Sebaldus Nothankervon Friedrich Nicolai Sebaldus schlief, der Ermahnung des Magisters ungeachtet, sehr unruhig und beseufzte noch am folgenden Tage den unvollkommnen Zustand der deutschen Gelehrsamkeit und das Schicksal der deutschen Gelehrten. Nachmittags ging er zu seinem Freunde Hieronymus, um ihm sein gestriges Gespräch mit dem Magister zu erzählen und ihn zu fragen, ob desselben Nachrichten zuverlässig wären. "Ich finde", sagte Hieronymus, "daß der Herr Magister von allen diesen Dingen sehr wohl unterrichtet ist; aber warum beunruhigt Sie diese Erzählung so gar sehr?" Sebaldus: Es kränket mich, daß ich so viel von der Hochachtung ablassen muß, die ich für die deutsche Gelehrsamkeit und für die deutschen Gelehrten hegte. Ich habe beständig einen Mann, der ein Buch schreiben kann, mit Ehrfurcht angesehen, und den ganzen Haufen der Schriftsteller habe ich mir als eine Anzahl einsichtvoller und menschenfreundlicher Leute vorgestellt, die beständig beschäftigt wären, alles, was der menschliche Verstand Edles, Schönes und Wissens würdiges hervorbringen kann, zu erforschen und es zur Aufklärung des menschlichen Geschlechts in ihren Büchern öffentlich bekanntzumachen. Nun tut's mir weh, daß ich sie bloß als geschäftige Schmierer ansehen soll, die Wahrheit und Einsicht zu einem schimpflichen Gewerbe machen, die mit ihrer Schriftstellerei bloß für sich selbst Ruhm, Nutzen oder Nahrung suchen. Hieronymus: Und es tut Ihnen um desto weher, weil Sie selbst in die Zahl der Schriftsteller zu treten gedenken! Nicht wahr? Aber trösten Sie sich, alle Schriftsteller und Übersetzer sind nicht so beschaffen, wie sie Ihr Magister beschrieben hat. Er hat nur von neun Zehnteilen geredet. Es ist noch das zehnte Zehnteil übrig, nämlich Männer, die es wirklich mit dem Fortgange der Wissenschaften gut meinen, welche der Eitelkeit und den Vergnügungen der Jugend entsagen, um sich gründliche Kenntnisse zu erwerben, und welche Nächte durchwachen, um ihre Nebenmenschen weiser, erleuchteter und gesitteter zu machen. In deren Gesellschaft zu treten dürfen Sie sich nicht schämen. Sebaldus: Und dieser wäre nur eine so geringe Anzahl? Wenn Sie die Anzahl der nützlichen Bücher so gering machen, wissen Sie wohl, daß Sie sich selbst erniedrigen? Hieronymus: Wieso? Sebaldus: Ich habe immer der Buchhandlung vor allen Arten der Handlung den Vorzug gegeben, weil ich glaube, daß durch ihre Vermittelung die gelehrten Kenntnisse unter die Menschen gebracht werden, weil sie nicht blühen kann, als wenn eine gründliche und nützliche Gelehrsamkeit blühet. Hieronymus: Da haben Sie einen sehr falschen Begriff von der Buchhandlung. Sie stehet nur in rechtem Flore, wenn die Leute sehr dumm sind. Sebaldus: Wenn die Leute sehr dumm sind? Das kann ich nicht begreifen. Dumme Leute werden ja keine Bücher kaufen. Hieronymus: Weswegen nicht? Sie kaufen dumme Bücher, und die sind in größerer Anzahl und machen größere Bände aus. Es ist auch viel leichter und bequemer, für dumme Leute zu schreiben und zu verlegen als für kluge. Sehen Sie nur meine Kollegen, die Buchhändler in den katholischen Provinzen, an, größtenteils reichere Leute als alle protestantischen Buchhändler auf der Leipziger Messe. Sie finden in ihren Verzeichnissen schöne Folianten über das Jus canonicum, herrliche Fasten und Fronleichnamspredigten, derbe Kontroverspredigten wider alle Ketzer, tröstliche Legenden der Heiligen, Gebetbücher und Breviarien in Menge, aber oft kein einziges vernünftiges Buch, das ich, so einfältig auch meine liebe Vaterstadt ist, in meinen Buchladen legen oder Sie, wenn Sie noch so reich wären, in Ihre Bibliothek würden setzen wollen. Hier ergriff er ein auf seinem Pulte liegendes Bücherverzeichnis eines katholischen Buchhändlers in Augsburg und fragte: Wie gefallen Ihnen die Titel: Laurentii von Schnifis (ord. Capucin.) "Mirantische Mayenpfeife", mit Kupfern; P. Sennenzwickels "Ernstliche Kurzweil für die zenonische Gesellschaft der machiavellischen Staatsklügler, worin das edle Paar Gebrüdrichen Atheismus und Naturalismus samt den Hallerischen Gedichten dem Sileno als Riesenschröcker aufgeopfert werden"; P. Dionysii von Luxemburg verbesserte "Legend der Heiligen" von P. Martin von Cochem; "Der himmlische Gnadenbrunn St. Walburgä"; "Die geistliche Sonnenblum, d. i. kurze tägliche Besuchungen des allerheiligen Sakra ments des Altars"; P. Biners "Mückentanz der Herren Prädicanten zu Zürch um das Licht der katholischen Wahrheit"; Alexii Riederers "Geistliches Seelennetz oder 150 geistreiche Betrachtungen"; Bulffers "Mit kurzen, doch guten Waren handelnder evangelischer Kaufmann oder kurze Sonn und Feyertagspredigten"; "Der christkatholische goldne Schlüssel, mit welchem die Schatzkammer der zeitlich und ewigen Güter kann aufgesperrt werden"; Hausingers "Geistliches Frühstück oder auserlesene Sittenlehren". Wollen Sie etwa diese und andere dergleichen schöne Sächelchen mehr kaufen? Sebaldus: Nein, was sollte ich mit dem unsinnigen Zeuge machen? Hieronymus: Nicht? Desto schlimmer für den Buchhändler, daß Sie so klug sind! Er mag sich dumme Käufer schaffen, oder er ist verloren. Sebaldus: Der Buchhandel ißt also, wie ich merke, ein so leichtes Geschäft, als es einträglich ist. Dumme Bücher verlegen und sich viel dumme Käufer dazu suchen erfordert ja wahrlich keine große Kunst, denn die dummen Menschen sind unzählig. Hieronymus: Und doch ist's schwerer, als Sie es sich vorstellen. Vergessen Sie nicht, daß Millionen dumme und kluge Menschen gar keine Bücher brauchen. Das können Sie daraus sehen, daß von den meisten Büchern im deutschen Buchhandel etwa fünfhundert und höchstens bis ein paar tausend Exemplare gedruckt und selten sämtlich verkauft werden, und doch reden an dreißig Millionen Menschen die deutsche Sprache. Und dann muß der Käufer das Buch suchen, nicht das Buch den Käufer. Die dummen Menschen, welche zum Glücke der Buchhändler noch dumme Bücher kaufen wollen, haben jeder ihre eigene Art der Dummheit für sich und suchen nur diese. Glauben Sie mir, der Arten der Dummheiten sind in Deutschland sehr viele da sogar die gelehrte Klugheit vieler Schriftsteller dumm genug ist! Es gehört also bei dem Buchhändler viel Erfahrung dazu, die rechte Art dummer Bücher zu verlegen und anzuschaffen. Denn fällt er auf die unrechten dummen Bücher, so bleiben auch diese liegen, und er kommt so dann auch mit der Dummheit nicht vorwärts. Sebaldus: Das gönne ich ihm herzlich! Denn ich behaupte: ein Buchhändler ist nur dazu da, um der Gelehrsamkeit aufzuhelfen, daher sollte er keine andere als gute Bücher drucken und verkaufen. Hieronymus: Das heißt von dem Buchhändler zu viel gefordert, der sich selten nach dem Geschmacke der Gelehrten, ja selbst nicht nach seinem eigenen richten kann, sondern nach dem Geschmacke des großen Haufens richten muß; und dieser macht es ihm nur allzu leicht, die meisten guten Schriftsteller beinahe ganz zu entbehren. Sebaldus: Dies tun die Buchhändler freilich, aber sie sollten es nicht tun, sondern sollten billig dem Geschmacke der größten Gelehrten folgen; und ich habe mich schon oft über Sie selbst gewundert, da Sie wissen, was große Gelehrte von Büchern urteilen, und doch schlechte Bücher drucken und verkaufen. Hieronymus: Mein Freund, der Geschmack großer Gelehrten ist der Geschmack sehr weniger Leute; der Buchhändler aber braucht sehr viele Käufer, wenn er sein Geschäft treiben will. Wenn nun sogar dumme Bücher oft nicht Käufer finden, wieviel mehr wird es den gelehrten und klugen Büchern so gehen, da der gelehrten und klugen Leute offenbar die wenigsten sind? Daher kommt es, daß so oft Autor und Verleger bei dem besten beiderseitigen Willen sich nicht vereinigen können. Jener will den innern Wert seines Buchs verkaufen, dieser bloß eine Wahrscheinlichkeit des Absatzes kaufen. Jener schätzt seinen und seines Buches Wert nach dem Beifalle einiger wenigen Edlen, das heißt derjenigen Freunde, die er für die wenigen Edlen hält. Dieser überlegt, ob es möglich oder wahrscheinlich sei, daß viele nach dem Buche lüstern sein möchten, ohne in Anschlag zu bringen, ob sie gelehrt oder ungelehrt, weise oder einfältig, nach Unterricht oder nach Zeitvertreib begierig sind. Sehen Sie den Tiroler, der dort geschliffene optische Gläser zum Verkaufe herumträgt? Er hat kein Flintglas und keine Dollondsche Fernröhre. Fragen Sie ihn, warum er nicht vorzüglich sich erkundigt, was für Gläser die größten Astronomen verlangen. Er wird antworten: Ich verkaufe meine Gläser, unbekümmert ob man sie in Teleskope setzt, um unbekannte Sterne zu obser vieren, oder in Perspektive, um einen entfernten Feind zu entdecken oder den Freund, der uns besuchen will, früher zu erblicken, oder in Mikroskope, um im Samentierchen zu unterscheiden, ob der erste Keim des Menschen ein Fisch oder eine Faser ist, oder in Brenngläser, um Flotten oder Tabakspfeifen anzuzünden, oder in Brillen, um feine Schrift zu lesen. Soviel ist gewiß, irgendwozu muß die Ware brauchbar sein, sonst führe ich sie nicht. Doch hat mich die Erfahrung soviel gelehret, daß Brillen stärker abgehen als Teleskope, zumal in meinem Lande, wo viele Leute ein blödes Gesicht haben und sich nur die Ex- Jesuiten auf die Astronomie legen. Sebaldus: Und dennoch ist's unrichtig, daß die Buchhandlung durch dumme Bücher in Flor kommt, denn Sie können doch nicht leugnen, daß, seitdem die Lektur in Deutschland mehr Mode geworden, die Buchhandlung mehr floriere. Hieronymus: Das leugne ich gradezu. Zur Zeit der schönen, dicken Postillen, der zentnerschweren Konsultationen, der Arzneibücher in Folio, der Opera omnia, der klassischen Autoren und Kirchenväter in vielen Folianten, der theologischen Bedenken und Leichenpredigten in vielen Bänden, der Labyrinthe der Zeit, der Schaubühnen der Welt war die Buch handlung im Flore. Was gibt man uns jetzt anstatt dieser wichtigen Werke? Eine Menge kleiner Büchelchen, die aus Hand in Hand gehen, wenig gelesen und wenig gekauft werden, wodurch denn endlich den Lesern die alten Kernbücher anstinken. Sehen Sie, das ist der Vorteil, den wir Buchhändler vom Lesen der Bücher haben. Sebaldus: Nun, das ist doch zu arg! Wenn man die Bücher nicht lesen soll, was soll man denn damit tun? Hieronymus: Sie zerreißen oder Wände damit tapezieren. Sebaldus: Gott behüte, was sagen Sie da! Hieronymus: Was alle Tage geschiehet. Meine besten Kunden sind Schulknaben, Handwerksbursche, Bauern, gute Mütterchen, die beten und singen und die Knäblein und Mägdlein oft mit sich in die Wochenpredigten nehmen, die dann aus Langerweile fleißig die Gebetbücher und Gesangbücher zerreißen. Die Gewürzkrämer machen auch eine wichtige Konsumtion von Büchern; und in diesem Kriege sind viele Streitschriften wider die Ketzer, die mir zur Lastlagen, in Patronen verschossen worden. Sebaldus: Aber es werden doch nicht alle Bücher zerrissen und in Patronen verschossen? Hieronymus: Freilich nicht! Viele werden zu Pappe eingestampft oder sonst bogenweise verbraucht. Nicht zu rechnen, daß viele Tausende in den Buchläden halbe Jahrhunderte lang liegen. Sebaldus: Die Bücher müssen doch gelesen werden! Dazu sind sie gedruckt. Hieronymus: O ja, viele werden gelesen, ehe sie eingestampft werden, doch meist kaum von zehn Lesern. Schon fünf Monate nach einer Messe sind die meisten in derselben erschienenen Bücher vergessen; es müßte denn sein, daß sie erst nach sechs Monaten rezensiert würden. Vorzeiten war es anders, da dachte man lange an alte Bücher, selbst an die schlechten. Damals wurden sie nach vielen Jahren noch in die Hände genommen, weil ihrer sehr viel weniger waren und die damalige Art zu studieren mehr Bücher erforderte. Jetzt wollen unsere klugen Leute selbst denken, dazu braucht man wenig Bücher, und doch drucken wir mehr als sonst. Und vollends bei unsern jungen Leuten, sie mögen nun junge Philosophen oder junge Poeten sein, wird der Verstand und der Genius so früh reif, daß sie gar keine Bücher zu lesen würdigen als ihre eigenen. Wände mit Büchern tapezieren oder, um gelehrter zu reden, große Bibliotheken errichten war zu der Zeit Mode, als die vorhergenannten großen Werke noch verkauft und wahrlich auch gelesen wurden. Jetzt hat die leidige Sucht, Gedichte und kleine Modebücher zu lesen, die großen Bibliotheken und die schwerfällige Art zu studieren, wozu große Bibliotheken nötig waren, ganz aus der Mode gebracht, und seitdem ist eine sehr ergiebige Quelle des Reich tums der Buchhändler verstopft. Wenn auch irgendeine tüchtige Feuersbrunst einem Buchhändler aufhelfen könnte, so wird selten eine verbrannte Bibliothek wieder angeschafft. Sebaldus: So ist dies das Schicksal der Bücher, der Früchte des Fleißes so vieler verdienstvollen würdigen Gelehrten? Zerrissen, zu Tüten verbraucht oder verbrannt oder eingestampft oder vergessen zu werden? Darüber möchte man Blut weinen. Hieronymus: Geben Sie sich zufrieden. Wir reden von zwei ganz verschiednen Dingen. Erinnern Sie sich nur aus ihrem Gespräche mit dem Herrn Magister, auf welche Art die marktgängige Bücherware verfertigt wird, so werden Sie finden, daß das meiste davon eigentlich noch ein schlechteres Schicksal verdiente. Sebaldus: Wenn auch alles wahr wäre, was Sie da sagen, so wünschte ich doch, daß es nicht wahr wäre. Hieronymus: Ich auch nicht. Sebaldus: Und doch sagen Sie selbst, daß es Ihr Vorteil erfordere, daß die Welt dumm bleibe. Hieronymus: Wenn ich als Kaufmann rede, so muß ich freilich wissen, was eigentlich mein Vorteil ist; aber ich liebe meinen Vorteil nicht so sehr, daß ich ihn mit dem Schaden der ganzen Welt erkaufen wollte. Ich liebe die Aufklärung des menschlichen Geschlechts, sie fängt auch an, sich bei uns zu zeigen; allein sie gehet noch mit sehr langsamen Schritten fort. Ich habe den Wirkungen derselben oft mit Vergnügen bis in die Winkel nachgespürt, wohin keine gelehrte Nachricht reicht. Ich merke seit einiger Zeit, daß in meiner Vaterstadt verschiedene schlechte, sonst oft verkaufte Bücher liegenbleiben, und freue mich darüber. Sebaldus: Ich frage Sie aufs Gewissen, mein lieber Freund, ist nicht ein wenig Selbstlob bei dieser Großmut, deren Sie sich rühmen? Hieronymus: Mitnichten, denn es ist gar keine Großmut. Ich habe Korrespondenz nach dummern Städten und Provinzen, wo diese schlechten Bücher begierig gekauft werden. Sebaldus: Wenn nun diese auch einmal klug werden? Hieronymus: Sehr wohl. Alsdenn bin ich ganz gefaßt, den Buchhandel niederzulegen und bloß beim Kornhandel zu bleiben. Seitdem die physiokratischen Prinzipien aus Frankreich bei uns Mode werden wollen und alles ruft: Fahrt nur viel Korn weg, so werdet ihr viel haben!, ist in meinem Vaterlande und in den benachbarten Gegenden so oft Kornmangel, daß es sich der Mühe belohnt, ein Kornhändler zu sein. Auf allen Fall werden in meinem Vaterlande noch keine Zeuge zu Schlafröcken, noch keine Mützen, Hüte undStrümpfe gemacht, ich kann also noch Manufakturen anlegen. Aber wehe den Buchhändlern in dummen Ländern, wo schon viel Manufakturen sind und wo die Handlung überhäuft ist! Wenn ein solches Land einmal erleuchtet wird, so ist für sie kein Mittel zur Nahrung weiter übrig. Sebaldus: Aber ich habe doch gehört, daß in England und in Frankreich sich die Buchhändler bei guten Büchern sehr wohl stehen sollen. Hieronymus: Das kommt daher, weil in Frankreich und in England die Klasse der Schriftsteller der Klasse der Leser entspricht; weil jene schreiben, was diese zu lesen nötig haben und lesen können. Sebaldus: Ist es denn in Deutschland nicht ebenso? Hieronymus: Keinesweges. Der Stand der Schriftsteller beziehet sich in Deutschland beinahe bloß auf sich selber oder auf den gelehrten Stand. Sehr selten ist bei uns ein Gelehrter ein Homme de lettres. Ein Gelehrter ist bei uns ein Theologe, ein Jurist, ein Mediziner, ein Philosoph, ein Professor, ein Magister, ein Direktor, ein Rektor, ein Konrektor, ein Subrektor, ein Bakkalaureus, ein Collega infimus, höchstens ein schiefer Belesprit oder ein schwerfälliger Spekulant, welcher glaubt, die Kräfte des menschlichen Geistes ergründet zu haben, wenn er seine Gedichte oder sein gangbares System im Kopfe hat, und die Welt zu kennen glaubt, wenn er sein Studierstübchen oder höchstens die Universität kennt, wo er sich mit seinem bißchen theoretischen Wissen blähen kann, oder den Zirkel seiner fünfzehn Anbeter, wo er seine Launen auskramen darf, wo er für einen großen Mann gehalten wird und sich daher allein darin gefällt. Dieses gelehrte Völkchen von Lehrern und Lernenden, das etwa zwanzigtausend Menschen stark ist, verachtet die übrigen zwanzig Millionen Menschen, die außer ihnen deutsch reden, so herzlich, daß es sich nicht die Mühe nimmt, für sie zu schreiben, und wenn es zu weilen geschieht, so riecht das Werk gemeiniglich dermaßen nach der Lampe11, daß es niemand anrühren will. Weder in England noch in Frankreich können so sehr platte gelehrte Originale wie hier in Deutschland sich zeigen, ohne allgemein ausgelacht zu werden. Unsere gelehrten Originale werden zwar in den gelehrten Zeitungen, das heißt in der einzigen Welt, wo sie leben, hoch gepriesen, aber die übrige Welt würdigt sie nicht einmal der Ehre, sie auszulachen. Die zwanzig Millionen Ungelehrten vergelten den zwanzigtausend Gelehrten Verachtung mit Vergessenheit; sie wissen kaum, daß sie in der Welt sind. Weil nun fast kein Gelehrter für Ungelehrte schreiben kann und dennoch die ungelehrte Welt so gut ihr Bedürfnis zu lesen hat als die gelehrte, so bleibt das Amt, für Ungelehrte zu schreiben, die nicht Französisch lesen können, endlich den Verfassern der "Insel Felsenburg" und der "Moralischen Wochenblätter", deren Fähigkeiten den Fähigkeiten der Leser, die sie sich gewählt haben, in der Tat viel genauer entsprechen als die Fähigkeiten der größten Gelehrten ihren Lesern, die daher weit mehr gelesen werden als die größten Genien, die sich in ihrer Exzentrizität von ihnen Größe genannt so sehr wiegen, daher aber auch ihre Leser nicht um einen Daumbreit höher hin aufheben, sondern vielmehr sehr oft nicht wenig beitragen, daß das Licht der wahren Gelehrten sich nicht auf die Ungelehrten ausbreitet. Daher sind einige Städte bei uns so helle, und ganze Länder liegen in der größten Finsternis. Sebaldus: Aber die Wissenschaften können nicht allemal so faßlich vorgetragen werden, daß sie der große Haufen begreife. Dadurch würden sie nicht allein nicht erweitert werden, sondern endlich nur in ein seichtes Geschwätz ausarten, das man bei halbem Hinhören schon versteht; aber ihre wichtigsten Wahrheiten würden sie entbehren müssen, weil diese nicht durch flüchtige Lektur, sondern bloß durch ein gründliches Studium gefaßt werden können. Ich erinnere mich, gehört zu haben, daß die Franzosen auf diese Art verschiedenen Wissenschaften geschadet haben, weil sie populär vortragen wollten, was sich nicht populär vortragen läßt. Man würde auch dem Gelehrten alle Begierde nach neuen Entdeckungen nehmen, wenn er nie für den Gelehrten, sondern nur für den Unwissenden schreiben sollte. Es müssen also gelehrte Bücher bloß für Gelehrte geschrieben werden. Hieronymus: Ganz recht! Nur wenn die Nation durch die Schriften der Gelehrten soll erleuchtet werden, so muß sich die Anzahl der bloß für Gelehrte geschriebenen Bücher zu den für das ganze menschliche Geschlecht geschriebenen verhalten wie die Anzahl der Gelehrten zu dem übrigen menschlichen Geschlechte: ungefähr wie achttausend zu dreißig Millionen. Ich befürchte nur, es wird in Deutschland gerade umgekehrt sein. Sebaldus: Wenn nun aber in Deutschland die Anzahl der Gelehrten größer ist, die sich fähig finden, durch neue Erfindungen die Grenzen der Wissenschaften zu erweitern, als derjenigen, die sich fähig finden, die schon erfundenen Wahrheiten für das Publikum faßlich zu machen? Hieronymus: Ich zweifle, daß deshalb die deutschen Gelehrten bloß für Gelehrte schreiben, weil sie viel neue Entdeckungen zu machen hätten. Es sind in Deutschland nach einer gewiß nicht zu starken Berechnung seit hundert Jahren achthundert bis neunhundert Logiken geschrieben worden12; vielleicht in dreien oder vieren mag diese Wissenschaft durch einige kleine neue Entdeckungen bereichert sein, die übrigen schreiben sich aus, und aufs höchste haben sie einige Definitionen verändert oder einige Lehrsätze anders eingekleidet. Das sind dann die neuen Erfindungen, worauf sie stolz tun. Sind solche Entdeckungen wohl der Mühe wert? Und wäre es, wenn so wenig Neues zu entdecken war, nicht besser gewesen, das schon Entdeckte lieber gemeinnützig zu machen? Es kommt mir vor, als ob in Deutschland in den beiden vorigen Jahrhunderten Materialien zu dem großen Gebäude der Wissenschaften gesammlet wurden, die aber in ziemlicher Unordnung untereinander herumlagen, Quadersteine, Backsteine, Dachziegel, Balken, Bretter, Eisenwerk und so weiter. Im vorigen Jahrhunderte war die Beschäftigung der Gelehrten, die Materialien abzusondern und jede Art in zierliche Schichten übereinanderzusetzen. In diesem Jahrhunderte hätten Baumeister kommen sollen, die aus denselben, dem menschlichen Geschlechte zum Besten, Gebäude aufgeführt hätten. Aber jeder deutsche Gelehrte fährt fort, sein Schichtchen Bruchsteine vor sich her dicht aufeinanderzulegen, und nennt es ein Lehrgebäude. Ist jemand so glücklich, auf einem Spaziergange ein paar einzelne Steine zu finden und sie in guter Ordnung zu seinem Häufchen hinzuzufügen, so heißt er ein Erfinder. Der, welcher große Quadersteine in Graben nebeneinanderwälzt, daß sie einem Gebäude zum Fundamente dienen könnten, heißt ein tiefsinniger, gründlicher Mann. So tun unsere sämtlichen Gelehrten nichts, als Materialien in Ordnung bringen oder einen Grund legen. Fängt aber jemand an, aus diesem verschiedenen großen Haufen, der jahrhundertelang dicht übereinandergepackt stand, auf den schon gelegten Grund ein Gebäude zu bauen, so verspottet man ihn als einen seichten Kopf, der Materialien und Grund von andern nimmt und dessen Ordnung voller Lückenist, und mutet ihm wohl gar zu, das Gebäude abzureißen, um einen neuen ganz dichten Grund zu legen, worauf ein so zusammenhangendes Gebäude zu bauen sei, daß darin gar keine Lücken wären. Man bedenkt nicht, daß weise Baumeister in jedem Gebäude Lücken lassen müssen, damit Licht hineinfalle und Menschen hineingehen können, wogegen in einen dichten Haufen weder Licht noch Wärme dringen und keine menschliche Kreatur zur Wohnung einkehren kann. Unsere deutschen Gelehrten sind sehr bemüht, jede Wissenschaft für sich in ein dichtes oder dunkles Lehrgebäude zu ordnen; aber fast keiner denkt daran, eine jede Wissenschaft auf die übrigen und sie alle zum Besten der menschlichen Gesellschaft anzuwenden. Sebaldus: Aber ich wiederhole noch einmal, die Wissenschaften würden seicht werden, wenn man nicht fortführe, ihre Theorien zu untersuchen. Wohin soll es endlich mit ihnen kommen, wenn man bloß das, was davon dem gemeinen Haufen faßlich ist, bearbeiten will? Hieronymus: Und wohin soll es endlich mit der Beförderung der Entwickelung aller Kräfte des Geistes, mit der Erleuchtung des ganzen menschlichen Geschlechts kommen, die der vorzüglichste Zweck der Wissenschaften ist, wenn die Gelehrten bloß für sich und jede Art von Gelehrten besonders für sich in ihrem kleinen Zirkel bleiben und den großen Zirkel der übrigen ganzen Nation ihrer Achtsamkeit unwürdig halten wollen? Es müssen zwar immer einige Gelehrte von Profession vorhanden sein, deren jeder über seine Wissenschaft einzeln nachdenkt und seine Bemerkungen den Gelehrten mitteilet; dies kann aber nicht ausschließend alles ausmachen, was an unsrer Literatur schätzbar ist. Haben denn die Gelehrten gar keine Pflichten gegen das übrige menschliche Geschlecht? Der Bauer besäet das Feld, der Weber be reitet Zeuge, der Maurer bauet Häuser, der Kaufmann bringet die zur Notwendigkeit und Bequemlichkeit gereichenden Dinge zusammen. Sie tragen jeder durch ihren Fleiß das Ihrige zum gemeinen Besten bei, und auch die Gelehrten werden durch sie genähret, bekleidet, vor den Ungemächlichkeiten des Wetters bewahrt und mit Bequemlichkeiten versehen. Sollten die Gelehrten nun ein Recht haben, ihre Einsichten beständig nur unter sich zu behalten und sie nie dem geschäftigen Teile der Nation für die Wohltaten, die sie täglich von ihm empfangen, mitzuteilen? Dies kann nicht allein dadurch geschehen, wenn sie gewisse gemeinnützige Wahrheiten faßlich vortragen, welche Beschäftigung die meisten deutschen Gelehrten deshalb verachten, weil sie glauben, daß nur mäßige Geschicklichkeit dazu gehöre. Es gibt noch eine höhere Art der Gemeinnützigkeit, wozu Genie, Gelehrsamkeit, Anstrengung aller Geisteskräfte erfordert wird und die man dadurch erreicht, wenn man, wie ich schon gesagt habe, nicht allein jede Wissenschaft für sich selbst, sondern auch in Absicht auf alle andern und alle in Absicht auf die menschliche Gesellschaft betrachtet und anwendet. Hierin fehlen die meisten deutschen Schriftsteller, die ihre Wissenschaft zwar aus dem Grunde verstehen, aber sie bloß allein für sich und nie in dem Zusammenhange der übrigen Wissenschaften und nie in Absicht auf den Nutzen des menschlichen Geschlechts betrachten. Ein Kriminalist ist ein grundgelehrter Mann, wenn er alle Ausgaben der peinlichen Halsgerichtsordnung mit ihren Kommentarien durchgelesen und verglichen hat und genau zu bestimmen weiß, in welchem Falle und im wievieltsten Grade man zur Tortur schreiten soll. Er hält den für einen schwachen Kopf, der noch erst untersuchen will, ob ein Erforschungsmittel der Wahrheit, das im Heiligen Römischen Reiche schon vor mehr als zweihundert Jahren durch Gesetze vorgeschrieben worden, unzulänglich, ja gar unmenschlich sein könne. Ein Lehrer des deutschen Kirchenrechts wird mit größester Belesenheit beweisen, daß im Heiligen Römischen Reiche nur zwei Religionen existieren dürfen und wie reichsgesetzwidrig es sei, wenn derjenige, der keiner dieser beiden Religionen beifällt, nicht sogleich des deutschen Vaterlandes verwiesen werde. Laß den friedfertigen Gottesgelehrten, laß den menschenfreundlichen Philosophen, laß den einsichtvollen Politiker dawider auftreten und versichern, wahre Religion, Wohl des Menschen und Wohl des Staats erfordere, daß man niemand dogmatischer Lehren wegen verdamme und keinen Ketzer, sobald er ein guter Bürger ist, aus dem Lande jage; er wird sie bloß bedauern, daß sie in der Kenntnis des deutschen Kirchenrechts so unwissend sind. Und wollten sie sich auf die Gesunde Vernunft berufen, so wird er vollends voll Verachtung antworten, das deutsche Kirchenrecht sowenig als das deutsche Staatsrecht müsse nach der Vernunft beurteilt werden, sondern es gelte das Herkommen. Ebenso sammelt der Geschichtschreiber eine Menge geschehener Dinge ohne Wahl und Absicht, ohne sie durch Philosophie, Politik oder Kenntnis des Menschen zu erläutern; und der Philologe gibt klassische Autoren heraus, weil er Lesearten sammeln und Varianten berichtigen will, ohne ein einzig Mal seine Leser auf den Geist der alten Schriftsteller, auf den Zweck, warum sie geschrieben haben, zu führen. Wenn ich nicht gewohnt wäre, weder im guten noch im bösen von Gottesgelehrten zu reden, so würde ich die anführen, die mit ihren Nebengottesgelehrten beständig Dogmatik, Exegese und Polemik wechseln, ohne jemals zu überlegen, welchen Einfluß Dogmatik, Exegese und Polemik auf die Verbesserung des menschlichen Geistes haben könne und wie sie sich gegen Geschichte, Philosophie und Politik verhalten. Wenn jemals die deutschen Schriftsteller anfangen, die Wissenschaften aus solchen und ähnlichen Augenpunkten zu betrachten, so werden sie sie mit glücklicherm Erfolge unserm Geiste interessant machen als durch trockne Kompendien, leere Spekulationen und absichtlose Kompilationen; sie werden für Gelehrte schreiben und doch den Lesern aus allen Ständen interessant werden. Selbst durch dieses Interesse werden sie alle Arten von Lesern zum Studieren wissen schaftlicher Kenntnisse ermuntern: die Wissenschaften werden sich in mehrere Stände ausbreiten, und gelehrte Schriftsteller werden den mehr erleuchteten Lesern faßlich schreiben können, ohne der seichten Denkungsart des großen Haufens zu Gefallen eine unrechtverstandene Popularität zu affektieren. Sebaldus: Ich finde, daß Sie vollkommen recht haben. Ich kenne keinen höhern Nutzen der Wissen schaften als die Erleuchtung des menschlichen Geschlechts. Aber hiezu haben gewiß vortreffliche deutsche Schriftsteller auch das Ihrige beigetragen; ich darf nur aus dem Fache, das ich kenne, Sie an die würdigen Gottesgelehrten unsers Vaterlandes erinnern, die sich mit glücklichem Erfolge bemühten, Dogmatik, Exegese und Polemik nach dem Nutzen und dem Schaden, den sie dem menschlichen Geschlechte bringen können, zu betrachten. Hieronymus: Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich von keinem Gottesgelehrten urteilen will. Ich verehre die großen Schriftsteller aller Art, welche Geist genug haben, mehrere Wissenschaften zugleich zu überschauen, und die, von philosophischen und menschenfreundlichen Absichten belebt, das wahre Verhältnis einer jeden zur allgemeinen Erkenntnis zu bestimmen suchen. Deutschland hat deren einige, sie sind vortrefflich, aber in sehr geringer Anzahl. Die meisten deutschen Schriftsteller, voll pedantischen Stolzes, pflegen gewöhnlich den Teil der Wissenschaften für den wichtigsten auszugeben, den sie kennen oder lehren, er mag nun klein, unbeträchtlich, ja wohl gar schädlich sein, und ihnen deucht, um zu meinem vorigen Gleichnisse zurückzukommen, der kleine Haufen, woran sie sammeln und wo sie Stein über Stein auf stapeln und herzählen, sei wichtiger und nützlicher als das größte Gebäude, worin Menschen wohnen. Sebaldus: Mein Freund, Sie sind wirklich ungerecht gegen die deutschen Gelehrten, und, nehmen Sie es mir nicht übel, fast muß ich glauben, dies komme von Ihrer ungelehrten Erziehung her. Sie selbst haben die Tiefen der Gelehrsamkeit Dicht erforschet und wissen also auch nicht, wie ein wahrer Gelehrter eigentlich beschaffen ist. Ein Gelehrter sieht alle Gegenstände der menschlichen Erkenntnis in einem weit hellern Lichte als ein Ungelehrter und kann daher von ihrem Werte und Unwerte besser urteilen; er wird nie die Wissenschaft, in der er arbeitet, höher achten, als sie es wert ist, oder deshalb die andern Wissenschaften, wenn sie wichtiger sind, vernachlässigen. Die Wissenschaften, mein lieber Herr Hieronymus, sind durch ein allgemeines Band verbunden, und wer bloß die seinige schätzen wollte und die anderen nicht, würde so töricht handeln, daß sich dies von keinem echten Gelehrten vermuten läßt. Lernen Sie die Gelehrten besser kennen und urteilen Sie nicht zu geschwind darüber. Hieronymus: Haben Sie den Meßkatalog von dieser Messe schon gelesen? Sebaldus: Wie kommen Sie darauf? Nein, noch nicht. Hieronymus: Wir wollen versuchen, daraus die Beschaffenheit der neuen deutschen Bücher zu beurteilen. Lassen Sie uns einmal zusammenrechnen, wieviel Bücher über jede Art der Wissenschaften herausgekommen sind, und hernach darüber Betrachtungen an stellen. Sebaldus: Sehr gern. Dies wird Sie am besten widerlegen. Wahre Gelehrte sehen allemal, das lasse ich mir nicht ausreden, auf dasjenige, was dem Ganzen vorteilhaft ist, nicht was ihnen insbesondere gefällt. Sie fingen also an, den Meßkatalog durchzusehen, und fanden 350 Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen, 65 neue Stücke von Journalen, 40 Kompendien und Lesebücher, 74 Dissertationen und Programmen, 53 Bände Predigten, 67 theologische Bücher von allerhand Art, aber nur 9 juristische, weil die Anweisungen zum Reichsprozesse und zum Kriminalprozesse schon oben unter den Kompendien gerechnet werden, 23 medizinische Bücher, 16 Wochenblätter, 5 Geschichtbücher, 37 diplomatische Bände, 27 Romanen, meistens in Erfurt, Dresden und Regensburg gedruckt, 31 Gedichte, 3 mathematische Bücher, 10 ökonomische Werke, 1 physikalisches und 15 aus der Naturhistorie. Hingegen fanden sie nur zwei ein paar Monate vor der Messe erschienene Bücher, worin die Wissenschaften in ihrer Verbindung und im Verhältnisse auf die Menschheit betrachtet wurden; und von diesen hatten schon verschiedene gelehrte Zeitungen voll Verachtung versichert, daß ihre Verfasser seichte Köpfe wären, ohne gründliche Einsichten in die Wissenschaften, welche bloß durch eine gute Schreibart bei dem gelehrten Pöbel Beifall erschlichen hätten; denn eine gute Schreibart ist solchen gelehrten Herren nur ein sehr geringes Verdienst. Hieronymus ging in ein Nebenzimmer, um diese Zeitungsstücke zu suchen; weil er aber dabei etwas verweilte, hatte Sebaldus eiligst dreizehn Titel von neuen Büchern über die Apokalypse, die er sich beim Durchsehen des Katalogs heimlich mit dem Nagel gezeichnet hatte, auf einem Zettel ausgezogen, womit er dem Hieronymus entgegenkam und ihn sehr angelegentlich bat, ihm diese Bücher zu leihen. Der gefällige Hieronymus fing gleich an zu suchen, und kaum hatte er sie herbeigeholt, als Sebaldus, des bisherigen Gesprächs ganz uneingedenk, sie unter den Arm nahm und damit nach Hause eilte, um eins nach dem anderen durchzulesen. Den dritten Tag brachte er diese Bücher seinem Freunde zurück und nahm sich unterweges vor, zwar dafür zu danken, aber ihm doch den Kopf zurechtzusetzen wegen seiner irrigen Meinung, daß die deutschen Gelehrten nur für ihre Lieblingsspekulationen u nd sonst für nichts Sinn hätten; allein er fand zu seinem Mißvergnügen, daß der gute Hieronymus bereits abgereiset war, und mußte also sowohl seinen Dank als seine Ermahnung bei sich behalten. Friedrich Nicolai: Leben und Meinungen des Herrn Sebaldus Nothanker. Zweiter Abschnitt [Fundstücke] [LB-Startseite] [E-Mail] |