|
Bibliomanische FAB / [M-P]
A
B
C
D
E
F
G
H
I
J
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
X
Y
Z
[^]
So haben private Bibliotheken, in denen die
Gesamtausgaben überwiegen, leicht etwas Banausisches.
Das Bedürfnis nach Vollständigkeit, wahrhaft legitim
gegenüber jenen Ausgaben, in denen ein Philologe sich
anmaßt zu entscheiden, was von einem Autor daure und
was nicht, verbindet sich allzu leicht mit dem
Besitzinstinkt, dem Drang, Bücher zu horten, der sich
der Erfahrung entfremdet, die einzelnen Bänden, und
zwar kraft ihrer Zerstörung, sich einprägt. Solche
Reihen von Gesamtausgaben protzen nicht nur, sondern
ihre glatte Harmonie verleugnet unbillig das Schicksal,
welches das lateinische Sprichwort den Büchern
zuspricht und das allein von alem Toten sie mit
Lebendigem gemein haben. Die einheitlichen und meist
allzu geschonten Blöcke wirken, als wären sie alle auf
ein Mal, geschichtslos oder, wie das zuständige
deutsche Wort lautet, schlagartig erstanden worden, ein
wenig schon wie jene Potemkinsche Bibliothek, die ich
in der der als Dépendance einem Hotel angegliederten
Villa einer alten amerikanischen Familie in Maine fand.
Sie kehrt mir alle erdenklichen Titel zu; als ich der
Lockung folgte und hineingriff, brach die ganze Pracht
leise klatschend zusammen, alles Attrappen.
Beschädigte, angestoßene Bücher, die leiden mußten,
sind die rechten. Hoffentlich entdecken Vandalen nicht
auch das und behandeln ihre nagelneuen Vorräte, wie
abgefeimte Restaurateure Flaschen, die algerisch
verfälschten Rotwein füllt, mit einer synthetischen
Staubschicht überziehen. Bücher, die einem das Leben
lang begeleiten, weigern sich überhaupt der Ordnung
systematischer Plätze und insistieren auf denen, die
sie selber sich suchen; wer ihnen die Unordnung gönnt,
muß nicht lieblos zu ihnen sein, sondern nur ihren
Launen gehorsam. Dafür wird er dann häufig bestraft,
denn diese Bücher sind es, die am liebsten sich davon
machen.
Es wurde festgestellt, daß zwar Roman und Drama
einen gleich angenehmen intellektuellen Zeitvertreib
darstellten, der Roman dem Drama jedoch insofern
unterlegen sei, als es ihm an den äußeren
Akzidenzien der Illusion gebreche und der Leser sich
häufig auf gemeine Art und Weise überlisten lasse
und an den Schicksalen illusorischer Charakter echten
Anteil nehme. Das Theaterstück werde in
bekömmlicher Form von großen Massen an
öffentlichen Versammlungsstätten konsumiert, den
Roman führe man sich selber im privaten Bereich zu
Gemüte. Der Roman könne in den Händen eines
skrupellosen Autors despotisch wirken. Als Antwort
auf eine Anfrage wurde erklärt, ein ordentlicher
Roman habe ein offenkundiger Schwindel zu sein,
dem der Leser den Grad seiner Leichtgläubigkeit nach
Belieben anpassen könne. Es sei undemokratisch,
Romanfiguren zu zwingen, eindeutig gut und böse,
arm oder reich zu sein. Jeder von ihnen sollte ein
Privatleben, Selbstbestimmung und ein anständiger
Lebensstandard gewährt werden. Dies würde
Selbstachtung, Zufriedenheit und bessere
Diensterfüllung gewährleisten. Es sei nicht korrekt zu
behaupten, hierdurch werde ein Chaos herbeigeführt.
Die Figuren der einzelnen Bücher sollten austauschbar
sein. Der gesamte Bestand der vorhandenen Literatur
sei als Limbus anzusehen, dem scharfsinnige Autoren
ihre Figuren je nach Bedarf entnehmen könnten, so
daß sie nur dann selber eine zu erfinden brauchten,
wenn es ihnen nicht gelinge, unter den verhandenen
Marionetten eine geeignete ausfindig zu machen. Der
moderne Roman habe weitgehend aus Verweisen zu
bestehen. Die meisten Autoren verbrächten ihre Zeit
damit, zu sagen, was früher schon gesagt worden sei
- und das meist viel besser. Eine Fülle von Verweisen
auf bereits vorhandene Werke würde den Leser
augenblicklich mit dem Wesen eines jeden Charakters
bekannt und ermüdende Erläuterungen hinfällig
machen sowie Scharlatane, Parvenus, Taschenspieler
und Leute niederen Bildungsstandes von einem
Verständnis der Gegenwartsliteratur wirksam
ausschließen. (Flann O'Brien: In Schwimmen-zwei-
Vögel, S. 32f.)
Autoren sind naturgemäß die Feinde des Verlegers. Sie
gliedern sich in zwei Gruppen. Die eine - und unendlich
größere - besteht aus den Autoren, deren Bücher man
nicht herausbringt, die andere aus jenen Autoren, deren
Bücher zwar erschienen sind, für die der Verlag aber zu
wenig tut: die er zu wenig bewirbt, für die er zu
selten Veranstaltungen, Lesungen, events organisiert,
für die er keine oder zu wenige oder nur schlechte
Rezensionen zuwege bringt, für die der Verlag nicht den
berechtigten Platz auf einer Bestsellerliste erkämpft.
Es gibt einige Autoren, auf die das alles nicht
zutrifft, zu wenige, um sie eine Gruppe zu nennen. Von
denen lebt ein Verlag. Angesichts dieser Ausgangslage
bin ich froh, daß ich unter meinen Autoren auch einige
Freunde habe. (Ein paar Gründe, kein
Verleger zu werden)
Diese Bücher sind die Spuren meines Kampfes. Ich
habe in meinem Schreibzimmer die Figuren dieser
Bücher erschaffen und dann mit ihnen gekämpft.
Manchmal haben mich die Figuren auch besiegt.
Schreiben heißt für mich, andere Personen zu
erschaffen und mit ihnen zu ringen. Ich glaube, ich
habe mich ganz gut geschlagen. Meinen Erfolg
möchte ich nicht daran messen, wie viele Leser ich
mit meinen Büchern gewinnen konnte, sondern daran,
wie gut ich mit den fremden Menschen, den Figuren,
gekämpft habe.
Die alte Frau von gegenüber ist natürlich wieder um neun ins
Bett gegangen. Sie hat ihr Fenster halb offengelassen. Sie
wird um elf, um eins, um drei und vier oder fünf wieder
aufwachen und das Licht anmachen. Ich weiß nicht, was sie
dann immer macht, aber ich stell mir vor, daß sie dann
immer Kriminalromane liest. Oder Liebesromane.
Irgendwelche Heftchen. Es gibt eine ganze Menge alte
Frauen, die nachts im Bett solche Sachen lesen. Sie sind
vielleicht sogar eine Mehrheit. Jerry Cotton ist der Held ihrer
Nachttischlampen, aber sie lesen auch Chandler und Dashiell
Hammett. Ich weiß auch nicht, woher das kommt, aber
vielleicht ist es beruhigend für sie, zu sehen, wie Dutzende
von Leuten sterben, die soviel jünger sind als sie selber.
Vielleicht gibt ihnen das nachts für ein paar Stunden das
Gefühl, sie wären unsterblich. (Günter Ohnemus:
Zähneputzen in Helsinki, S. 12)
Hier hatte der Sammler Anton Kippenberg vor längerer
Zeit eine geniale Idee: schmächtige, kartonierte und
doldentapezierte Bändchen - die Insel-Bücherei. Und es
brauchte wiederum nur wenige Jahre, bis sich die Insel-
Bücherei ihrerseits zum Tummelplatz einer ganz eignen
Spezies von Sammlern gemausert hatte. Allerdings ist
es mit dem Sammeln von Inselbändchen eine heikle Sache,
will sagen: eine Wissenschaft. Du wirst selten einen
treffen, der dir zuverlässig sagen kann, wie viele
Titel sich die Bücherei bis heute einverleibte - sie zu
zählen, verlangt die ganz hohe Kunst. Es wimmelt nur so
an Mehrfachvergaben; zwei, oft genug drei Titel, die
sich in eine Nummer teilen. Manchmal vier. Des
Durcheinanders nicht genug, gibt es selbstverständlich
auch einzelne Titel unter verschiedenen Nummern. Kein
Mensch hat je den heillosen Grund dafür erfahren, rsp.
das System zu erforschen vermocht, dem du folglich eine
gewisse Genialität nicht absprechen magst: was könnte
das einfältige Sammlerherz mehr aufhetzen und in Rage
versetzen, als solcherart Finesse! (Detlef Opitz: Der
Büchermörder, S. 167)
Der Magister schrieb mindestens noch drei weitere
Bücher, die allerdings erst viel später erschienen. Das
wichtigste davon ist eine 300-seitige Abhandlung zur
Offenbarung. Es wurde ja Zeit, könntest du sagen, denn
jeder Landpfarrer, der auf sich hielt, hatte schon ein
Buch über die Offenbarung geschrieben, da sollte der
gelehrte Magister Tinnius nicht fehlen! (Detlef Opitz:
Der Büchermörder, S. 339)
"Übersetzer sind Seeräuber." (...) "Worin besteht die
Arbeit des Seeräubers? Wenn ein fremdes Schiff ihm
gefällt, entert er es und durchsucht es. Er wirft die
Besatzung ins Meer und ersetzt sie durch Freunde.
Dann hißt er auf dem höchsten Mast die
Nationalflagge. Der Übersetzer tut das gleiche. Er
kapert ein Buch, wechselt die gesamte Sprache aus
und tauft es französisch. Haben Sie nie gedacht, daß
die Bücher Schiffe sind und die Wörter ihre
Besatzung?" (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 22)
Die ersten Schritte des übersetzenden Korsaren auf
der Insel waren ganz weise und vorsichtig: zunächst
nahm er sich nur verstorbener Autoren an. Welche
viele gute Eigenschaften hatten, vor allem
Unerschütterlichkeit und Geduld. Das Übersetzen ist
nämlich eine schmerzhafte Operation, die mit der
Chirurgie verwandt ist (man amputiert Sätze, man
durchtrennt Sinnzusammenhänge, man transplantiert
Wortspiele, man zerreibt, man bindet ab; unter dem
Vorwand der Treue verrät und quetscht man). Die
verstorbenen Autoren protestierten nie. Und mit in
der Ewigkeit Weilenden konnte man sich so viel Zeit
lassen, wie man wollte. Man riskierte keine
Ordnungsrufe, keine nervös auf das Glas der
Armbanduhr pochenden Zeigefinger. Im Ungang mit
diesem reizenden Volk (Henry James, Charles
Dickens, Jane Austen) hatte der Übersetzer
schlechte Gewohnheiten angenommen. Er arbeitete,
wenn die Lust ihn überkam: selten. (Erik
Orsenna: Inselsommer, S. 23)
Das Werk begann ruhig in einem gut bekannten Ton.
Doch zwei Seiten weiter, nach den unvermeidlichen
genealogischen Vorstellungen, die Romanen eine
Ähnlichkeit mit vom Hals bis zu den Fesseln
zugeknöpften Frauen verleihen, so sehr nagt die
Ungeduld an einem, zur Sache zu kommen, schwang
der Autor sich auf, ließ sich von einem Bild zum
nächsten tragen... (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 42)
Ein Garten ist auch ein gelehrter Wust von Wörtern.
Wer sich darin ergeht, ohne benennen zu können,
genießt nur eine etwas verschwommene Oberfläche.
Ähnlich wie die Welt vor der Schöpfung (am Anfang
war das Wort). Oder wie die eines Kurzsichtigen, dem
durch die Ohrfeige einer plötzlich prüden Frau die
Brille abhanden gekommen ist. (Erik Orsenna:
Inselsommer, S. 55)
"Kollege, nicht wahr? Sie sind auch Doktorand?" (...)
"Ich arbeite über eine Liebe von Stendhal, eine
unbekannte Leidenschaft." "Spannend, wirklich
spannend." Der Gelehrte dachte an den Enthusiasmus
seiner Jugend zurück, als auch er glaubte, man
könnte eine Dissertation beenden. Er sagte sich, daß
irgendwann, in zwei oder drei Jahren, die klugen
dicken Bücher, die auf dem Kai herumlagen und so
manchen Seemann einschüchterten, ihrerseits die
Tiefe eines Schranks bereichern würden. Mit allen auf
der Insel aufgegeben, unnütz gewordenen
Unterlagen, den Überresten der abgebrochenen
Projekte, hätte man die allervollständigste
Enzyklopädie schreiben können. (Erik Orsenna:
Inselsommer, S. 58)
Sie hatten vom Schiff zum Kai eine Kette gebildet
und reichten den Krempel jedes von Wasser
umgebenen häuslichen Lebens von Hand zu Hand
weiter: Kartons mit Apfel-Erdbeermarmelade,
Babystühle, Spülbecken, Schwimmreifen mit
Entenkopf, Monopolyspiele, Regale, Stichsägen...
ganz zu schweigen von zusammenlegbaren Bidets,
denen manche eine empfängnisverhütenden Wirkung
zuschrieben. Etwas abgesondert kämpfte ein
blutjunger Mann mit Wörterbüchern. Sie waren aus
einem Koffer gequollen und lebten auf dem Kai ihr
Eigenleben wie Jungen im Ferienlager, die zu lange
eingesperrt waren. Kaum aufgestapelt, fielen sie
wieder auseinander. Kaum auf dem Boden,
planschten sie in Wasserlachen herum, und die
weisen seltenen Bücher schlürften, glücklich, daß ihre
Seiten sich warfen, den dicht fallenden Sprühregen.
(Erik Orsenna: Inselsommer, S. 57)
Die letzten Jahre seines Lebens verbringt Giacomo
Casanova als Bibliothekar des Grafen Waldstein auf
einem Schloß im böhmischen Dux. Er schreibt an
seinen vieltausendseitigen Memoiren, nie hat ein
Schriftsteller idealere Bedingungen für sein
Schreiben gefunden: Ländliche Abgeschiedenheit,
eine frugale Mahlzeit pro Tag, keine Zerstreuung,
13 Stunden am Tag allein mit sich selbst und dem
Papier. Was vielen wie ein Kerker erscheinen mag,
ist nichts anderes als autistisch erlebtes Glück,
Leben in der Erinnerung, Dialog mit sich selbst,
Murmeln der fernen Stimmen. Casanova lacht viel,
während er schreibt, nie hat er sich besser
amüsiert, welch ein Vergnügen ist es, notiert er,
an einmal erlebtes Vergnügen zu denken! Jung werde
er darüber, schülerhaft, ja beinahe närrisch, und
dieser Übermut führt zu einer gewissen
Ausgelassenheit, einem feinen, sprühenden,
übertriebenen Zynismus, der jede Diskretion
übersteigt. Nur so kann Casanova schreiben, nicht
für Leser seiner Tage, sondern als
Stimmendeklamator im Totenreich. (Hanns-Josef
Ortheil)
Bibliomane, das sind Leser, die Bibliotheken um ihrer
selbst willen lesen, Leser, die nicht aufhören können,
aus Büchern ihre eigenen Exzerpte zu schneiden, Leser,
die diese Exzerpte in kunstvoll geplanten Systemen
ordnen und übersichtlich machen, Lesetiere also,
schwer, übersättigt und langsam, tief in das immer
gewaltiger werdende Buchstabenfett vergraben.
Bibliomanen, das sind die Elephanten des Lesens.
(Hanns-Josef Ortheil: Das Element des Elephanten)
Das Schlimme ist nur, daß Elan, Enthusiasmus und
das erwünschte Glück nicht für das Literarische
taugen. Seit Jahrhunderten haben sich die besten
Schriftsteller vielmehr Freude und Glück aus guten
Gründen strengstens verboten, jeder Leser weiß
schließlich inzwischen, wie unglücklich es in der
Literatur zugeht, die beste Literatur ist vor allem aus
Unglück gemacht, steht überall, und wenn es das
Unglück nicht gäbe, müßte man es erfinden, so
langweilig wäre sonst alles, vor allem aber die
Literatur. (Hanns-Josef Ortheil: Lo und Lu, S. 228)
Als Romanautor bin ich der Schöpfer einer
universellen Welt, der fähig sein muss, diese Welt
aus den verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten.
Für jede dieser Perspektiven benötige ich aber eine
ganz eigene Sensibilität und Erfahrung. Ich muss eine
Sensibilität dafür haben, wie Menschen in bestimmten
Situationen handeln und reden, ich muss wissen, wie
sie sich kleiden und was sie essen, ich muss aber
auch eine Art Beichtvater sein, der weiß, was sie
verdrängen oder was sie im Innersten bewegt.
Mutter hat den schweren Sessel schräg vor das Fenster gerückt und
die helle Gardine beiseite geschoben. Neben dem Sessel steht ein
rundes, samtbezogenes Tischchen, darauf eine Kanne mit Tee und
eine winzige Tasse, Mutter liest. Oft liest sie lange Zeit, ohne
sich einmal zu rühren, und oft schleiche ich mich in diesen
stillen Leseraum, ohne dass sie mich bemerkt. Ich kauere mich
leise irgendwohin, gegen eine Wand oder vor das große
Bücherregal, ich warte. Irgendwann wird sie etwas Tee trinken und
von ihrer Lektüre aufschauen, das ist der Moment, in dem sie auf
mich aufmerksam wird. Sie schaut etwas erstaunt, ich schaue
zurück, ich versuche, herauszubekommen, ob ich mich zu ihr ans
Fenster setzen darf. (Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des
Lebens)
Ich sagte ihr, dass ich Schriftsteller sei und gerade an
einem Roman über meine Biographie arbeite, weswegen ich gerade
jetzt nicht gern über mein bisheriges Leben sprechen würde,
dieses Sprechen würde mich durcheinanderbringen, und gegenüber
einem Schreibstoff gelte sowieso ein absolutes Schweigegebot.
Sprechen Sie mit niemandem über ein in Arbeit befindliches
Manuskript?, fragte sie neugierig, und ich bedauerte sofort,
nicht gelogen und mich als Architekt oder Immobilienhändler
ausgegeben zu haben. Die meisten Menschen geraten nämlich, wenn
sie einem Schriftsteller begegnen, in eine gewisse Verzückung,
als wäre es das Großartigste und Seltenste auf der Welt, einem
Menschen zu begegnen, der täglich einige Seiten mit Buchstaben
und Worten füllt. Meist beginnt dann ein ewiges Fragen
(Schreiben Sie noch mit der Hand? Machen Sie sich vorher Notizen?
Wie lange arbeiten Sie an einem Roman?), es handelt sich um eine
Fragerei, die niemand einem Architekten oder Immobilienhändler
zumuten würde (Besichtigen Sie die Wohnungen, die Sie verkaufen
wollen, vor einem Kundengespräch selbst? Machen Sie sich dabei
Notizen? Wie lange brauchen Sie für einen Verkauf?), mit der
ausgerechnet Schriftsteller aber unaufhörlich genervt werden.
(Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens)
Ich schaue einer kleinen dicken Frau, die nach süßem
Parfum stinkt, über die Schulter und lese in ihrer
Abendzeitung. Als sie es bemerkt, dreht sie sich ein
wenig zur Seite und duckt sich über das Gedruckte,
damit ich es ihr nicht weglesen kann. (Georg M. Oswald:
Alles was zählt, S.15)
Es ist selbstverständlich, dass die Literatur in den
Jahrhunderten davor starke Traditionen herausgebildet
hat, wie unter der Zensur, mit ihr und gegen sie zu
schreiben sei. Sie scheinen plötzlich obsolet, denn wo
nichts verboten wird, kann man sich gegen Verbote nicht
wehren. Ebenso selbstverständlich ist, dass den
Schriftstellern etwas fehlt, wenn ihnen plötzlich der
beste Feind abhanden kommt, so dass die neu gewonnene
Freiheit durchaus etwas Schales an sich hat. Es gibt
deshalb die gelegentlich an literarischen Stammtischen
geäußerte Ansicht, nur unter der Knute der Zensur könne
große Literatur entstehen. So abstrus diese Auffassung
ist, sie ahnt zumindest, dass in unfreien Zeiten von
der Literatur mehr erwartet wird als in freien. Wenn
ästhetisch wie politisch alles erlaubt ist, ist alles
egal, also nicht der Rede wert.
Er mußte ein besessener Leser sein. Ich empfand
eine seltsame Mischung aus Überheblichkeit und
Demut, als ich mit dem Zeigefinger über die Rücken
einer vielbändigen und offenbar jahrzehntelang
gelesenen Goethe-Ausgabe streifte. Das meinte er
also, wenn er von Bildung sprach, ganz so, wie es
sich einmal gehört hatte. Ich bin der Schriftsteller,
dachte ich, aber Schmidt kannte die Literatur. Hier
stand der ganze Goethe, da Jean Paul, dort Lessing
und hier Shakespeare, und so, wie diese Bände
aussahen, zerlesen und abgegriffen, waren sie seit
Dekaden in stetigem Gebrauch. Nicht anders als die
Taschenbücher, die in langen Reihen darunter
standen, Ausgaben aus den fünfziger, sechziger und
siebziger Jahren, wenige aus neuerer Zeit. Die
Sachen, die Schmidt, als Schüler und Student gelesen
hatte, und die, die er sich später gekauft hatte, um
"am Ball" zu bleiben. Man hätte Schmidts
intellektuelle Biographie anhand dieser
Taschenbücher erzählen können, man hätte sehen
können, daß er sich ein Leben lang den "brennenden
Fragen der Zeit" gestellt hatte, indem er sich mit den
einschlägigen Büchern befaßt hatte. Diese
unverdrossene lebenslange Aufgeschlossenheit rührte
mich, sie wirkte so jungenhaft und in einem höheren,
ja schönen Sinn naiv, daß ich sie nicht unbedingt mit
dem Anwalt, der gerade da draußen damit beschäftigt
war, zu seinem Vorteil seine Tochter unter die Haube
zubringen, in Verbindung gebracht hätte. (Georg M.
Oswald: Im Himmel, S. 87f.)
"Einmal, ich war sieben oder acht Jahre alt, sagte mir
Mutter, (...) es stimme zwar, daß Bücher sich im Laufe
der Jahre verändern könnten, genauso wie Menschen
sich mit der Zeit veränderten, aber der Unterschied
liege darin, daß Menschen dich letztlich fast alle im
Stich ließen, sobald sie keinen Nutzen oder keine
Freude oder kein Interesse oder einfach keinen
Gefallen mehr an dir fänden, während Bücher dich
niemals im Leben im Stich ließen. Du würdest sie
natürlich gelegentlich beiseite legen, manche sogar
viele Jahre oder auch für immer. Aber sie, die Bücher,
würden dir auch dann, auch wenn du ihnen untreu
geworden warst, niemals endgültig den Rücken
kehren: Ganz still und bescheiden würden sie auf dem
Regal auf dich warten, sogar jahrzehntelang würden
sie warten, ohne zu klagen. Bis du eines Nachts
plötzlich eines von ihnen brauchtest, und sei es um
drei Uhr früh, und sei es auch ein Buch, das du Jahr
um Jahr vernachlässigt, ja fast aus dem Gedächtnis
gelöscht hattest, es wird dich nicht enttäuschen,
sondern vom Regal herunterkommen und in dem
Moment bei dir sein, in dem du es brauchst. Es wird
nicht mit dir abrechnen, keine Ausflüchte erfinden und
sich nicht fragen, ob es sich für es lohnt, ob du es
verdienst oder ob du noch zu ihm paßt, sondern wird
einfach sofort kommen, wenn du es bittest zu
kommen." (Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und
Finsternis)
Hat jemand von euch ihn jemals gesehen? Ich meine ihn den
Bücherwurm, den echten. Wie sieht er aus? Wie geht er vor, frisst
er sich wahl- und planlos durch das gesammelte Weltwissen oder
verfolgt er eine bestimmte Strategie? Nagt er quer durch die
Lagen oder lässt er sich von den Zeilen führen? Verfügt man nicht
über eine altehrwürdige Bibliothek, wo man ihm persönlich
begegnen könnte, stösst man beim Versuch, diesem Fabelwesen durch
den Griff nach dem Wörterbuch näherzukommen, auf gewisse
Schwierigkeiten. Denn den Bücherwurm gibt es eigentlich nicht.
Man findet (im Brockhaus) den Buchdrucker (ips typographicus),
der nur seiner Frassgänge wegen zu diesem Namen gekommen ist, die
Bücherlaus, die scharf auf Schimmelpilze ist und nicht auf deren
Träger, den Bücherskorpion (!), der "besonders zwischen alten
Büchern" auf die obengenannten Bücherläuse lauert (keine Angst,
er besitzt keinen Giftstachel und ist nur etwa 3 mm lang). Der
den Namen Bücherwurm trägt, ist in Wirklichkeit ein Klopfkäfer
(ptilinus pecticornis) im Larvenstadium, schwarz und bis 4 mm
lang. Im Prinzip eine ganz unspektakuläre Angelegenheit, die mit
dem Bücherwürmchen. Doch denken wir mal kurz über dessen
Tätigkeit nach. Währenddem wir ahnungslos unser Dasein fristen,
nagt das Bücherwürmchen beständig an der schriftlichen
Erinnerung, gnadenlos, Biss um Biss, bis das Buch wie das Gehirn
eines von Alzheimer befallenen Menschen zerfressen ist. Da
vertrauten die Westeuropäer ihre Gedanken, ihre Kultur der
Schrift an, und siehe der "Zahn der Zeit" lässt die Bücher zu
einer Scherenschnittsammlung werden (diese kann natürlich einen
durchaus ästhetischen Reiz haben). Der Bücherwurm als Symbol der
vanitas? Da das menschliche Erinnerungsvermögen ein versagendes
ist (weshalb würden wir ansonsten stets die Geschichte
wiederholen?), übertrug man die Aufgabe der Erinnerung, des
Bewahrens der schriftlichen Tradierung. "Es steht geschrieben"
klingt ja so versichernd. Bis heute hat sich wenig an dieser
Tatsache geändert. Doch auch die modernen, technologisierten
Formen der Tradierung sind vor der damnatio memoriae nicht
gefeit: in vergeistigter Form schlemmt sich das Bücherwürmchen
als Computervirus durch die Systeme, welche die Tradierung
ermöglichen sollen. Wir sind von einem gut organisierten Netzwerk
des Vergessens beherrscht, beginnend mit der Schwierigkeit,
Wissen, schon nur mündliches, verlässlich zu speichern und zu
übermitteln. Für jeden Gedanken gibt es zusammen mit allen
anderen Möglichkeiten der Tilgung von Erinnerung einen kleinen
Bücherwurm, der zunächst unbeachtet, aber sehr zuverlässig seine
Arbeit verrichtet.
Es wahrte eine innere Distanz zu seinen Mitmenschen,
war aber dennoch selten allein: man muß immer wieder
die Rolle der Lektüre in Kafkas Leben betonen. Bücher
waren seine wahren Lehrer, seine intimsten Freunde,
manchmal allerdings auch seine gefährlichsten Feinde.
"Manches Buch wirkt wie ein Schlüssel zu fremden Sälen
des eigenen Schlosses", schrieb er 1903 an Oskar
Pollak. Er liebte Bücher, liebte es, sie anzufassen
oder sie einem Schaufenster ausgestellt zu sehen. Brod
berichtet, daß Kafka seines Wissens nach niemals Bücher
aus der reichhaltigen Bibliothek der "Lesehalle"
ausgeliehen habe, aber die alten kleinen staubigen
Buchhandlungen der Stadt gehörten zu seinen liebsten
Aufenthaltsorten, und sein ganzes Leben lang suchte er
in Verlagsprospekten nach Lektüre, die ihn
interessieren konnte. In anderer Beziehung sparsam,
manchmal sogar ausgesprochen geizig, ließ er sich zu
Extravaganzen hinreißen, wenn es um Bücher ging - und
er hatte kein schlechtes Gewissen dabei. Seinen
Freunden gegenüber war er ausgesprochen großzügig;
er überreichte ihnen gerne einen mit Bedacht
ausgewählten Roman oder einen Band Gedichte als
Geschenk. Aber er war kein Sammler, seine Gier
wurde nicht durch antiquarische Raritäten oder
schöne Einbände geweckt, sondern durch den Text, der
sich zwischen den Buchdeckeln fand. Er kaufte die
Bücher nicht nur, er las sie auch. [...] Brod zählt
einige von Kafkas frühen Lieblingsautoren auf: Goethe,
Thomas Mann, Hesse und Flaubert, dazu eine Reihe von
deutschen Klassikern des neunzehnten Jahrhunderts,
Hebbel zum Beispiel, Fontane und Stifter [...]
Selbstverständlich wandelte sich Kafkas Geschmack im
Laufe seines Lebens und seine Leidenschaft für
Schriftsteller wie Flaubert, Hofmannsthal, Dickens,
Dostojewkski, später Goethe, Kleist und Kierkegaard,
bezeugt sein geistiges Wachstum.
(Aus: Pawel, Das Leben Franz Kafkas. S. 184f.)
Frage: Sie scheinen keine besonders gute Meinung von der
Aufmerksamkeitsspanne der Leser zu haben. Warum
empfehlen Sie, jedes Buch, das einem nach ein paar
Seiten nicht gefällt, auf die Seite zu legen? -
Nancy Pearl:
Je älter man ist, umso weniger seiner kostbaren
Lebenszeit sollte man mit schlechten Büchern
verschleudern. Lies nicht mehr als fünfzig Seiten,
bevor du dich entscheidest. Und wenn du älter bist,
heißt die Formel hundert minus Lebensalter.
Frage: Also sollen sich Kinder möglichst
lange durchbeißen? - Nancy Pearl:
Nein, denen empfehle ich bis zur Entscheidung übers
Buch drei Kapitel zu lesen. Der Grund ist doch, dass
es keinem etwas bringt, sich durch ein Buch zu
quälen. Aber ich lasse mir immer die Option offen,
das verschmähte Werk später noch einmal in die
Hand zu nehmen und es erneut zu probieren.
Frage: Entscheiden Sie ganz aus dem Bauch? -
Nancy Pearl: Es kommt alles aus dem Bauch heraus.
Für mich ist die Stimmung, in die mich ein Buch
versetzt, entscheidend. -
Frage: Geben Sie damit nicht jeglichen
literarischen Standard auf? -
Nancy Pearl: Ich kenne diesen Vorwurf. Aber
ich glaube das nicht. Es macht doch keinen zu
einem besseren Menschen, wenn er sich durch
Proust oder Joyce kämpft - außer es macht ihm
Spaß und er genießt es.
(Quelle)
Vollard hatte die Literatur nie als Entspannung
angesehen und die Lektüre nie als Trost. Im Gegenteil.
Wenn man wie wahnsinnig las, so wie er immer schon
gelesen hatte, bedeutete das eher, daß man die Wunde
eines anderen aufdeckte. Die Wunde eines einesamen
Mannes, das Unbehagen einer einsamen Frau. Lesen
bedeutete, in diese Wunde hinabzusteigen, sie zu
durchlaufen. (Pierre Péju: Die kleine Kartäuserin, S.
124)
Das 'Wort und Sein' war eine alte Buchhandlung. Ein
dämmmeriger Laden, nicht weil es zu wenig Licht gäbe,
sondern wegen der vielen Nischen und Ecken. Ein tiefer
Laden, dunkles, abgenutztes Parkett und ein paar
verstecktere Höhlungen. Überall Bücher auf den Tischen
liegend oder stehend. Tausende schweigender Beobachter
auf den Holzregalen. Täglicher Kampf zwischen Schrift
und Staub. Im 'Wort und Sein' standen überbordende
Kartons, Bücherstapel, die einzustürzen drohten.
Souveräne Anarchie. Grandiose Anarchie. Durcheinander
von Genres und Titeln. Fröhliche Alchimie. Und in diese
Höhle konnte man jeden Tag kommen und sich Literatur
verschaffen, große oder populäre, Geheimtips oder
Klassiker. Ein Ort, wie ihn manche junge Leute der
Zukunft sich nicht einmal mehr werden vorstellen
können, weil es so etwas nicht mehr geben wird, weil
diese Mischung aus pedantischster Ordnung und absolutem
Chaos verlorengegangen ist, diese Mischung aus
Zuneigung zu Büchern und wilder Aufhäufung. Handel in
kleinem Maßstab. Diskretes, aber unabdingbares
Tauschgeschäft.(Pierre Péju: Die kleine Kartäuserin, S.
58)
Stöberte eine Stunde bei meinem Buchhändler am
Strand und kaufte das nichtsnutzige Skandalwerk
"L'escolle des filles". Ich nahm nur die broschierte
Ausgabe, weil ich es verbrennen will, sobald ich es
gelesen habe, damit es nicht in meinem
Bibliotheksverzeichnis auftaucht und mir keine
Schande macht, wenn es unter meinen Büchern
gefunden wird. Nach Hause und bis spät gearbeitet.
(Samuel Pepys: Die geheimen Tagebücher, S. 320)
Widerlegt ist mit der Entdeckung der Qumran-Schriften
ein altes, häufig wiederholtes Argument, die brennende
Naherwartung und die Abfassung schriftlicher Dokumente
schlössen sich aus, die Christen könnten also, weil sie
in so lebhafter Naherwartung der Wiederkunft Jesu
gelebt hätten, gar nicht von Anfang an auch auf
schriftliche Überlieferung Wert gelegt haben. Die
Qumran-Gemeinde hat in beständiger akuter Naherwartung
gelebt und sich doch ein großes Skriptorium gebaut,
Schriften abgeschrieben und neue Schriften produziert.
(Rudolf Pesch: Die Buchwerdung der neutestamentlichen
Offenbarung)
Antike Autoren haben immer wieder versucht, ihre Bücher
gegen Verfälschungen zu sichern; das war bei einer
Kultur, die auf Abschreiben angewiesen war, ein
größeres Problem. Um sich gegen Verfälschungen zu
schützen, haben antike Autoren die Zeilen ihres Buches
gezählt und genau angeben. (Rudolf Pesch: Die
Buchwerdung der neutestamentlichen Offenbarung)
Die Füße Christi berührt zu haben ist keine
Entschuldigung für eine fehlerhafte Interpunktion.
Kann jemand nur in betrunkenem Zustand gut
schreiben, sage ich zu ihm: Betrinken Sie sich. Und
entgegnet er mir dann, das sei schlecht für seine
Leber, frage ich ihn: Was ist Ihre Leber? Sie ist etwas
Totes, das lebt, solange Sie leben, und die Gedichte,
die Sie schreiben, leben ohne dieses Solange.
(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe)
Leser: Achtest du das Lesen für gar nichts?
Autor: Wohl freilich.
Leser: Wofür denn?
Autor: Für einen Wagen, den Kinder zum Spaß und
Narren zur Pracht umherfahren, auf dem aber
gescheite Leute das Nötige aufladen und heimführen.
((Johann Heinrich Pestalozzi)
Ich kann mich an Büchern nie übersättigen, obwohl
ich mehr als genug besitze. Aber dabei ergeht es
einem wie mit anderen Dingen: die erfolgreiche
Suche spornt erneut zu Habsucht an. Bücher habe
etwas Einzigartiges. Gold, Silber, Edelsteine,
Purpurgewänder, Marmorpaläste, Gemälde, fruchtbare
Felder, prächtig aufgezäumte Pferde und alle diese
Sachen bieten nur oberflächliche Genüsse. Bücher
hingegen erfreuen im innersten Herzen, sie
sprechen mit uns, sie beraten uns, sie sind uns in
lebendiger, inniger Gemeinschaft verbunden. Auch
schenkt sich ein jedes nicht nur selbst dem Leser,
sondern vermittelt ihm auch neue Namen; eins weckt
die Sehnsucht nach dem anderen. (Francesco
Petrarca)
Bücher sind dankbare und treue Begleiter, immer
bereit, wenn man es befiehlt, sich der Welt zu
zeigen oder auch an ihren Platz zurückzukehren,
stets willig, zu schweigen oder zu sprechen,
daheim zu bleiben oder hinauszugehen, zu reisen
oder auf dem Lande zu leben. Sie erzählen,
scherzen, ermuntern, trösten, ermahnen und tadeln.
Sie beraten dich, sie lehren dich die
Naturgeheimnisse, das Andenken an große Taten,
richtige Lebensführung, Todesverachtung, Maßhalten
im Glück, Stärke im Unglück, Gelassenheit und
Beständigkeit in allem Tun. Sie sind heitere
Gefährten, klug, beredt und bescheiden, neidlos
und ohne Arglist; sie bereiten keinen Verdruß und
keine Ausgaben; sie klagen und murren nicht. Zu
vielen Vorteilen kommt noch, daß sie weder Speise
noch Trank brauchen, sich mit einfacher Kleidung
und einem Winkelchen im Hause zufrieden geben und
doch dem Gastgeber unermeßliche Geistesschätze,
geräumige Wohungen, liebenswürdige Gesellschaft
und köstliche Speisen schenken. (Francesco
Petrarca)
Du darfst nicht glauben, daß ich alle menschlichen
Schwächen überwunden habe, sondern mußt wissen, daß
mich eine unersättliche Begierde gefangen hält, die ich
bisher weder habe zügeln können noch wollen. Zu meiner
Entschuldigung muß ich jedoch sagen, daß ich es nicht
für verwerflich finde, etwas von hohem Wert zu
erstreben. Willst du nun hören, um was für eine
krankhafte Begierde es sich handelt? Um Bücher handelt
es sich, von denen ich einfach nicht genug haben kann.
Dabei besitze ich wahrscheinlich schon mehr, als ich je
benötige. Doch geben Bücher eine tiefe innerliche
Befriedigung. Sie sprechen zu uns, sie trösten uns, sie
fesseln uns durch die Bande bedeutungsvoller und
natürlicher Vertrautheit, und jedes Buch weckt den
Wunsch, weitere kennen zu lernen.
Es würde dort alles geben, aber ich wüsste, wo die Bücher
zu finden wären. Gleichzeitig dürfte es auch nicht alles
geben, da ich es liebe, in Buchhandlungen zu gehen. Dann
müsste es Bücher von Schriftstellern geben, die man nicht
kennt. Es ist schwierig, eine ideale Bibliothek zu beschreiben.
Es müsste dort von allem etwas geben, aber eben nicht die
gesamte Literatur.
Die Bücher verraten viel über das, was man ist. Sie stehen
für eine Chronologie, eine Entwicklung. Duras oder
Dostojewski liest man mit 15 Jahren anders als mit 28. Das
sagt viel über eine Person und auch ihren
Literaturgeschmack. Und auch wenn ich einen sehr breit
gefächerten Geschmack habe, bin ich keine
Literaturexpertin. Bücher verraten mehr als ein starres Foto.
Sie sind lebendig, und man projiziert derart viel von sich in
ein Buch hinein, dass Spuren davon zurückbleiben. Wenn
man ein Buch nach zehn Jahren noch mal liest, wird man
sich an die Zeit, in der man es gelesen hat, zurückerinnern.
Man wird sehen, was aus einem geworden ist, ob man sich
weiterentwickelt hat. Es ist ein wahrhaftiger Spiegel: Das,
was man einst war, bleibt gewissermaßen in dem Buch
zurück, wohingegen das heutige Ich nicht mehr dort ist. Es
ist ein schönes Spiegelbild von dem, was man ist, und
manchmal amüsiert es mich, jemanden, dem ich begegne,
zu fragen, was er gerne mag; man bekommt sofort einen
Eindruck von dem, welche Art Literatur derjenige gerne
mag. Wenn man sich als Anhänger von Flaubert oder
Stendal bezeichnet, sagt es sofort etwas über die eigene
Person aus, auch wenn das allein nicht ausreicht. Bücher
spiegeln die Person sehr intensiv und naturgetreu wider.
Eigentlich bin ich nicht zum Verlegen gekommen, sondern
das Verlegen zu mir. "Es freut mich, so früh den
Verleger der dritten Generation kennenzulernen",
schrieb Paul Eipper meinen Eltern als Antwort auf die
Anzeige von meiner Geburt. Kaum geboren war ich schon
eingeplant. Zwar hatte ich drei ältere Geschwister,
doch die stammten aus einer früheren Ehe meines Vaters
und kamen deshalb, dynastischen Gepflogenheiten
entsprechend, für die Erbfolge nicht in Frage. Ich
wiederum war mir der hohen Verpflichtung stets bewußt.
Schon mit fünf Monaten war ich eifrig bemüht, das Wort
"Buch" richtig auszusprechen. Und bald wußte ich auch,
was ein Verlag ist. Dabei konnte es sich nur um die
Aktentasche meines Vaters handeln, denn die war immer
dabeo, wenn es wichtig wurde. Einmal, der Fülle der
Manuskripte kaum Herr werdend, verließ mein Vater
morgens die Wohnung mit zwei Aktentaschen, und ich
sagte zu meiner Mutter: "Schau mal, heute hat Papi zwei
Verlag!" (Ernst Piper: Von Familien- und anderen
Betrieben)
Als er aber zur Schrift kam, habe Theuth gesagt: "Diese
Kunst, o König, wird die Ägypter weiser und
gedächtnisreicher machen, denn als Mittel zur Stärkung
der Weisheit und des Gedächtnisses ist sie erfunden."
Jener aber habe erwidert: "O kunstreicher Theuth, einer
weiß die Künste zu mehren, ein anderer zu beurteilen,
wieviel Schaden und Vorteil sie denen bringen, die sie
gebrauchen. Als Vater der Buchstaben hast du jetzt aus
Liebe zu ihnen das Gegenteil dessen gesagt, was sie
bewirken. Denn diese Erfindung wird eher Vergeßlichkeit
in den Seelen derer bewirken, die sie erlernen, weil
sie dann ihr Gedächtnis nicht mehr üben werden; im
Vertrauen auf die Schrift werden sie sich nur noch
durch diese äußeren Zeichen erinnern, nicht mehr von
sich aus, durch inneres Bemühen." (Platon: Phaidros)
Von einem deutschen Schriftsteller habe ich einmal gelesen,
dass er sich aus Enttäuschung über seinen literarischen
Misserfolg das Leben nahm. Er stieg auf einen Stapel, den
er aus seinen erfolglosen Büchern und Manuskripten errichtet
hatte, und sprang von seinem Qeuvre aus in den Strick.
Würde ich all meine Tagebücher und die zwei ausgeuferten
Romanmanuskripte übereinanderstapeln, die ich verfasst
und nie vollendet habe, der Absprung von meinem Werk
könnte mich kaum töten. (Hans Platzgumer: Am Rand)
Um mich tiefer in den energetischen Entladungen des 18.
Jahrhunderts verlieren zu können, gaben meine
Verwandten mir die Romane der Sachsen-Trilogie des
Polen Josep Krazewski in die Hand: 'Gräfin Cosel, Der
Siebenjährige Krieg und Brühl'. Die Trilogie wurde
meine erste gierig verschlungene und also nicht so
rasch wieder verlöschende Lektüre. (Hans Pleschinski:
Ostsucht. Eine Jugend im deutsch- deutschen Grenzland,
S. 81)
Sollte irgend einem Mann von Ambitionen der Sinn
danach stehen, mit einem einzigen Gewalt- Streich die gesammte Welt
menschlichen Denkens, menschlichen Meinens und menschlichen
Empfindens zu revolutionieren, so steht ihm solche Gelegenheit
jederzeit zu Gebote - so liegt die Straße zum unsterblichen Ruhm
schnurgerade, offen und ohne jegliches Hinderniß vor ihm. Was er zu
tun hat, ist lediglich, ein ganz kleines Buch zu schreiben und zu
publicieren. Der Titel sollte recht einfach sein - dürfte blos
wenige, schlichte Worte umfassen: "Mein bloßgelegtes Herz". Allein,
dies kleine Buch müßte halten, was sein Titel versprach. Ist's nun
aber nicht höchst sonderbar, daß bei all der rabiaten Gier nach
Notorietät, welche so vielen Exemplaren der Species Mensch anhaftet
- so vielen auch, die sich keinen Deut drum scheren, was man nach
ihrem Tode von ihnen denken mag: ist's da nicht höchst sonderbar,
daß kein Einziger unter jenen sich findet, der da genug Kühnheit
aufbrächte, dies Büchlein zu schreiben? Zu schreiben, sag' ich! Denn
es giebt freilich zehntausend Männer, die, wär' solches Buch erst
geschrieben, blos lachen würden ob der Vorstellung, sie könnten sich
zu Lebzeiten durch dessen Publication irritiert fühlen, und die erst
recht nicht verstünden, wasdenn gegen eine Veröffentlichung nach
ihrem Tode einzuwenden wäre. Aber dieses Buch zu schreiben - das
liegt der Hase im Pfeffer! Darüber wagt sich Keiner und wird sich in
aller Zukunft Keiner wagen. Und wagte es gleich Einer, so könnt'
er's gar nicht schreiben! Glosend verschrumpfen würde das Papier
unter den Zügen so brennender Feder!
Es war einmal ein unentschlossener Schriftsteller: Wenn er schrieb, bedauerte er,
daß er nicht lesen konnte, und wenn er las, bedauerte er, daß er nicht schreiben
konnte.
Eines Tages bekam er einen Breif, in dem stand: "Ich habe aus einem Interview von
Ihrem Problem erfahren. Folgen Sie dem auf diesem Blatt beschriebenen Weg, und
Sie werden es lösen." Unterschrieben: Ein Freund.
Der Schriftsteller folgte der Beschreibung und gelangte zu einer Ebene, wo viele
Blätter in geometrischer Anordnung verstreut lagen, bis hin zu einer
verschlossenen Tür in einer Wand aus Holz. Im Gras sah er eine angezündete Kerze,
den Schuh einer Frau und eine Sanduhr.
Der Schriftsteller dachte: In dem Leben, das mir noch bleibt, wird mir die Liebe
helfen, das Wesen der Zeit zu begreifen.
Er hob das erste Blatt auf: es war weiß. Auch das zweite war weiß. Alle Blätter
waren weiß. Er ging zu der Tür und öffnete sie, aber auf der anderen Seite war
nichts, nur die endlose Ebene. Da begriff er, daß die weißen Blätter das Buch
waren, daß er schreiben und daß er lesen wollte, denn Schreiben und Lesen waren
endlich eins geworden. [Giuseppe Pontiggia: Zu einem Bild von Quint Buchholz]
Orwell fürchtete jene, die Bücher verbieten würden.
Huxley hatte die Befürchtung, daß es gar keinen Grunde
mehr geben werde, Bücher zu verbieten, weil kein Mensch
überhaupt noch eines lesen wollte. Orwell hatte Angst,
man würde uns die Wahrheit vorenthalten. Huxley
fürchtete, daß die Wahrheit in einem Meer von
Belanglosigkeiten untergehen werde. Orwell fürchete,
wir würden alle in permanenter Gefangenschaft enden.
Huxley sah uns dagegen zu völlig oberflächlichen
Menschen verkommen... In Orwells Buch, meint Huxley,
werden die Menschen durch zugefügten Schmerz in Schach
gehalten. In der "Brave New World" erfülle das schiere
Vergnügen denselben Zweck. (Neil Postman)
Wie das Himmelreich und alle anderen hohen und heiligen
Dinge offenbaren die ausgesuchtesten Arten von Büchern
den Duft ihrer seltenen Essenz nur jenen, die sich aus
reinem Wohlgefallen um ihrer selbst willen lieben.
Natürlich 'vermengen' sie sich, diese Lieblingsautoren,
mit jeder Begebenheit, die uns zustößt. Sie verleihen
Orten, Stunden, Situationen, Anlässen einen ganz
besonderen, einzigartigen Zauber, wie dies auch von
unseren menschlicheren Zuneigungen gilt. Aber wenn sie
auch wie ein sich ausbreitender Wohlgeruch um jeden
Umstand unseres Lebens schweben und vielleicht sogar
die sonst unerträglichen Stunden unserer dreisten
'Lebensarbeit' erträglich machen, lieben wir sie nicht
deswegen, weil sie uns hie und da beistehen. Wir lieben
sie deshalb, weil sie sind, was sie sind, und wir sind,
was wir sind. (John Cowper Powys)
Wohl von Kind auf ist es das Lesen bereits ein
köstliches und ergiebigeres Vergnügen als später, wenn
einem im Alter selbstgefälliger Tatenlosigkeit das
Leben fern ist, wenn wir es uns in dem alten
Bücherzimmer mit seinen Regalreihen voll Honig
ersparen, selbst zu denken, und unsere geistige Nahrung
fertig zubereitet zu uns nehmen und wir uns darüber
freuen, dass unsere Gedanken, die es müde sind, der
unfasslichen Wirklichkeit nachzulaufen, auf jenen
kleinen Bänden zur Ruhe kommen, die die buchstäbliche
Wahrheit innehaben und die man liest, nachdem der Geist
ebenso angenehm eine Stütze gefunden, wie der Kopf in
den Sessel gedrückt wurde. Nein, so lesen wir nicht in
der Kindheit, da lesen wir ganz aus eigenem Antrieb,
das Buch ist für uns nichts als das offene Tor zu allen
Wegen, die bis an das Ende der Welt reichen.
Ihr gefiel nicht, daß ich die ganze Zeit las. Sie
sagte immer: "Das Lesen wird dich nirgendwo
hinbringen." Ich glaube, ich habe einmal geschrieben,
daß für diese italienischen Bauern ein
Bibliotheksausweis damals ungefähr dasselbe war wie
eine Heroinnadel für Mütter heutzutage.
[Nach oben]
|
|