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Bibliomanische FAB / [M1]
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Meine gute Laune ließ sich selbst von dem
Kontoauszug kaum verderben, der, nachdem ich
wieder zurück war, hinterhältig auf dem Boden im
Laden auf mich lauerte. Wenn ich mich wirklich für
Geld interessieren würde, hätte ich eine Bank
aufgemacht und kein Antiquariat. Ich überprüfte die
Kontoführungsgebühren, stellte fest, daß sie zwar
korrekt, aber viel zu hoch waren, und machte mich
mit dem Gedanken vertraut, daß das Antiquariat Dido
Hoare tief in den roten Zahlen stand und daß seine
Besitzerin Dido Hoare schleunigste etwas dagegen
unternehmen mußte. Die restliche Post bestand
größtenteils aus Katalogen, Wurfsendungen und
kleinen Rechnungen . Darunter war auch eine
Bestellung für ein zwanzig Pfund teures Buch aus
meinem letzten Katalog, für das ich löblicherweise
sofort die Rechnung schrieb; dann fing ich an, es
einzupacken, während ich auf bessere Zeiten wartete
und einen bemerkenswert großen, bebrillten jungen
Mann im Auge behielt, der hereinspaziert kam und in
den Regalen mit den philosophischen Werken
herumstöberte. Er wirkte auf mich wie ein Leser und
nicht wie ein Käufer und bestätigte mir diesen
Eindruck, als er (nachdem er lange mit sich gerungen
hatte) mit der leicht stockfleckigen, dreibändigen
Ausgabe von Russells Autobiographie wieder abzog.
Ich überließ sie ihm für acht Pfund - das würde
meinen Bankmanager zwar nicht zu
Begeisterungsstürmen hinreißen, aber wenigstens
würde Mr Spock vierzehn Tage lang etwas zu fressen
haben. (Marianne Macdonald: Das Manuskript, S.
127f.)
Ohne sich dessen bewußt zu werden, trank sie Unmengen
von Kaffee, und es schien geradezu, als wäre alles, was mit
Kaffee zusammenhing, die Zubereitung und das Trinken, zum
einzigen Vergnügen ihrer sonstigen Einsamkeit geworden. Es
kam durchaus vor, daß sie fünf, sechs, bisweilen auch zehn
Tassen Kaffee nacheinander hinunterschlürfte. Kamal
verfolgte voller Unruhe diese Unmäßigkeit, und wenn er sie vor
den Folgen warnte, dann bestand die Antwort zunächst in
einem Lächeln, das die Frage zu enthalten schien, was sie
denn sonst wohl machen sollte, und erst dann erklärte sie im
Brustton der Überzeugung: "Kaffee schadet nicht."
"Du liest zuviel. Immer sitzt du über den Büchern, selbst in den
Ferien. Keinen Tag gönnst du dir Ruhe. ich habe Angst, daß
du dich unnötig überanstrengst." "Ein Tag hat viele Stunden",
sagte Kamal, und seinem Tonfall war anzuhören, daß ihm
dieses Verhör nicht willkommen war. "Wenn man ein paar
Stunden liest, dann erschöpft es einen nicht gleich. Lesen ist
eine Art Unterhaltung, selbst wenn es sich um nützliche
Bücher handelt." "Ich fürchte", erklärte sie nach kurzem
Zögern, "daß das Lesen der Grund ist, warum du so oft
schweigst und geistesabwesend bist." Ach nein, das Lesen
war nicht der Grund. Wüßte sie nur, wie sehr ihm die Bücher
Zuflucht boten. Etwas anderes beschäftigte seinen Kopf, und
nicht einmal beim Lesen konnte er dem entrinnen. Er litt an
einer Krankheit, gegen die weder die Mutter noch sonst ein
Mensch ein Heilmittel wußte. Es war das Leiden des Herzens,
das vor liebender Anbetung immer verstörter wurde und nicht
wußte, wohin die Pein es trieb. "Lesen ist wie Kaffeetrinken",
meinte er verschmitzt. "Es schadet nicht. Wolltest du nicht,
daß ich ein 'Gelehrter' wie mein Großvater werde?" (Nagib
Machfus: Palast der Sehnsucht)
"Übrigens, was liest du gerade?" Das war genau das Thema,
das Kamal - außer allem, was mit Aida zusammenhing - am
allerliebsten war, und so antwortete er: "Ich kann dir im
Augenblick nur soviel sagen, daß bei dem, was ich lese, eine
gewisse Systematik eingetreten ist. Mir geht es nicht mehr um
irgend etwas, so zwischen übersetzten Romanen,
Gedichtanthologien und Artikeln, sondern ich suche meinen
Weg mit größerer Klarheit. Ich habe jetzt angefangen, jeden
Abend zwei Stunden in der Nationalbibliothek zu lesen, und
versuche, in Enzyklopädien dunklen, mysteriösen Begriffen wie
'Literatur', 'Philosophie', 'Denken', 'Kultur' auf die Spur zu
kommen. Ich notiere Titel von Büchern, die mir in die Hände
fallen, und muß sagen, daß das eine wunderbare Welt ist, in
der man vor lauter Neugier und Eifer sich verlieren kann."
(Nagib Machfus: Palast der Sehnsucht)
"Warum interessieren sich Mädchen fast nur für die
Philosophische Fakultät, vor allem für Literatur?"
"Weil ihnen der Lehrerberuf noch die meisten
Möglichkeiten zum Arbeiten bietet." "Das mag der eine
Grund sein, aber als zweiter kommt hinzu, daß das
Literaturstudium etwas Weibisches an sich hat. Rouge,
Maniküre, Kuhl, Lyrik, Erzählungen - das gehört alles
in einem Topf." (Nagib Machfus: Zuckergäßchen)
Wenn die Gefangenen für einen Automaten mit Schokoladenriegeln
kämpfen, dann weiß ich, daß es in Wirklichkeit um den Transport
von Drogen geht. Die Lieferung der Schokolade kann leicht durch
das eine oder andere Kistchen ergänzt werden. Wenn ich den Leiter
einer Gefängnisbibliothek vor mir habe, denke ich nicht als
Erstes an die Bücher, die er liest, sondern daran, daß diese
leute in der Gefangenenhierarchie eine entscheidende Rolle
spielen. Nicht immer, aber oft.
Paps saß, mit der Feder in der Hand, meditierend vor
jungfräulich weißem Papier. Wie die meisten Humoristen
war er melancholisch und grüberlisch veranlagt. Wie die
meisten Humoristen hätte er lieber den Hamlet
geschrieben, wäre ihm der Barde nicht zuvorgekommen -
eine Tatsache, die ihn immer wieder mit Groll gegen den
Dichterfürsten der englischen Literatur erfüllte. (Eric
Malpass: Morgens um sieben ist die Welt noch in
Ordnung, S. 33)
Wir kehren nie zu demselben Buch oder auch nur
zur selben Passage zurück, denn im wechselnden
Licht verändern wir uns, und auch das Buch verändert
sich, unsere einst leuchtenden Erinnerungen verblassen,
dann erstrahlen sie von neuem, und wir wissen nie
genau, was wir lernen, vergessen oder behalten.
Sicher ist nur, daß wir im Lesen die Stimmen der
Vergangenheit aufrufen und diese Stimmen manchmal
für die Zukunft bewahren, wo sie vielleicht in neuer,
ganz unerwarteter Weise zu uns sprechen.
(Alberto Manguel: Eine Geschichte des Lesens)
Manche Bücher durchqueren wir im Fluge. Schon beim
Umblättern vergessen wir, was auf der vorigen Seite
stand. Andere lesen wir mit Ehrfurcht, ohne
Widerspruch oder Zustimmung zu wagen. Wieder
andere dienen lediglich der Information und bleiben
ohne Kommentar. Dann gibt es Bücher, die uns in
vielen Jahren so sehr ans Herz gewachsen sind, daß
wir sie nur Wort für Wort wiederholen können, denn
wir kennen sie längst auswendig. Lesen ist Gespräch.
So wie Psychotiker mit ihren inneren Stimmen reden,
lassen sich Lesende durch Worte auf der Buchseite zu
einem Dialog provozieren. (Alberto Manguel:
Tagebuch eines Lesers, S. 7)
Physiker stellen sich vor, daß das Universum vor
seiner Entstehung in einem Zustand der Latenz
verharrte, Zeit und Raum blieben bis zum Urknall in
der Schwebe, in einem "Nebel der Möglichkeiten", wie
es ein Autor formulierte. Die Latenz dürfte Leser nicht
überraschen, für die jedes Buch in einer Art
Schlummer verharrt, bis es durch die Hände, die es
aufschlagen erweckt wird. (Alberto Manguel:
Tagebuch eines Lesers, S. 9)
Vor Jahren fragte mich Michael Ondaatje nach dem
Namen eines britischen Sergeanten in "Kim", weil er
ihn in seinem Roman verwenden wollte. "Lesen Sie
ihn langsam, Mädchen", sagt der Englische Patient zu
Hana. "Sie müssen Kipling langsam lesen. Achten Sie
genau darauf, wo die Kommas hinkommen, damit Sie
die natürlichen Pausen herausfinden. Er ist ein
Schriftsteller, der Tinte und Papier benutzt hat.
Vermutlich hat er recht oft von einer Seite
aufgeschaut." (Alberto Manguel: Tagebuch eines
Lesers, S. 60)
Die alten Binsenweisheiten gelten noch: daß Gewalt
zu Gewalt führt; daß alle Macht Mißbrauch bedeutet;
daß Propaganda Propaganda bleibt, selbst wenn sie
beansprucht, gegen das Unrecht zu kämpfen; daß ein
Krieg nur in den Augen der Sieger ruhmreich ist, die
glauben, daß Gott auf der Seite der stärkeren
Bataillone steht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb
wir lesen und warum wir in Zeiten der Finsternis zu
den Büchern zurückkehren: um Worte für das zu
finden, was wir schon wissen. (Alberto Manguel:
Tagebuch eines Lesers, S. 74)
Julien Green erzählt, im Schottland des 18.
Jahrhunderts sei das Wort 'wrath' - Zorn - auf der
Kanzel so häufig verwendet worden, daß einem
Drucker von Predigttexten die Ws ausgingen und er
gezwungen war, stattdessen Vs zu verwenden.
(Alberto Manguel: Tagebuch eines Lesers, S. 77)
Don Quijote erzählt Cardenio, daß er "mehr als
dreihundert Bücher" besitzt. Die Bücher von und über
Cervantes belegen drei Fächer in meiner Bibliothek.
Ich stelle fest, daß ich das Cervantes-Buch, das Javier
Cercas mir unbedingt leihen wollte, noch immer habe.
Ich muß es zurückschicken. Bücher anderer Leute
habe ich ungern im Haus. Entweder will ich sie
behalten oder sofort zurückgeben. Geborgte Bücher
haben etwas von Besuchern, die ihren Aufenthalt
überziehen. Ihre Lektüre hat für mich etwas
Unvollkommenes, Unbefriedigendes. Das trifft auch
auf Bibliotheksbücher zu. (Alberto Manguel: Tagebuch
eines Lesers, S. 159)
Sei Shonagon über das Lesen: "Erfreuliche Dinge:
Eine große Menge von Geschichten zu erfinden, die
man noch nie gelesen hat. Oder den zweiten Band
einer Erzählung zu erwerben, deren erster Band einem
Freude gemacht hat. Aber oft ist er enttäuschend."
(Alberto Manguel: Tagebuch eines Lesers, S. 194)
Ich zeige der argentinischen Schriftstellerin Alicia
Borinsky meine Bibliothek. An Punkten gemeinsamen
Wiedererkennens bleiben wir stehen: alte Bände
argentinischer Autoren, die wir beide in unserer
Jugend lasen: Silvina Ocampo, Cortazar, Oliverio
Girondo. Dann zeige ich auf kanadische Autoren, die
sie nicht kennt: Sandra Birdsell, Sharon Butala, Anna
Michaels, Andreas Schroeder, Susan Swan. Ein
Eingeständnis geheimer Freuden in alphabetischer
Reihenfolge. (Alberto Manguel: Tagebuch eines
Lesers, S. 208)
Bioy Casares erzählte, daß der argentinische
Schriftsteller Enrique Larreta ihm einmal
versicherte, "sein Geist sei so wach, daß
er ihm das Lesen unmöglich mache; jeder
Satz löse in ihm so viele Vorstellungen
und Bilder aus, daß er sich in den
Abgründen seiner eigenen Gedanken verirre
und beim Lesen den Faden verliere."
(Alberto Manguel: Tagebuch eines Lesers,
S. 220)
Beim Essen erzählt mir der Lektür Anders Björnsson:
Als seine Bibliothek bei einem Feuer verbrannte und
er überlegte, eine neue einzurichten, kam ihm
plötzlich der Gedanken, daß er zuvor wissen mußte,
welche Bücher er nicht aufnehmen würde.
(Alberto Manguel: Tagebuch eines Lesers, S. 224)
In einem seiner Tagebücher erzählt Gide einen
Traum: Er besucht Proust in seiner Bibliothek, und
plötzlich wird seine Aufmerksamkeit auf ein Stück
Bindfaden gelenkt, das ein Bücherbündel
zusammenhält. Er zieht daran, und mehrere Bände
fallen herunter, wobei die Rücken schwer beschäfigt
werden, "das ist die Saint-Simon-Ausgabe von...",
und er nennt das Jahr. Da begreift Gide, daß er eine
der seltensten und meistgesuchten Ausgaben
beschädigt hat. (Alberto Manguel: Tagebuch eines
Lesers, S. 229)
Schauplatz meiner Träume ist oft die Bibliothek.
Letzte Nacht träumte ich, daß sie voller Leute war,
als ich hereinkam, meist Schriftsteller, die ich kannte
und die nun tot sind. Ich war überglücklich, Denis
Levertow zu sehen, und wollte sie küssen, aber sie
wandte sich lächelnd ab, dann zog sie Bücher aus
dem Regal und warf sie übermütig in die Höhne. Ich
hatte Angst, daß jemand von den Büchern getroffen
wurde. (Alberto Manguel: Tagebuch eines Lesers, S.
228)
"Jetzt müssen Sie auch noch meine Bibliothek sehen."
Es klang, als wolle er sagen, daß sie allem Wichtigen
im Hause begegnet sei, wenn sie die Hunde und die
Bibliothek kenne. Sie gingen durch den Salon, der in
einem sanft-graurosa Halblicht lag, in das
Arbeitszimmer. Hier bestand die Einrichtung nur aus
den Bücherschränken, die die Wände einnahmen; aus
einem schweren Schreibtisch mit Schubfächern, einem
breiten ledernen Klubsessel und einem niedrigen
Tischchen, auf dem ein Grammophon stand. Ragnar
sagte, und lächelte etwas befangen: "Ja, das sind
meine Bücher..." Er machte eine feierlich vorstellende
Geste zu den Schränken hin. Johanna konstatierte,
daß sie zum großen Teil mit französischen,
gelbbroschierten oder schön in Leder gebundenen
Editionen gefüllt waren; in einigen Fächern gab es
englische, in anderen schwedische, in einigen
wenigen deutsche Bände. "Sie sehen", erklärte
Ragnar, "ich lese auch deutsch, aber nicht viel. Am
liebsten Lessing oder Goethe, nie Schiller und fast nie
Modernes. Ich habe ja Deutschland nie sehr gerne
geliebt", sagte er und blickte Johanna ernst an. Er
sprach sehr gut Deutsch, wenn auch mit einem etwas
stärkeren Akzent als Karin und die Mutter - ein
Akzent, der übrigens auch bei ihm eher russisch als
skandinavisch klang - und mit mehr kleinen Fehlern
oder Ungeschicklichkeiten als diese. "Aber von den
großen Franzosen ist alles da", sagte er mit Stolz.
"Sie sehen, von Racine bis Claudel, und Rimbaud und
Stendhal und Flaubert und Andre Gide, Cocteau und
Verlaine. Was für eine herrliche Literatur!" "Ich bin in
den letzten Jahren so schrecklich wenig dazu
gekommen, solche Dinge zu lesen", sagte Johanna
etwas beschämt. "Wissen Sie, es gab so viel anderes
zu tun..." "Aber nun haben Sie ja doch Zeit!" Ragnar
rief es sehr eifrig. "Kennen Sie Rimbaud nicht? Sie
müssen ja doch jedenfalls Rimbaud lesen!" Er nahm
einen Band aus der Reihe, blätterte hastig darin. "'Le
bateau ivre'", rief er. "Wie ist es möglich geworden,
daß Sie 'Le bateau ivre' versäumt haben!" Er
deklamierte, im Zimmer hin- und hergehend, die
ersten Zeilen des großen Gedichtes. "Aber, warten
Sie", unterbrach er sich. "Sie können es auf diese
Weise ja gewiß nicht kennenlernen. Sie müssen es an
sich nehmen, richtig mitnehmen müssen Sie es, und
es ganz inständig lesen. Ganz fabelhaft ist das ja!
Ich beneide Sie, daß Sie es jetzt erst kennenlernen."
Er gab ihr das Buch in die Hand. (Klaus Mann: Flucht
in den Norden, S. 50)
Nicht immer sind es die größten Werke, die mit den größten
Absichten geschrieben werden. Im Gegenteil halte ich es für
die Regel, daß die großen Werke das Ergebnis bescheidener
Absichten waren. Der Ehrgeiz darf nicht am Anfang stehen,
nicht vor dem Werk. Er muß mit dem Werk heranwachsen
und diesem mehr angehören als dem Ich des Künstlers. Es
ist nichts falscher als der abstrakte und vorsachliche
Ehrgeiz, der Ehrgeiz an sich und unabhängig vom Werke,
der bleiche Ehrgeiz des Ich. (Thomas Mann: Über mich
selbst. Autobiographische Schriften, S. 62)
Doch war ich niemals ein Arbeits-Anachoret wie Flaubert,
wünschte nicht, weltfremder zu sein, als es nun einmal in der
Natur des Poeten liegt, und habe mich immer bemüht, dem
Menschlichen und dem sozialen Leben, dem Staate, soweit
seine Sphäre sich mit der Kultur berührt, der Familie, der
Geselligkeit und Freundschaft, der Zerstreuung und dem
Genuß das Ihre zu geben. Das Problem des Gegensatzes
von Kunst und Leben, Künstlertum und Menschentum hatte
mich früh und tief beschäftigt, und so sehr ich mich zur
Kunst berufen, um nicht zu sagen: verurteilt fühlte, wollte
ich mich nicht in ihr verzehren, sondern ein Mensch sein, so
gut ich es nur vermochte. (Thomas Mann: Über mich selbst.
Autobiographische Schriften, S. 150)
Diejenigen, die meine Schriften durchblättert haben, werden
sich erinnern, daß ich der Lebensform des Künstlers, des
Dichters stets mit dem äußersten Mißtrauen
gegenüberstand. In der Tat wird mein Erstaunen über die
Ehren, welche die Gesellschaft dieser Spezies erweist,
niemals enden. Ich weiß, was ein Dichter ist, denn
bestätigtermaßen bin ich selber einer. Ein Dichter ist, kurz
gesagt, ein auf allen Gebieten ernsthafter Tätigkeit
unbedingt unbrauchbarer, einzig auf Allotria bedachter, dem
Staate nicht nur nicht nützlicher, sondern sogar aufsässig
gesinnter Kumpan, der nicht einmal sonderliche
Verstandesgaben zu besitzen braucht, sondern
so langsamen und unscharfen Geistes sein mag, wie ich es
immer gewesen bin, - übrigens ein innerlich kindischer, zur
Ausschweifung geneigter und in jedem Betrachte anrüchiger
Scharlatan, der von der Gesellschaft nichts anderes sollte zu
gewärtigen haben - und im Grunde auch nichts anderes
gewärtigt - als stille Verachtung. Tatsache aber ist, daß die
Gesellschaft diesem Menschenschlage die Möglichkeit
gewährt, es in ihrer Mitte zu Ansehen und höchstem
Wohlleben zu bringen. Mir kann es recht sein; ich habe den
Nutzen davon. Aber es ist nicht in der Ordnung. es muß das
Laster ermutigen und der Tugend ein Ärger sein. (Thomas
Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S.
168)
Übrigens habe ich nie gefürchtet, daß irgend jemand, und sei
es der Überragendste, mich durch die promptere
Behandlung eines mir angelegenen "Stoffes" matt setzen
könnte. Hätte ich es zu fürchten, meine Langsamkeit würde
zur Dauerkatastrophe. Aber was ist "Stoff"! Das Persönliche
ist alles. Der Stoff ist nur durch das Persönliche. Und meine
allzu subjektive Art stellt mich wenigstens sicher gegen jede
ernstliche Kollision mit Gleichzeitigem und schneller
Fertigem. (Thomas Mann: Über mich selbst.
Autobiographische Schriften, S. 356)
Zu den geborenen Nichtrednern zähle ich die
Schriftsteller überhaupt: es bestehen tiefe
Unterschiede, ja Gegensätze zwischen den
Produktions- und Wirkungsarten des Redners und des
Schriftstellers, und namentlich wird das
Improvisatorische, das literarische Ungefähr allen
Redens, das Prinzip künstlerischer Aussparung, das
vieles, ja Entscheidendes der nachhelfenden
Persönlichkeitswirkung zur Ergänzung offenläßt, den
Instinkten der entschiedenen
Schriftstellerpersönlichkeit zuwider sein. (Thomas
Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften,
S. 418)
Er liebte zu lesen, trachtete nach dem Wort und dem Geist
als nach einem Rüstzeug, auf das ein tiefer Trieb ihn
verwies. Aber niemals hatte er sich an ein Buch hingegeben
und verloren, wie es geschieht, wenn einem dies eine Buch
als das wichtigste gilt, als die kleine Welt, über die man nicht
hinausblickt, in die man sich verschließt und versenkt, um
Nahrung noch aus der letzten Silbe zu saugen. Die Bücher
und Zeitschriften strömten herzu, er konnte sie alle kaufen,
sie häuften sich um ihn, und während er lesen wollte,
berunruhigte ihn die Menge des noch zu Lesenden. (Thomas
Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 135)
Verzückte Poeten haben mir vorgesungen, die Sprache
sei arm, ach, sie sei arm - o nein, mein Herr! Die
Sprache, dünkt mich, ist reich, ist überschwenglich
reich im Vergleich mit der Dürftigkeit und
Begrenztheit des Lebens. Der Schmerz hat seine
Grenzen: der körperliche in der Ohnmacht, der
seelische im Stumpfsinn, - es ist mit dem Glück nicht
anders! Der menschliche Mitteilungsbedürfnis aber
hat sich Laute erfunden, die über diese Grenzen
hinweglügen. (Thomas Mann: Der Wille zum Glück,
Erzählungen, S. 99)
Die Worte schienen ihm durchaus nicht zuzuströmen,
für einen, dessen bürgerlicher Beruf das Schreiben ist,
kam er jämmerlich langsam von der Stelle, und wer
ihn sah, mußte zu der Anschauung gelangen, daß ein
Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben
schwerer fällt als allen anderen Leuten. (Thomas
Mann: Der Wille zum Glück, Erzählungen, S. 244)
Der Beitrag des Verlegers an die Zeit, an die
Entwicklung ist nicht individuell, er ist
organisatorisch; er ist - ich sage es mit jenem Neid,
dessen ich eingestandenermaßen diese Existenzform für
wert halte - geistig genommen sowohl bequemer als
großartiger. Der Verleger ist kein Solist der geistigen
Anstrengung, er ist ihr Kapellmeister. Wo der
Schriftsteller, in seiner öffentlichen Einsamkeit, nur
auf sich selbst gestellt, sich für die Zeit, für sein
Volk notdürftig ichbedingt ins Rechte denkt, um Goethes
schönes Wort zu gebrauchen, da zieht der Verleger,
überschauend, von der Gesamtbemühung all das an sich,
was seinem Instinkt, seinem Gefühl des Notwendigen
recht, gut und förderlich scheint, übernimmt es, drückt
ihm das Zeichen seines Unternehmens auf und wirft es
gesammelt ins Treffen des Lebens gegen die Mächte der
Renitenz, der Dumpfheit und des Todes. Welch ein
herrlicher Beruf, diese Mischung aus Geschäftssinn und
strategischer Geistfreundschaft! (Thomas Mann: Der
Verleger; Ansprache 1928)
Henry war ein großer Bücherfreund. Zwar las er weder
viel noch besaß er mehr als ein halbes Dutzend. In der
Mittagspause schaute er sich in der Charing Cross Road
alle Auslagen an und zu allen erdenklichen Zeiten in
London. Die Menge derer, denen er einen Gruß zunickte,
war erstaunlich. Nach der peniblen, korrekten Art, wie
er mit ihnen umging, und seinen wohlgesetzten Worten,
wenn er mit dem einen oder anderen Buchhändler darüber
sprach, hätte man geglaubt, daß er seinen Brei nur
gegessen hätte, wenn an der Brust der Frau ein Buch
lehnte. (in: Etwas Kindisches, aber sehr Natürliches)
Zwei Dinge sind es besonders außer hundert andern,
die mich fortwährend stören. Zuerst die häufigen
Briefe hervorragender Männer, welche von allen
Seiten an mich geschickt werden. Wollte ich auf alle
diese antworten, so müßte ich Tag und Nacht mit
Schreiben von Briefen zubringen. Das zweite sind die
zahlreichen Besucher. Diese kommen teils um zu
sehen, wie es mir geht, teils um zu fragen, was
neues im Werke ist, teils aus Mangel an eigener
Beschäftigung. Gar nicht erst sprechen will ich von
denen, welche kommen, um mir ihre Erzeugnisse in
Vers und Prosa vorzulesen, die sie von mir gedruckt
haben wollen. Für sie alle habe ich jetzt dieses Schild
an der Tür: "Wer du auch seist, du wirst dringend
ersucht, mit wenigen Worten abzumachen, was du
willst, um dich dann schleunigst zu entfernen". (Aldus
Manutius, 1514)
Es reicht nicht, zu lesen. Wiederlesen ist (...)
wichtiger. Und man muß nicht nur das Buch
wiederlesen, das in der Erinnerung verblaßt oder das
wir beim Lesen nicht ganz verstanden haben: Auch
der Satz, das Substantiv, das Verb, das Attribut, das
im Buch etwas schicksalhaft bestimmt, muß wieder
gelesen werden. Denn was will ein Buch? Sich
verständlich machen. Aber derlei geht langsam, fast
so langsam und kompliziert wie im Leben. Ehepartner
brauchen bisweilen Jahrzehnte, bis sich der eine dem
anderen endlich verständlich machen kann. Auch
Bücher sind so schwerfällige Bekannte. Es reicht
nicht, nach Katalog, nach der Mode oder der Tradition
zu lesen; mit Instinkt muß man die Lektüre
aufspüren, die - uns, ganz persönlich - etwas sagen
kann. Man muß regelmäßig lesen, so wie man zu
schlafen, zu essen, zu lieben und zu atmen pflegt.
Die Bücher geben, wie Menschen auch, ihr Geheimnis,
ihr Vertrauen nur preis, wenn auch du dich ihnen
hingibst und öffnest. Ich mag keine anderen Bücher
lesen, nur solche, die mein Eigentum sind. Es reicht
nicht, den Gedanken und das Wissen zu besitzen, die
das Buch enthält. Auch das Buch selbst soll ganz mir
gehören - bedingungslos, so wie man die Geliebte
ganz haben will -, die irdische Staubhülle des
Gedankens. (Sándor Márai, Himmel und Erde, 129f.)
Immer mehr Leute wollen schreiben.
Immer weniger wollen lesen. (...)
Armer Gutenberg. Er glaubte, bewegliche
Buchstaben würden die Literatur retten.
Heute werden Gedanken vervielfältigt wie
Wassertropfen vom Wasserfall. (Tagebücher
1984-89)
Seit Wochen habe ich nicht das Krimimanuskript aus dem
Schubfach genommen, ich vertraue weder mir noch dem
Manuskript. Noch dem Zweck, der Berechtigung von
"Literatur". Wenn ich gelegentlich schreibe, ist das
nur noch eine Art Frühgymnastik, ein Schutz gegen die
Verkalkung. Wenn ich jetzt das Manuskript aufschlage
und Seiten zu lesen versuche, ist es so, wie wenn der
Arzt das Stethoskop auf den Bauch der werdenden Mutter
hält und lauscht, ob Herztöne des Embryos zu hören
sind. (Sandor Marai: Tagebücher 1984-1989, S. 15)
Die Exilpresse über die Zweisprachigkeit. Für jede
Emigration ist es ein Schicksalsproblem, inwieweit der
Emigrant bereit ist, sich auf Kosten der Muttersprache
die Sprache der neuen Gemeinschaft anzueignen. Für
Exilschriftsteller ist das keine Frage, denn wenn sie
sich von der Muttersprache lösen und in einer fremden
Sprache zu schreiben versuchen, zerschneiden sie die
Nabelschnur, die sie mit der lebenspendenden
Muttersprache verbindet und die ihr Selbstbewußtsein,
ihre schriftstellerischen Fähigkeiten speist. Man kann
sehr wohl Gedanken in einer fremden Sprache schriftlich
ausdrücken, aber "schreiben", also schöpfen, kann man
nur in der Muttersprache. Das war für mich kein
Geheimnis, als ich vor 36 Jahren Ungarn verließ: Wohin
es mich verschlägt, dort werde ich ein ungarischer
Schriftsteller sein. (Sandor Marai: Tagebücher
1984-1989, S. 17)
Habe die Auswahl für den Tagebuchband 1976-83 beendet.
Es ist nicht wahrscheinlich, daß darüber hinaus zu
meinen Lebzeiten noch ein Tagebuchband erscheint. Das
Auswählen ging schwer, im Jahrhundert der
Beschleunigung verändert sich alles unglaublich
schnell, auch die Verlautbarung von Gedanken.
Schopenhauer hat zum Ende hin gesagt, er lese nur noch
Bücher, die vor wenigstens 50 Jahren erschienen - so
viel Zeit war im vergangenen Jahrhundert nötig, damit
sich in einem Buch der Inhalt "setzte". Heute, 50 Jahre
später, hat ein Gedanke einen anderen Klang als zur
Zeit seiner Niederschrift. Das bemerke ich beim
Auswählen aus den Tagebüchern. (Sandor Marai:
Tagebücher 1984-1989, S. 28)
Schriftsteller, die mehr und etwas anderes über den
Menschen und seine Situation hervorbringen wollten als
Tratsch und Märchen, gab es immer nur wenige. Aber sie
waren denen nahe, über die und für die sie schreiben
wollten. Es gibt sie auch heute, und sie sind auch
heute nur wenige, aber vom Leser trennt sie eine
Distanz wie den Säulenheiligen, der auf den
unversehrten Kopf einer Säule einer ruinösen
Zivilisation flüchtet; dort hockt er hoch über den
Massen, Raben speisen ihn mit Sandwiches und Coca-Cola,
ab und zu brüllt er hinunter zu der Menge, und weil er
nicht anders kann, entleert er sich auch aus der Höhe.
Solche Säulenheilige sind die paar Schriftsteller, die
es heute noch gibt. (Sandor Marai: Tagebücher
1984-1989, S. 13)
In der Bibliothek haben sich die Obdachlosen von San
Diego eingenistet. Mehrere tausend von diesen Männern
und Frauen streichen durch die Stadt, die Heilsarmee
und ähnliche Asyle könen sie gar nicht mehr aufnehmen,
sie schlafen in Hausfluren. Viele sind Mexikaner, aber
auch aus den Staaten mit kaltem Klima kommen Unbehauste
her. Sie haben die Bibliothek besetzt, das
Hauptpostamt, den Bahnhof. Sie kommen mit ihrem Bündel,
setzen sich an die Tische und schlagen als Feigenblatt
eine Zeitschrift, ein Buch auf, ohne hineinzublicken,
so bleiben sie den ganzen Tag sitzen. (Sandor Marai:
Tagebücher 1984-1989, S. 66)
Seit drei Monaten Tag und Nacht Krankenpflege. L.s Arm
ist besser, ihr körperlicher und sselischer Zustand
unverändert schlecht. Ich versuche die Zwangsarbeit in
Pflege und Haushalt durch planmäßige
Aktivitätsreduzierung zu kompensieren, berechne die
unbedingte Notwendigkeit anfallender Aufgaben. - Lesen
bis zwei Uhr nachts, wenn L. schläft. (Sandor Marai:
Tagebücher 1984-1989, S. 70)
Was ich lese: 'Memoires du Duc de Sully'. Das Buch
wurde um 1760 in London gedruckt. Ein Geschenk. - In
einer Zeit der in Millionenauflagen erscheinenden
Pocketbooks ist dieses "Buch" praktisch ein
urzeitliches Phänomen. Buchstaben, Papier, Satzspiegel,
Bindung: alles wirkt weihevoll. Das Buch war damals
noch etwas Liturgisches, wie der Weihwasserbehälter
oder das Tabernakel. Sein Inhalt wandte sich die
Person, den Leser, nicht an den Konsumenten. (...)
Der Duc de Sully: als wäre er kein Gegenstand, sondern
als trete eine Person ins Zimmer. Jemand aus der Zeit,
als das Buch noch Streitpartner war, Freund und Gegner.
Heute ist es nur noch Papier und Wörter. (Sandor Marai:
Tagebücher 1984-1989, S. 72)
Jede Nacht ein paar Seiten aus der 'Aeneis'. Dann Prosa
von Arany, die Parallele Zrinyi - Tasso. Wie ein
Erstickender, der den letzten Schluck Sauerstoff
schlüft. (Sandor Marai: Tagebücher 1984-1989, S. 72)
Habe seit anderthalb Jahren nichts geschrieben. Wie
jemand nach einer Drogenentwöhnungskur denke ich nur
mit Ekel an das geschwätzige, eitle, irre "Schreiben".
Aber den 'Roger' schreibe ich vielleicht noch. Wenn mir
die Kraft bleibt, schreibe ich etwas Unpublizierbares,
etwas, das die Druckerschwärze scheut. (Sandor Marai:
Tagebücher 1984-1989, S. 13)
Sein Schreibstil ist so formell, wie seine Redeweise
ungeniert ist, zweifellos einer jener Fälle, wo jemand
mit solcher Ehrerbietung für die Literatur lebt, daß
er, mit einem weißen Blatt Papier konfrontiert, selbst
dann, wenn er ein Schlitzohr ist, nicht die Spur von
seinem respektlosen und unverschämten Wesen auf das
versehrte Papier zu bringen vermag, das er niemals mit
einer Zote, einem bösen Wort, einer bewußten
Unkorrektheit, einer Ungebührlichkeit oder Frechheit
verunzieren würde. Nie würde er sich gestatten, seinem
wahren Charakter Ausdruck zu verleihen, weil er ihn
vielleicht als unwürdig erachtet, schriftlich
festgehalten zu werden, und befürchtet, er könnte
dieses so erhabene Handwerk besudeln, in welchem der
schamlose Geselle sozusagen sein Heil findet. Ruiberriz
de Torres, der offenbar vor nichts wirklich Respekt
hat, betrachtet das Schreiben als etwas Heiliges
(worauf wahrscheinlich zum Teil sein mangelnder Erfolg
beruht). Im Verein mit seiner soliden humanistischen
Schulbildung eignet sich sein hochtrabender Stil
perfekt für Reden, die sich niemand anhört, wenn sie
gehalten werden, und die niemand liest, wenn sie tags
darauf zusammengefaßt in der Presse abgedruckt werden.
(Javier Marias: Morgen in der Schlacht denk an mich,
S. 119)
Von der Langeweile, die ihn im Alter erwartete,
sprach Bruno immer, wenn er bemerkte, daß ich nicht
alle Bücher von Dostoevskij, Beckett oder Joyce kannte.
Dann seufzte er und sagte, ach, du bist zu beneiden,
Rosa, während ich mich schämte, weil ich, obwohl Bruno
und ich gleichaltrig waren, nicht halb so viel gelesen
hatte wie er. (Monika Maron: Stille Zeile Sechs, S.
176)
... was wir uns als Lebenserfahrung und
Lebensgefühl einverleiben, was uns von den Büchern,
die wir gelesen haben, bleibt, auch dann noch, wenn
wir uns an ihre Geschichten nur noch dunkel erinnern.
(Monika Maron: Ein Schicksalsbuch)
Natürlich ist der Mann ein Mensch, zwar ein ziemlich
anderer als die Frau, aber nicht weniger ein richtiger
Mensch als sie. Nach zwei Jahrzehnten kämpferischen
Feminismus sind wir, die Frauen, selbstbewußt
genug, um zuzugeben, daß selbstverständlich auch
der Mann ein Mensch ist, ein fühlender, leidender, zu
verletzender, auszubeutender Mensch, der ebenso wie
die Frau als unschuldiges und hilfloses Baby geboren
wird. Manchmal versuche ich mir sogar vorzustellen,
ich selbst wäre ein Mann, ein männlicher Schriftsteller
zum Beispiel, obwohl ich nicht glaube, daß ich als
Mann Schriftsteller geworden wäre, eben um mir nicht
anzutun, woran ich die männlichen Schriftseller leiden
sehe: Euripides, Shakespeare, Goethe, Kleist,
Hölderlin, Kafka, Flaubert, Dostoevskij, Beckett -
einer Heerschar göttlicher Konkurrenten sehen sie sich
gegenüber, deren Zitate sie verzweifelt den eigenen
Büchern als Motti voranstellen, um sich der Welt als
legitimer geistige Nachfahren, sogar als Brüder jener
Giganten darzubieten. (Monika Maron: quer über die
gleise. Essays, Artikel, Zwischenrufe, S. 79)
Es spricht für das avantgardistische Wesen der
Schriftsteller, daß sie ihre traditionelle
Geschlechterrollen nicht nur aufgegeben, sondern
sogar vertauscht haben. Während der normale Mann
sich noch immer als sozialer Garant der ihm
anvertrauten Minderheiten (Frauen und Kinder)
versteht, bedarf der Schriftsteller oft selbst eines
solchen Garanten oder eben einer Garantin. Ob er
seinen Beruf gewählt hat, um der Welt von vornherein
seine Unlust auf ein Leben als berechenbarer
Familienernährer zu signalisieren, oder ob ihm seine
poetische Bestimmung einfach keine Wahl gelassen
hat, wage ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall aber
muß er an seine Auserwähltheit fest glauben, denn
meine Freundin J.J., die sich in den Fragen der
Psychoanalyse genau auskennt, behauptet, Geld sei
für Männer Ausdruck ihrer Potenz. Ich glaube aber,
daß es mehr potente als wohlhabende Schriftsteller
gibt. (Monika Maron: quer über die gleise. Essays,
Artikel, Zwischenrufe, S. 80)
Ich weiß nicht, ob andere Schriftsteller wirklich
wissen, warum sie schreiben. Ich jedenfalls weiß es
nicht. Ich könnte mir eine Antwort ausdenken, eine
ernste oder komische, eine psychologische oder
ästhetische, ich könnte sie so lange formen und
schmücken, bis sie mir gefällt und ich bereit bin, sie
als einzig wahre Auskunft selbst zu glauben. Aber
selbst dann könnte ich nicht erklären, warum ich alle
anderen Berufe, die mich im Leben hätten
interessieren können, nicht ausübe. Warum bin ich
nicht Malerin oder Biologin geworden? Vielleicht bin
ich nur Schriftstellerin geworden, weil es mir sehr früh
als eine trostreiche Beschäftigung erschien, Wörter
auf einen Zettel zu schreiben. (Monika Maron: quer
über die gleise. Essays, Artikel, Zwischenrufe, S. 88)
Wie findet ein Rezensent zu seinem Urteil? Spürt er
dem Autor nach und mißt das Mißlingen oder Gelingen
an dessen erkennbarem Vorhaben und das Vorhaben
an seiner Neuheit und Besonderheit? Oder spricht er
dem Wollen des Autors jede Bedeutung ab und
fahndet stattdessen nach dem Unbewußten im Text,
was er dann Dekonstruktivismus nennt? Aber wer
fragt dann nach dem Unbewußten des Kritikers, oder
nach dessen schlechter Laune, Hormonspiegel, gar
Trunkenheit oder auch nur nach seinem Charakter?
Oder gesteht sich der Literaturkritiker selbst die
Autonomie des Künstlers zu, allein durch seine
Subjektivität legitimiert? Erhebt er seine Lektüre in
den Rang eines Kunstwerks? (Monika Maron: quer
über die gleise. Essays, Artikel, Zwischenrufe, S. 99)
"Aber was tun Sie mit all den Buchstaben?" Pérez, der
gerade nach einem ganzen Wort gegriffen hatte, rief
herüber: "Wir fangen sie ein." "Und dann fügen wir
sie wieder zusammen." ergänzte Reverte. Firnis
deutete zu den raupenartigen Tierchen auf den
Pflanzen hinüber. "Das sind Bücherwürmer", sagte er.
"Wir geben ihnen die einzelnen Buchstaben zu
fressen. Nach einer Weile verpuppen sie sich und am
Ende schlüpft ein neues Buch aus dem Kokon."
(Christoph Marzi: Malfuria)
Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluß
gelangt, daß der wahre Grund für den Beifall, der den
Lebensabend eines Autors erhellt, der die den Menschen
gewöhnliche zugemessene Zeitspanne überdauert, darin
liegt, daß vernünftige Leute, sobald sie einmal über
dreißig sein, überhaupt nicht mehr lesen. Je älter sie
werden, um so mehr sehen sie die Bücher, die sie in
ihrer Jugend gelesen, in einer frühlingshaften
Verklärung, und mit jedem Jahr, das verstreicht,
schreiben sie ihrem Verfasser ein größeres Verdienst
zu. Selbstverständlich muß der Schriftsteller
weiterarbeiten; er muß dafür sorgen, daß das Auge der
Öffentlichkeit dauernd auf ihn gerichtet bleibt. Er
darf nicht meinen, daß es genügt, ein oder zwei
Meisterwerke zu schreiben, vielmehr muß er diese durch
dreißig bis vierzig Werke von geringerer Bedeutung
solide unterbauen. Das erfordert Zeit. Seine Produktion
muß, wenn er den Leser nicht durch Charme bezaubern
kann, ihn durch ihr Gewicht erdrücken. (William S.
Maugham: Seine erste Frau, S. 156ff)
In meiner freien Woche, so nahm ich mir vor, würde
ich selbstverständlich lesen, denn dem
gewohnheitsmäßigen Leser ist das Lesen ein
Narkotikum, dem er verfallen ist; entzieht man ihm
Gedrucktes, so wird er nervös, gereizt, ruhelos; und
wie der Alkoholiker, wenn man ihm den Schaps
nimmt, Schellack oder Methylalkohol trinkt, so wird er
sich mit dem Annoncenteil einer fünf Jahre alten
Zeitung begnügen; er wird sich mit einem
Telephonbuch abfinden. Doch der professionelle
Schriftsteller ist selten ein desinteressierter Leser.
Mir schwebte eine Art von Lektüre vor, die bloß eine
andere Form von Müßiggang sein sollte. (William S.
Maugham: Lord Mountdrago, S.21)
"Meine liebe Eleanor, was werden wir noch alles zu
hören bekommen? Du hast doch sicherlich nie ein
Buch von Quida gelesen?" "Doch, Onkel Edwin. Ich
habe 'Unter zwei Flaggen' gelesen, und es hat mir
sehr gefallen." "Ich bin erstaunt und erschrocken.
Diese jungen Mädchen von heutzutage! Ich weiß
wirklich nicht, wohin das noch führen soll!" "Du hast
immer gesagt, wenn ich dreißig Jahre alt bin, gibst du
mir vollkommene Freiheit, zu lesen, was ich will."
"Freiheit darf nicht verwechselt werden mit
Zügellosigkeit, liebe Eleanor", sagte Mr.St.Clair leicht
lächelnd, um seiner Zurechtweisung den Stachel zu
nehmen, aber doch mit einem gewissen Ernst.
(William S. Maugham: Lord Mountdrago, S.153)
Es passiert nicht viel ihren Büchern, und dennoch,
wenn man das Ende einer Seite erreicht hat, wendet
man das Blatt begierig, um zu sehen, was nun
geschehen würde. Nichts Wesentliches ereignet sich -
und wieder blättert man eifrig um. - Ein Dichter,
welcher die Macht gat, dies zu erreichen, hat die
wertvollste Begabung, die ein Dichter besitzen kann.
(Äußerung über Jane Austen)
Er schlug die kostbaren Seiten um, wie ein
Blumenfreund Rosenblätter anfassen würde. (W.
Somerset Maugham: Der Magier, S. 66)
Sie gingen durch ein steifes französisches
Speisezimmer mit reicher Täfelung und schweren
scharlachroten Vorhängen in die Bibliothek, einen
großen Raum, der aber durch Bücherregale, die sich
an den Wänden entlanggezogen, und einen breiten,
mit Büchern beladenen Schreibtisch erheblich
verkleinert wurde. Überall lagen Bücher. Sie waren auf
dem Fußboden gestapelt und häuften sich auf jedem
Stuhl. Es blieb kaum Platz, sich zu bewegen. Susi
schrie begeistert auf. "Sie dürfen mich jetzt nicht
ansprechen. Ich möchte mir alle Ihre Bücher
ansehen." "Eine größere Freude könnten Sie mir gar
nicht machen", sagte Dr. Porhoet, "aber Sie werden
leider enttäuscht sein. Die Auswahl ist zwar recht
groß, doch fürchte ich, daß wenige darunter sind, die
eine junge Dame aus England interessieren." Er
suchte auf seinem Schreibtisch, bis er ein Päckchen
Zigaretten fand. Mit ernster Miene bot er jedem
seiner Gäste eine an. Susie war entzückt über den
eigentümlichen, muffigen Geruch der alten Bücher und
verschaffte sich einen ersten, allgemeinen Überblick.
Die meisten waren broschiert, manche davon sahen
noch neu aus, die meisten allerdings hatten
aufgebrochene Rücken. und schmutzige Ecken; in
gedrängten Reihen, unordentlich, ohne System oder
Plan, standen sie auf den Regalen; auch viele ältere
waren darunter, in Kalbs- oder Schweinsleder
gebunden, Schätze aus Buchhandlungen halb
Europas. Dazwischen standen große Foliobände wie
preußische Grenadiere und kleine Elzevirs, die
Patrizierdamen in Venedig gelesen hatten. Wenn
Arthur im Operationssaal ein anderer Mann war, so
war Dr. Porhoet inmitten seiner Bücher wie
verwandelt. Es blieb zwar die liebenswerte Heiterkeit,
die ihn immer so anziehend machte, er trat aber hier
mit einer amüsanten Schroffheit auf, die in
sonderbaren Gegensatz zu seiner sonstigen Ruhe
stand. (W. Somerset Maugham: Der Magier, S. 66)
"In diesem Augenblick hatte Mrs. Bulfinch den Einfall,
der so wesentliche und großartige Folgen zeitigen sollte.
"Warum schreiben Sie nicht einen Detektivroman,
einen richtigen, spannenden Detektivroman?" "Ich?"
rief Mrs. Forrester außer sich. "Das ist gar keine
schlechte Idee", sagte Albert. "Gar keine schlechte
Idee." "Die Kritiker würden wie Geier über mich
herfallen." "Das weiß ich nicht. Gib den geistigen
Menschen die Chance, ein bißchen 'ungeistig' zu sein,
ohne sich etwas zu vergeben, und man wird dir ewig
dankbar sein." "Ich lege keinen Wert auf derartige
Verdienste", murmelte Mrs. Albert Forrester. "Die
Kritiker werden ein solches Buch schlucken, sage ich
dir. Wenn du es schreibst in deinem wunderbaren
Englisch, werden sie sich nicht scheuen, es für ein
Meisterwerk zu erklären." "Eine irrsinnige Idee. Nichts
ist mir fremder. Ich habe nie für die Massen
geschrieben und darf auf ihrem Beifall nicht rechnen."
"Warum nicht? Die Massen haben den Wunsch, gute
Bücher zu lesen, aber sie wollen sich nicht
langweilen. Sie kennen alle deinen Namen, aber sie
lesen dich nicht, weil du sie langweilst. Du bist
uninteressant, meine Liebe." "Ich verstehe nicht, wie
du das sagen kannst, Albert", antwortete Mrs. Albert
Forrest mit ebensowenig Groll wie ihn etwa der
Äquator empfinden würde, wenn man ihm den Vorwurf
machte, er wäre 'kühl'. "Jeder weiß, daß ich allerhand
Sinn für Humor habe und schon in ein Semikolon soviel
Witz legen kann wie selten ein Mensch." "Wenn du
den Massen eine gute, spannende Geschichte gibst
und ihnen die Illusion läßt, daß sie mit dieser Lektüre
gleichzeitig etwas für ihre Bildung tun, wirst du ein
Vermögen verdienen." (W. Somerset Maugham: Die
Macht der Umstände, S. 186)
Hayward besaß eine Gabe, die sehr wertvoll war. Er hatte ein
wirkliches Gefühl für Literatur und konnte seine eigene
Begeisterung mit bewundernswerter Beredsamkeit weitergeben. Er
konnte sich in einen Autor versenken, das Beste an ihm ausfindig
machen und dann mit Verständnis über ihn reden. Philip hatte sehr
viel, aber wahllos gelesen, und es war ihm von großem Nutzen,
jemandem zu begegnen, der seinen Geschmack lenkte. Er lieh sich
Bücher aus der kleinen städtischen Leihbibliothek und fing an,
die wunderbaren Dinge zu lesen, auf die Hayward ihn hinwies. Er
las nicht immer mit Genuss, aber stets mit Beharrlichkeit.
(W. Somerset Maugham: Der Menschen Hörigkeit)
"Ich sehe nicht ein, was es bringen soll, dieselben Bücher immer
und immer wieder zu lesen", sagte Philip. "Das ist nur eine sehr
geschäftige Form der Trägheit." "Bildest du dir vielleicht ein,
dass du einen äußerst tiefgründigen Schriftsteller beim ersten
Lesen verstehen kannst?" "Ich will ihn gar nicht verstehen. Ich
bin kein Kritiker. Ich habe nicht seinet-, sondern meinetwegen
Interesse an ihm." "Warum liest du dann überhaupt?" "Teilweise
zum Vergnügen, weil es eine angenehme Gewohnheit ist, und weil
ich mich genauso unbehaglich fühle, wenn ich nicht lese, wie wenn
ich nicht rauche; und teilweise, weil ich mich selbst
kennenlernen möchte. Wenn ich ein Buch lese, so scheinen zuerst
nur meine Augen zu lesen, aber dann treffe ich hin und wieder
einmal eine Stelle, vielleicht auch nur einen einzigen Satz, der
mir etwas sagt, und so wird es ein Teil von mir. Ich habe aus dem
Buch dann alles, was für mich von Nutzen ist, herausgeholt, und
mehr kann ich nicht bekommen, auch wenn ich es noch ein dutzend
Mal lese. Weißt du, mir scheint es, als sei man eine geschlossene
Knospe, und das meiste, was man liest und tut, hat überhaupt
keine Wirkung; aber es gibt gewisse Dinge, die eine besondere
Bedeutung haben, durch sie wird ein Blütenblatt geöffnet, und so
öffnen sich die Blütenblätter eines um das andere, und
schließlich ist eine volle Blüte da." (W. Somerset Maugham: Der
Menschen Hörigkeit)
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