Nebenberuf: Dichter?von Arno Schmidt Nicht etwa eine Ostdeutsche Zeitung war es – dort weist man sehr wohl dem Schriftsteller seine, wenn auch arg eingeschränkte, "Funktion" in der Gesellschaft zu – sondern ein Österreichisches Blatt, in welchem kürzlich ein angesehener Kritiker es ganz offen aussprach: daß der Nur= Dichter keine Daseinsberechtigung mehr habe; dergleichen Schmetterlinge könne sich die schwer arbeitende Menschheit nicht leisten! Da der betreffende Herr gleichzeitig Verleger ist, also immerhin davon lebt, daß er Bücher – die ja irgendwie geschrieben werden müssen – verkauft, muß er also der Ansicht gewesen sein, daß sich "Dichten" als Nebenberuf, in der Freizeit, betreiben läßt. Und läßt sich das nicht sogar "beweisen"?: War nicht Schiller im Hauptberuf Universitätsprofessor; ETA Hoffmann nicht Kammergerichtsrat; Lessing nicht Bibliothekar; selbst der große Goethe nicht zehn lange Jahre hindurch fleißigster Staatsminister? Und was haben diese Leute nicht als Dichter geleistet: da werden unsere druckgeschwärzten Epigonen doch auch nicht zu gut sein, sich ihr Brot durch ehrliche Arbeit zu verdienen! Gewiß; Schiller war Dozent, und kein schlechter; und er dichtete "nebenbei", – und er starb mit 46 Jahren, sinnlos verbraucht, wie eine an beiden Enden angezündete Kerze! Und Hoffmann hat am Tage pflichtgetreu in Akten gewühlt; und nachts mit flackernder Hand die glühenden Gebilde gestaltet, an denen sich noch heute der Leser "ergötzt" – und er ist, ohnehin von schwächlichem Körper, mit 45 vergangen. Und der von der Natur mit robuster Gesundheit ausgestattete Goethe war 10 Jahre lang Minister – und schrieb während dieser Zeit kaum eine Zeile; bis er sich endlich, von Grauen ob seiner geistigen Erstarrung geschüttelt, durch eine förmliche Flucht nach Italien "rettete", d.h. wieder ins Land des Geistes zurückkehrte. Ist man sich in Leserkreisen überhaupt klar darüber, was ein Dichter an rein handwerksmäßiger Ausstattung mitbringen muß? Lassen wir einmal die erst in zweiter Linie kommenden "Naturgaben" beiseite – also den angeborenen Sinn für Rhythmus und Wohlklang, für Naturschönheit und dichterische Situationen – unausgebildet befähigen sie zum, auch schon seltenen, "guten Leser". Aber der gute Schriftsteller muß auch einen aktiven Wortschatz haben, der das mehrfache von dem des Durchschnitts beträgt; er kann gar nicht groß genug sein: "Ich habe drittehalb Tage über einer einzigen Strophe zugebracht" schreibt Wieland unruhig an Merck während der Arbeit am Oberon: "wo im Grunde die Sache auf einem einzigen Worte, das ich brauchte und nicht finden konnte, beruhte. Ich drehte und wandte das Ding und mein Gehirn nach allen Seiten; weil ich natürlicherweise gern die nämliche bestimmte Vision, welche vor meiner Stirn schwebte, auch vor die Stirn meiner Leser bringen möchte, und dazu oft von einem einzigen Zuge oder Reflex Alles abhängt." Natürlich darf man gleich wieder spöttisch einwenden: seliger Beruf, wo man sich 60 Stunden um ein einziges Wort mühen kann; wir, bei der Dresdener Bank – – gewiß! Aber meinen Sie tatsächlich, daß ein Dichter göttliche Verse nur so hinsprudelt; daß Goethe umsonst Eckermann eingestand, wie er froh sei, wenn ihm am Tage "eine Handbreit Zeilen" vom "Faust" gelinge? Wasser im Mondschein als "mildeblitzend Glanzgewimmel" zu sehen, setzt nicht nur unerhörte Konzentration voraus, sondern bedeutet auch mehrere, immer wieder durchgestrichene und weggeworfene Notizzettel! Zu dieser Ausweitung des verfügbaren Wortschatzes gehört nicht nur immer neue Lektüre, sondern ebenfalls die Erlernung mehrerer Sprachen; das ermöglicht Assoziationen, Anklänge an Ähnliches: "harp" heißt im Norwegischen "Egge": schon tastet die Hand zum (auch nachts stets daneben liegenden) Block – aber was ist das dann für ein Schlaf!? – und kritzelt: "Eine Egge harfte die Erde". Außerdem braucht man Fremdsprachen für die leider stets notwendige Brotarbeit des Übersetzens; und was es bloß an regelmäßiger Lektüre kostet, nur um sich den Besitz von einem halben Dutzend Sprachen zu erhalten, weiß ja wohl Jeder! – Es ist schon traurig genug, daß ein Dichter, der Unwiederholbares zu leisten imstande wäre, zeitraubende Brotarbeiten "nebenbei" betreiben muß. Aber selbst so ist der Substanzverlust in diesem zehrendsten aller Berufe unerträglich: "Ich habe mich an meinem Roman auf den Hund gearbeitet – daß ich manchmal zusammenschaure und zittre wie ein Espenlaub im Wind" schreibt Scheffel vom "Ekkehard". Tieck warnte Jeden vor dem "grausamen Metier". "Ich hab es ihm oft gesagt: Herr Legationsrath, Sie arbeiten sich zu Tode" berichtet Jean Pauls Wirtin: "dann saß er da, die Augen groß und rot aus dem Kopfe heraus stehend, und sah mich lange an, ehe er sich besinnen konnte; und wenn er endlich aufstand und die Treppe herunter kam, da schwankte er hin und her, und ich ging, ohne daß er es merkte, vor ihm, damit er keinen Schaden nähme." Selbst im geselligen Kreise übermannte Lessing, völlig verbraucht mit fünfzig Jahren, unwiderstehliche Schlafsucht, "so daß er unmittelbar aus der lebhaftesten Unterhaltung in dumpf bewußtloses Schweigen verfiel". Swift, Nietzsche, Hölderlin, endeten im Irrsinn; Scott, Kant, Newton, waren im Alter stumpf und verstanden ihre eigenen früheren Bücher nicht mehr. – Dichter im Nebenberuf?: nein; es geht wohl doch nicht! Geschrieben Februar 1955. - Bargfelder Ausgabe der Werke Arno Schmidts III,3 S.194f. © Arno Schmidt Stiftung, Bargfeld [Fundstücke] [LB-Startseite] [E-Mail] |