Schriftsteller von Beruf


von Herbert Rosendorfer

Eine Dame fragt auf einer Party einen Herrn: "Und was sind Sie von Beruf, wenn man fragen darf?" - "Schriftsteller", antwortet der Herr. "Ach", sagt die Dame, "es muß doch herrlich sein, zu schreiben anstatt zu arbeiten." Ich gestehe, daß auf mich dieser Witz voll zutrifft. Ich habe den Beruf des Scvhriftstellers gewählt, weil mir das Schreiben leichter fällt als alles andere, was ich erwogen oder ausprobiert habe. Rasenmähen, Kopfrechnen, in Zähnen bohren, Lokomotiven steuern, Predigen, ein Schiff kommandieren ist alles viel anstrengender, zeitraubender und mühsamer als Schreiben. Schreiben erfordert keine Vorbereitungen, kaum Aufwand, ist an keinen Ort und keine Jahreszeit gebunden, und man kann es ganz allein machen. Dennoch geht es nicht ohne Ärgernisse ab, wenn man Schriftsteller ist. Ich rede nicht vom Ärger mit Verlegern, von dem alle Schriftsteller reden, vom Ärger mit Redakteuren und Regisseuren.

Dagegen gibt es bewährte Rezepte. Sicher, Verleger können eigensinnig und störrisch sein, aber man kann sie - mit Geduld - erziehen. Ich habe in meinem Leben schon sehr schöne Resultate erzielt. Änderungswünschen von Redakteuren begegnet man mit der Haltung jenes Schneiders, dem der Kunde einen Anzug zurückbringt und sagt: "Er paßt nicht recht, er zwickt dort und da." Der Schneider nimmt geduldig alle Beschwerden entgegen, behält den Anzug da, hängt ihn zwei Wochen in den Schrank und tut nichts. Wenn der Kunde wiederkommt, sagt er: "Alles gerichtet." Der Kunde zieht den unveränderten Anzug an, strahlt und sagt: "Ja, jetzt - das ist doch gleich ganz was anderes." Genau so macht es der Schriftsteller. Er muß nur darauf achten, daß er keine Kopie des Manuskripts zurückläßt, damit der Redakteur nicht vergleichen kann. Regisseure kann man meistens dadurch paralysieren, daß man das Drehbuch knapp vor Drehbeginn abliefert. Dann bleibt keine Zeit für Änderungswünsche, und meistens sind auch alle schon viel zu nervös. Von dem allen spreche ich nicht.

Ich spreche von dem Ärger, dem kein Schriftsteller entgeht, dem offenbar mit dem Schreiben untrennbar verbundenen Ärger, den jeder kennt, der auch nur ein einziges Buch veröffentlich hat. "Ich habe schon so viel von Ihnen gehört. Ich würde mich freuen, wenn ich ein Buch mit einer kleinen Widmung von Ihnen hätte." Der verbrecherische Briefschreiber will natürlich nicht eigentlich die Widmung, er will das Buch geschenkt haben. Offenbar gibt es einen weitverbreiteten, tief eingewurzelten Glauben, daß Schriftsteller nichts anderes zu tun haben, als ihre Bücher zu verschenken. "Ich hatte die Ehre, mit Ihrem Herrn Vater in die Schule gegangen zu sein, und würde mich daher freuen, wenn Sie mir eines Ihrer geschätzten Werke zukommen lassen könnten." Diese kriminellen Elemente tun so, als wüßten sie nicht genau, daß es Buchhandlungen gibt, die sich erwiesenermaßen freuen, Bücher an Leute zu verkaufen, ob diese nun mit dem Vater des Autors in die Schule gegangen sind oder nicht. Mehr noch: manchmal hat man das Gefühl, die Leute erwarten Dankbarkeit dafür, daß sie bei einem schnorren. Viel Schnorrer, viel Ehr?

Nicht viel weniger lästig, nein; eher noch lästiger sind die charakterlich Besseren unter diesen Leuten. Die wollen das Buch nicht geschenkt, sondern zum Autorenrabatt. Liebe, liebe Leute! Was glaubt ihr, was ein Schriftsteller tun will? Er will schreiben, jawohl: er will Bücher schreiben. Wenn er ein Buch geschrieben hat, wird er - außer auf der Verlagsabrechnung - von dem Buch in der Regel nichts mehr hören und sehen. Vor allem will er das Buch nicht für die Tante der Freundin der verstorbenen Cousine zum Autorenrabatt besorgen. Er will nicht zum Verlag gehen, das Buch holen - und vorher, das ist das Schlimmste, daran denken: ich muß das Buch für die Witwe des Oberlehrers des Nachbarkindes besorgen -, das Buch zahlen, einpacken, zur Post bringen, fragen, was es Porto kostet... das alles will der Autor nicht. Manchmal kommt es einem vor, als sei das ein Teufelskreis. Hat man einmal ein Buch geschrieben, rollt eine Lawine von Taufpaten des Stiefonkels, von Freundinnen der Milchfrau, die alle, alle das Buch zum Autorenrabatt haben wollen, auf einen zu.

Vor lauter zum Verlag laufen, Packpapier kaufen, Pakete auf der Post wiegen lassen, Mehrwertsteuer umwälzen, Widmungen aus den Fingern saugen, kommt man dann kaum noch zum Atmen, Die zeit für das Schreiben der weiteren Bücher muß man sich förmlich stehlen, muß heimlich schreiben, wie der Knabe auf dem Abort raucht. Liebe Leute - ich werde noch ganz verrückt, und ich muß euch sehr ernsthaft vor die Wahl stellen: entweder kauft ihr euch die Bücher selber in der Buchhandlung oder stehlt sie dort oder aus den Bücherregalen anderer Leut, das ist mir ganz gleich, oder aber ich schreibe nichts mehr. Dann muß ich zwar noch eine Zeitlang die Rabattexemplare besorgen und expedieren, aber eines Tages werden alle meine Bücher vergriffen sein, und ich werde euch ins Gesicht lachen können... Oder natürlich: schreibt doch selber. Dann werdet ihr schon sehen, wie das ist, Bande. (Herbert Rosendorfer: Die Schönschreibübungen des Gilbert Hasdrubal Koch, S. 220-222)


© Herbert Rosendorfer: Die Schönschreibübungen des Gilbert Hasdrubal Koch. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1999, S. 220-222


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