In der Büchergesellschaft


von Ulrich Bräker

Um diese Zeit kam einst ein Mitglied der moralischen Gesellschaft zu L. in mein Haus, da ich eben die Geschichte von Brand und Struensee durchblätterte, und etwas von meinen Schreibereyen auf dem Tisch lag. "Das hätt' ich bey dir nicht gesucht", sagte er, und fragte: Ob ich denn gern so etwas lese, und oft dergleichen Sächelgen schreibe? "Ja"! sagt' ich: "Das ist neben meinen Geschäften mein einziges Wohlleben". Von da an wurden wir Freunde, und besuchten einander zum öftersten. Er anerbot mir seine kleine Büchersammlung; ließ sich aber übrigens in ökonomischen Sachen noch lieber von mir helfen, als daß er mir hätte beyspringen können, obschon ich ihm so von Weitem meine Umstände merken ließ. In einem dieser Jahre schrieb die erwähnte Gesellschaft über verschiedene Gegenstände Preißfragen aus, welche jeder Landmann beantworten könnte. Mein Freund munterte mich auch zu einer solchen Arbeit auf; ich hatte grosse Lust dazu, machte ihm aber die Einwendung: Man würde mich armen Tropfen nur auslachen. "Was thut das"? sagte er: "Schreib du nur zu, in aller Einfalt, wie's kommt und dich dünkt". Nun, da schrieb ich denn eben über den Baumwollengewerb und den Credit, sandte mein Geschmiere zur bestimmten Zeit neben vielen andern ein; und die Herren waren so gut, mir den Preiß von einer Dukate zuzukennen: Ob zum Gespötte? Nein, wahrlich nicht. Oder vielleicht in Betrachtung meiner dürftigen Umstände? Kurz, ich konnt' es nicht begreifen, und noch viel minder, daß man mich itzt gar von ein paar Orten her einlud, ein förmliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. "O behüte Gott"! dacht' ich und sagt' ich Anfangs: "Das darf ich mir nur nicht träumen lassen. Ich würde gewiß einen Korb bekommen. Und wenn auch nicht - ich mag so geehrten Herren keine Schande machen. Ueber kurz oder lang würden sie mich gewiß wieder ausmustern". Endlich aber, nach vielem hin und her wanken, und besonders aufgemuntert durch einen der Vorsteher, Herrn G. bey dem ich sehr wohl gelitten war, wagt' ich's doch, mich zu melden; und kann übrigens versichern, daß mich weniger die Eitelkeit als die Begierde reitzte, an der schönen Lesecommun der Gesellschaft um ein geringes Geldlein Antheil zu nehmen. Indessen gieng' es wie ich vermuthet hatte, und gab's nämlich allerley Schwierigkeiten. Einige Mitglieder widersetzten sich, und bemerkten mit allem Recht: Ich sey von armer Familie - dazu ein ausgerißner Soldat - ein Mann von dem man nicht wisse wie er stehe - von dem wenig ersprießliches zu erwarten sey, u. s. f. Gleichwohl ward ich durch Mehrheit der Stimmen angenommen. Aber erst itzt reute mich mein unbesonnener Schritt, als ich bedachte: jene Herren sagten ja nichts als die pur lautere Wahrheit, und könnten noch einst wohl damit triumphiren. Inzwischen mußt' ich's itzt gelten lassen, und tröstete mich bisweilen mit dem eben auch nicht ganz uneigennützigen Gedanken: Das eint' und andre Mitglied könnte mir im Verfolg, zu manchen wichtigen Dingen nützlich seyn.

Und da. - Hatt' ich ja itzt freylich eine erstaunliche kindische Freud, mit der grossen Anzahl Bücher, deren ich in meinem Leben nie so viele beysammen gesehn, und an welchen allen ich nun Antheil hatte. Hingegen errötete ich noch immerfort bey dem blassen Gedanken, ein eigentliches Mitglied einer gelehrten Gesellschaft zu heissen und zu seyn, und besuchte sie darum selten, und nur wie verstohlen. Aber da half alles nichts; es gieng mir doch wie dem Raben, der mit den Enten fliegen wollte. Meine Nachbarn, und andre alte Freunde und Bekannten, kurz Meinesgleichen, sahen mich, wo ich stuhnd und gieng, überzwerch an. Hier hört' ich ein höhnisches Gezisch'; dort erblickt' ich ein verachtendes Lächeln. Denn es gieng unsrer moralischen Gesellschaft im Tockenburg Anfangs wie allen solchen Instituten in noch rohen Ländern. Man nannte ihre Mitglieder Neuherren, Bücherfresser, Jesuiten, u. d. gl. Du kannst leicht denken, mein Sohn! wie's mir armen einfältigen Tropfen dabey zu Muthe war. Meine Frau vollends speyte Feuer und Flammen über mich aus, wollte sich viele Wochen nicht besänftigen lassen, und gewann nun gar Eckel und Widerwillen gegen jedes Buch, wenn's zumal aus unsrer Bibliothek kam. Einmal hatt' ich den Argwohn, sie selbst habe um diese Zeit meinen Creditoren eingeblasen, daß sie mich nur brav ängstigen sollten. Sie läugnet's zwar noch auf den heutigen Tag; und Gott verzeih' mir's! wenn ich falsch gemuthmaaßt habe; aber damals hätt' ich mir's nicht ausnehmen lassen. Genug, meine Treiber setzten itzt stärker in mich als sonst noch nie. Da hieß es: Hast du Geld, dich in die Büchergesellschaft einzukaufen, so zahl' auch mich. Wollt' ich etwas borgen, so wies man mich an meine Herren Collegen. "O du armer Mann"! dacht' ich, "was du da aber vor einen hundsdummen Streich gemacht, der dir vollends den Rest geben muß. Hätt'st du dich doch mit deinem Morgen- und Abendseegen begnügt, wie so viele andre deiner redlichen Mitlandsleuthe. Jezt hast du deine alten Freund' verloren - von den neuen darfst und magst du keinen um einen Kreuzer ansprechen. Deine Frau hagelt auch auf dich zu. Du Narr! was nützt dir itzt all' dein Lesen und Schreiben? Kaum wirst du noch dir und deinen Kindern den Betelstab daraus kaufen können", u. s. f. So macht ich mir selber die bittersten Vorwürfe, und rang oft beynahe mit der Verzweiflung. Dann sucht' ich freylich von Zeit zu Zeit aus einem andern Sack auch meine Entschuldigungen hervor; die hiessen: "Ha! das Lesen kostet mich doch nur ein geringes; und das hab' ich an Kleidern und anderm mehr als erspart. Auch bracht' ich nur die müßigen Stunden damit zu, wo andre ebenfalls nicht arbeiten; meist nur bey nächtlicher Weile. Wahr ist's, meine Gedanken beschäftigten sich auch in der übrigen Zeit nur allzuviel mit dem Gelesenen, und waren hingegen zu meinem Hauptberuf selten bey Hause.


Ulrich Bräker: Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg, Kapitel LXXI


[Fundstücke]  [LB-Startseite]  [E-Mail]