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Allgemeine Fundstücke / [Hesse]
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Peter Bastians Jugend
Was ein rechter Handwerker werden will, der muß ein warmes und
schnelles Blut im Leib haben, kein Bauernblut. Der muß über Land
gehen und reisen und viele Meister gehabt haben, eh daß er selber
einer wird. Wo ist denn der Gerberhannes gewesen? In Calw, und
ein halb Jahr lang in Horb, und dann wieder in Calw, nicht einmal
bis Pforzheim hat er's gebracht. Er ist halt ein Bauer. Und ein
Bauer, wenn er mehr als drei Stund zu Fuß lauft, dann wird's ihm
schon wunderlich, und geht wieder heim. (Hermann Hesse: Peter
Bastians Jugend)
Spätsommer
Auch dieser außerordentliche Sommer muß einmal zu Ende
gehen, schon haben die Berge jene überklare
Modellierung und jenes luftige, dünne süße Blau, das
für September charakteristisch ist; schon wieder sind
am Morgen die Wiesen so schwer naß, und im Laub der
Kirschbäume fängt schon sachte der Purpur, im
Akazienlaub das Goldgelb an spürbar zu werden. Da es in
diesem Sommer sogar dort oben in Ihren Eskimoländern
nördlich des Mains ganz hübsch warm gewesen ist,
könnten Sie sich denken, daß wir hier unten im Süden
auch nicht zu frieren brauchten. (Hermann Hesse:
Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte.
1927-1961, S. 105)
Nach der Ballnacht
Es war gerade an jenem Morgen, an dem ich durch den
Polizeibeamten aus dem Schlaf geweckt worden war. Aufs
äußerste geschwächt durch den Kater nach einer
ungewöhnliche heftigen und langdauernden Tanzerei mit
großem Trinkgelage, außerdem gereizt, gequält und zur
Verzweiflung gebracht durch einen besonders wüsten
Gichtanfall in beiden Händen (so daß ich den Kognak aus
der Flasche hatte saugen müssen, weil das Einschenken
eines Glases mir zu schwierig war), hatte ich am Abend
zuvor ein Veronal genommen und lag am Morgen, zu einer
Zeit, wo andere Menschen schon längst wieder am
Geldverdienen sind, noch schlafend in meinem Bett, die
Ohren sorgfältig mit Wachs verstopft, das Gehirn
angenehm betäubt teils vom Veronal, teils noch von
jener Ballnacht her. Ohne Zweifel träumte ich etwas
Hübsches, denn das Gewecktwerden war mir
außerordentlich zuwider. Allerdings ist das
Gewecktwerden eine Prozedur, an welche ich keineswegs
gewöhnt bin. Ich bin seit vielen Jahren daran gewöhnt,
genau so lange liegen zu bleiben, wie es mir gerade
paßt, d.h. daß die mich jeweils betreuende Dienstmagd
auf meinen Morgenschlaf die denkbar peinlichste
Rücksicht nimmt und sich niemals getrauen würde, mich
am Morgen zu wecken, geschehe was da wolle. Diesmal
aber, ausgerechnet an diesem wohl eingefädelten,
sorgfältig vorbereiteten Schlaf- und Erholungsmorgen,
wurde ich zu meinem grenzenlosen Erstaunen und
Entsetzen roh und gewaltsam geweckt, durch heftiges
Klopfen an die Schlafzimmertür und durch das Eintreten
eines Mannes, welcher nach siegreichem Kampf mit der
mich treu bewachenden Magd sich der Türklinke
bemächtigt und mein Zimmer erstürmt hatte. Er war in
Zivil, aber Gott soll mich strafen, wenn ich ihm nicht
sofort den Polizisten ansah. Das Zivil nötigte ihn zu
gesellschaftlichen Formen, die im Verhältnis zur
Gewaltsamkeit seines Eindringens beinah bestrickend
wirkten. Er stellte sich vor, er hatte einen richtigen
bürgerlichen Namen, wie ihn Polizisten sonst niemals
haben, aber ein Polizist war er doch. (Hermann Hesse:
Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte.
1927-1961, S. 10f.)
Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin,
der Versuch eines Weges, die Andeutung eines Pfades. Kein
Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder
strebt dennoch, es zu werden, einer dumpf, einer lichter,
jeder wie er kann. Jeder trägt Reste von seiner Geburt,
Schleim und Eischalen einer Urwelt, bis zum Ende mit sich
hin. Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt
Eidechse, bleibt Ameise. Mancher ist oben Mensch und
unten Fisch. Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem
Menschen hin. Und allen sind die Herkünfte gemeinsam, die
Mütter, wie alle kommen aus demselben Schlunde; aber
jeder strebt, ein Versuch und Wurf aus den Tiefen, seinem
eigenen Ziel zu. Wir können einander verstehen; aber
deuten kann jeder nur sich selbst. (Hermann Hesse:
Demian, S. 8)
Es wurde nun alles anders. Die Kindheit fiel um mich her in
Trümmer. Die Eltern sahen mich mit einer gewissen
Verlegenheit an. Die Schwestern waren mir ganz fremd
geworden. Eine Ernüchterung verfälschte und verblaßte mir
die gewohnten Gefühle und Freuden, der Garten war ohne
Duft, der Wald lockte nicht, die Welt stand um mich her wie
ein Ausverkauf alter Sachen, fad und reizlos, die Bücher
waren Papier, die Musik war ein Geräusch. So fällt um einen
herbstlichen Baum her das Laub, er fühlt es nicht, Regen
rinnt an ihm herab, oder Sonne, oder Frost, und in ihm zieht
das Leben sich langsam ins Engste und Innerste zurück. Er
stirbt nicht. Er wartet. (Hermann Hesse: Demian, S. 68)
Fruchtlos und ermüdend war das ewige Nachdenken über
die Ursachen meiner Trauer und Lebensunfähigkeit. Ich
hatte durchaus nicht das Gefühl, fertig und verbraucht
zu sein, sondern war voll von dunklen Trieben und
glaubte daran, daß es zur rechten Stunde mir noch
gelingen würde, etwas Tiefes und Gutes zu schaffen und
dem spröden Leben wenigstens eine Handvoll Glück zu
entreißen. Aber würde die rechte Stunde jemals kommen?
Mit BItterkeit dachte ich an jene modernen, nervösen
Herren, die sich durch tausend künstliche Anregungen
zur künstlerischen Arbeit stachelten, während in mir
starke Kräfte unverbraucht lagen und liegenblieben. Und
ich grübelte wieder, was für ein Hemmnis oder Dämon mir
in meinem strotzend starken Leibe die Seele stocken und
immer schwerer werden lasse. Dabei hatte ich auch noch
den sonderbaren Gedanken, mich für einen aparten,
irgendwie zu kurz gekommenen Menschen zu halten, dessen
Leiden niemand kenne, verstehe oder teile. Es ist das
Teuflische ander Schwermut, daß sie einen nicht nur
krank, sondern auch eingebildet und kurzsichtig, ja
fast hochmütig macht. Man kommt sich vor wie der
geschmacklose Heinesche Atlas, der allein alle
Schmerzen Rätsel der Welt auf den Schultern liegen hat,
als ob nicht tausend andere dieselben Leiden teilte und
im selben Labyrinth herumirrten. Auch daß die Mehrzahl
meiner Eigenschaften und Eigenheiten nicht so sehr mir
gehörte, als ein Familiengut oder Übel der Camenzinde
war, kam mir in meiner Isolierung und Heimatferne ganz
abhanden. (Hermann Hesse: Peter Camenzind, S. 75)
Als der Gymnasiast Martin Haberland im Alter von
siebzehn Jahren an einer Lungenentzündung starb,
sprach jedermann von ihm und seinen reichen Talenten
mit Bedauern und hielt ihn für sehr unglücklich, daß er
gestorben war, ehe er aus diesen Talenten hatte Erfolg
und Zinsen und bares Geld lösen können. Es ist wahr,
der Tod des hübschen, begabten Jünglings hat auch mir
leid getan, und ich dachte mir mit einem gewissen
Bedauern: wie unheimlich viel Talent muß es doch in der
Welt geben, daß die Natur damit so um sich werfen kann!
Aber es ist der Natur einerlei, was wir über sie
denken, und was das Talent angeht, so ist es ja
tatsächlich in solchem Überfluß vorhanden, daß unsere
Künstler bald nur noch Kollegen und gar kein Publikum
mehr haben werden. Indessen kann ich den Tod des jungen
Mannes nicht in dem Sinne bedauern, als sei ihm selbst
dadurch ein Schaden und sei er des Besten und Schönsten
grausam beraubt worden, das noch für ihn bestimmt
gewesen wäre. Wer mit Glück und in Gesundheit siebzehn
Jahre alt geworden ist und gute Eltern hatte, der hat
ohnehin in gar vielen Fällen gewiß den schöneren Teil
des Lebens hinter sich, und wenn sein Leben so früh
endet und aus Mangel an großem Schmerz und grellem
Erlebnis und wilder Lebensweite kein Beethovensches
Symphonienstück geworden ist, so kann es doch eine
kleine Haydnsche Kammermusik gewesen sein, und das kann
man nicht von vielen Menschenleben sagen. Im Falle
Haberland bin ich meiner Sache ganz sicher. Der junge
Mensch hat tatsächlich das Schönste erlebt, was ihm zu
erleben möglich war, er hat ein paar Takte von so
unirdischer Musik geschlürft, daß sein Tod notwendig
war, weil kein Leben daraufhin etwas anderes als einen
Mißklang ergeben hätte. Daß der Schüler sein Glück nur
im Traum erlebt hat, ist gewiß keine Abschwächung, denn
die meisten Menschen erleben ihre Träume viel heftiger
als ihr Leben. (Hermann Hesse: Der schönste Traum, in:
Gesammelte Erzählungen, Bd. 3, S. 155)
Sie haben eine Krankheit, die leider Mode ist und
der man jeden Tag bei intelligenteren Menschen
begegnet. Die Ärzte wissen natürlich nichts davon.
Es ist mit moral insanity verwandt und könnte auch
Individualismus oder eingebildete Einsamkeit
genannt werden. Die modernen Bücher sind voll
davon. Es hat sich bei Ihnen die Einbildung
eingeschlichen, Sie seien vereinsamt, kein Mensch
gehe Sie etwas an und kein Mensch verstehe Sie.
Ist es nicht so?" "Ungefähr, ja", gab ich
verwundert zurück. "Sehen Sie. Für den, der die
Krankjheit einmal hat, genügen ein paar
Enttäuschungen, um ihn glauben zu machen, es gebe
zwischen ihm und anderen Menschen überhaupt keine
Beziehungen, höchstens Mißverständnisse, und es
wandle eigentlich jeder Mensch in absoluter
Einsamkeit, könne sich den anderen nie recht
verständlich machen und nichts mit ihnen teilen
und gemeinsam haben. Es kommt auch vor, daß solche
Kranke hochmütig werden und alle anderen Gesunden,
die einander noch verstehen und lieben können, für
Herdenvieh halten. Wenn diese Krankheit allgemein
würde, müßte die Menschheit aussterben. Aber sie
ist nur in Mitteleuropa und nur in den höheren
Ständen zu treffen. Bei jungen Leuten ist sie
heilbar, sie gehört sogar schon zu den
unumgänglichen Entwicklungskrankheiten der Jugend.
(Hermann Hesse: Gertrud)
Kein fideler Herr, der aus lauter Übermut hie und da
Kunstwerke hinschmeißt, sondern leider meistens ein
armer Tropf, der an einem unnützen Reichtum
erstickt und darum was von sich geben muß. Es ist
nichts mit der Sage vom glücklichen Künstler, das ist
lauter Philistergeschwätz. Der fidele Mozart hat sich
mit Champagner aufrecht gehalten und dafür Mangel
an Brot gelitten, und warum Beethoven sich nicht in
jungen Jahren schon das Leben genommen, sondern
statt dessen diese herrlichen Sachen geschrieben hat,
das weiß kein Mensch. Ein anständiger Künstler hat
im Leben unglücklich zu sein. Wenn er Hunger hat
und seinen Sack aufmacht, so sind immer bloß Perlen
drin!" (Hermann Hesse: Gertrud, S. 145)
Täglich aber zu der Stunde, die sie ihm nannte,
besuchte er die schöne Kamala, in hübschen
Kleidern, in feinen Schuhen, und bald brachte er
ihr auch Geschenke mit. Vieles lehrte ihn ihr
roter, kluger Mund. Vieles lehrte ihn ihre zarte,
geschmeidige Hand. Ihn, der in der Liebe noch ein
Knabe war und dazu neigte, sich blindlings und
unersättlich in die Lust zu stürzen wie ins
Bodenlose, lehrte sie von Grund auf die Lehre, daß
man Lust nicht nehmen kann, ohne Lust zu geben,
und daß jede Gebärde, jedes Streicheln, jede
Berührung, jeder Anblick, jede kleinste Stelle des
Körpers ihr Geheimnis hat, das zu wecken dem
Wissenden Glück bereitet. Sie lehrte ihn, daß
Liebende nach einer Liebesfeier nicht voneinander
gehen dürfen, ohne eins das andere zu bewundern,
ohne ebenso besiegt zu sein, wie gesiegt zu haben,
so daß bei keinem von beiden Übersättigung oder
Öde entstehe und das böse Gefühl, mißbraucht zu
haben oder mißbraucht worden zu sein. (Hermann
Hesse: "Siddhartha", S. 58)
Langsamer ging der Denkende dahin und fragte sich
selbst: "Was nun ist es aber, das du aus Lehren
und von Lehrern hattest lernen wollen, und was
sie, die dich viel gelehrt haben, dich doch nicht
lehren konnten?" Und er fand: "Das Ich war es,
dessen Sinn und Wesen ich lernen wollte. Das Ich
war es, von dem ich loskommen, das ich überwinden
wollte. Ich konnte es aber nicht überwinden,
konnte es nur täuschen, konnte nur vor ihm
fliehen, mich nur vor ihm verstecken. Wahrlich,
kein Ding in der Welt hat so viel meine Gedanken
beschäftigt wie dieses mein Ich, dies Rätsel, daß
ich lebe, daß ich einer und von allen andern
getrennt und abgesondert bin, daß ich Siddhartha
bin! Und über kein Ding in der Welt weiß ich
weniger als über mich, über Siddhartha!" (Herman
Hesse: Siddhartha, S. 36)
Auch in früheren Jahren schon hatte ich ähnliche
Stunden ausgekostet. Damals war jedoch solche
Verzweiflung mir so erschienen, als sei ich, verirrter
Pilger, am äußersten Rand der Welt angelangt, und es
sei jetzt nichts mehr zu tun, als der letzten Sehnsucht
zu folgen: sich vom Rande der Welt ins Leere fallen zu
lassen, in den Tod. Mit der Zeit war die Verzweiflung
zwar oftmals wiedergekehrt, der heftige Drang zum
Selbstmord aber hatte sich verwandelt und war beinahe
erloschen. Es war mir der "Tod" kein Nichts mehr, keine
Leere, keine Negation. Es war auch vieles andre anders
geworden. Die Stunden der Verzweiflung nahm ich jetzt
so, wie man starke körperliche Schmerzen nimmt: man
erduldet sie, klagend oder trotzig, man fühlt, wie sie
schwellen und zunehmen, und spürt eine bald wütende,
bald spöttische Neugierde, wie weit das noch gehen, wie
hoch der Schmerz sich noch steigern könne. (Hermann
Hesse: Die Morgenlandfahrt, S. 366)
Du bist für diese einfache, bequeme, mit so wenigem
zufriedene Welt von heute viel zu anspruchsvoll und
hungrig, sie speit dich aus, du hast für sie eine
Dimension zuviel. Wer heute leben und seines Lebens
froh werden will, der darf kein Mensch sein wie du und
ich. Wer statt Geduld Musik, statt Vergnügen Freude,
statt Geld Seele, statt Betrieb echte Arbeit, statt
Spielerei echte Leidenschaft verlangt, für den ist
diese hübsche Welt hier keine Heimat. (Hermann Hesse:
Der Steppenwolf, S.137)
Ich lernte vor allem, daß diese kleinen Spielzeuge,
Mode- und Luxussachen nicht bloß Tand und Kitsch sind
und eine Erfindung geldgieriger Fabrikanten und
Händler, sondern berechtigt, schön, mannigfaltig, eine
kleine oder vielmehr große Welt von Dingen, welche alle
den einzigen Zweck haben, der Liebe zu dienen, die
Sinne zu verfeinern, die tote Umwelt zu beleben und
zauberhaft mit neuen Liebesorganen zu begaben, vom
Puder und Parfüm bis zum Tanzschuh, vom Fingering bis
zur Zigarettendose, von der Gürtelschnalle bis zur
Handtasche. Diese Tasche war keine Tasche, der
Geldbeutel kein Geldbeutel, Blumen keine Blumen, der
Fächer kein Fächer, alles war plastisches Material der
Liebe, der Magie, der Reizung, war Bote,
Schleichhändler, Waffe, Schlachtruf. (Hermann Hesse:
Der Steppenwolf, S.137)
"Ich zweifle, ob du völlig recht hast, Martin. Unsre
Zeit ist unsäglich arm, aber die Kluft zwischen Kunst
und Leben und die Kluft zwischen Großen und Kleinen
ist immer dieselbe. Sokrates, dessen Wesen du mir
so göttlich beschrieben hast, war in dem Athen der
Glanzzeit vielleicht im Herzen so einsam, als irgend
ein Großer von heute in seiner Stadt es ist. Wer das
Ideal der unsterblichen Schönheit in der Seele trägt,
den befriedigt keine Zeit und kein Leben. (Hermann
Hesse: Der Dichter. Ein Buch der Sehnsucht)
Er spielte den Feinen und trat nicht anders auf, als
wenn er der Sohn des vornehmsten Hauses gewesen
wäre, obwohl er im Grunde wenig mehr als ein
bäurisch gebildeter Geldwechsler war. Bald hatte er
die Augen der schönen Witwe auf sich gelenkt und sie
seinen ehrbietigen Bitten zugänglich gemacht, und da
er ihr mit vielen Schwüren die Ehe versprach, sah er
sich in kurzem am äußersten Ziel seiner Wünsche
angelangt. Zu beiderseitigem Vergnügen erfreuten sie
sich längere Zeit ihrer Liebe ohne Hindernisse, und
gewiß hätte der Florentiner noch lange nicht an die
Rückkehr nach seiner Heimat gedacht, wäre nicht
infolge dieser Liebschaft jene Witwe nach Jahresfrist
mit einem hübschen Knäblein niedergekommen.
Dieses paßte keineswegs in die Pläne des
leichtsinnigen Italieners, und da die Dame außer ihrer
Schönheit keine Reichtümer besaß, verließ er, ohne
sich seiner Schwüre mehr zu erinnern, sie und die
Stadt Paris in aller Stille und begab sich als ein
lediger Mann nach Florenz zurück, wie es stets die Art
solcher Leute war, sich um eine leere Flasche und um
eine schwanger gewordene Geliebte mit keinem
Blicke mehr zu bekümmern. (Boccacio)
Kurgast [1]
Herr, laß mich den Humor nicht verlieren, laß mich
noch eine kleine Weile leben! Und laß mich
mitarbeiten an irgendeinem Werk und Ding, das mehr
Sinn, mehr Wert hat als dieser Jahrmarkt! Laß mich
als geringsten Diener dazu beitragen, daß
Deutschland endlich seine staatlichen Schulen wieder
schließt, daß Europa energisch an der Verminderung
seiner Geburtenziffer arbeitet! (Hermann Hesse:
Kurgast)
Kurgast [2]
Der Arzt,
der erst noch in einem Nebenraume in der üblichen Weise mit
Wasser geplätschert hatte, trat herein, ein intelligentes
Gesicht versprach Verständnis, und wir begrüßten einander,
wie es gesitteten Boxern ziemt, vor dem Wettkampf mit
herzlichem Händedruck. Vorsichtig begannen wir den Kampf,
tasteten einander ab, probierten zögernd die ersten Schläge.
Noch waren wir auf neutralem Gebiet, unser Disput ging um
Stoffwechsel, Ernährung, Alter, frühere Krankheiten und troff
von Harmlosigkeit, nur bei einzelnen Worten kreuzten sich
unsere Blicke, klar zum Gefecht. Der Arzt hatte einige
Ausdrücke aus der medizinischen Geheimsprache auf seiner
Palette, die ich nur annähernd entziffern konnte, die aber
seinen Kundgebungen ornamental sehr zustatten kamen und
seine Position mir gegenüber spürbar stärkten. Immerhin war
mir schon nach einigen Minuten klar, daß bei diesem Arzte
nicht jene grausame Enttäuschung zu fürchten war, welche
Menschen von meiner Art gerade bei Ärzten peinlich ist: daß
man hinter einer gewinnenden Fassade von Intelligenz und
Schulung auf eine starre Dogmatik stößt, deren erster Satz
postuliert, daß Anschauungsweise, Denkart und Terminologie
des Patienten rein subjektive Phänomene, die des Arztes
hingegen streng objektive Werte seien. (Hermann Hesse:
Kurgast)
Glasperlenspiel [1]
Sieh diese Wolkenlandschaft mit ihren
Himmelsstreifen! Beim ersten Blick möchte man
meinen, die Tiefe sei dort, wo es am dunkelsten ist,
aber gleich nimmt man wahr, daß dieses Dunkle und
Weiche nur die Wolken sind und daß der Weltraum
mit seiner Tiefe erst an den Rändern und Fjorden
dieser Wolkengebirge beginnt und ins Unendliche
sinkt, darin die Sterne stehen, feierlich und für uns
Menschen höchste Sinnbilder der Klarheit und
Ordnung. Nicht dort ist die Tiefe der Welt und ihrer
Geheimnisse, wo die Wolken und die Schwärze sind,
die Tiefe ist im Klaren und Heiteren. (Das
Glasperlenspiel)
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