Bücheridyll im Schloßturm


von Michel de Montaigne

Bin ich zu Hause, so kehre ich oft in meine Bibliothek ein, von der aus ich auch einen Überblick über Haus und Hof habe. Stehe ich auf der Schwelle, so sehe ich unter mir meinen Garten, meinen Wirtschaftshof, meine Hof und die meisten Gebäude meines Anwesens. Da blättere ich bald in diesem Buch, bald in jenem, ohne Plan und Methode, ohne allen Zusammenhang. Bald sinne ich nach, bald mache ich Auszüge und diktiere im Auf- und Abgehen meine Träumereien. Meine Bibliothek ist im dritten Stockwerk eines Turms. Im ersten Stock ist meine Kapelle, im zweiten ein Wohnzimmer mit Nebenräumen, wo ich mich oft niederlege, um für mich zu sein. In früheren Zeiten war das Bibliothekszimmer der Raum im Hause, den man am wenigsten benützte. Ich bringe daselbst die meisten Tage meines Lebens und die meisten Stunden des Tages zu. Nur nachts bin ich nicht dort. Nebenan befindet sich ein recht hübsch ausgestattetes Kabinett, worin ich im Winter heizen lassen kann. Wenn ich nur nicht die Bauerei selbst - mehr noch als die Kosten - fürchtete, so könnte ich ganz gut noch eine Galerie anfügen lassen, hundert Fuß lang und zwölf Fuß breitm rundumher.

Denn jeder Ort, wo man allein sein will, braucht noch Platz zum Auf- und Abgehen. Meine Gedanken schlafen ein, wenn ich sitze; wenn meine Beine ihn nicht in Bewegung setzten, kommt meine Geist nicht recht in Gang. Die Form des Zimmers ist rund und hat keinen anderen leeren Raum als nötig ist, um meinen Tisch und meinen Stuhl zu fassen. Drehe ich mich um, so kann ich alle meine Bücher überblicken, die ringsumher auf Gestellen mit je fünf Reihen aufgestellt sind. Der Turm hat drei Fenster mit schöner freier Aussicht und sechzehn Schritt im Durchmesser. Im Winter bin ich nicht so ununterbrochen dort, denn mein Haus liegt auf einem Hügel, wie sein Name besagt, und im Turm streicht der Wind mehr durch als sonstwo im Hause. Aber gerade das gefällt mir daran, daß er nicht so leicht zugänglich und daß er abgelegen ist, wowohl weil mir es den Anlauf von mir fernhält.
Das ist mein Bezirk. Darin will ich ganz allein walten können.


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