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Ist das typisch jüdisch? Dieses ewige Diskutieren, zu dem ich
auch neige, zum Leidwesen vieler, denen ich widerspreche,
einfach so, um zu gucken, wie weit ich komme. Gibt es das
überhaupt: typisch jüdisch? Meine jüdische Freunde - ich habe
ein paar - sagen Ja. Sie sagen, du magst keine Natur, bleibt
gerne in der Stadt? Typisch jüdisch. Du findest immer noch ein
Andererseits? Typisch. Du bist kompliziert mit Essen, haßt
Reisen, hättest gerne jeden Tag im Jahr das gleiche
gemäßigte kontinentale Wetter? Typisch. Ich habe meine
jüdischen Freunde allerdings im Verdacht, es unter gewissen
Umständen auch typisch jüdisch finden zu können, besonders
viel scharfen Wasabi in die Sojasauce zu rühren, auf Aspirin C
allergisch zu sein oder ungern zu reiten. Und vielleicht ist es ja
gerade typisch jüdisch, alles typisch jüdisch zu finden.
(Johanna Adorjan: Eine exklusive Liebe, S. 89)
Mein Vater sagt, Sparen sei ihr Hobby gewesen.
Eine richtige Leidenschaft. Es habe sie mit
Genugtuung erfüllt, in Secondhand-Geschäften
Sachen zu finden, die aussahen wie neu. Sie
war es, die in der Familie das Geld verwaltete.
Mein Großvater gab alles ab, was er verdiente,
und wollte er ihr dann etwas zum Geburtstag
kaufen, mußte er sich von ihr erst einen
Betrag genehmigen und das Geld geben lassen.
(Johanna Adorjan: Eine exklusive Liebe, S. 52)
Mir erschienen auf einmal all seine seltsamen
Gewohnheiten, die bei den Leuten Unverständnis und
Spott hervorriefen - seine Verträumtheit, seine Neigung
zur Einsamkeit, seine Schweigsameit-, in einem anderen
Licht. Ich wußte jetzt, warum er abendelang auf dem
Wachtberg saß, warum er die Nächte einsam am Fluß
verbrachte, warum er ständig nur ihm wahrnehmbaren
Klängen nachlauschte und warum seine Augen zuweilen
aufloderten und die Brauen sich plötzlich
erwartungsvoll hoben. Das war ein Mensch, der eine
tiefe Liebe in sich trug. Keine Liebe, das fühlte ich,
wie man sie für einen anderen empfindet, sondern eine
weit größere, die Liebe zum Leben, zur Erde.
(Tschingis Aitmatow: Dshamilja, S. 38f.)
So viele Ängste, so viele Aufregungen hatten uns in den
vergangenen Tagen daran gehindert, darauf zu achten, daß es März
und der Wind weicher geworden war. Als ich jedoch am dritten Tag
nach jenem Abenteuer morgens in den Hof hinunterging, begriff ich
jäh, daß Frühling war. Eine köstliche Brise flutete wie laues
Wasser über die Mauer, ein leiser Regen hatte in der Nacht die
Blätter der Pfingstrosen feucht gemacht; die frische gelockerte
Erde im Garten hatte einen starken Geruch, und in dem Baum vor
dem Fenster hörte ich einen Vogel es mit der Musik versuchen...
(Henri Alain-Fournier: Der große Meaulness)
Aber seine eigenen Erfahrungen auszuschlachten
widerspricht offensichtlich Bobis diskreten Naturell
und dem Bedürfnis, ein Dasein im Windschatten der
Verantwortung zu führen. Außerdem mangelt es ihm an der
notwendigen narzistischen Disposition, sich selbst zum
Gegenstand eines literarischen Werkes zu machen. Das
Libido-Schlammloch seiner Familie scheint sämtliche
emotionale Energien über Jahre hin gänzlich aufgesogen
zu haben. (Maike Albath: Der Seelenbegleiter. Über den
großen Triestiner Intellektuellen Roberto Bazlen und
seinen ungeschriebenen Roman)
Wenn Meyer-Nimmführ verreiste, spürte er immer
eine schwache Nachwirkung seiner Jugend, die ihm
Neugierde und ungeniertes Benehmen erlaubt hatte.
Dann ging ihm die Gewohnheit, nur das Angemessene
zu genießen, das zur Ausbeutung seiner Börse
bereitstand, manchmal auf die Nerven. Die teure
Umgebung schützt zwar vor mißliebigen Vorfällen
(denn die Gegenwart des Geldes dämpft die
Lautstärke und setzt die Aggressionen herab), aber
vor Langeweile schützt sie nicht. (Gerhard
Amanshauser: Schloß mit späten Gästen, S.11)
Der Alte Graf konnte sich unmöglich mit einer neuen
Firma einlassen, die reflexartig, sobald man mit ihr in
Kontakt kommt, damit beginnt, auf allen überhaupt
möglichen Wegen Geld an sich zu ziehen. Statt
fähiger Arbeiter hat sie eine nomadenhaft wechselnde
Belegschaft, die im Maschinenpark sozusagen
flüchtige Lager aufschlägt und zwischen Bierkisten
und Radioempfängern nach dem Arbeitsminimum
strebt, während die leitenden Herrn, taub für
Beschwerden und hellhörig für jede Vergrößerung des
Aufwands, in eleganten Büros telefonieren oder im
Wagen zu Besprechungen unterwegs sind. (Gerhard
Amanshauser: Schloß mit späten Gästen, S.30)
Stockhammer hatte recht, wenn er sagte, daß man
Erzeugnisse der Industrie, denen gleichsam Unlust
und Berechnung der Produktion anhafteten,
bestenfalls dann verwenden konnte, wenn man sie
vorher mit der Lötlampe behandelte, sie abbeizte,
neu bemalte oder überklebte. Brauchbarer waren
verlassene Dinge, die man irgendwo auflas, wo die
Leute auszogen, um sich zu verbessern. Was sie
zurückließen, war immer einer Betrachtung wert. Oft
konnte man es zerlegen, neu zusammensetzen und
verlöten. (Gerhard Amanshauser: Schloß mit späten
Gästen, S.36)
Um Lilo zu verführen, wandte Nihal eine alte, oft
erprobte Taktik an, die ihm allerdings bisher noch
keinen einzigen Erfolg eingebracht hatte: Er sprach
Lilo niemals direkt an, zeigte nicht die geringste
Zuneigung, sondern gab sich im Gegenteil
verschlossen und abweisend, als verachtete er sie;
gleichzeitig aber bemühte er sich, sie durch
Gehirnstrahlen zu hypnotisieren. Wenn diese
Strategie auch wirkungslos war, so hatte sie doch den
Vorteil, ihm nur ein Minimum an Mut abzuverlangen.
Dabei beschäftigte sie die Phantasie und erweckte so
den Eindruck, daß er wenigstens irgend etwas
unternahm und sich nicht wie Stockhammer darauf
beschränkte, von vornherein seine Abneigung
bekanntzugeben. (Gerhard Amanshauser: Schloß mit
späten Gästen, S.61)
Marianne, eine der Frauen, die mit Stockhammer
gekommen waren, blieb nach einem der schönsten
Herbsttage bei Nihal im Schloß. Er freute sich, daß sie
blieb, doch hatte er sie nicht dazu aufgefordert, weil
er wußte, daß sie Forderungen nicht liebte. Bat man
sie nämlich zu bleiben, konnte man fast sicher sein,
daß sie zu überlegen begann, ob es nicht besser sei,
zu gehen. Sie schätzte nur Launen, die von ihr selbst
ausgingen. Marianne wurde von einem Eigensinn
angetrieben, dessen Ziele man selten erkannte. Es
hatte den Anschein, daß sie selbst nicht wußte,
wohin ihre momentanen Bewegungen sie führten.
Dabei lag in ihrem Wesen etwas
Selbstverständliches, Ruhiges. Erhob sie sich, um
fortzugehen, so war nichts von jenem zweifelnden
Schwanken zu bemerken, das bei den meisten
Abschieden die Umrisse der Personen zu verwischen
scheint. Wenn sie ging, war sie als Ganzes
verschwunden, und wenn sie kam, so war sie im
nächsten Augenblick wieder da, ohne erst ihre Fühler
austrecken und sich erklären zu müssen. Ihr eine
Frage mit warum zu stellen schien zwecklos. (Gerhard
Amanshauser: Schloß mit späten Gästen, S.94)
Zwar gab es, wie er genau wußte, keine verrückten
Ideen, die einfach aus dem Chaos daherflattern, und
falls es sie gab, würden sie niemals beleidigend
wirken, aber es war viel einfacher und angenehmer,
an verrückte Ideen zu glauben, statt nach den
Antrieben zu fragen, die vielleicht dahintersteckten.
In der Psychologie durfte er ruhig ein wenig
abergläubisch sein, das konnte niemandem schaden,
so wie das Gegenteil niemandem nützte. Mit
Psychologie, so dachte er, sollen sich Leute befassen,
die sich das leisten können. Ich kann es mir nicht
leisten: Ich glaube an verrückte Ideen. (Gerhard
Amanshauser: Schloß mit späten Gästen, S.96)
Was ist und wozu dient ein Doktor der Philosphie?
Mit einer Dissertation über "Gerichtsprozesse in
der Literatur" hatte Nihal den Titel eines Doktors der
Philosophie erworben. Diese Abhandlung war so
allgemein gehalten, daß zwar die Feindschaft, nicht
aber die absolute Unkenntnis, mit der er der
Jurisprudenz gegenüberstand, zum Vorschein kam. Er
hatte nie in seinem Leben ein Gesetzbuch geöffnet
und war eines Tages von der Belehrung überrascht
worden, daß es sich bei Richter und Staatsanwalt um
zwei verschiedene Personen handle. "Im Grunde ist
es doch nur eine Person", dachte er. Da Nihal keiner
Beschäftigung nachging, die eines Doktors würdig
gewesen wäre, bleichte sein Titel gleichsam aus, und
alle, die bei der Promotion mitgewirkt hatten,
erkannten ihn nur noch mit größter Mühe. Nihal war
nicht so indiskret, durch Führung des Titels
unliebsame Erinnerungen zu wecken, und er begann
schließlich selbst ihn zu vergessen. (Gerhard
Amanshauser: Schloß mit späten Gästen, S.101)
Unter allen Doktortiteln war freilich jener der
Philosophie der zweifelhafteste. Meyer-Nimmfür
wußte zwar, was ein Ökonom, ein Jurist, ein Arzt oder
ein Wissenschaftler darstellte; was aber ein Doktor
der Philosphie eigentlich studiert hatte, daüber
machte er sich nur unklare Vorstellungen. Vielleicht
besaß ein solcher Doktor genaue Kenntnis aller
Philosophien, die jemals aufgestellt worden waren. Er
selbst, Meyer-Nimmfür, kannte von diesen
Philosophien nur vier oder fünf auf -ismus endende
Namen, ohne jedoch einzusehen, wozu diese Ismen
dienen sollten. Und weil man alles, dessen Zweck
einem verborgen ist, mehr oder weniger abwertet,
nahm er an, die Philosophie hätte im Lauf der Zeit die
widersprüchlichsten, unbeweisbaren Lehren
propagiert, unpraktikable Wortkonstruktionen, die
sich, wie eine Reihe von Plus- und Minuswerten,
letzten Endes gegenseitig aufgehoben, so daß als
Resultat die Null herauskam. (Gerhard Amanshauser:
Schloß mit späten Gästen, S.102)
Obwohl ein guter Schneider den Anzug nach Maß
gemacht hatte, schien er wie um eine Vogelscheuche
zu schlottern. Der Anzug war eine Verkleidung. Alle
Kleidungsstücke, die über ein Minimum an Hose und
Pullover hinausgingen, verwandelten sich an ihm in
Maskenkostüme, die er auf Schritt und Tritt als solche
empfand. Er kam sich dann vor wie ein Tier, das auf
groteske Art kostümiert ist und das Gelächter
irgendwelcher Engel hervorruft, die sich die Erde als
Menagerie eingerichtet haben. (Gerhard
Amanshauser: Schloß mit späten Gästen, S.118)
Er allerdings, Meyer-Nimmführ, bemerkte recht gut,
wie es um die Leute stand, die zur Dichterlesung
erschienen. Mit schlecht verhohlener Geringschätzung
beobachtete er, wie sie in ihren kümmerlichen
Anzügen über die Fliesen daherstolperten und sich
auf den Sesseln des Vortragssaales reihten. Bei
manchen drückte sich die ganze Misere in der Art aus,
wie sie ihre beste Krawatte trugen. Nur der Dichter,
Kathreiner, stach von ihnen ab. Schon seine Kleidung
verriet, in ihrem ausgesucht saloppen Zuschnitt,
etwas Extravagantes. Auch was er sagte, wich immer
ein wenig vom Gewohnten ab und bekundete jene
routinierte Aufsässigkeit, die man von einem Original
erwarten kann. "Dafür", dachte Meyer-Nimmführ, "wird
er schließlich bezahlt." (Gerhard Amanshauser: Schloß
mit späten Gästen, S.129)
Sie sah ihn wütend an. Er half ihr in den Mantel, und als er
ihn über ihren Schultern losließ, strich er mit der rechten
Hand über ihren Busen. Er fühlte die dünne Wolle ihres
eleganten Sackkleides unter seiner Handfläche und darunter
ihre angenehm gewölbten kleinen Brüste, und dann
bemerkte er, daß sie es sich eine Sekunde lang gefallenließ.
Ihre Lippen öffneten sich ganz leicht, und ehe ihre Augen die
vorschriftsmäßige Empörung sprühten, wurden sie zu
Schlitzen, wie die Augen einer Katze, die gestreichelt wird.
Aber einen Moment später hatte sie Giuliettas Wohnung
verlassen. (Alfred Andersch: Die Rote, S. 74)
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die "einen gewissen Abstand
zu den Ereignissen" brauchen, um sich klar darüber zu
werden, was mit ihnen passiert ist. Im gleichen Augenblick,
in dem etwas mit mir geschieht, fange ich auch schon an,
über das Geschehnis und seine Bedeutung für mich zu
reflektieren. Zum Beispiel bin ich mir vollkommen im klaren
darüber, warum ich jetzt mit Ihnen zusammensitze und
Ihnen diese Geschichte erzähle, Franziska; warum ich mich
für Sie interessiere, Ihnen nachgegangen bin und in Ihrem
Hotel stundenlang auf Sie gewartet habe; ich tat es, weil ich
Angst habe, und weil ich, wie ich Ihnen schon sagte, einen
Blick für Leute habe, die nicht dazu gehören, Leute, die
selbst in einer so extremen Lage sind, daß man seine Angst
bei ihnen sozusagen deponieren kann. (Alfred Andersch: Die
Rote, S. 106)
Wenn mein Vater wütend wurde (...) holte meine
Mutter widerwillig den Hut aus der Speisekammer, wo
sie ihn zwischen die Kartoffeln, die Zwiebeln, die
Kichererbsen gesteckt hatte, klopfte ihn mit leichten
Schlägen ab, um den Staub zu lösen, und bog, vor
Verdruß leidend, die Krempe zurecht. - Mit diesem da
gefällst du mir überhaupt nicht Artur während mein
Vater ihn aufsetzte und sich im Dreiviertelprofil
betrachtete, wenn er ihn auf dem Kopf hatte, wurde
er sofort langsam, kardinalsfeierlich, hochmütig,
folgte den Hinterbacken der Kellnerinnen mit
resoluter Entschlossenheit, erlaubte sich Geflüster,
Gekicher, Versprechungen, Einladungen, meine Mutter
erstarrt. (Antonio Lobo Antunes: Anweisungen an die
Krokodile, S. 62)
Als die Sonne endlich damit aufgehört hatte, mich zu
ärgern, war das Gas an der Reihe, sich auf meine
Kosten zu amüsieren. Ehrlich gesagt begreife ich die
Boshaftigkeit der Gegenstände nicht: ich rede ja
schon gar nicht mehr von den Spiegeln, die immer
bereit sind, irgendwelche Mängel an uns
festzustellen, ich rede von den Füllfederhalterkappen,
die Gott weiß wohin rollen, vom Portemonnaie, das
sich nie an dem Platz befindet, an den wir es gelegt
haben, von den Pantoffeln, von denen wir nur den
rechten finden, wenn wir sie mit dem Fuß suchen, von
den Haustürschlüsseln, die selbsttätig das Schloß der
Haustür verlassen haben und uns zwingen, alle
Taschen und alle Handtaschen auf dem Tisch
auszuleeren, einmal ganz abgesehen von den
Möbelecken, die stets bereit sind, uns zu verletzen,
den Gläsern, die uns aus der Hand fallen, wenn wir
sie spülen und Scherben hinterlassen, die die Besen
nicht bemerken, und für deren Entfernung mit der
Stecknadel der Krankenpfleger im
Gesundheitszentrum stundenlang braucht und uns
dann einen winzigen Splitter zeigt, der kleiner als der
Schmerz ist, einmal ganz abgesehen von den
eingeklemmten Reißverschlüssen, den
geheimnisvollen Flecken auf den Blusen, der
Zahnbürste, die uns Borsten im Mund zurückläßt, die
sich der Zunge entziehen, wir glauben wir haben sie
und nichts ist, es gibt immer eine Ecke zwischen den
Kiefern, die der Fingernagel nicht erreicht und in der
sie sich lachend verstecken und kaum, daß sie sie
verlassen haben, bleiben sie einem unter
Hustenschluchzern im Rachen stecken. Manchmal
denke ich sogar, daß die Gegenstände gern leiden:
Wenn das Fernsehbild verschwindet, hauen wir auf
den Apparat und es kommt zurück, wenn eine
Glühbirne ausgeht, läßt sie zwei Schläge an den
Lampenschirm wieder angehen, auch wenn dabei der
Lampemschirm schief wird, der Staubsauger wartet
auf einen stimulierenden Fußtritt, um seine Arbeit
wiederaufzunehmen. Die Perfidie der Gegenstände
verwirrt mich: da sind sie um uns herum, unschuldig,
in Reih und Glied, teuer, mit ihrer gespielten
Unterwürfigkeit und Kompetenz, ihrer vorgegebenen
Nützlichkeit, ihren Knöpfen, ihren Chromleisten, ihren
ausländischen Marken, ihren viersprachigen
Faltblättern, mit Zeichnungen und Pfeilen, die uns
wortreich beibringen, sie zu bedienen, und letztlich
verdreifachen sie uns nur die Stromrechnung, müssen
wir dem Vertragshändler den Ersatz unverständlicher
Teile bezahlen (für gewöhnlich bauen sie dann neue
Widerstände ein, als hätten sie nicht schon vorher
genug Widerstand an den Tag gelegt, um uns auf die
Nerven zu gehen und das Leben schwer zu machen).
(Antonio Lobo Antunes: Anweisungen an die
Krokodile, S. 68)
Manchmal scheint es so, als wären wir ein Ehepaar
mit seinen Codes, seinen Botschaften und Zeichen,
die Außenstehende nicht verstehen, Weihnachten
macht sie mir peinliche Geschenke, zumeist ein
grauenhaftes Stück Nippes, Gazellen, Nymphen, einen
hockenden Mexikaner, zwei Mädchen im Badeanzug,
die eine Plastikuhr halten, die ich in der Vitrine im
Wohnzimmer ausstellen muß, um Beleidigungen zu
verhindern, wobei ich mir wünsche, sie mögen schnell
zerbrechen, aber sie zerbrechen nie, nur was mir
gefällt geht kaputt, immer der Ärger, diesen Krempel,
wenn ich Besuch bekomme, in der Anrichte zu
verstecken, immer der Ärger, daran zu denken, ihn
wieder in die Vitrine zu stellen, sobald der Besuch
gegangen ist, wenn ich mich mal nicht dran erinnere,
tut sie es, indem sie ihr Beleidigtsein herausschreit...
(Antonio Lobo Antunes: Anweisungen an die
Krokodile, S. 306)
Er sah, als ich ihn zum ersten Mal in der billigsten Bar
der Unterstadt von Loanda traf, dreimal so alt aus,
wie er wirklich war, er hatte keinen einzigen Zah
mehr, vielmehr war sein Zahnfleisch mit
Plastikzähnen gespickt, die, wenn er sprach, mit dem
Geräusch ferner Hufe knarrten, und sein immer im
selben Mantel steckender spindeldürrer Körper
sonderte den Ertrunkenen und Witwern eigenen Duft
der Verlassenheit ab. (Antonio Lobo Antunes: Die
Rückkehr der Karavellen, S. 234)
Jetzt, viele Jahre später, als ich allein von Balaia
nach Lissabon aufbrach, hoffte ich fast ungewollt, dir
im Garten inmitten von blonden Ausländerinnen zu
begegnen, die tragisch und reglos wie Phädren
dastanden, in deren leerem Blick die resignierte
Einsamkeit von Statuen und Hunden wohnt. Ich würde
mich auf eine Bank zwischen die zärtlichkeitsfernen
Krampfadern einer alten Deutschen und die
ineinander verschränkten Schenkel von zwei
Heranwachsenden setzen, die auf einem
Haschischfloß dahintrieben und mit der Fröhlichkeit
einer unbekannten Dimension niemand Bestimmten
anlächelten, bis ich dich plötzlich auf der anderen
Seite des Platzes sähe, einen Weidenkorb auf der
Schulter, das Haar in der Mitte von einer Sqawfrisur
geteilt, kommst du wie das Mädchen von der
Repimpa-Matratzen-Reklame auf mich zu, das die
Greta-Garbo-Brille recycelt hat. (Antonio Lobo
Antunes: Einblick in die Hölle, S. 10)
Messines tauchte vor ihm in einer Kurve auf, unscharf
vom Zellophannebel der Hitze, und er erinnerte sich
an das erste Mal, als er am Tag nach seiner Hochzeit
in den Algarve gekommen war, und an die Blume aus
Blut auf dem Bettuch im Hotel, eine kleine geöffnete
Mohnblüte, die rot vor dem glatten, gischtgesäumten
Blau des Meeres leuchtete. Wenn sie nachts auf dem
Balkon des Zimmers saßen, roch einer beim anderen
im Haar, am Hals, auf den Schultern das Salz der
Mollusken, die Grünalgen der Scham, die
Fischkonsistenz der Schenkel, sich mit dem Ehering
am Finger lieben und deinen Ehering an deiner flach
an meinen Nieren liegenden Hand fühlen, ich habe die
Rede des Priesters vergessen, aber ich kenne dein
Lächeln so gut, das unschuldige Latein, die
Engelssprache des Orgasmus dicht über dem
verwüsteten, drängenden Körper. (Antonio Lobo
Antunes: Einblick in die Hölle, S. 61)
Er erinnerte sich daran, gelesen zu haben, daß Charlie
Chaplin von der Notwendigkeit gesprochen habe, nach
Beendigung eines Films den Baum zu schütteln,
damit die überflüssigen Zweige, die überflüssigen
Blätter, die überflüssigen Früchte herunterfielen und
schließlich nur noch die sozusagen wesentliche
Nacktheit zurückblieb, und daran, daß sich dieser
Gedanke seither in ihm tief eingenistet hatte und ihn
zwang, ständig sein Leben zu überdenken, die
Bücher, die er geschaffen hatte oder vorhatte zu
schaffen, die Pläne, die ständig widersprüchlich und
heftig in seinem Kopf brodelten, die Menschen, die
ihn aufsuchten, damit er mit ihnen die schwierigen
Wasser der Analyse durchschiffte. (Antonio Lobo
Antunes: Einblick in die Hölle, S. 35)
Es sind die Enkel der Ärsche, die Gomes Leal auf dem
Rato mit Steinen beworfen haben, das sind die
Impotenten, die sich darüber beklagen, daß in diesem
Land nur Scheiße produziert wird, und wenn jemand
auftaucht, der keine Scheiße produziert, dann fangen
sie an, vor Wut und Eifersucht angesichts der Potenz
des anderen zu schnauben, weil sie ihren schlaffen
Lumpen in der Unterhose fühlen, weil sie nicht fähig
sind, weil sie ganz definitv nicht fähig sind, das
Leben zu vögeln. (Antonio Lobo Antunes: Einblick in
die Hölle, S. 71)
Wie real dieser Typ doch ist, wie beruhigend real
dieser Typ doch ist, dachte er, sogar mit seinen
dichten Tresterschnapsatem, sogar in der vulgären
Verbindlichkeit seiner Gesichtszüge: ein konkreter,
wahrer, solider Mann, verankert in der logischen Welt
der Steuern, der Strafzettel fürs Falschparken, der
Koteletts nach Wurstmacherart und der kleinen
ehelichen Haßgefühle. (Antonio Lobo Antunes:
Einblick in die Hölle, S. 70)
Da kam ein rotblonder Junge in Unterhose, aus deren
schlaffen Gummibändern die Schamhaare orange
angehaucht herausschauten, schwankend herein, hielt
sich am Tisch fest und begann mit trockenen Lippen
ohne Spucke, die voller Krusten und Sommersprossen
waren: "Herr Doktor Herr Doktor Herr Doktor Herr
Doktor Herr Doktor Herr Doktor" zu sagen, mit den
Lippen eines naschhaften Kindes, eines angstvollen
Kindes, das im Schlaf spricht, den Lippen meines
Bruders Nuno, als er drei Jahre alt war und an
Bauchfellentzündung erkrankt war und immer wieder
sagte, Ich werde sterben und will meinen Vater hier
haben, mit einer Stimme, die ich nie wieder
vergessen werde, die schreckliche, anklagende
Stimme von Kindern im Todeskampf, ich habe Kinder
an Leukämie sterben sehen, gesehen, wie sie in
Bettücher gewickelt und auf dem Arm in den
Kühlschrank des Kkrankenhauses getragen wurden,
Kinder, die nach der Ampulle Morphium weinten, die
von Ekchymosen gewollenen Ellenbogen zu den
panikerfüllten Assistenzärzten hoben. (Antonio Lobo
Antunes: Einblick in die Hölle, S. 70)
Der Abend hatte jetzt die trübgelbe Farbe
verstorbener Menschen, das melancholische Jodgelb
der alten Fotos, das dreckige Gelb von Urin an einem
Stamm oder einer Mauer, das rostige Gelb der über
den Strand humpelnden Hunde, die im
Septembermorgengrauen im Rudel dicht am Meer
entlangtrotten unter dem endlosen schweigenden
Himmel, an dem man in der Ferne die Migrationen der
Enten der Tagundnachtgleiche erahnt. Dürre,
tragische Pflanzen hoben vielfältige, frenetische,
inmitten des Kreiselns eines Walzers innehaltende
Dirigentenhandgelenke zu den dicken, bauchigen,
beinahe violetten Wangen der Wolken, und hin und
wieder lösten sich Werkzeuge und Maschinen der
Straßenbauarbeiter im dürftigen Gras in süßem
Totengeruch auf. Alles in Algarve ist blutlos und
zahm, dachte er, sogar die Wellen, die sich über sich
selbst wie aufeinanderfolgende durchsichtige
anämische Lider beugen, sogar die
Bimssteingesichter der Bauern, in deren Adern ein
geheimer, rästselhafter Wind fließt, sogar die bald
schon reifen, bald schon schweren, wie Früchte von
dicken leuchtenden Sonnenstengeln an den Zweigen
des Himmel herabhängenden Morgen. (Antonio Lobo
Antunes: Einblick in die Hölle, S. 74)
Die 5. Station, ganz oben in der Anstalt, zu der man
mit einem riesigen Fahrstuhl gelangt, der sich unter
panischem Kreischen von Stockwerk zu Stockwerk
weint, war, als er dorthin versetzt wurde, ein
trauriges Fegenfeuer, das die Psychiater vergebens
aufzuheitern versuchten, indem sie die Wände mit
Spiegeln pflasterten, die die grauen Gestalten der
Kranken, ihre erbärmliche Lage als Gefangene
zurückwarfen (es war ihnen verboten, allein
hinauszugehen, es war ihnen verboten,
spazierenzugehen, es war ihnen verboten, Kontakte
mit Männern zu haben, denn, Wir wollen keine
Verantwortung übernehmen, wir wollen keine
Schwierigkeiten, wir wollen keine Probleme, wir
wollen keine Beschwerden seitens der Familien), so
daß die einzigen erlaubten Aktivitäten darin
bestanden, die Tropfen der verschriebenen
Medikamente zu nehmen und dann zu nicht ganz
klaren, unnützen Näharbeiten zu schreiten, und darin,
im Speisesaal zuhauf auf Resopalstühlen, die wacklig
waren wie Milchzähne, einmal pro Woche morgens an
den Versammlungen des Clubs teilzunehmen, unter
der Leitung von Spezialisten, die vom salbungsvollen
guten Willen christlicher Kerkermeister besessen
waren. (Antonio Lobo Antunes: Einblick in die Hölle,
S. 88)
Eine meiner Tanten ist durchgedreht, wie ihr
Kanarienvogel gestorben ist, und ein Kanarienvogel
ist ein Kanrienvogel, sie ist im Julio de Matos
gestorben, wo sie die Ärzte mit Hirse fütterte, jedem
Arzt, der sich ihr näherte, gab sie Hirse und wollte ihn
in einen Käfig stecken, zu Hause hat sie ihren Mann
gezwungen, die Zeitung auf der Sitzstange zu lesen
und Piupiupiu zu singen, und er sang, damit sie
keinen Aufstand gab, hin und wieder hob er den Kopf
vom Kreuzworträtsel und sagte ein Piupiupiu, das
einem durch und durch ging. (Antonio Lobo Antunes:
Einblick in die Hölle, S. 113)
Das Problem sind die drei Monate Schwangerschaft,
die die Braut schon im Bauch hat, die Orangenblüte
ist eine welke Mandarine, ich weiß nicht, ob Sie
merken, worauf ich hinauswill, sie haben das
rausgekriegt, haben den Bauch der Kleinen gesehen,
eine Backpfeife hier, eine Backpfeife da, dann ein
paar Ohrfeigen haben noch niemand geschadet, und
sie hat den Namen des Spitzbuben umgehend
ausgespuckt, Es ist Carlos Alberto da Ascensao
Domingos, sie haben diesen Cabe an den
Hammelbeinen gekriegt, entweder heiratest du, oder
deine Eier sind abgängig, der Seminarist drohte von
fern mit dem Käsemesser, der Mann wurde weiß und
sagte ja, was immer sie wollten, solange sie seine
Klöten in Frieden ließen, er war Vertreter, stieg hin
und wieder in der Pension ab, bereiste den Norden für
einen Hersteller von Kompressen, ich heirate, aber
laßt meinen Hosenstall los. (Antonio Lobo Antunes:
Einblick in die Hölle, S. 10)
Es gibt Ärzte, Joana, die sind grausam und tragisch
wie Zwerge, wie Krüppel, wie Bucklige, wie Musiker,
die am Ende der Prozessionen zwischen weinenden
Engeln und häßlichen Christussen aus Gips die
Posaunen spielen. Grausam, tragisch und gemessen
fliegen sie mit den Schwungfedern ihrer weißen Kittel
um die Infusionsballonsonne herum. Immer wenn
jemand sterben wird, sammeln sie sich, von einem
merkwürdigen Insekteninstinkt geführt, um den
abgemagerten, blassen Patienten, durchblättern
fröhlich Röntgenbilder, Laborergebnisse,
Biopsieberichte, sind bereit, das zu diskutieren, was
sie euphemistisch einen schönen Fall nennen,
komplizierte Krebserkrankungen, besonders
Leukämien, unheilbare Infektionen, und erschnuppern
dabei strahlend den bevorstehenden Exitus. (Antonio
Lobo Antunes: Einblick in die Hölle, S. 195)
Bis er starb, hat mein Mann nie viel mit mir geredet,
nicht einmal sonntags nach dem Mittagessen, wenn wir
mit dem Auto losfuhren, damit die Kinder mal rauskamen.
(...) Wir ermahnten die Kinder mit einem Klaps, sich
nicht gegenseitig umzubringen, sich nicht mit den Füßen
zu treten und die klebrigen Hände nicht an den
Autopolstern abzuwischen, und wenn die Jungen dann alle
fünf Minuten bettelten, Pipi machen zu dürfen,
antwortete ich, die ich schon nicht mehr richtig auf
dem Sitz saß und der der Rücken weh tat, Wir sind
gleich da, wartet noch einen ganz kleinen Augenblick,
es dauert nicht mehr lange, und mein Mann blitzte sie
im Rückspiegel an und teilte ihnen brüllend mit, Wer
den Sitz naß macht, bleibt zur Strafe die ganze Nacht
in der Speisekammer, und wir kamen dann bei Anbruch der
Dunkelheit zu Hause an, die Kinder quengelten vor
Müdigkeit, und wir rochen in jedem Stockwerk die
Speisekarten der Mitbewohner, und bei uns sollte es
Brathähnchen und Kartoffelchips aus der Tütegeben, das
übliche Wochenendabendessen, aber das Gas war
regelmäßig in dem Augenblick alle, in dem ich den Tisch
gedeckt und das Hähnchen in die Jenaer-Glas-Form gelegt
hatte und das Streichholz an den Brenner des Ofens
hielt, so daß wir wutschnaubend ein kleines Schnitzel
mit Fritten in einem Bierlokal in Almada aßen, das
bevölkert war von Meeresfrüchteliebhabern mit
Zahnstochern zwischen den Lippen, die an einem riesigen
Aquarium lehnten, auf dessen algigem Steingrund sich,
das Wasser abtastend, arthosekranke Langusten
entlangschleppten. (Antonio Lobo Antunes: Die
Leidenschaften der Seele, S. 350)
... würde sofort den Amtsarzt rufen, den alten Mann,
der in der Trockenzeit in seiner Praxis am Stadtrand
überwinterte, die Familie nicht sehen wollte,
schwarzafrikanische Breie auf einem alten Holzkohleofen
kochte und nachmittagelang hinter heruntergelassenen
Rolladen auf der Untersuchungsliege für Unglücksfälle
schlief, ohne ein Bad zu nehmen und die Wäsche zu
wechseln, der inmitten seiner Schränke mit Kathetern
und chirurgischen Instrumenten aus einem
Plastikplattenspieler gebrüllte Opern hörte. Er klebte
mit Heftpflaster ein Schild an die Tür 'Bis zur
Regenzeit geschlossen', verbarrikadierte den Flur mit
dem Bücherbord, und wenn seine Frau klingelte und ihn
bat, aufzumachen, stellte er die Arien lauter und legte
sich zufrieden wieder auf die Liege. (Antonio Lobo
Antunes: Die Leidenschaften der Seele, S. 242)
Ich habe ihn akzeptiert, weil sich kein Handballspieler
für mich interessierte und mich bei den
Freitagabendtanzveranstaltungen des Studentenclubs
aufforderte, weil man mich auf meinem Stuhl sitzen
ließ, wo ich den Takt der Boleros mit dem Absatz
klopfte und in meinem Rüschenkleid Enttäuschungen
verdaute und ein einsames Leben als Lehrerin in einer
Vorortschule vor mir sah, in dem ich verdammt war,
allein zu Abend zu essen, die pädagogische
Fachzeitschrift an die Wasserkanne gelehnt, und die
Wechseljahre mit Kätzchen aus Glas und Pierrots aus
Biskuitsporzellan zu bevölkern. (Antonio Lobo Antunes:
Die Leidenschaften der Seele, S. 357)
Wir gingen erst seit höchstens sechs Wochen
miteinander, und ich hatte ihn akzeptiert, weil er mir
versichert hatte, daß er nach dem Abschluß des Studiums
Richter würde, und mein Vater, der Justizwachtmeister
am Gericht in Sintra war, hatte mir die ganze Kindheit
hindurch so hingebungsvoll von Landgerichtsräten und
Richtern erzählt, wie Priester von den Heiligen
sprechen, und ich stellte mir vor, daß ich mit einem
Herrn in Richterrobe durch Lissabon wandelte, der Herr
über die Schicksale der Welt war und den ganzen Chiado
entlang eine Spur ängstlicher Bewunderung hinterließ.
Meine Studienkolleginnen in Romanistik, die turbulente
Leidenschaften für muskulöse Handballspieler
durchlebten, denen eine ärmliche, enge Zukunft als
säuerliche Schreiber bevorstand, fanden ihn häßlich,
wortkarg, rachitisch, schlecht angezogen und lachten
über ihn, weil er Schuppen auf dem Kragen hatte und mit
offenem Mund kaute, aus Büchern zweiter Hand lernte und
mit einem Provinzakzent sprach, der sonst Domherren und
Streifenpolizisten eigen ist. (Antonio Lobo Antunes:
Die Leidenschaften der Seele, S. 356)
Ich dachte an meine Alte, die besessen ist von dieser
unerklärlichen weiblichen Neigung, uns mit
Merchurochrome, Halstinkturen, Borsäure, Thermometern
und Zäpfchen zu quälen, und wollüstig Zitronentees mit
Honig kochte, die meine Zunge in eine schmerzende
Griebe verwandelten. Meiner Meinung nach ist das etwas,
was bei ihnen wie die Zellulitis, der Kaufrausch und
der Schnurrbart über vierzig entsteht. Die besondere
Spezialität meiner Frau ist, mir Schnellverbände auf
behaarte Bereiche zu kleben und sich über mein
Schmerzgeheul zu wundern, wenn sie die Pflaster wieder
abzieht. Meine Tochter, die jetzt sechszehn geworden
ist, hält mich für eine ausgemachte Memme, weil ich es
wage zu behaupten, daß Aspirintabletten die
Mundschleimhaut verätzen. Und mich hat die Tatsache
immer wieder beeindruckt, daß die Frauen einen Besuch
beim Zahnarzt, bei diesen Kretins, die uns mit
perverser Freude das Zahnfleich zerschmettern, als ein
ganz alltägliches Ereignis betrachten, dagegen kommen
sie in Tränen zerfließend aus dem Kino, von indischen
Melodramen überwältigt, die sonst niemanden rühren.
(Antonio Lobo Antunes: Die Leidenschaften der Seele, S.
415)
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