Literarische Einteilung


Henry Fielding

Jedes Gewerbe, vom höchsten bis zum niedrigsten, von Premierministern bis zu den Schriftstellern, hat seine bestimmten Rätsel oder Geheimnisse, die selten verraten werden, es sei denn den Angehörigen derselben Zunft. Unter denen, deren wir Herren des letzteren Standes uns bedienen, halte ich das, warum wir unsere Werke in Bücher und Kapitel einteilen, keineswegs für das geringste. Gewöhnliche Leser, die mit diesem Geheimnis nicht recht vertraut sind, meinen nun, daß wir mit der Kunst des Einteilens nicht weiter bezwecken, als unsere Werke zu einem viel größeren Umfang aufzublähen, als sie ansonsten erreichen würden. Daher betrachtet man denn die zahlreichen Stellen auf unserem Papier, die mit unseren Büchern und Kapiteln angefüllt sind, nicht anders als das Steifleinen, die Miederstangen und das Miederband auf der Rechnung des Schneiders, die alle nur dazu dienen, das Fazit zu ergeben, das gewöhnlich am Schluß unserer ersten und seiner letzten Seite sichtbar wird. Doch in Wirklichkeit liegen die Dinge nicht so; und in diesem wie in allen übrigen Fällen haben wir den Nutzen des Lesers, nicht unsern eigenen, im Auge; und wahrhaftig, es erwachsen ihm viele beachtliche Vorteile aus dieser Methode.

Denn erstens kann man die kleinen Abstände zwischen unseren Kapiteln als einen Gasthof oder eine Raststätte ansehen, wo er haltmachen und ein Glas trinken oder eine andere Erfrischung zu sich nehmen kann, wie er gerade Lust hat. Ja, unsere feinsinnigen Leser werden vielleicht kaum in der Lage sein, mehr als eines von ihnen an einem Tage zu durchwandern. Was die leeren Seiten anbetrifft, die sich zwischen unsern Büchern finden, so sind sie als jene Stationen zu betrachten, wo sich der Reisende auf langen Fahrten einige Zeit aufhält, um sich zu erholen und zu besinnen, was er auf den bereits zurückgelegten Strecken gesehen hat - eine Besinnung, die ich mir dem Leser ein wenig zu empfehlen gestatte; denn so rasch auch seine Auffassung sein mag, ich möchte ihm nicht raten, diese Seiten allzu schnell zu überfliegen; tut er es, so werden ihm wahrscheinlich einige merkwürdige Erzeugnisse der Natur entgehen, die der langsame und gründliche Leser bemerken wird. Ein Band ohne solche Raststätten ähnelt der Weite von Wüsten oder Meeren, die das Auge und den Geist ermüdet, wenn man sich ihr gegenübersieht.

Zweitens sind die jedem Kapitel vorangestellten Inhaltsabgaben nichts anderes als ebenso viele Tafeln über Wirtshaustüren, die dem Leser ankündigen, welche Kost ihn erwartet; und wenn sie ihm nicht zusagt, so kann er bis zum nächsten Gasthof weiterfahren; denn in der Biographie sind wir nicht in dem Maße wie andere Historiker verpflichtet, einen strengen Zusammenhang zu wahren, und daher kann man mitunter das eine oder andere Kapitel (zum Beispiel das, an dem ich jetzt schreibe) ohne Schaden für das Ganze überspringen. Und in diesen Überschriften bin ich möglichst ehrlich und mache es nicht wie der berühmte Montaigne, der dir eines verspricht und etwas anderes hält, und auch nicht wie manche Titelblattverfasser, die erst eine Menge verprechen und nachher gar nichts zustande bringen. Neben diesen auf der Hand liegenden Vorteilen ergeben sich noch mehrere andere, die unsere Leser dieser Einteilungskunst verdanken, wenn auch die meisten davon zu mysteriös sind, als daß sie jeder x-beliebige, der in die Wissenschaft des Schriftstellerns nicht eingeweiht ist, auf Anhieb verstehen könnte.

Um daher nur einen ganz offensichtlichen zu erwähnen - sie verhindert, daß die Schönheit eines Buches darunter leidet, daß man Eselsohren in seine Seiten knifft - eine Methode, welche andernfalls für jene Leser geboten ist, die (obwohl sie mit großem Nutzen und Gewinn lesen), wenn sie nach einer halben Stunde an ihre Lektüre zurückkehren, gewöhnlich vergessen haben, wo sie sie unterbrachen. Diese Einteilung ist seit uralten Zeiten geheiligt. Homer hat nicht nur sein großes Werk in vierundzwanzig Bücher eingeteilt (vielleicht, um es den vierungzwanzig Buchstaben zu widmen, denen er zu besonderem Dank verpflichtet war), sondern sie auch nach Ansicht einiger scharfsinniger Kenner alle getrennt herausgebracht, wobei er jedesmal ein Buch lieferte (wahrscheinlich auf dem Subskriptionswege). Er war der eigentliche Erfinder der Kunst, die so lange im Schlafe lag, lieferungsweise zu publizieren - eine Kunst, in der man es jetzt zu solcher Vollendung gebracht hat, daß selbst Wörterbücher aufgeteilt und dem Publikum in Raten angeboten werden; ja, ein Verleger hat es sogar fertigbekommen (um die Bildung zu fördern und das Prublikum zu erleichtern), den Leuten in dieser aufgeteilten Weise ein Wörterbuch für nur fünfzehn Schilling mehr zu bescheren, als es sie ganz gekostet haben würde.

Vergil hat uns seine Dichtung in zwölf Büchern hinterlassen - ein Beweis für seine Bescheidenheit; denn damit wollte er zweifellos zu verstehen geben, daß er höchstens auf den halben Ruhm des Griechen Anspruch erhebt; aus dem gleichen Grunde beschränkte sich unser Milton ursprünglich auf zehn; bis er sich, stolzgeschwellt durch das Lob seiner Freunde, mit dem römischen Dichter auf eine Stufe stellte. Ich werde mich jedoch nicht so eingehend mit dieser Frage befassen, wie es einige hochgelehrte Kenner taten, die mit unendlicher Mühsal und scharfem Unterscheidungsvermögen herausgefunden haben, welche Bücher sich für Schmuck eignen und welche bloß Schlichtheit erfordern, insbesonders im Hinblick auf Vergleiche, die sich jetzt wohl nach allgemeiner Ansicht für jedes Buch schicken, ausgenommen das erste. Ich möchte dieses Kapitel mit der folgenden Bemerkung schließen: daß es sich für einen Schriftsteller im allgemeinen ebenso gehört, ein Buch einzuteilen, wie für einen Schlächter, sein Fleisch einzuhauen, denn eine solche Hilfe ist eine große Erleichterung für das Lesen und das Tranchieren. Nachdem ich mich selbst zufriedengestellt habe, will ich mich nunmehr bemühen, die Neugier meines Lesers zufriedenstellen, der ohne Zweifel voller Ungeduld erfahren möchte, was er in den folgenden Kapiteln dieses Buches finden wird.


© Henry Fielding: Joseph Andrews Abenteuer


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