84, Charing Cross Road



von Helene Hanff

Die Bücher sind wohlbehalten angekommen; die Stevenson-Ausgabe ist so schön, daß sie mein Bücherregal aus Orangenkisten beschämt. Ich fürchte mich fast davor, solche schweren cremefarbenen Velinseiten anzufassen. Da ich an das kalte Papier und an die steifen Pappumschläge amerikanischer Bücher gewöhnt bin, wußte ich gar nicht, was es für eine Freude sein kann, ein Buch zu berühren. (3. November 1949)

Was um alles in der Welt für eine schwarze protestantische Bibel ist denn das? Wären Sie so freundlich und würden den Verantwortlichen der anglikanischen Kirche Englands mitteilen, daß sie, wer immer ihnen den Auftrag gab, an der Vulgata herumzufuschen, die schönste Prosa, die je geschrieben wurde, versaut haben? Sie werden dafür in der Hölle braten, das können sie sich merken! Mir macht das, da ich selber Jüdin bin, nichts aus. Aber ich habe eine katholische Schwägerin, eine methodistische Schwägerin, einen ganzen Tross von presbyterianischen Neffen (über meinen Großonkel Abraham, der konvertierte) und eine Tante, die Gesundbeterin bei der Christian Science ist, und ich bin mir sicher, daß keiner, wirklich keiner von ihnen diese anglikanische Latein-Bibel aktzeptieren würde, falls sie wüßten, daß es sie gäbe. (Und ehrlich gesagt, wissen sie nicht einmal daß es Latein gibt.) Gut, zur Hölle damit, ich habe die Vulgata meines Lateinlehrers benutzt, und ich habe nicht vor, sie zurückzugeben, bis Sie mir eine eigene für mich gefunden haben. (18. November 1949)

Ich liebe antiquarische Bücher sehr, die von selbst an der Seite aufklappen, die der frühere Besitzer am häufigsten gelesen hat. Als der Hazlitt ankam, klappte er bei "Ich hasse es, neue Bücher zu lesen" auf, und ich rief dem Besitzer vor mir, wer immer es gewesen sein mag, lautstark "Kamerad!" zu. (8. Dezember 1949)

Für den nahenden Frühling brauche ich unbedingt einen Band mit Liebesgedichten. Keinen Keats oder Shelley! Schicken Sie mir Dichter, die Liebe machen können, ohne zu sabbern - Wyatt oder Jonson oder irgendeinen anderen ... denken Sie sich selbst etwas aus. Einfach ein schönes Buch, schmal genug, um in eine Anzugtasche gesteckt und in den Central Park mitgenommen zu werden. (25. März 1950)

Ein Journalist, den ich kenne und der im Krieg in London stationiert war, sagt, Touristen kämen mit fest gefügten Vorstellungen nach England, so daß sie genau das finden, was sie suchen. Ich sagte ihm darauf, daß ich dorthin fahren würde, um das England der englischen Literatur zu suchen, und er antwortete: "Dann wird sie da sein." (10.4.1950)

Ich will Ihnen, Frank Doel, nur eines sagen: Wir leben in verkommenen, zerstörerischen und degenerierten Zeiten, wenn eine Buchhandlung - eine Buchhandlung - damit anfängt, schöne alte Bücher auseinander zu reißen, um sie als Einpackpapier zu verwenden. Ich sagte zu John Henry, als er ausgewickelt war: "Hätten Sie das für möglich gehalten, Eminenz?", und er verneinte. Sie haben das Buch mitten in einer großen Schlachtszene auseinander gerissen, und ich weiß nicht einmal, um welchen Krieg es sich handelt. Der Newman kam vor knapp einer Woche, und allmählich beginne ich mich zu erholen. Ich ließ ihn die ganze Zeit auf dem Tisch neben mir; ständig hörte ich mit dem Schreiben auf, langte hinüber und berührte ihn, Nicht weil es eine Erstausgabe ist - ich habe niemals zuvor ein so schönes Buch gesehen. Irgendwie fühlte ich mich schuldig, es zu besitzen. Das schimmernde Leder, die Goldprägung, die schöne Schrifttype, all das gehört in die kieferngetäfelte Bibliothek eines englischen Landhauses. Gelesen werden muß es bei Kaminfeuer in einem Ledersessel - nicht auf einer Secondhand-Couch eines Einzimmerlochs in einem heruntergekommenen Sandsteinhauses. [...] Warum wickeln Sie die Bücher nicht in Seiten aus dem Vorwort ein, so daß ich zumindest herausfinden kann, wer die Schlacht gewann und welcher Krieg es war? (15.10.1950)

Nie zuvor habe ich ein Buch besessen, das an allen Seiten Goldschnitt aufweist. Sie werden es nicht glauben, aber es traf genau an meinem Geburtstag ein. Ich wünschte, Sie wären nicht so überhöflich gewesen und hätten die Widmung auf den Vorsatz und und nicht auf eine Karte geschrieben. Der Buchhändler in Ihnen allen kommt zum Vorschein, und Sie haben Angst, den Wert des Buches zu mindern. Sie hätten ihn für den gegenwärtigen Besitzer gesteigert. (Und möglicherweise für den künftigen auch.) Ich liebe Widmungen auf dem Vorsatz und Randnotizen; ich mag das Gefühl von Verbundenheit, das entsteht, wenn ich Seiten umschlage, die jemand vor mir bereits umblätterte, und Abschnitte lese, auf die jemand, der schon lange nicht mehr lebt, meine Aufmerksamkeit gelenkt hat. (16.4.1951)

Ich könnte hier krepieren, ehe Sie mir auch nur irgendwas zu lesen schicken. Ich sollte geradewegs zu Brentano runterlaufen, und das würde ich auch tun, wenn nur etwas von dem, was ich haben will, lieferbar wäre. Sie dürfen Izaak Waltons "Lebensbeschreibungen" auf die Liste der Bücher setzen, die Sie mir nicht schicken. Es widerstrebt meinen Prinzipien, ein Buch zu kaufen, das ich nicht gelesen habe. Das ist so, als würde man ein Kleid kaufen, das man nicht anprobiert hat. (9.2.1952)

Ich besitze nur drei Bücherregale und nur noch sehr wenige Bücher, die ich wegwerfen kann. Jedes Jahr im Frühjahr mache ich Bücher-Großputz und werfe die hinaus, die ich nie wieder lesen werde, so wie ich alte Kleider, die ich nie wieder tragen werde, wegwerfe. Alle Welt ist darüber schockiert. Meine Freunde sind komisch mit Büchern. Sie lesen alle Bestseller, und das so schnell wie möglich, ich glaube sie überspringen viel. Und sie lesen NIE etwas zwei Mal, weshalb sie sich ein Jahr später an kein einziges Wort mehr erinnern können. Aber sie sind tief schockiert, wenn ich ein Buch in den Papierkorb werfe oder es fortgebe. Wie sie mich dabei ansehen: Man kauft ein Buch, man liest es, man stellt es ins Regal, man öffnet es nie wieder im Leben, aber man wirft es nicht weg! Nicht wenn es ein gebundenes Buch ist! Warum nicht? Ich für meine Person kann mir nichts weniger Heiliges vorstellen als ein schlechtes oder auch ein mittelmäßiges Buch. (18.9.1952)

Nichts ist mehr billig, nur "vernünftig" oder "angemessen". Gegenüber von mir steht ein Haus mit einem Schild davor, auf dem steht. "Ein- und Zwei- Zimmer-Wohnungen zu Mieten, die sinnvoll sind." Mieten sind NIE sinnvoll. Und nirgendwo sitzen Preise herum und sind vernünftig, egal, was in der Reklame gesagt wird - die auch keine Reklame mehr ist, sondern "Werbung". (Helene Hanff: 84, Charing Cross Road, S. 111f.)

Ich habe eben ein Buch rausgeworfen, das mir jemand gab, eine Abhandlung irgendeines Blödmanns darüber, wie es war, zu Zeiten Oliver Cromwells zu leben - nur hat der blöde Kerl nicht zu Zeiten Oliver Cromwells gelebt, wie, verdammt noch mal, will er wissen, wie es war? Jeder, der wissen will, wie es zu Oliver Cromwells Lebzeiten zuging, kann sich auf sein Sofa fallen lassen mit Milton für die Pro-Seite und Walton für die Contra-Seite, und beide werden ihm nicht nur erzählen, wie es war, sondern ihn auch in diese Zeit mitnehmen. "Der Leser wird solche Dinge nicht für möglich halten", sagt Walton irgendwo, "aber ich war dabei und habe es gesehen." Das ist meine Sache, ich liebe Ich-war-dabei-Bücher. (undatiert)


© Helene Hanff: 84, Charing Cross Road, Hoffman und Campe, 2002


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