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Arno Schmidt: Der Platz, an dem ich schreibe
Mefista, (in männlicher Tracht; Faust präsentierend): ...:
der Herr ist Autor.
Sorbin, (jung, 15=jährig, in anmutig gebrochenem Deutsch):
Was iest ain ‹Au=torr›?
Mefista, (rasch gefaßt): Ein Autor?: ist Derjenige, dem
‹ein Stock im Petticoat› beim Anblick dessen
einfällt, wozu ein Leser zeitlebens ‹Schirm› sagt.
(Arno Schmidt, FAUST, IV.Teil, Szene 16)
Als ich hier einzog, besaß ich, u.a., auch 2 alte
Schreibtisch=Seitenschränkchen - die Platte, die
darüber gelegen hatte, war alt, und hatte sowieso nie
genau gepaßt; (obwohl sie beste Dienste geleistet hat,
wohlgemerkt; und sogar noch leistet; ich habe viel
historischen Sinn - "zu viel" wird Mancher murmeln; Der
kennt dann nur FOUQUÉ) - und infrage kam nur die 1
Dachstubenecke, die schräge Wand nach Nord, das
Giebelfenster nach Ost. Da kam mir - ich will es nur
gestehen; es war, als die Maurer auch ‹improvisierten›,
und die eingefrorene Pumpe mit Tapetenresten auftauten
- der Einfall, ebenso billig wie genial: beim Tischler
eine dicke Sperrholzplatte zu bestellen, 2 × 2 Meter;
aus der einen Ecke wurde ein Viertelkreis, Radius 1
Meter 20, herausgesägt; und fertig war die
allerschönste Schreibfläche; ‹Limba›=bezogen, ein
Hölzernes Meer von 3 Quadratmetern! Denn ich brauche
Platz. Nicht für meinen Bauch, (einen Artikel, in dem
ich wenig vermag); sondern für Zettelkästen, Mappen,
und vor allem die Tisch=Bibliothek, im Viertelkreis um
mich aufgestellt, haarscharf=dergestalt, daß ich sie,
ungestüm=vorgebeugt, noch erreichen kann - ich hab'
lange Arme! Es sind mit nichten immer dieselben 70
Bände. Ich unterscheide da streng 2 Abteilungen: den
‹festen› Bestand, und den - je nun, ich sage in der
Schnelle, ‹fließenden›. Der ‹feste Bestand›, das sind
natürlich die kleineren Nachschlagewerke. Einmal
Wörterbücher - ich übersetze (und fleißig, obwohl ich
das selbst sage) aus dem Englischen und Amerikanischen,
und es sind immerhin schon 20 Bände - ein untersetzter
WEBSTER von 1854 (und das ist wieder einmal mehr keine
Posse: ich besitze speziell diesen Jahrgang, weil ich
COOPER=Fachmann bin; und immer noch die Hoffnung hege,
daß meine Übersetzung des ‹Conanchet› doch einmal
erscheinen werde; worauf man mich ja,
unvermeidlich=begeistert, sogleich mit der
‹Littlepage=Trilogie› beauftragen würde, wenn nicht gar
mit den ‹Monikins›. Und da COOPER 1851 starb, enthält
der genannte WEBSTER genau seinen Wortschatz!); der
MURET=SANDERS, PARTRIDGE [JUNCKER], undsoweiter
undsoweiter. Das, in diesem Zusammenhang zu erwähnende,
Buchderbücher freilich - ich meine die ENCYCLOPAEDIA
BRITANNICA - steht, mit ihren 16
Dünndruck=Doppelbänden, hinter mir; dazu muß ich leider
aufstehen; wer wohnt schon vollkommen? Geschichts= und
Hand=Atlanten. Der THESAURUS LOGARITHMORUM mit seinen
10 Dezimalen (‹semel in anno licet insanire›). Der
komplette BRÜMMER (einen GOEDEKE oder den neuen KOSCH
kann ich mir nicht leisten; und wie ich den FRELS
vermisse, mag ich gar nicht sagen!). Neben den beiden
Jahrgängen des KÜRSCHNER, 1908 und 24, ein ‹Handbuch
der Pilzkunde› - man lebt nicht ungestraft ‹auf dem
Lande›.
Literaturgeschichten: für die ältere Zeit
bediene ich mich, nach langer Prüfung, kurioserweise
des Wolfgang MENZEL; für die neuere des unvermeidlichen
SOERGEL; für die neueste - ach, wissen Sie, wenn man
selbst das Frou=Frou miterzeugen muß ..... An
Konversationslexika sehe ich auf dem Tisch nur den
kleinen KNAUR; tcha und dann - ich weiß, es gilt
vielerorts als ‹unpatriotisch› - das 2=bändige
DDR=Lexikon. Nicht, daß ich die oft bestialische
Vernageltheit seiner Urteile über Kunst teilte; aber
die Daten sind vorbildlich genau, und das Material über
den ‹Ostblock› durchaus unverächtlich - ich kann mir
nicht helfen; ich laß' es jedenfalls erstmal stehen.
Und nun 1 ausgesprochener Akt der Selbstverleugnung -
es ist ein bisher noch viel zu wenig gewürdigtes
Kapitel - meine ‹Namensquellen›. Es ist nämlich ‹bei
Schriftstellers›, zumal bei deutschen, wo es nach
heiliger Tradition pausenlos heißt ‹dicht=Er &
denk=Er›!, so, daß man laufend viele Namen benötigt;
bald wohlklingende, bald banale. Meist weiß man (bei
häufig auftretenden Hauptpersonen, um sie mit einem
akustisch=fonetischen Zug sich selbst und dem Leser
unverwechselbar zu malen; bei Nebenfiguren, um sie
rasch und ohne Arbeit, aber dennoch solide, zumindest
verantwortbar=ausreichend, zu ‹erledigen›) wieviel
Silben der betreffende Name haben muß, um in den Takt
des Satzes zu passen; also auch, welche dieser Silben
betont sein muß, wer es nicht lassen kann, mag an
‹Penultima› denken; selbst die Vokalharmonie liegt
innerhalb ziemlich enger Grenzen fest. Es wäre schon je
1 Monografie wert, bei jedem Dichter seine Hilfsmittel
in dieser Beziehung zu untersuchen; bei FOUQUÉ war es
Johannes von MÜLLER. (Bei mir - ich will kommenden
Kommenden die Mühe erleichtern - ist es so, daß ich -
soll ich die Bosheit besitzen, und hinzufügen ‹unter
anderem›? - für deutsche Namen das Register des
‹Hannoverschen Staatshandbuches für 1839› verwende, (es
enthält immerhin 80000 zur Auswahl); für ausländische
den ‹Regenhardt; Geschäftskalender für den Weltverkehr,
1927›.
Da es nun immer Leute gibt, die es lieben,
unnötige Fragen zu stellen, erwidere ich auf deren
‹Warum?›: der REGENHARDT lief mir zu; er kostete nur 50
Pfennig, und erwies sich dann als sehr praktisch; für
HANNOVER verweise ich, mit abwehrend gewölbten Brauen,
auf mein ‹STEINERNES HERZ›.) - Der ‹fließende› Bestand
ändert sich, je nach dem Groß=Thema, das zur Zeit
gerade ‹dran› ist. Also wechselt Leopold SCHEFER ab mit
HIPPEL; der mit LUCIAN oder KARL MAY; dann steht wieder
einmal der ODYSSEUS da (des James JOYCE natürlich; über
‹Finnegans Wake› weiß ich zu gut Bescheid, seit ich
‹Bruder Stanislaus› übersetzt habe!). Neulich erschrak
Einer, als er Jules VERNE so neben Gustav FRENSSEN sah
..... Allerdings ist es, trotz all der aparten Titel,
so, daß ich ganz sorgenfrei, ‹aus Wolluscht›, überhaupt
nichts mehr lesen kann: immer muß ich ‹einen Aufsatz
drüber schreiben›. - (Darauf freue ich mich schon sehr:
wenn einmal, irgendwann=einmal, ein Mäzen=oder=so
auftauchen wird, der mir ‹um=meiner=selbst=willen› - es
ist schwer; ich weiß wohl; ich selbst würd's auch nicht
tun - eine monatliche Rente von, nu, sagen wir, 500
Mark ‹auswirft›; und ich dann - ach, es fallen Einem
gleich Ausdrücke wie ‹Lebensabend› ein, und
‹buntgeblümter Schlafrock›, ‹The echoing Green›, ‹Der
Schnee tröpfelte emsig vom Dach›, ‹Die Nacht wird kalt,
sagte der alte Rudolph, vom Wetterfähnlein kreischt es
herunter, die Eichen fangen zu rauschen an, lege mehr
Holz an den Heerd, Alwin.› - tcha, und jetzt hab'ich
natürlich den Faden verloren.) Aber eines ist endlich -
etwas spät freilich; und überhaupt ‹wie lange noch?› -
erreicht: ich sehe von meinem Schreibtisch aus den Mond
aufgehen! Was das für mich bedeutet, davon machen sich
wenige Menschen einen Begriff. (Allerletzten Endes hat
es wohl lediglich mit der Sehschärfe zu tun; ich habe,
von Kindesbeinen an, so starke ‹Minus=Zylinder›, daß
noch jeder Optiker vor rarer Freude aufgejauchzt hat,
wenn er meine Brille unter's Meßgerät legte. Ich bin
wegen meiner Selenomanie weder ‹hyänenhaft feige›, noch
eine ‹potentielle Verbrechernatur›, wie viele meiner
Gegner arg gerne möchten - als wenn die Erde nicht groß
genug wäre, daß wir Alle darauf Unrecht haben können!
Neinein; ich gehöre wirklich nicht ins Irrenhaus;
obwohl ich seit meiner Geburt natürlich darin lebe.)
Zugegeben, ich sehe auch die Sonne aufgehen; aber zu
dem blutigen Küchenmädchen habe ich nie ‹ein
Verhältnis› gehabt. ‹Sonn'naufgang›? Was heißt'nn das
schon?! Einer steht aufrecht, wie ein Wacholder; drei
Wolkendamen liegen, in grauen schicken Mänteln, flach,
(der Einen läuft's hinten rot raus, brrr!). Gewiß, sie
gibt Licht, und vermindert die Zahlungen an den
Stromversorgungsverband Osthannover und die
Kohlenhändler; aber damit ist es auch gut. - Wogegen
der Mond ..... Wenn ich also, im strapaziödesten
Keinerlei des Vokabeljätens, dem Broterwerb, dem
cash=as=cash=can, befangen, nach 14 Arbeitsstunden,
aufblicke -: dann ist aus dem Wälderkranz eine
dunkelgraue Rundum=Borte geworden. Unten läuft eine
Katze vorbei, mit einer Zitronenscheibe im Mund; (sie
hat Junge, daher diese, völlig verworrenen,
Mutterinstinkte; wenn sie einen Hahnenkopf vom Nachbar
anbringt, ist dessen abgesägter Suppen=Seitenblick
schon erheblich fataler.) Durch die Spreizhand -
manchmal ist mir vom vielen Tippen, als wäre sie im
Gelenk abgeschnürt - die mir die Brillenlemniskate
zurechtrückt (r gleich a mal Wurzel aus cosinus 2 phi;
tatsächlich, ich kann's noch auswendig!) blinzt Jupiter
als ‹Zugabe›. Wirklich ver=schmidt=ste Stücke sind
nicht mehr möglich: aus ehrlicher Erschöpfung. Wer
derart lange, unter Nes=Kaffee=Druck, an JOYCE
übersetzt hat, oder FAULKNER, oder, noch schwieriger,
‹ANGRIA und der Weg dorthin› - ja, diesen ‹schäbigen
Rest› von 1 Menschen besieht man sich besser nicht
mehr. Und trotzdem tastet die Hand schon wieder nach
dem Zettelkasten - 2 Sorten stecken, notizbereit,
darin: DIN A 9 (37,16 mal 52,56) und DIN A 8 (74,33 mal
52,56 Millimeter); und auch das ist wiederum nichts
weniger als eine Pedanterie; sondern schlicht eine
Frage der Erfahrung: es liegt am Temperament, wie lang
die Stichwortreihe ist, deren man zur Notierung eines
Eindrucks bedarf; und ein Zettelchen DIN A 8, hinten &
vorn mit winziger Spitzschrift in Sigeln bekritzelt
(hi! die vielen ‹i›=Zinken!) entspricht immerhin einer
Buch=Viertelseite. - Also die Hand tastet. Auch nach
einem der 20 sehr lang=scharf geschliffenen Bleistifte
(‹alte Rasierklingen›: das ist's!); (und ‹Nummer 2›
wohl; jedenfalls ‹weiche›). Und schreibt:
"... 1 bleiches molkichtes Gesicht durch'n Kronsberg=Wald ...
... flatterndes Volk zog auf marmornem Kreuzweg, stundenlang ...
... Gegen Mitternacht erschien 1 Stück Mond im Himmel. ..."
Aus der Beschaffenheit solcher Neuigkeiten auf den
hohen Grad der Unschuld & Einfalt meines pastoralen
Wortmetz=Daseins=hier zu schließen, wäre jedoch
voreilig. Unser Schicksal heißt Turbulenz; heißt
‹kompliziert leben›; (und das, im Bewußtsein jedes
gebildeten Lesers prompt erscheinende, ‹Einfach=leben›
ist nur eine wehmütig=unrealistische Formel, über die
man schon im späten Rom resigniert gelächelt haben
dürfte.) Nach meinem Arbeitsplatz fragen Sie mich? Was
ich will? Was ich bin? : Warten Sie, bis ich nicht mehr
bin.
Quelle - Arno Schmidt: Aus Julianischen Tagen
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