß sie sich vor kurzem das Rauchen abgewöhnt oder eine Diätkur begonnen haben. (Botho Strauß: Rumor, S. 17)

[Gestalten] Sie war fünfzehn und hatte bereits den Ansatz des Busens, der später so viele überwältigen sollte. (John Irving: Eine Mittelgewichts-Ehe, S. 70)

[Maßlos] Sein unverbesserlicher Hang zur Maßlosigkeit zeigte sich auch in der Frage der Liebe, denn maßlos zu lieben ist nichts anderes, als ungewöhnlich tief, stillschweigend und unerwidert zu lieben. Er übertrieb bei allem. (Enrique Vila-Matas: Vorbildliche Selbstmorde, S. 167)

[Mutig] Stets an der Schwelle des Todes, war sie stets in letzter Minute vom Abgrund zurückgetreten. Drei Gelegenheiten, sich umzubringen, hatte sie heute morgen schon verpaßt, drei klare, runde Gelegenheiten. Deshalb fühlte sie sich so sicher, und ihr Selbstvertrauen in diesem Augenblick war so groß, daß sie es wagte, den Unbekannten mit der Kapuze zu einem Spaziergang durch das Viertel einzuladen. (Enrique Vila-Matas: Vorbildliche Selbstmorde, S. 54)

[Fallenlassen] "Mach, was du willst", sagte er drohend und verabschiedete sich mit einer Miene, die mir zeigen sollte, daß er sich von meiner Karriere ein für allemal losgesagt hatte. (Enrique Vila-Matas: Vorbildliche Selbstmorde, S. 32)

[Erfolge] Es vergingen ein paar Jahre, und dann hatte ich Erfolg beim Film. Eine Nebenrolle (allerdings eine sehr dankbare) in "Der Kaffernkoffer" machte mich über Nacht zum Star. Die halbe Menschheit bewunderte meine Art, einen Zahnstocher zwischen den Zähnen hin und her zu schieben. (Enrique Vila-Matas: Vorbildliche Selbstmorde, S. 27)

[Beleidigung] "Wenn es je eine fettbäuchige, kleine menschliche Laus gegeben hat, der man die Eingeweide rausreißen sollte und auf deren Überresten starke Männer in genagelten Stiefeln rumtrampeln müßten, so sind Sie es, Mr. Pott." (Pelham G. Wodehouse: Schloß Blandings im Sturm der Gefühle, S. 164)

[Wirkungen] Das Ovensche Hausgebraute ist eine flüssige Freundin, die immer wieder auf die positive Seite der Dinge hinweist und den Silberstreif am Horizont aufzeigt. (Pelham G. Wodehouse: Schloß Blandings im Sturm der Gefühle, S. 159)

[Prioritäten] Wenn Mr. Pott an einen fremden Ort kam, sicherte er wie ein umsichtiger Forscher in der Wildnis zunächst einmal den Getränkenachschub, dann erst wandte er sich anderen Dingen zu. (P.G. Wodehouse: Schloß Blandings im Sturm der Gefühle, S. 152)

[Karten und Frauen] "Wenn ich zuhause bin, habe ich keine Gelegenheit zu einem kleinen Kartenspiel. Meine Frau ist dagegen." "Manche Frauen sind so." "Alle Frauen sind so. Man beginnt sein Leben als begeisterter Kämpfer, bereit, mit jedem um jeden Einsatz zu spielen, dann trifft man ein Mädchen, man verliebt sich, und wenn man aus der Narkose aufwacht, stellt man nicht nur fest, daß man verheiratet ist, sondern auch, daß man sich zu einem lebenslangen Bridge um drei Pence verpflichtet hat." (Pelham G. Wodehouse: Schloß Blandings im Sturm der Gefühle, S. 150)

[Charaktere] Dies hier war ein behagliches Mädchen. Ein Mädchen, dem man seine Sorgen anvertrauen konnte. Man konnte seinen Kopf in ihren Schoß legen und sie bitten ihn zu streicheln. (Pelham G. Wodehouse: Schloß Blandings im Sturm der Gefühle, S. 64)

[Wetterwendisch] Ein trüber Anblick bot sich ihm. Wie jeder englische Frühling schien auch der, der soeben in London eingekehrt war, in sturer Verbissenheit unfähig zu der Entscheidung zu sein, ob er nun von der ätherischen Milde sein sollte, die die Dichter besingen, oder für die Skifahrer passend, die der Winter übriggelassen hatte. Vor einem Moment hatte die Sonne noch mit außerordentlicher Kraft gestrahlt, jetzt aber wütete eine Art jugendfrischer Schneesturm. (Pelham Grenville Wodehouse: Schloß Blandings im Sturm der Gefühle, S. 6)

[Tanzen] "Übrigens, das wollte ich dich fragen. Wieso kommst du plötzlich auf die Idee, Tanzstunden zu nehmen?" "Valerie hat darauf bestanden. Sie hat gesagt, ich tanze wie ein seekrankes Dromedar." (Pelham G. Wodehouse: Schloß Blandings im Sturm der Gefühle, S. 9)

[Richtige Partys] Obwohl die Wesensergründung von Partys erst in ihren Anfängen steckt, besteht nirgends ein Zweifel darüber, daß die Party ein Individuum ist, und zwar ein recht verschrobenes Individuum. Auch darüber sind die Gelehrten sich einig, daß kein Party planmäßig verläuft, mit Ausnahme natürlich jener traurigen Veranstaltungen berufsmäßiger Einladungsbestien, doch sind dies eigentlich keine Partys, sondern vielmehr Vorgänge, Akte, in keiner Hinsicht spontaner als der Verdauungstrakt und nicht interessanter als dessen Produkt. (John Steinbeck: Die Straße der Ölsardinen, S. 139)

[Gestaltwechsel] In späteren Jahren einmal (...) betrachtet er verstohlen sein Kind in einem empfindlichen Alter , in dem jede weitere Stunde, beinahe jeder Augenblick die Waagschale zum Fraulichen hin zu beschweren scheint. (Botho Strauß: Rumor, S. 99)

[Rache stinkt] Damals entdeckte Doc ein Verfahren, mittels dessen sich jedermann, falls er Bedarf danach hätte, an einer Bank rächen könnte. Er brauchte nur, riet Doc, einen Safe zu mieten, einen ungeräucherten Salm darin zu deponieren und dann für sechs Monate zu verreisen. (John Steinbeck: Die Straße der Ölsardinen, S. 24)

[Behutsam] Warum liefen seine Gedanken so biegsam geschmeidig wie eine Katze, die sich zwischen einer Kaktusanlage durchwindet? (John Steinbeck: Die Straße der Ölsardinen, S. 13)

[Angeknackst] Im Grunde fand sie es spannend, diese Schatten auf ihrer angeschlagenen Lebenskraft zu sehen, die zwar unheimlich, gleichzeitig jedoch gefährlich verlockend waren." (Enrique Vila-Matas: Vorbildliche Selbstmorde, S. 51)

[Geduld] Es gibt Seegetier von so heikler Beschaffenheit, daß es einem unter den Händen zerbricht oder zerrinnt, wenn man es fangen will. Man muß ihm Zeit lassen, bis es von selbst auf eine Klinge kriecht, die man ihm hinschiebt, und es dann behutsam aufheben und in einen Behälter mit Meerwasser gleiten lassen. Auf ähnliche Art muß ich wohl dieses Buch schreiben: die Blätter hinlegen und es den Geschichten überlassen, darüber hinzukriechen. (John Steinbeck: Die Straße der Ölsardinen, S. 8)

[Vorbeugend] Ist es nicht die Turteltaube, dieses tieftraurige Tier, das das klare, helle Quellewasser erst trübt, ehe es daraus trinkt? (...) Und so mache ich es auch. Ich bekam die nicht, die ich im Leben haben wollte; doch ich bin trotzdem durchaus nicht so arm an Freunden. Aber ich trübe sie mir erst. Beständig trübe ich sie erst. Da kann die Enttäuschung hinterher nicht Übermacht über mich bekommen. (Knut Hamsun: Victoria. Die Geschichte einer Liebe, S. 82)

[Umgezogen] ... Umzug, der ärmlich genug war, kleines Gütertaxi, und auch das kaum genutzt, und die Hälfte nur Bücherkisten anstelle von Möbeln wie bei anständigen Leuten. (Günter de Bruyn: Buridans Esel, S. 354)

[Fehler] Seitdem sie mit ihm zusammenwohnte, war ihr bekannt, daß sein größter Fehler war, so viele kleine zu haben, und ihrer, nie herausfinden zu können, welcher gerdae an der Reihe war. (Günter de Bruyn: Buridans Esel, S. 298)

[Unabdingbar] Ich aber habe in Broderschen Bereichen immer Angst, mir das Gemüt zu erkälten. Und so geht es - von Ausnahmen abgesehen - anderen auch. Vielleicht kann man Herzlichkeit nennen, was ihr fehlt, und die gehört wohl zum guten Bibliothekar wie der Weihrauch zum Hochamt. (Günter de Bruyn: Buridans Esel, S. 10)

[Früchte] Mir wurde in meiner Jugend so viel nachgesehen, daß ich niemals angehalten wurde, irgend etwas zu lernen, und mir fehlen infolgedessen jene Fähigkeiten, die zur Vollendung einer schönen Frau unabdingbar sind. Nicht, daß ich der derzeit herrschenden Mode von einer vollkommenen Beherrschung aller Sprachen, Künste und Wissenschaften das Wort redete; das ist nur Zeitverschwendung; Expertin in Französisch, Deutsch, Musik, Gesang, Zeichen etc. zu sein wird einer Frau einigen Beifall einbringen, doch keinen weiteren Liebhaber. (Jane Austen: Lady Susan, S. 20)

[Eine Gabe] Sie ist geschickt und gefällig, hat all jene Weltbildung, die das Gespräch mühelos macht, sie spricht sehr verständig und mit einer Sprachgewandtheit, die, wie ich glaube, gar zu oft eingesetzt wird, um aus Schwarz Weiß zu machen. (Jane Austen: Lady Susan, S. 19)

[Dazwischen] Ich bin ihr verfallen, und du weißt es, wie ich leide, wie ich mich an der Grenze bewege, manchmal mit der Pistole spiele, denn eine Kugel genügt, diesem Elend, das ich für Glück halte, ein Ende zu bereiten, aber dann ziehe ich doch, unvernünftig und nicht verrückt, den roten Ungarn vor, den Rausch und diesen Rest von Hoffnung, Julia zu gewinnen, ihre Liebe zu wecken. (Peter Härtling: Hoffmann oder Die vielfältige Liebe, S. 187)

[Liebe] Liebe, du sprechender Hund, wird so gut wie nie verstanden. Die einen rammeln, die anderen prügeln, sie haben keine Ahnung, wie die Liebe den Verstand erleuchten und die Seele erweitern kann. Es gibt einen Horizont, mein teurer Berganza, an dem Himmel und Hölle sich berühren. Da bricht die Erde auf, und der Himmel läuft aus. (Peter Härtling: Hoffmann oder Die vielfältige Liebe, S. 32)

[Gestimmt] Er kostete die Einsamkeit wie eine Krankheit aus. (Peter Härtling: Hoffmann oder Die vielfältige Liebe, S. 45)

[Dementi] Sie irren, mein Herr, wenn Sie mich einer derart platten Neigung für junge und schöne Damen verdächtigen, anfällig für ihre Reize, womöglich ein Wadenstreichler, ein Anbeter von langen und schlanken Hälschen, Sie irren sich, Monsieur, und ich bedaure Sie, schäme mich für Ihre allzu direkten Gedanken. (Peter Härtling: Hoffmann oder Die vielfältige Liebe, S. 32f.)

[Gespräch] Stattdessen telefonierte sie mit Abdul Fedayan, von dem sie wußte, daß er es stolz in der Cafeteria herumerzählen würde, und führte mit ihm ein perfektes kleines Gespräch über nichts. (Sibylle Mulot: Das ganze Glück, S. 35)

[Von der Kunst] Der Marques hielt sich bei der Aufzählung anderer erstaunlicher Lügen seiner Tochter auf, nicht mißbilligend, sondern mit einem gewissen väterlichen Stolz. "Vielleicht wird sie Dichterin", sagte er. Abrenuncio mochte nicht anerkennen, daß die Lüge eine Eigenschaft der Kunst sei. "Je transparenter das Geschriebene, um so deutlicher die Poesie", sagte er. (Gabriel Garcia Marquez: Von Liebe und anderen Dämonen, S. 15)

[Sensitiv] Liebende Frauen besaßen einen sechsten Sinn. Wie das schweifende Wild gegen seine Feinde, so waren auch sie mit einer sicheren Witterung ausgerüstet. (Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift, S. 112)

[Saturiert] Immer, wenn Leonidas mit Bewußtsein zufrieden war, lächelte er mokant und begeistert. Wie so viele gesunde, wohlgestaltete, ja schöne Männer, die es im Leben zu einer hohen Stellung gebracht haben, neigte er dazu, sich in den ersten Morgenstunden ausnehmend zufrieden zu fühlen und dem gewundenen Lauf der Welt rückhaltlos zuzustimmen. (Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift, S. 11)

[Spielen] Vermutlich hatten sie beide gespielt, weil das Spiel die höchste Form der Zuneigung war. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 216)

[Musik] Er hörte eine Bach-Motette, die er sofort sehr laut stellte. Warum saß er niemals frisch gebadet und ordentlich gekleidet in enem Orgelkonzert? Ein singender Chor machte alle Menschen vorübergehend dem Unglück abspenstig und hob sie ein Stück empor. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 213)

[Gewohnheiten] Wohnungseinbrüche waren heute so verbreitet wie vor zwanzig Jahren das Klauen von Blumen in der Nacht vor dem Muttertag. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 207)

[Generalisiert] Die zahllosen Eizelverdächtigungen, die er im Laufe seines Lebens gegen dies und jenes gehegt hatte, schlossen sich zu einem Totelargwohn zusammen, der in Zukunft ohne Anlaß funktionierte. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 205)

[Zu brav] Wenigstens einmal in der Woche muß ich spät ins Bett gehen, sagte Marga, damit ich das Gefühl habe, daß in meinem Leben über die Stränge geschlagen wird. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 200)

[Schokolade] Als Kind habe ich mir abgewöhnt, mir Schokolade zu wünschen, sagte sie, weil ich sie immer habe teilen müssen. Und zur Schokolade gehört das Gefühl der Unteilbarkeit, oder nicht? Wenn man von Schokolade etwas hergeben muß, ist sie nichts mehr wert. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 138)

[Theorem] Aus Abscheu und Unlust erfand Peschek eine kleine Unterschicht-Farbentheorie. Je armseliger der Geist, desto farbiger das Zimmer. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 90)

[Resümee] Im Bad, beim Zähneputzen, prüfte ich mein Gesicht, wie man sein gesamtes Leben vor dem Zubettgehen noch einmal prüft und selten zu eindeutigen Ergebnissen kommt. (Helmut Krausser: Schmerznovelle, S. 44)

[Methoden] Er lobte dessen Effizienz. Jetzt, endlich, habe man auch hier einen Computer angeschafft. Nun könne man den Terrorismus gezielt bekämpfen. Denn die bisherige Methode der Rasterliquidierung sei durch den peinlichen Stumpfsinn einiger Militärs belastet. Da verschwindet doch jeder, der lange Haare, einen Bart und eine Brille hat, unter dreißig ist, Jeans trägt und ein Buch liest. (Uwe Timm: Der Schlangenbaum, S. 232)

[Irresein] Das ist wirklich etwas, das ich nicht ertrage -, wenn Menschen sich selbst als irre bezeichnen. Die wirklich Irren werden mit diesem Etikett versehen, weil sie nichts Falsches an ihrem Benehmen sehen. Sie machen ihren Weg, sie legen Feuer in öffentlichen Gebäuden und entleeren ihren Darm in Bratpfannen, ohne im mindesten den Eindruck zu gewinnen, sie können sich nicht im Einklang mit der übrigen menschlichen Gesellschaft befinden. (David Sedaris: Fuselfieber, S. 315)

[Zögerlich] Als Schriftstellerin ist sie zaghaft und verläßt sich auf Grammatik, damit sie die nächste Seite übersteht. (David Sedaris: Fuselfieber, S. 91)

[Insider] Um meinem Pastor einen Gefallen zu tun, hat mir Carlton Manning Arbeit an seiner Tankstelle gegeben, obwohl ich nicht Auto fahren kann. Sie könnten sagen, das wäre, als beugte sich ein kahler Friseur oder ein zahnloser Zahnarzt mit guten Ratschlägen über einen. Sie könnten sagen: "Was weiß der denn schon?" Ich möchte wetten, daß er mehr weiß, als Sie denken. Ich wette, daß er den Zähnen, die für Sie das Selbstverständlichste von der Welt sind, große Hochachtung und Bewunderung entgegenbringt. Hören Sie auf ihn. Der Mann verfügt über Insider-Informationen. (David Sedaris: Fuselfieber, S. 37)

[Überzeugungen] Der Ärger mit agressiven Nichtrauchern ist, daß sie meinen, sie täten einem einen Gefallen, wenn sie einem das Rauchen verbieten. Sie scheinen zu glauben, daß man eines Tages zurückblicken und ihnen für jene kostbaren fünfzehn Sekunden danken wir, um die sie unsere Leben gerade verlängert haben. Sie verstehen nicht, daß es nur weitere fünfzehn Sekunden sind, die man damit verbringen kann, sie inbrünstig zu hassen und auf Rache zu sinnen. (David Sedaris: Fuselfieber, S. 33)

[Hunde] Der sonst so grimmige Boxer sah ihn an, als gehöre er zum Hause, und schmuste nur deswegen nicht, weil das Verlangen nach Liebkosungen, wie es den Hunden französischer Rasse eigen ist, Vertretern der angelsächsischen Hunderasse abgeht. (Nikolaj S. Leskov: Am Ende der Welt, S. 9)

[Misogyn] Die neuere Literatur konnte er nicht ausstehen, er las nur das Evangelium und die alten Klassiker; von Frauen mochte er nicht einmal reden hören, er hielt sie alle in Bausch und Bogen für dumme Gänse und bedauerte ernstlich, daß seine alte Mutter eine Frau war und nicht irgendein geschlechtsloses Wesen. (Nikolaj S. Leskov: Am Ende der Welt, S. 6)

[Alpdrücken] ...daß ich Augenblicke im Leben gekannt habe, wo ich mir vorgekommen bin wie der schweißtreibende Traum eines Unholds. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 585)

[Versuchungen] Wenn so ein nacktes Weib einem Säulensteher, der nach der letzten Heuschrecke eben eingenickt war, im Traum erschien, dann brauchen wir keinen religionshistorischen Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß 99% der Heiligen im verdrängten Wollustrausch von der Säule gepurzelt sind. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 292)

[Entthront] Es macht das Wesen der Aristokraten aus, daß der Pöbel ihn nicht anficht, hat dieser ihn auch längst aus dem Sattel gehoben. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 237)

[Verdächtigungen] Sie irren, mein Herr, wenn Sie mich einer derart platten Neigung für junge und schöne Damen verdächtigen, anfällig für ihre Reize, womögliche ein Wadenstreichler, ein Anbeter von langen und schlanken Hälschen, Sie irren sich, Monsieur, und ich bedaure Sie, schäme mich für Ihre allzu direkten Gedanken. (Peter Härtling: Hoffmann oder Die vielfältige Liebe, S. 32)

[Selbstlosigkeit] Doch Ines war die Liebe selbst, die Güte selbst, die Aufmerksamkeit selbst, und das alles nicht einmal, weil sie Häßlichkeit selbst war. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 141)

[Haare] Wenn Haare auf Kunst reagieren würden, ständen sie einem doch häufig zu Berge in solchen Hallen. Aber Haare sind ungebildet und selbst gefühlsroh und obendrein pietätlos, sonst würden sie nicht nach dem Tode ihrer Mutterböden auf eigene Faust noch ein wenig weiterwachsen. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 138)

[Unsichtbare Bande] Es ist wahr, die meisten Männer werden durch goldene Ketten und seidene Fäden geleitet; allein es ist auch wahr, daß ihnen nur durch meine (Dummheit) Veranstaltung Fesseln unsichtbar bleiben, welche zu zerreißen sie mächtig genug wären. (Jean Paul: Lob der Dummheit)

[Dissertation] 'Dissertationen'? -: Junge=Leute=Arbeiten; zu 9.999 pro Myriade unreifes Zeug! Auch so'ne Sorte Inflation; nur gut zum zusätzlichen Beweis, daß die Welt eine äußerst schiefe Richtung angenommen habe. (Arno Schmidt: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 76)

[Sichtweisen] Und da hab'ich gerade vor ein paar Tagen bei Turgenjeff gelesen: 'Die Urteile von Ausländern sind wertvoll: sie sind nicht patriotisch beeinflußt'. - Denk an die Nazi= Zeit! Chauvinistisch von innen gesehen?: ein strahlendes HerrenVolk; führend in Kultur & überhaupt allem! - Von außen betrachtet?: eine Horde Irrsinniger FolterKnechte; auf einem förmlichen Wettrennen in finsterste Barbarei begriffen! (Arno Schmidt: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 73)

[Frauen] Den Frauen in der Mehrzahl war er gewachsen, an einer einzigen ging er immer vor die Hunde. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 41)

[Ablenkung] An der Fußgängerunterführung Mainzer Straße betrachtete er die Ohren einer alten Frau, weil er sich von diesem Anblick Linderung versprach. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 32)

[Foppereien] Ist denn so was möglich? Also wenn ich etwas hassen könnte, dann wären das derlei TextFoppereien! Daß die Realität, um uns herum, wackelt?: schlimm genug. Aber daß nun auch noch die Herren TraumBildner sich da zu variieren=vexieren herausnehmen dürfen! Neulich hab ich doch tatsächlich ein Theaterstück mit 2 Schlüssen gesehen: 'such Dir einen aus'! Das find'ich hahnebüchen: diese ElfenbeinthurmSitzer sollen gefälligst nich ihre Faulheit an uns auslassen. (Arno Schmidt: Siebzehn sind zuviel! Funk- Essays 3, S. 71f.)

[Fähigkeiten] Was seine geschichtsschreiberische Profundität angeht, vielleicht das Urteil Dumbacher's: daß, von allen historischen Romanciers, Bulwer das Problem gelöst habe, 'mit ebensoviel Erudition wie schöpferischer Fantasie, dem Leser den größtmöglichen Betrag an Spannung und dramatischen Effekten zu liefern, und zwar mit den geringstmöglichen Unkosten an Abweichungen von der historischen Wahrheit'.

[Auftragssuche] Wenn die entscheidenden Leute ihre Jobs wechselten, waren zuarbeitende freelancer wie er plötzlich ohne Beschäftigung. Es war allerhöchste Zeit, in ein paar neuen Läden ein paar Arbeitsproben vorzulegen. Allerdings war Peschek nicht mehr vierundzwanzig, und deswegen konnte er nicht mehr mit ein paar geschmeidig- powervollen Gesten in den Vorzimmern erscheinen und wie ein achtungsgebietendes Neutalent seine Mappe öffnen. Sondern er war vierundreißig, ein in der Werbung schon bedrohlich alter Mann, der, sofern er sich als jung und neuartig anpries, der Lächerlichkeit näher war als einem neuen Auftrag. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 23)

[Auf der Post] Die Schalterhalle war so leer, als sei auch die Post eben erst ausgeraubt worden. Natürlich sah es wieder nur so aus. Wie breite Gemütsriesen saßen die Postbeamten hinter den Schalterscheiben und sahen in den fast leeren Raum. Eine ältere Frau trug ein sorgfältig gepacktes Paket vor sich her. Das Paket wirkte so fein, als sei es nicht gepackt, sondern eingekleidet worden. (Wilhelm Genazino: Fremde Kämpfe, S. 8f.)

[Leidensfähigkeit] "Wenn ich nicht mit Clyde geschlafen hätte, wäre er nicht so durchgedreht, ich bin ganz sicher. Er hat mich so geliebt, Jane. Er hat meinen Fuß in beide Hände genommen und mich zwischen den Zehen geküßt." "Natürlich, so gehört sich das auch. Sie sind der letzte Dreck, mach dir das endlich mal klar. Männer sind Dreckskerle, aber am Ende sind wir ihnen über, weil wir besser leiden können. Eine Frau kann jeden Mann jederzeit an die Wand leiden." (John Updike: Die Hexen von Eastwick, S. 187)

[Die wenig Beachteten] Haben Sie noch nie eine eigenartige Beunruhigung bezüglich des Sessels in Ihrem Wohnzimmer, auf den sich nie einer setzt, empfunden? Und nicht schon manchmal ein ärmelzupfendes Mitleid und Schuldgefühl gegenüber einem Kleidungsstück, das Sie nicht mögen und daher nur selten tragen? haben Sie sich nicht wenigstens einmal still und leise in dem häßlichen Hemd auf den keum benutzten Sessel gesetzt, um diese Ungerechtigkeit auszugleichen? (Nicholson Baker: U und I. Wie groß sind die Gedanken? S. 235)

[Bewußtsein] Ich erklärte dem Verkäufer, daß die Menschen den Fehler machten, alles zu verdrängen, die Zeiten zu überbrücken und so weiter, statt alles bewußt zu erleben und zu genießen. Wer das eher Unlustige wirklich unlustig absolviert und bloß hinter sich bringt und dabei nicht auch lebt und erlebt, der wirft sein halbes Leben weg, so wie wir das halbe Leben bereits verschlafen. (Alois Brandstetter: So wahr ich Feuerbach heiße, S. 147)

[Vergleich II] Die Wurst verhält sich zum Fleisch wie die Preßspanplatte zur Eiche. (Alois Brandstetter: So wahr ich Feuerbach heiße, S. 88)

[Verblassend] Indem ich dies niederschreibe - allerdings mit der üblichen Enttäuschung angesichts der Blässe, die ein vormals drängender Gedanke letztlich auf dem Papier annimmt... (Nicholson Baker: U & I. Wie groß sind die Gedanken? S. 72)

[Vergleich I] "Es ist wirklich merkwürdig", sagte Marja Nikolajewna auf einmal. "Da erzählt einem jemand, und das ganz seelenruhig: Ich beabsichtige zu heiraten. Aber niemand erklärt einem seelenruhig: Ich beabsichtige, mich ins Wasser zu stürzen. Doch wo liegt da der Unterschied? Merkwürdig. Wirklich." (Iwan Turgenjew: Frühlingsfluten. Erzählungen, S. 137)

[Erste Liebe] Die erste Liebe ist wie eine Revolution: Die bisherige geregelte, einförmige Lebensordnung wird mit einem Schlag zertrümmert und zerstört, die Jugend steht auf den Barrikaden, hoch flattert ihr leuchtendes Banner, und was immer dort vorne auf sie wartet - Tod oder neues Leben -, allem sendet sie ihren begeisterten Gruß. (Iwan Turgenjew: Frühlingsfluten. Erzählungen, S. 88)

[Klug faul sein] "Bleiben Sie ruhig noch. Sie stören mich nicht im geringsten", erwiderte ohne Zögern Sanin, der, wie alle echten Russen, mit Freuden jeden sich bietenden Vorwand ergriff, um sich der Notwendigkeit, etwas tun zu müssen, zu entziehen. (Iwan Turgenjew: Frühlingsfluten. Erzählungen, S. 25)

[Augenblicke] Es gibt Augenblicke, da bist du, wo du sein mußt, Augenblicke, in denen es keinerlei Unterschied mehr zwischen dir und der Welt gibt, zwischen dir und den Dingen, die sich alle in geduldige, liebreizende Schutzengel verwandelt haben, und dann gerätst du ins Sinnieren, Vergessen, Seufzen. (Margriet de Moor: Die Verabredung, S. 117)

[Gedenken] Auf dem Fernsehapparat stand das Bild des vor über zwei Jahren verstorbenen Bruders, mit dem ihre Mutter noch immer rechnete, wenn sie Fleisch aus der Tiefkühltruhe auftaute. (Margriet de Moor: Die Verabredung, S. 117)

[Zusammenhänge] (Wenn Sie meinen, daß dieser Brief Zeichen von Zusammenhanglosigkeit erkennen läßt, dann denken Sie an Valerys Monsieur Teste: "Die Zusammenhanglosigkeit einer Rede hängt vom Zuhörer ab. Der Geist scheint mir so beschaffen, daß er in sich nicht unzusammenhängend sein kann.") (Mario Vargas Llosa: Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto, S. 308)

[Herdenwesen] Ich bin mit Cyril Conolly überzeugt, daß "Fettleibigkeit eines Geisteskrankheit ist", welcher Umstand mich veranlaßte, mich in einem Fitneß-Klub einzuschreiben, wo ein hirnloser Tarzan uns fünfzehn Idioten jeden Tag eine Stunde im Takte seiner Brüllaute bei der Durchführung affenartiger Kontraktionen schwitzen ließ, die er Aerobic nannte. Die gymnastische Folter bestätigte meine sämtlichen Vorurteile über den Herdenmenschen. (Mario Vargas Llosa: Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto, S. 201)

[Beschränkt] ... ich bin glücklich in dem bescheidenen Ausmaß, das die Ehe gestattet. (Mario Vargas Llosa: Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto, S. 53)

[Abneigungen] Ich erkläre Ihnen hiermit klar und deutlich, daß Tiere für mich einen gatronomischen, einen dekorativen und vielleicht noch einen sportlichen Wert besitzen (obwohl ich darauf hinweisen möchte, daß die Liebe zu den Pferden mir ebenso zuwieder ist wie der Vegetarismus und ich die Kunstreiter mit ihren durch die Reibung des Sattels auf Zwergengröße geschrumpften Hoden für eine besonders schauerliche Abarzt des menschenlichen Kastraten halte). (Mario Vargas Llosa: Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto, S. 48)

[Ärztekunst] Doktor Leinbach, sein Freund aus Jugendtagen, war freilich immer geneigt, Beschwerden, die man ihm klagte, leicht zu nehmen, und es konnte kaum als sehr beruhigend gelten, daß er alle irgendeinmal schon am eigenen Leib verspürt haben wollte. (Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt, S. 383)

[Aphrodisiaka] Allwissenheit mit Exotik verknüpfend, versicherte er, daß im Süden Italiens jeder Mann im Lauf seines Lebens eine Tonne Basilikum verzehre, weil der Tradition zufolge von diesem würzigen Kraut nicht nur der Wohlgeschmack der Tagliatelle, sondern auch die Größe des Penis abhänge, und daß in Indien auf den Märkten eine Salbe aus Knoblauch und Affenaugenbutter verkauft werde - er pflegte sie seinen Freunden zum fünfzigsten Geburtstag zu schenken -, die, am richtigen Ort verrieben, Serienerektionen wie die Nieser eines Allergikers hervorrufe. (Mario Vargas Llosa: Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto, S. 168)

[Vergleich] Meine Großmutter - sie stammte aus Stilfs im oberen Vinschgau, aus einer kargen und armen Gegend, wo, der Überzeugung bin ich, heute noch so gute Kelten leben wie in Schottland oder in Wales - war so katholisch, daß sich der Papst zu Rom eine gute Scheibe oder besser zwei davon hätte abschneiden können. Manche unserer heutigen Kirchfürsten sind, wenn ich es so rückschauend betrachte, schiere Protestanten gegen meine Großmutter. (Herbert Rosendorfer; Ball bei Thod, S. 252)

[Frohe Weihnacht] Es war inzwischen schon ganz weihnachtlich geworden überall; pulvriger Schnee lag auf den Dächern und Buden, die Luft roch nach Tannengrün und Türkischem Honig, und die Menschen waren so freundlich zueinander, als hätte man ihnen gedroht, ein böses Wort, und die Welt ginge unter. (Wolfdietrich Schnurre: Als Vaters Bart noch rot war, S. 62)

[Verhältnisse] Die Errols sind scheußlich britisch. Beispielsweise sind sie beide Volkswirtschaftler. Warum beide, frage ich mich? Einer von ihnen muß sich doch permanent überflüssig vorkommen. Ihr Beischlaf reicht nur bis zur zweiten Stelle hinter dem Komma. Ihre Kinder sehen alle aus wie einfache Brüche! (Lawrence Durrell: Mountolive, S. 107)

[Bleibt mir fern!] Ich bin keine Arzt, habe aber genug gelesen, um zu wissen, daß alles längst nicht so kompliziert ist, wie es klingen soll. (...) Ärzte, Krankenhäuser und Versicherungen. Je weniger wir mit solchen Leuten zu tun haben, desto besser geht es uns. Die glauben, mit uns können sie alles machen, und wenn es nach ihnen geht, soll das auch so bleiben. (David Sedaris: Fuselfieber, S. 111)

[Nachkommenschaft] Deine Urgroßmutter hatte sechszehn Kinder, von denen allein drei nach dem seligen oder heiligen Laurentius von Schnüffis getauft worden waren. Erst der dritte Laurentius überlebte, um dein Urgroßvater zu werden, sagte ich mir. Sechzehn Kinder! Ich sagte Rosa, daß man heute schon vier Nachkömmlinge ungestraft als Wurf bezeichnen dürfe. (Arnold Stadler: Feuerland, S. 129)

[Gegenwart] Aber keine Erinnerung half. Denn die Gegenwart ist tausendmal stärker als die stärkste Vergangenheit - und er verstand den Schmerz der Menschen, die vor zehn Jahren eine gefährliche Operation heroisch überstanden haben und heute an einem Zahnschmerz zugrunde gehen. (Joseph Roth: Flucht ohne Ende, S. 126)

[Eigenschaften] Georg war konziliant. Es gibt Eigenschaften, die man nur mit einem Fremdwort bezeichnet kann. Ein konzilianter Mensch hat es im Leben schwerer, als man glaubt: Die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hat, können sich derart verdichten, daß er mitten im Lächeln eine tragische Erscheinung wird. (Joseph Roth: Flucht ohne Ende, 66)

[Schein und Sein] Seine glattrasierten fleischigen Gesichtszüge waren grob und liebenswert, und der allgemeine Eindruck, der von ihm ausging, war von jener Jugendlichkeit, die den Aufmerksamen warnt, der Mann, der sie zur Schau trage, könne nicht so jung sein, wie er scheine. (Flann O'Brien: Slatterys Sago-Saga oder Von unter der Erde bis hoch auf den Baum)

[Rationalisierung] In der verschrobenen Überzeugung, daß seine Lebensweise die ideale sei und daß, wenn die Welt sich nur entschlösse, es ihm gleich zu tun, Kriege und Leiden ein für allemal vorbei seien, entschuldigte er seinen Egoismus. (Emmanuel Bove: Dinah, S. 46)

[Typologie] Dieser Monsieur Dusset war der Typ Mann, der sich den Umständen anpaßt und bestrebt ist, andere nachzumachen und - obwohl ihn seine Herkunft dazu treibt, gegen Unredlichkeiten einzutreten - sich in seinem Eifer noch durchtriebener zeigt als sie, nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Angst, es könne so aussehen, als er er nicht auf der Höhe der Zeit. (Emmanuel Bove: Dinah, S. 45)

[Kühnheit] Sein Bestreben war aber genau, sich zu amüsieren, eine Geliebte zu haben, in dieser verrufenen Welt zu leben, von der er soviel gehört hatte. Bei seinem Anblick hätte man jedoch geglaubt, einem jungen Mann gegenüber zu stehen, für den der Gipfel der Kühnheit darin bestand, eine Zigarette zu rauchen. (Emmanuel Bove: Dinah, S. 18)

[Klarheit] Am runden Tisch mit dem Stammtischfähnchen saß unterdessen mutterseelenallein Frau Dr. Billbach. Ein Korn und viel Sprudel, hoffte sie, würden ihr zu jener Gedankenklarheit verhelfen, die bisweilen eine Trinkerei zu später Stunde krönte. (Erich Loest: Froschkonzert, S. 294)

[Abgelehnt] Heutzutage werden Bücher gottlob nicht mehr verbrannt, aber ich muß gestehen, wenn es einen solchen Brauch noch gäbe, könnte man Herrn Godunow-Tscherdynzews Buch mit Recht als den Hauptkandidaten für die Brennstoffversorgung eines öffentlichen Platze betrachten. (Vladimir Nabokov: Die Gabe, S. 500)

[In Diensten verdorrt] Seine Sekretärin, Dora Wittgenstein, die seit vierzehn Jahren für ihn arbeitete, teilte ein kleines muffiges Büro mit Sina. Diese alternde Frau mit Tränensäcken unter den Augen, die durch ihr billiges Kölnischwasser hindurch nach Kadaver roch, die jede Menge Überstunden machte und um Traumschen Dienst verdorrt war, glich einem unglückseligen, abgerackerten Pferd, dessen ganze Muskulatur bis auf ein paar stahlharte Sehnen verschwunden war. (Vladimir Nabokov: Die Gabe, S. 310)

[Übungen] Den ganzen Frühling über setzte er sein Übungsprogramm fort, nährte sich von Puschkin, atmete Puschkin ein (Beim Lesen von Puschkin wächst das Fassungsvermögen der Lungen.) (Vladimir Nabokov: Die Gabe, S. 159)

[Einsamkeit] Schüchtern und anspruchsvoll, gewöhnt, bergauf zu leben und all seine Kräfte auf die Jagd nach den unzähligen Wesen zu verschwenden, die wie beim Morgengrauen in einem mythischen Hain in seinem Innern aufleuchteten, konnte er sich nicht mehr dazu zwingen, sich entweder des Geldes oder des Vergnügens halber unter Menschen zu begeben, und daher war er arm und einsam. (Vladimir Nabokov: Die Gabe, S. 137)

[Ordnung] Er fand seinen Freund beim "Aufräumen" in der Kajüte der Jacht. Wie alle von Natur unsystematischen Leute überkam ihn von Zeit zu Zeit der reinste Ordnungsfimmel, und das Resultat seiner lobenswerten, wenn auch fehlgeleiteten Energie war gewöhnlich ein unüberbietbares Chaos. . (Wilkie Collins: Der rote Schal, S. 96)

[Unschön] Leute, die sich so elend fühlen wie ich, werden leicht verrückt. Ich muß ans Fenster, ich bekomme keine Luft mehr. Ob ich gleich hinausspringe? Besser nicht - man kommt so entstellt unten an, und so viele Leute sehen die unschöne Leiche... (Wilkie Collins: Der rote Schal, S. 357)

[Umständlich] Miss Gwilt warf die Handarbeit ungeduldig beiseite. "Wenn jedes überflüssige Wort einen Shilling Strafe kostete, würden Sie sich kürzer und klarer ausdrücken!" (Wilkie Collins: Der rote Schal, S. 514)

[Wehrlos] Er war hilflos, vollkommen entwaffnet, nur weil sie das Wörtchen "Mitleid" ausgesprochen hatte, und weinte in fassungsloser Rührung die Altweibertränen, die auch bei unglücklichen Männern so locker sitzen. (Wilkie Collins: Der rote Schal, S. 546)

[Wer ist verrückt?] Wer, so wie ich, über längere Zeit zurückgezogen und im Privatbereich kontaktarm lebe, laufe Gefahr, sich als unerfreuliche Ausnahmeerscheinung zu empfinden: entweder verfalle er dem Glauben, die Welt sei verrückt und außer ihm merke es niemand, oder es beschleiche ihm der gleichfalls vereinsamende Verdacht, er sei unter lauter Normalen der einzig Verrückte. (Markus Werner: Bis bald, S. 209)

[Nahrungsskrupel] Ich schätze ein rassiges Schnitzel, ich würdige es mit einem positiven Blick, bevor ich es verzehre, aber sobald ich seinen Weg zurückverfolge, sobald ich das Schwein vor mir sehe, das grunzende, das kotbesudelte, dann das im Schlachthaus quiekende, dann den obzönen, an einem Haken hängenden Kadaver, verliere ich den Appetit und schwöre mir: Nie wieder Schnitzel! und esse eine Woche später wieder Schnitzel, so leben wir. (Markus Werner: Bis bald, S. 190)

[Erscheinung] Zu den Mahlzeiten erschien Marugg immer gepflegt, nie im Trainingsanzug, und seine knapp zwei Dutzend Haare waren so sorgfältig platziert, daß die Kahlheit des Schädels nicht hoffnungslos wirkte, so wie jeder allzu beflissen versteckte Mangel den Mangel betont. (Markus Werner: Bis bald, S. 173)

[Geistesnähe] Unser beider Denken hat etwas so Brüderliches, daß ich denke, wir sind zwei Auflagen desselben Werkes. (Honore de Balzac: Memoiren zweier Jungvermählter, S. 514)

[Mütterlichkeit] Man liebt nicht in einem fort auf dieselbe Weise, man stickt auf diesen Lebensstoff nicht Blumen, die immerfort leuchten, kurzum: die Liebe kann und muß enden: das Muttergefühl hingegen hat keine Minderung zu befürchten, es wächst mit den Bedürfnissen des Kindes, es entwickelt sich mit ihm. (Honore de Balzac: Memoiren zweier Jungvermählter, S. 449)

[Gleichgültig] Einem Vater gehen so spät die Augen auf, daß es für den alten Vendeer mehr als eines Beweises bedurfte, bis er sich der Herablassung bewußt wurde, mit der die Tochter ihm ihre seltenen Bekundungen der Zärtlichkeit gewährte. Sie glich darin den kleinen Kindern, die ihrer Mutter zu sagen scheinen: Beeil dich bei deiner Abküsserei, damit ich spielen gehen kann. (Honore de Balzac: Der Ball zu Sceaux)

[Unerwartetes] Es gehört zum Befriedigendsten, ich weiß es aus Erfahrung, morgens um zwei Uhr ohne einen Tropfen Alkohol im Blut, ausgerüstet mit Führerschein, Fahrzeugausweis, Pannendreieck und vier profilstarken Reifen, in eine Polizeikontrolle zu geraten und dabei zu beobachten, wie die Organe nach Freundlichkeit und Fassung ringen. (Markus Werner: Bis bald, S. 93)

[Physiognomik] Im übrigen möchte ich eher der Beschäftigung eines Menschen als seiner Rasse einen Einfluß auf seine Gesichtsbildung einräumen. (Ich habe schon antisemitische Bibliothekare gesehen, die, ohne aufzufallen, in jedem westjüdischen Tempel Vorbeter hätten sein können. (JosephRoth: Flucht ohne Ende, S. 62)

[Warten] Einen Anwesenden betrügt man, einen Gesunden, einen Kranken auch und unter Umständen sogar einen Toten. Aber einen rätselhaft Verschwundenen erwartet man, solang es geht. (Joseph Roth: Die Flucht ohne Ende, S. 18)

[Blanker Neid] Meine Mutterkontakte hat Regina als zu häufig empfunden, ohne es anders als mit Mienenspiel zu äußern, und die wollene Jacke, die mir meine Mutter gestrickt hat, hat Regina versehentlich sechziggrädig gewaschen und anschließend einem Kinderhilfswerk zukommen lassen. (Markus Werner: Bis bald, S. 62)

[Unterschied] Grinsend marschierte das Kind auf der Mole auf und ab. Seltsam, dachte Dante, Kinder sind ganz verrückt nach Uniformen, und die meisten Erwachsenen hassen sie. (John Irving: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker, S. 396)

[Mörderisch] Der Fahrer jagte die Straßenbahn durch die Schienen wie ein Kind, daß mit seiner Modelleisenbahn Unfall spielt. (Monika Maron: Stille Zeile Sechs, S. 183)

[Bohrend] Aber an keinem Tag fühlte ich mich stark genug, mich endlich der Frage zu stellen, die ich vor Jahren bei Toller gelesen hatte und die sich damals, heimlich wie eine Küchenschabe, in meine Hirnwindungen geschlichen hatte, wo sie sich seitdem, resistent gegen Tilgungsversuche, stetig vermehrte. (Monika Maron: Stille Zeile Sechs, S. 41)

[Souveränität] Yoshida, der das Englische so gut beherrscht, daß er die Lösungsworte im Kreuzworträtsel der Herald Tribune mit Tinte eintragen konnte... (Louis Begley: Der Mann, der zu spät kam, S. 166)

[Gute Pflege] Sie war wie eine zum Verrücktwerden schöne Krankenschwester, deren leichte geschickte Hände eine große Wunde so zart verbinden, daß der kranke Mann nur daran denkt, wie frisch die Frau aussieht und wie liebevoll sie ist, und nicht einmal merkt, daß sie ihm den Schmerz genommen hat. (Louis Begley: Der Mann, der zu spät kam, S. 154)

[Bedeutungen] Im Grund existiert nur, was uns gequält hat und was uns quält, existiert nur, was uns immerfort quält (für uns); was uns verführt hat, wer uns verführt hat... alles andere, jeder andere hat, für uns, nie existiert... kein Mensch, der mich kein einziges Mal gequält hätte und verführt hätte... Je größer die Qual, die mir (von ihm) zugefügt worden, desto größer usf. (Thomas Bernhard: Amras, S. 74)

[Herausragend] Den Jahren nach war sie jetzt zwar alt, doch besaß sie die seltene Gabe, die Zeit zu mißachten, als sei diese nichts als ein gemeiner Popanz, dem sich einzig die Masse der gewöhnlichen Menschen unterwirft. (Joseph Conrad: Der Geheimagent, S. 113)

[Einstellungen] Er sehnte sich nach einer perfekteren Form des Müßigganges; vielleicht auch war er das Opfer eines in der Philosophie gründenden Zweifels am Nutzen aller menschlischen Bemühungen. Eine derartige Form der Indolenz setzt ein gewisses Maß von Intelligenz voraus. (Joseph Conrad: Der Geheimagent, S. 17)

[So und so] "Glauben Sie an Gott, Herr Doktor?" Auch diese Frage war natürlich gestellt. Aber diesmal zögerte Rieux. "Nein, aber was heißt das schon? Ich tappe im dunklen und versuche, dennoch klarzusehen. Ich habe schon lange aufgehört, das originell zu finden." (Albert Camus: Die Pest, S. 103)

[Drüben] Hier weiß ich, woran ich bin. Hier bin ich auf alles Mögliche gefaßt. Drüben wird es noch wer weiß wie lange dauern, ehe hinter den schönen Worten die Tatsachen vorkommen. Die Tatasachen sind: Der Mensch ist nicht dazu gemacht, Sozialist zu sein . Zwingt man ihn dazu, macht er groteske Verenkungen, bis er wieder da ist, wo er hingehört: an der fettesten Krippe. (Christa Wolf: Der geteilte Himmel, S. 180f.)

[Momente] Sie stellte Ebereschen in die Vase auf ihrem Nachttisch, sie spricht freundlich mit ihren Zimmergefährten und den Schwestern, und abends, bei abgeschirmter Lampe, liest sie. Draußen fahren die Nachtzüge, die Parkbäume bewegen sich leise mit trockenem, raschelndem Laub. Sie ist empfänglich für die Versuche der Dichter, Stück für Stück die sehr große Dunkelheit des noch Ungesagten zu erhellen. (Christa Wolf: Der geteilte Himmel, S. 120)

[Ziele] Auch könnte es sein, daß du morgen etwas zu essen bekommst, wofür es sich lohnt am Leben geblieben zu sein. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 79)

[Übervorsicht] Alles hat diese Schärfe. Das Gefühl, ich müsse mich vor allem hüten. So vorsichtig, wie ich glaube sein zu müssen, kann man, wenn man noch leben will, gar nicht sein. Wenn ich einmal nicht so vorsichtig bin, wie ich glaube, sein zu müssen, schüttelt es mich vor Angst, einen vernichtenden Fehler gemacht zu haben. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 74)

[Geschmack] Wenn man verbittert ist, schmeckt das Leitungswasser im Mund, als sei es gesüßt. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 75)

[Unausweichlich] Man geht auf ein Loch zu, weiß, daß man hineinfallen wird, und fällt hinein. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 69)

[Umwege] Umwege, so weit, daß man nicht zurückkehrt auf die Hauptstraße und sogar vergißt, daß man abgebogen ist. Wenn man lange genug dem Nebenweg folgt, wird er der Hauptweg. Zum Glück verliert sich alles. Die Ansprüche schrumpfen schnell. Aber da sie riesig waren, ist auch noch nach Jahrzehnten etwas übrig von ihnen. Und von den ältesten, den frühesten und irrsinigsten am meisten. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 67)

[Ordentlich] Wenn ich toben würde, würde ich, wenn ich ausgetobt hätte, die Scherben sorgfältig zusammen- kehren. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 59)

[Verschwinden] Eine Menge Verwandter kommt abends ins Zimmer, saugt Staub, wendet sich mir zu, ich schlage vor: Seid sorfgältig. Vergeßt mich nicht. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 55)

[Beweggründe] Ich möchte in meinem Zimmer bleiben dürfen und keinem Menschen sagen müssen, warum ich nicht hinaus will. Ich weiß, warum ich nicht hinaus will. Aber meine Gründe sind so lächerlich, daß ich sie höchstens auf einer Folter gestehen würde. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 50)

[Instinkte] Daß man meint, die anderen müßten teilnehmen an dem, was einen selber trifft, ist ein Gefühl von früher, als man noch in der Herde oder Horde wohnte un die Schnauzen aneinander rieb. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 47)

[Freund - Feind] Unsere Feinde sind unsere wirklichen Freunde. Sie machen uns das Sterben, das als schwer gilt, leicht. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 45)

[Unerträglich] Immer habe ich nach einem Auskommen mit allen gesucht. Jetzt stellt sich heraus, daß das in Unerträgliche führt. Man erträgt sich selber nicht mehr. Man kommt nicht mehr aus sich heraus. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 36)

[Gesichter] Wenn mir ein Gesicht ohne jedes Lächeln und ohne jede Kälte gelänge. Wenn mir die vollkommene Unbeflissenheit gelänge. Mein Gesicht ist viel zu beweglich. Es gleitet andauernd hin und her, drückt andauernd etwas aus. Meistens das, was man von ihm erwartet. Es ist immer beflissen, überbeflissen. (Martin Walser: Meßmers Gedanken, S. 33)

[Frauen] Er war lang und knochig und hatte sorgfältig gescheiteltes Haar von undefinierbarer Farbe und eine sorgfältig ausgesuchte Frau. Was die Frau betrifft: Sie schien unter schlechter Laune zu leiden und konnte das nicht verbergen. Aber schließlich hatte sie diesen Seiffert aus freien Stücken geheiratet, sie konnte unmöglich die anderen dafür verantwortlich machen. (Christa Wolf: Der geteilte Himmel, S. 108)

[Früher] "In früheren Zeiten wuchs, wie ich mich besinne, der Buchweizen bei uns so hoch, daß er einem bis an den Gürtel reichte, jetzt ist das nicht mehr so, obwohl man stets behauptet, es werde jetzt alles immer besser." Die Alte stieß einen Seufzer aus, und ein aufmerksamer Beobachter hätte in ihm das Aufseufzen des alten achtzehnten Jahrhunderts vernehmen können. (Nikolai Gogol: Abende auf dem Weiler bei Dikanka, S. 280)

[Wunsch] Wie ich schon sagte, begegnete ich Florence zum erstenmal bei den Stuyvesants in der Vierzehnten Straße. Und seit diesem Augenblick war ich mit der ganzen Beharrlichkeit einer möglicherweise schwachen Natur entschlossen, sie, wenn nicht zu der meinen zu machen, so doch zu heiraten. (Ford Madox Ford: Die allertraurigste Geschichte, S. 96)

[Gaben] Kaum hatten wir den Wagen entladen, wurde erst das Haus auf den Kopf gestellt, dann der Garten. Judith verwaltete mit Umsichtg ihr Talent, sich unbeliebt zu machen. (Michael Krüger: Die Cellospielerin, S. 189)

[Planung] Es gibt eine Stunde am Tag, in der alle bedeutsamen Entscheidungen meines Lebens, soweit sie bewußter Planung unterstehen und nicht lediglich Ergebnis hastiger Regelungen zufälliger Ereignisse sind, getroffen werden, nämliche morgens zwischen sechs und sieben. (...) Was nach sieben Uhr kommt, ist nichts als Abwicklung. (Michael Krüger: Die Cellospielerin, S. 20)

[Musik] Mir fiel ein Stockhausen-Konzert ein, das ich mit ihr besucht hatte, eine schlecht angerührte Komposition, für die auch die tapferen Musier keine Bindemittel gefunden hatten. (Michael Krüger: Die Cellospielerin, S. 17)

[Sparmaßnahmen] Die finanzielle Lage wird immer bedrohlicher, obwohl Mockel in mustergültiger Askese lebt und sogar die Blindenschrift erlernt hat, um nachts stromsparend lesen zu können. (Michael Schulte: Die Dame, die Schweinsohren nur im Liegen aß, S. 42)

[Geld] Teufel noch mal, seit er sein Geld los ist, ist er direkt sympathisch geworden, dachte Nikolka und philosophierte in Gedanken: Vielleicht hindert das Geld die Menschen, sympathisch zu sein. Hier zum Beispiel hat niemand Geld, und alle sind sympathisch. (Michael Bulgakow: Die weiße Garde, S. 289)

[Unser Wetter] In unserem Lande ist es sehr frostig und feucht, unser Sommer ist nur ein grün angestrichener Winter, sogar die Sonne muss bei uns eine Jacke aus Flanell tragen, wenn sie sich nicht erkälten will; bei diesem gelben Flanellsonnenschein können unsere Früchte nimmermehr gedeihen, sie sehen verdrießlich und grün aus und, unter uns gesagt, das einzige reife Obst das wir haben, sind gebratene Äpfel. (Heinrich Heine)

[Prozeduren] Ich habe mich schon bei einem als schneidig bekannten Dentisten angemeldet und werde mir eine nachhaltige Narkose ausbitten, während der dann alles irgendwie zweifelhafte heraus"gegraben" werden mag. (Thomas Mann an seinen Bruder am 25.3.1901)


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