Der Fanatikervon Gustav Flaubert In einer engen und sonnenlosen Gasse von Barcelona lebte vor geraumer Zeit ein Mensch, unheimlich und bizzar, wie eine Traumgestalt aus E.T.A. Hoffmanns Dichtungen, eine Gestalt mit bleicher Stirn, mit glanzlosem, leerem Blick. Das war Giacomo, der Buchhändler. Mit seinem dreißg Jahren wirkte er schon alt; hoch war sein Wuchs, aber greisenhaft seine gebeugte Haltung; sein langes Haar hing schneeweiß; die großen, nervigen Hände waren abgezehrt und mit Runzeln bedeckt; unansehnlich und schäbig war sein Anzug; er zeigte ein linkisches, scheues Wesen; sein Antlitz war bleich, traurig, häßlich, völlig nichtssagend. Man sah ihn kaum auf den Straßen, wurden aber seltene und erlesene Bücher versteigert, war der gleichgültige, lächerliche Mann wie verwandelt. Feuer kam in seine Augen. Er lief umher, er hastete, im höchsten Maße erregt. Mühsam bändigte er seine Freude, seine Unruhe, seine Angst und Not. Keuchend und atemlos kehrte er heim, in zärtlichen Händen das geliebte Buch; er hütete es mit seinen Augen und liebte es wie ein Geizhals seinen Schatz, wie ein Vater seine Tochter, wie ein König seine Krone. Mit keinem wechselte er Worte, Antiquare und Trödler ausgenommen. Er war schweigsam und in sich gekehrt, verdüstert und trübsinnig. Einen einzigen Gedanken hatte er, eine einzige Liebe, eine einzige Leidenschaft: die Bücher! Und diese Liebe, diese Leidenschaft vebrannten sein Innerstes, verdarben sein Leben, verschlangen sein Dasein. Oft, während der Nacht, sahen die Nachbarn hinter den Fenstern ein Licht flackern; es kam näher, entfernte sich wieder, stieg höher hinaus, und manchmal verlöschte es ganz; dann klopfte es an ihre Tür, und Giacomo erschien, um eine Kerze in Brand zu setzen, die ein Windstoß ausgeweht hatte. Die fieberglühenden, verzehrenden Nächte verbrachte er inmitten seiner Bücher. Zwischen den Reihen und Stapeln lief er einher, erklomm die Galerien seiner Bibliothek in grenzenloser Verzückung, da hielt er still, sein Haar hing wirr, im starren Auge blinkte ein Licht, zitternde Hände betasteten das Holz am Regal; sie waren heiß und feucht. Er nahm ein Buch; blätterte, befühlte das Papier, prüfte die Vergoldung, den Einband, die Schriftzeichen, die Druckschwärze, den Falz und die Anordnungen der Zeichnungen bei dem Worte "finis". Dann wechselte er den Standort, reihte das Buch in ein höheres Fach und verharrte ganze Stunden in der Betrachtung von Titel und Format. Ging er zu seinen Handschriften, seinen erwählten Lieblingen, nahm er eine auf, die älteste, die unansehnlichste, die schmutzigste; verzückt und beglückt sah er das Pergament, spürte den Geruch des geweihten und ehrwürdigen Staubes; seine Nasenflügel blähten sich vor Freude und Stolz, und ein Lächeln irrte über seine Lippen. Oh! Glücklich war er, dieser Mensch, glücklich in der Sphäre dieser Wissenschaften, deren sittliche Bedeutung und literarischen Wert er kaum begriff, verzaubert saß er im Reichtum all dieser Bücher, und sein Auge glitt über die Goldbuchstaben, über die schadhaften Seiten, über das fleckige Pergament; er liebte das Wissen wie ein Blinder das Licht. Nein! Nicht die Wissenschaft liebte er, nur ihre äußere Gestalt und ihre Formgebung. Er liebte das Buch um des Buches willen, er liebte den Geruch, das Format, den Titel. Ihn fesselten an einer Handschrift die alte, kaum lesbare Jahreszahl, die fremdartigen Verzierungen gotischer Lettern, die schwer vergoldeten Initialen, mit Wonnen zog er den betörenden Duft des Staubes ein, der die Seiten bedeckte; ihn begeisterte das Wort "finis", umwunden von Bandschleifen, umgeben von zwei Amoretten, gelehnt an eine Quelle; oder gemeißelt auf einen Grabstein oder ruhend in einem Rosenkorb mit goldenen Früchten und blauen Blumen. Völlig gefangen hielt ihn diese Leidenschaft, oft aß er kaum, er schlief nicht mehr, Tag und Nacht beherrschte ihn die fixe Idee: die Bücher! Träumerische Gedanken umkreisten das unfaßliche, das Erhabene, die Schönheit der Bibliothek eines Königs; er wähnte, ihr Schöpfer zu sein. Wie würde er das genießen, stolz und gehoben würde er sein im Anblick der endlosen Reihen; in Büchern ertränke sein Blick. Hob er den Kopf: Bücher! Senkte err ihn: Bücher! Rechts, links: Bücher, nur Bücher! Als Sonderling, geheimen Künsten verfallen, als Weiser und Zauberer galt er in Barcelona. Er hatte Mühe zu lesen. Niemand wagte ihn anzureden, so abweisend war sein fahles Gesicht; bösartig und heimtückisch sah er aus, und doch tat er keinem Kinde etwas zuleide. Almosen aber gab er nie. Alles Geld und Gut, selbst seine Gefühle verwahrte er für seine Bcher, ihretwegen verließ er Gott - er war ein Mönch gewesen -; später opferte er das zweithöchste Gut nach Gott: sein Geld; und schließlich verkaufte er das Teuerste nach dem Gelde: seine Seele. Das erste Kapitel der Flaubertschen Erzählung "Bücherwahn", enthalten in Nodier, Charles; Flaubert, Gustav; Asselineau, Charles: Bücherwahn. § Erzählungen, Berlin: Buchverlag der Morgen, 1983. S. 35-42. [Fundstücke] [LB-Startseite] [E-Mail] |