Richard de Bury: PhilobiblonKapitel 1 Kapitel 3 Kapitel 17 Der Schatz der Weisheit ist vornehmlich in Büchern zu suchenDer begehrenswerte Schatz von Weisheit und Wissen, nach dem alle Menschen aus natürlichem Instinkt streben, übertrifft unendlich alle Reichtümer der Welt. Neben diesem Schatz verlieren die kostbaren Steine ihren Wert, und Silber ist nichts als Unrat, und reines Gold ist so gering wie Sand. Er verdunkelt mit seinem Glanz das Licht der Sonne und des Mondes, und seine wundervolle Süßigkeit ist derart, daß neben ihr Honig und Manna bitter schmecken. O Wert der Weisheit, die du dich nicht minderst durch die Zeit, immer grünende Kraft, die du jenen alle Kümmernisse und schlechte Laune vertreibst, die damit beladen sind! Himmliches Geschenk der göttlichen Freigebigkeit, gegeben vom Vater des Lichts, um des Menschen Geist bis zum Himmel zu erheben! Du bist die himmlische Nahrung des Geistes: die von dir essen, haben noch Hunger, die dich trinken, haben noch Durst. Du entzückst durch deine Harmonie die Seelen der Schmachtenden, und wer dich hört, ist niemals verwirrt. Du bist Maß und Regel der Sitten, und wer dir folgt, der sündigt nicht. Durch dich herrschen die Könige, und durch dich ihre anfängliche Rohheit aufgeben, ihre Sprache und ihren Geist heilen und die Dornen ihrer Laster herausreißen, erreichen den Gipfel der Ehren und werden die Väter des Vaterlandes und die Genossen der Fürsten, die ohne dich ihre Waffen gegen Hof und Herd gekehrt und wie der verlorene Sohn die Schweine gefüttert hätten. Weshalb, du Schatz über alles, hälst du dich streng verborgen? Wo sollen dich die Betrübten finden? Du hast sicherlich ein Tabernakel in den Büchern aufgeschlagen, wohin dich der Allerhöchste gesetzt hat, das Licht alles Lichts, das Buch des Lebens. Hier hat dich, wer dich verlangt, hier findet dich, wer dich sucht, und schneller öffnest du dich jenen, die mit Inbrunst klopfen. Die Cherubime breiten ihre Flügel über die Bücher, heben den Geist der Lernenden von einem Pol zum anderen, von Aufgang zu Untergang, vom Norden zum südlichen Meer. In den Büchern lernt man Gott erkennen und lieben, den Hohen und Unbegreiflichen. In ihnen zeigt sich die Natur aller Dinge deutlich, der himmlischen, irdischen und höllischen. Aus ihnen ersieht man die Rechte alles Staatswesens, die Funktionen der himmlischen Hierarchie und die erschlichene Macht der Dämonen, Kenntnisse, welche die Ideen Platons nicht übertreffen und die Craton nicht lehrt. In den Büchern sehe ich die Toten wie lebendig. Aus den Büchern ersehe ich die Zukunft. In den Büchern kommen die Gesetze des Friedens. Alles geht zugrunde und wird zunichte mit der Zeit. Saturn hört nicht auf, die zu verschlingen, die er gezeugt hat. Aller Ruhm der Welt ginge in Vergessenheit, hätte Gott die Sterblichen nicht mit dem Heilmittel des Buches versehen. Alexander, der Beherrscher des Universums, Cäsar, der Ursupator der Republik und der Welt, der dank Mars und seiner Schlauheit der erste war, der das Reich unter den Gehorsam eines Einzigen brachte, der treue Fabricius und der strenge Cato, sie alle wären unbekannt, fehlte ihnen das Zeugnis der Bücher. Wie viele geschleifte Schlösser, wie viele zerstörte Städte sind in Vergessenheit geraten! Die Könige und die Päpste können nur durch die Bücher das Vorrecht genießen, der Nachwelt bekannt zu sein. Das vollendete Buch teilt dem Verfasser seine Unsterblichkeit mit, wie Ptolemäus bezeugt, der in seinem Prolog zum 'Almagest' ausruft: "Wer die Wissenschaft bereichert, stirbt nicht." Wer könnte gerechterweise einen Wert von anderer Art neben den unendlichen Schätzen der Bücher stellen, durch welche die gelehrten Schreiber die Herrschaft des Altertums und der heutigen Zeiten vergrößern? Die Wahrheit ist immer siegreich über König, Wein und Frauen. Nur wer sie verehrt und liebt, ist wirklich fromm. Sie ist der Weg ohne Krümmung, das Leben ohne Ende. Ihr schreibt der fromme Boethius die Gabe zu, dreifach zu sein: durch den Gedanken, das Wort und die Schrift. Nützlicher und fruchttragender sind diese Gaben wahrhaftig nirgendwo sonst als in den Büchern. Die Wahrheit, durch die Stimme kundgetan, vergeht mit dem Klang. Ist die Wahrheit, die im Denken verborgen ist, nicht eine den Augen entzogene Weisheit, ein unsichtbarer Schatz? In den Büchern aber ist die Wahrheit dem Erfahrenen leicht sichtbar. Sie zeigt sich den Augen beim Lesen, den Ohren beim Vorlesen und auch in gewisser Weise dem Gefühl, wenn man sie hinschreibt, berichtigt, sammelt und bewahrt. Die im Denken verschlossene Wahrheit ist ein edles Besitztum der Seele. Doch da ihr ein genosse fehlt, erscheint sie nicht so angenehm, als wenn sie durch Hören und Sehen erfahren wird. Die Wahrheit durch die Stimme ist deutlich allein für das Ohr. Indem sie sich den Augen entzieht, die uns gleichzeitig mehrere Seiten der Dinge zeigen, kommt sie zu uns nur durch eine sehr feine Bewegung und endet fast mit dem Atemzug, mit dem sie begann. Die im Buch geschriebene Wahrheit aber zeigt sich immer und ohne Pausen unserem Blick. Indem sie auf geistigem Wege durch die Augen dringt, die Vorhalle des Verstandes und den Innenhof der Phantasie, gelangt sie in den Saal der Intelligenz, wo sie sich mit dem Gedächtnis vereinigt, um die ewige Wahrheit des Gedankens zu erzeugen. Es muß schließlich noch bemerkt werden, welche Bequemlichkeit für die Wissenschaft, welche leichte und verborgene Lehre sich in den Büchern befindet und mit welcher Sicherheit wir ohne Beschämung die Größe unserer Unwissenheit entdecken. Bücher sind Lehrmeister ohne Stock und Rute, ohne Schreien und Zorn, ohne Tracht und ohne Geld. Kommt man zu ihnen, findet man sie nie im Schlaf. Fragt man sie, verheimlichen sie nicht ihre Gedanken. Irrt man sich, schimpfen sie nicht. Macht man eine Dummheit, kennen sie keinen Spott. O Bücher, die ihr allein die Freiheit besitzt, allein uns die anderen Freiheiten genießen laßt, die ihr allen gebt, was sie von euch verlangen, und alle befreit, die sich treu eurem Dienst weihen, wieviel tausend Dinge empfehlt ihr nicht den Gelehrten durch das Gleichnis vermittels der Schrift! Ihr Bücher seid die tiefen Minen der Weisheit, zu denen der Weise seinen Sohn schickt, daß er deren Schätze hebe. Ihr seid die Brunenn sprudelnden Wassers, die Abraham als erster grub und Isaak nach ihm und die zu verschütten sich die Philister immer bemühten. Ihr seid herrliche Ähren voller Körner, welche die apostolischen Hände allein zerschroten dürfen, damit sie als kräftige Nahrung den hungrigen Seelen gegeben werden. Ihr seid die goldenen Urnen, in denen das Manna und die Waben liegen, aus denen der heilige Honig kommt. Ihr seid die Brüste voller Milch des Lebens und nicht auszutrinken. Ihr seid der Baum des Lebens und der vierfache Fluß des Paradieses, an dem der Menschengeist weidet und mit dem sich der dürre Verstand benetzt. Ihr seid Noahs Arche und Jakobs Leiter. Ihr seid die Prüfsteine und die irdenen Töpfe, welche Gideons Lampen tragen, ihr seid Davids Hirtentasche mit den flachen Steinen, die den Philisterriesen töteten. Ihr seid die goldenen Tempelgefäße, die Waffen der geistlichen Krieger, die jene der Bösen untauglich machen. Fruchttragende Ölbäume seid ihr, Weinberge von En-Gannim, Feigenbäume, die nicht vertrocknen, und brennende Lampen und alles Gute, das wir in der Heiligen Schrift finden und das mit euch verglichen werden kann, wenn es erlaubt ist, bildhaft zu sprechen. Weshalb man Bücher immer kaufen soll - außer in zwei FällenAus dem, war wir im vorigen Kapitel gesagt haben, werden wir die für uns sehr angenehme Schlußfolgerung ziehen, die, wie wir vermuten, nur wenige aktzeptieren werden: Außer in der Befürchtung, vom Buchhändler betrogen zu werden, oder in der Hoffnung auf eine günstigere Gelegenheit, sollte man vor keinem Opfer zurückscheuen, Bücher zu kaufen. Wenn die Weisheit als einziger unendlicher Schatz den Büchern in den Augen der Menschen den Wert verleiht, der sich in Worten und Zahlen nicht ausdrücken läßt, wie wir ausgeführt haben, wie will man da beweisen, daß der Preis der Bücher zu hoch ist, da man doch durch ihren Besitz das höchste Glück erfährt? So fordert uns auch Salomo, das Licht der Menschen, auf, gern Bücher zu kaufen und sie nur widerstrebend zu verkaufen: "Kauft die Wahrheit, und verkauft nicht die Weisheit." Auch die geschichtlichen Tatsachen beweisen das, wovon uns die Logik und die Rhetorik überzeugen. Der Erzphilosoph Aristoteles, den Averroes wie ein Naturgesetz ansieht, kaufte nach dem Tod des Speusippos die Bücher dieses Philosophen für 72.000 Sesterzen. Platon, der Zeit nach vor Aristoteles, doch dem Wissen nach hinter ihm, erwarb für 10.000 Sesterzen das Buch das Phytagoreers Philolaos, ein Werk, nach dem er seinen "Dialog Timaios" verfaßte, wie Aulus Gellius im siebzehnten Kapitel des dritten Buches seiner "Attischen Nächte" berichtet. Er tut dies, um den Dummen zu zeigen, wie sehr die Weisen das Geld verachten in Hinsicht auf die Bücher. Er berichtet uns als Gegenstück von der törichten Verachtung des Tarquinius Superbus für die Bücher, um uns ein Beispiel dafür zu geben, wie sich Dummheit und Hochmut paaren. Was sonst wollte die Prophetin mit ihrem Vorgehen dem stolzen Feldherrn beweisen, wenn nicht dies, daß die heiligen Bücher über alle menschliche Schätzung gehen und da´von ihnen gilt, was Gregorius vom Königreich des Himmels sagte: "Tantum valet - quantum habes" - "Es ist so viel wert, wie du von ihm hast." Wie man die Bücher sorgfältig handhaben
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