Bibliomanen & Buchmenschen


Baron Westreenen van Tiellandt
Richard Heber
Richard de Bury
John Ratcliffe
Thomas Rawlinson
Sir Thomas Phillipps I
Sir Thomas Phillips II
Joseph Freiherr von Lassberg
Die Bibliothek der Gebrüder Grimm
Chevaliere d' Eon
Julius Deutschbauer
Carlo Bo
Karl Wirth
Martin Weskott
Hans Lutz Merkle
Marcus Tullius Cicero
Aldus Manutius

Bücherpfarrer Martin Weskott

Der evangelische Pfarrer von Katlenburg, Martin Weskott, ist der Bücherpfarrer. Als ihm nach der Wende bekannt wurde, wie Hunderttausende von Büchern aus DDR-Verlage in der Nähe von Leipzig (Sekundärrohstoffverwertungshof Plottendorf) auf die Müllkippe geworfen wurden, startete er eine einzigartige Rettungsaktion und karrte die Makulaturware zu sich nach Hause. Ob Sachbücher oder Belletristik, ob politische oder juristische Literatur - sein Rettungswerk hatte Erfolg. Auch heute noch zieht er durch die gesamte Republik, wenn er irgendwelcher Bestände habhaft werden kann, so daß insgesamt wohl 1 Mio Bücher der Vernichtung entgingen. Mittlerweile ist er in aller Welt bekannt, seine Bücher stehen in viele Bibliotheken und Sammlungen und werden gebraucht. Momentan stapeln sich in einem neben der Kirche von Katltenburg gelegenen klösterlichen Magazingebäude auf 90 qm zirka 50.000 Bücher. Die Erlöse aus seinen Aktionen gehen zugunsten von Brot für die Welt. Seit 1992 lesen auch so genannten "Müll-Literaten", ebenjene, deren Bücher weggeschmissen worden waren; 150 Autoren lasen schon dort, darunter so namhafte wie Christa Wolf, Volker Braun, Christoph Hein, Erich Loest und Wolfgang Hilbig. Der Deutschlandfunk berichtete (Text) kürzlich über den Bücherpfarrer und auch die taz. Martin Weskott wurde sogar schon das Bundesverdienstkreuz verliehen. Weitere Informationen befinden sich auf der Webseite der Bücherburg.


Karl Wirth

Karl Wirth aus Helmbrechts hat in seiner privaten Bibliothek mehr als 12.000 Bücher zusammengetragen. Mit billigen Reclam-Hefte ging es nach der Währungsunion 1948 los - meterweise. Den Grundstock für seine Sammlung legte die Bibliothek des heimatlichen Pfarrers Hans Jäger, die er erbte, etwa 150 Bücher. Er verbrachte viel Freizeit in der Nürnberger Stadt- und Hochschulbibliothek auf, in dessen Nähe er wohnte. "Das war für mich das Paradies, inmitten der gewaltigen Bücherregale." Aus dem Modernen Antiquariat deckte er sich mit nicht mehr Preis gebundenen Büchern, die zu Schleuderpreisen angeboten wurden, ein. Seine Sammlerleidenschaft hatte begonnen und er suchte nun intensiv nach guten Büchern. Inzwischen ist seine private Bibliothek auf über 12.000 Exemplare angewachsen. Spezialisiert hat er sich dabei auf Sachbücher und Nachschlagewerke. Sein besonderes Interesse galt und gilt auch heute noch der DDR-Literatur, die mehr als ein Drittel seiner Sammlung ausmacht. Das machte ihn zum Spezialisten, dessen Dienste auch als Berater im Beirat "Jugendliteratur der DDR" der Bayrischen Staatskanzlei erwünscht waren. Beim Aufbau seiner Sammlung hat er sich besonders von "Eine kleine Bibliothek der Weltliteratur" von Hermann Hesse, die "ZEIT-Bibliotheken der 100 Bücher und Sachbücher", die "Leseliste" sowie von "Das Buch der 1000 Bücher" inspirieren lassen und empfiehlt diese jedem, der sich eine eigene Sammlung anlegen will. Er entwickelte einen "Wegweiser in das Bücherland für anspruchsvolle Leser“. Abgeleitet hatte er dies von der "Dezimalklassifikation", einem Zahlensystem ähnlich unserer Postleitzahlen. Auch seine mehr als 12 000 Exemplare hat er nach diesem System durchnummeriert und findet so ganz schnell die gesuchte Buchausgabe. [X]


Baron Westreenen van Tiellandt

Eine besondere Gattung unter den Bibliomanen war der Holländer Baron Westreenen van Tiellandt. Er litt an der sogenannten Biblotaphie, die sich dadurch äußert, daß der Sammler seine Bücher versteckt und sie hinter doppeltem Verschluß hält. Es wird von ihm erzählt, daß er eines Tages zu zwei seiner Freunde sagte: "Schon tausend Mal wolltet ihr meine Bücher sehen. Jetzt gebe ich die Erlaubnis. Aber bevor ihr bei mir eintretet, müßt ihr die Kleider und die Pantoffeln anziehen, die ich euch gebe. Denn in euern eigenen Kleidern könnte Staub sein, der den Büchern schadet. Und solchen bringt ihr auch mit euern Stiefeln herein." Doch als die Freunde sich bereit fanden, hatte Westreenen immer wieder neue Bedenken, so daß es schließlich nie zur Besichtigung der Bibliothek kam.


Richard Heber

Richard Heber (1774-1833) hatte als bücherwütiges Wunderkind begonnen. Als Sohn eines wohlhabenden Geistlichen aus Hodnet in Cheshire erstellte er als Achtjähriger einen Katalog der Büchersammlung, die er bereits zusammengetragen hatte, mit detaillierten Anweisungen, wie die Bücher gebunden werden sollten. Während der Schulzeit kaufte er über seine Verhältnisse und war bei Buchauktionen eine bekannte Erscheinung. Bald quoll das Pfarrhaus von Büchern über. Von seinem Vater ererbte er ein beträchtliches Vermögen, das ihn ein Leben lang von Geldsorgen befreite. Heber war der Auffassung, Er sagte, jeder Gentleman sollte wenigstens drei Exemplare eines Buches besitzen: eines für sich selbst, eines zum Verleihen an Freunde und eines für sein Landhaus. Einmal kaufte er in Paris eine ganze Bibliothek, die 30.000 Bände umfaßte. Der Aufkauf des gesamten Angebots eines Antiquars war für ihn in seiner unersättlichen Büchergier kein Problem. Holbrook Jackson bezeichnete ihn als "den größten Bibliomanen aller Zeiten... einen Bibliomanen im unangenehmsten Sinn des Wortes; kein Alkoholiker, kein unheilbarer Opiumraucher besaß weniger Selbstkontrolle. Jedes Buch, das er sah, begehrte er, und was er begehrte, mußte er besitzen. Die überwältigende Passion seines Lebens war es, eine Sammlung zusammenzutragen, wie sie vor ihm niemand zusammengetragen hatte... Seine Sammlung war allumfassend, und er ließ nie in dem Bemühen nach, alle möglichen Arten von Büchern anzuhäufen, kaufte sie auf jede Weise, überall, ständig." Der Geistliche Thomas Frognall Dibdin beschrieb ihn ausführlich in seinem 1809 erschienenem Buch "Bibliomania". In dem Zimmer seine Londoner Hauses in Pimlico, wo er geboren worden war, starb er auch, nachdem er seine letzten Jahre einsiedlerisch verbracht hatte. Dibdin suchte das Haus unmittelbar nach Hebers Tod auf: "Nie zuvor hatte ich Zimmer, Schränke, Treppenaufgänge und Korridore so vollgerümpelt, so bis zum Ersticken voll mit Büchern gesehen. Hier standen sie in Dreierreihen, dort in Zweierreihen. Hunderte von schlanken Quartos lagen, zu mehreren aufeinandergestapelt, über dünnen, verkümmerten Duodezformaten und reichten vom einen Ende eines Regals zum anderen. Bis an die Decke türmten sich die Bände, und auf dem Fußboden lagen sie in zahllosen ungeordneten Haufen. Als ich all das sah und daran dachte, was wohl überdies noch in Hodnet und auf dem Kontinent sein mochte, blieb mir fast der Verstand stehen. Der Testamentsvollstrecker entdeckten außerdem noch zwei Häuser voller Bücher in London, Paris, Antwerpen, Gent und Brüssel.


Richard de Bury

Richard de Bury (1287-1345), Bischof von Durham und englischer Lordkanzler, besaß nicht nur "mehr Bücher als alle anderen Bischöfe Englands zusammen", er mochte seine geliebten Folianten nicht einmal auf Reisen missen. "Überall, wo er mit seinem Gefolge residierte, lagen so viele Bücher zerstreut in seinem Schlafzimmer, daß die Eintretenden kaum stehen oder gehen konnten", tadelte ein erstaunter Chronist. Darüber wäre der exzentrische Kirchenfürst um ein Haar selbst gestolpert, denn seinen Zeitgenossen war die weltliche Leidenschaft des geistlichen Herrn offensichtlich ein Dorn im Auge. Sie denunzierten ihn immer wieder als eitlen Angeber und "Büchernarren", der ohne Sinn und Verstand Werke sammelte, die er selbst nicht recht verstehe. Der bibliophile Bischof schlug auf seine Art zurück: mit einem Buch. Um sich und seine Sammelwut vor Gott und der Welt zu rechtfertigen, schrieb er das "Philobiblon". In diesem gelehrten Werk übte er verhaltene Selbstkritik und versuchte zugleich mit scholastischer Spitzfindigkeit und einem Schwall von theologischen Zitaten zu beweisen, daß die Liebe zu Büchern keine Sünde sein kann. ("Diese schwärmerische Liebe hat mich so mächtig mit sich fortgerissen, daß ich alles andere Irdische von meiner Seele abgestreift und in der Leidenschaft des Büchersammelns mich verzehrt habe ...") Dabei konnte der geistliche Bibliomane es sich allerdings nicht verkneifen, seinen Gegnern mit höchst weltlicher Grobheit die Buchdeckel um die Ohren zu schlagen: "Unsere Tadler sprechen wie die Blinden von der Farbe. Nachtvögel sollten nicht über das Licht urteilen ... Wären wir der Jagd, dem Würfelspiel oder der Frauengunst nachgegangen, so wären sie vielleicht wohlwollend gewesen und hätten uns gelobt.


John Ratcliffe

John Ratcliffe war einer der bedeutensten Inkunabelsammler des 18. Jahrhunderts. Dieser dicke, gesellige Mann, der sich auf Frühdrucke und ganz besonders die Werke des berühmten William Caxton spezialisiert hatte, hielt jeden Donnerstagvormittag "open house" und führte Freunde und Sammlerkollegen stolz seine schönsten Neuerwerbungen vor. Der Erfahrungsaustausch unter Bücherfreunden fand im Tante-Emma-Laden statt: Ratcliff war von Beruf Kolonialwarenhändler. Beim Lesen der seinerzeit als Einwickelpapier verwendeten Seiten aus antiquarischen Werken war er auf den Geschmack an schönen alten Büchern gekommen. Dabei entwickelte der "black letter dog" - wie man damals Sammler früher Druckwerke nannte - offensichtlich erstaunlichen Spürsinn. Als Ratcliffs Sammlung nach seinem Tode versteigert wurde, kamen allein über 50 unersetzliche "Caxtons" unter den Hammer. Ohne die Findigkeit des bibliophilen Einzelhändlers hätten diese Bücher aus der allerersten Druckerei Englands wahrscheinlich jenes ruhmlose Ende genommen, das Heinrich Heine seinen eigenen Werken vorhersagte: als Einwickelpapier "um Kaffee oder Schnupftabak darin zu schütten für die alten Weiber der Zukunft".


Thomas Rawlinson

Thomas Rawlinson (1681-1725) häufte in seiner Londoner Wohnung in Gray's Inn so viele Bücher an, daß er aus Platzmangel gezwungen war, ihnen zu weichen; er schlief im Korridor. Später zog er mit seinem Bruder in eine große Villa um, wo es bald nicht anders aussah. Der englische Schriftsteller und Politiker Joseph Addison parodierte Rawlinsons Zwanghaftigkeit in der Figur des "Tom Folio" in seiner Wochenschrift "The Tatler". Rawlinsons Sammlung mittels Auktionen zu verkaufen dauerte über 12 Jahre.


Sir Thomas Phillips I

Der englische Landadliger Sir Thomas Phillips (1792-1872) ging auf die Jagd, aber allein nach alten Büchern und Manuskripten. Wieviele seltene Handschriften dieser Sonderling, der schon als Kind zu sammeln begonnen hatte, wirklich zusammengetragen hat, konnte bis heute nicht eindeutig festgestellt werden. Vermutlich wußte er es selbst nicht, denn offensichtlich war Sir Thomas in späteren Jahren absolut unfähig, ein Stück beschriebenes Papier links liegenzulassen - sehr zum Mißvergnügen weniger begüterter Sammlerkollegen, die dem steinreichen Neurotiker vorwarfen, mit seiner Kaufwut die Preise hochzutreiben. Ihm selbst schien das eher verdienstvoll: "nichts trägt so sehr dazu bei, eine Sache erhaltenswert zu machen wie ein hoher Preis", erklärte er einmal. Den bezahlte der spleenige Edelmann nicht nur in Pounds und Pence. Das Bibliothekszimmer seines Anwesens Middle Hill reichte schon bald nicht mehr aus, um die Früchte seiner Sammelmanie aufzunehmen. Mit der Zeit begannen Stapel von Büchern, Manuskripten und Pergamenten das Haus zu überwuchern, bis ganz Middle Hill eine einzige unordentliche Bibliothek war. Der Sammler selbst wurde von seinen Schätzen buchstäblich in die Ecke gedrängt: Zuletzt hauste er in einem Winkel, der gerade noch Platz für ein Sofa, einen Tisch und ein paar Stühle bot. Auch der geistge Horizont des adeligen Büchernarren scheint sich zunehmend verengt zu haben. Neben seiner krankhaften Bibliomanie bot sein Kopf zuletzt nur noch einer einzigen Emotion Platz: unauslöschlichem Haß auf die katholische Kirche und den Ehemann seiner ältesten Tochter. Zumindest das familiäre Zerwürfnis hatte wiederum mit Büchern zu tun: Phillips verdächtigte den Schwiegersohn, ihm eine unersetzliche Erstausgabe von Shakespeares "Hamlet" gestohlen zu haben. Seine Rache reichte noch über das Grab hinaus: Kurz vor seinem Tod ließ er die gesamte Bibliothek in ein eigens gekauftes Haus auslagern und den Familiensitz - der nach britischem Erbrecht seiner Tochter und damit auch dem verhaßten Schwiegersohn zustand - systematisch demolieren, bis er praktisch in Ruinen lag. Das Testament des Sir Thomas Phillips war so abseitig wie sein Leben: Als wichtigste Klausel bestimmte es, daß weder Tochter noch Schwiegersohn noch "irgendein Mensch katholischen Glaubens jemals Erlaubnis bekommen soll, meine Bücher und Handschriften zu inspizieren."


Sir Thomas Phillipps II

Sir Thomas Phillipps, ein englischer Gutsbesitzer aus Worcestershire, brachte mit seiner fanatischen Bibliomanie fast seine Angehörigen an den Bettelstab. Dabei hatte er 1818 im Alter von 26 Jahren ein beachtliches Vermögen geerbt. Nach Heirat der Tochter eines irischen Generals wurde er durch dessen Einfluß Baronet. Sein Leben ist sehr gut dokumentiert, weil der Sammler selbst jeden Papierschnippsel, jede Rechnung aufgehoben hat und weil der Bibliothekar Alan Noel Latimer Munby dessen Geschichte detailliert in seinen 5 Bänden "Phillips Studies" festhielt. Phillipps kaufte alte Akten aus Ministerien, ganze Wagenladungen Altpapier; dieser "Papiertick" ließ ihn zum Retter vieler wertvoller, historischer Dokumente werden. Frau und Kindern mußten unter seiner Manie leiden, indem sie nicht nur finanzielle Engpässe durchzustehen hatten, sondern sie arbeiteten an der Katalogisierung seiner Schätze mit. Mit 35 mußte er vor seinen Gläubigern ins Ausland fliehen, wo er sich ebenso wenig beherrschen konnte und weitere Handschriften an sich raffte. Um einen Katalog seiner Manuskripte zu erstellenm, beschäftigte bzw. verschliss er mehrere Drucker, die wie seine Familienangehörigen unter seinem Geiz und der permanent schlechten Laune litten. Nachdem der Schwiegervater die Gläubiger beruhigt hatte, kehrte Phillips zurück und stürzte von einer Kauforgie in die nächste. Ein Eßzimmer, in dem man vor Papier keinen Platz mehr fand, wurde kurzerhand abgeschlossen. Durch manche Fenster pfiff der Wind, die Tapete kam von den Wänden. Seine Frau wurde drogenabhängig, verlor den Lebensmut und starb mit nur 37 Jahren. Gleich nach der Beerdigung suchte er sofort nach einer Braut, deren Mitgift sich in neue Bücher investieren ließ, und benahm sich bei den Brautwerbungen "wie ein Viehhändler", wie ein potentieller Schwiegerväter die Unterhandlung einmal nannte. Zehn Jahre und geschätze 17 Anläufe dauerte es, bis sich eine neue Frau fand. Als Phillipps 1872 starb, sollte seine Sammlung versteigert werden. Die Katalogisierung und der Verkauf der staubigen Schätze konnte wegen der ungeheuren Menge jedoch erst 1946 abgeschlossen werden.


Joseph Freiherr von Lassberg

Mit 45 Jahren liess sich Joseph Freiherr von Lassberg pensionieren, zog sich auf das Schloss Eppishausen zurück und entwickelte eine grosse Sammelleidenschaft. Hinterlassen hat er rund 11 000 Bücher. Zu seiner Zeit war Joseph Maria Christoph Freiherr von Lassberg (1770-1855) oder - wie er sich selbst zu nennen pflegte - Meister Seppen von Epishusen eine grosse Persönlichkeit. Er widmete sich mit Bedacht und Leidenschaft dem geschriebenen Wort alemannischer und germanischer Herkunft. Der Freiherr kaufte Handschriften und Bücher und stellte so eine bedeutende Bibliothek zusammen. So bedeutend, dass sich unter anderem die Professoren Jacob und Wilhelm Grimm gerne bei ihm aufhielten. Die Museumsgesellschaft und die Literaria Bischofszell hatten gemeinsam zum Vortrag über den Freiherrn geladen. Nachdem in den letzten Jahren jeweils "grosse" Stadtbürger vorgestellt wurden, fiel die Wahl diesmal auf einen Auswärtigen. "Nicht weil uns die berühmten Bischofszeller ausgegangen wären", erläuterte Museumsgesellschaftspräsident Alex Thalmann, "sondern weil es für interessante Vorträge auch die richtigen Redner braucht." Mit Heinz Bothien, dem thurgauischen Kantonsbibliothekar, konnte ein profunder Kenner des Joseph Freiherr von Lassberg verpflichtet werden. Mit lebendigen Worten zog er das Publikum in seinen Bann. Noch vor drei Jahren sagte derName von Lassberg dem Bibliothekar wenig. Als er Kenntnis davon erhielt, dass die Lassberg'sche Bibliothek - die rund 11 000 Bücher umfasst und Teil der Donaueschinger Bibliothek zu Fürstenberg war - aufgelöst und verkauft werden soll, wurde Heinz Bothien aktiv.

Mit seinem Engagement und derfinanziellen Unterstützung des Barons von Fink (München/Weinfelden) ist es gelungen, rund 500 Bücher für die Kantonsbibliothek sicherzustellen. Von Lassbergs Leben faszinierte Bothien derart, dass er ein Buch über den ehemaligen Schlossherrn von Eppishausen verfasste. Joseph Freiherr von Lassberg lebte in einer Zeit der Widersprüche. So erlebte er die Zeit vor, während und nach der französischen Revolution, die Zeit der Romantik und der Restauration. Festhalten an Altem war ein Merkmal dieser Epoche, der Aufbruch zu Neuem ein anderes. Mit Letzterem hatte der Freiherr allerdings so seine Mühe. Er zeigte sich enttäuscht vom Ausgang des Wiener Kongresses, liess sich mit 45 Jahren pensionieren und zog sich zurück, um sich der Literatur zu widmen. Als 16-Jähriger wurde er zum Ritter geschlagen. "Meines Wissens ist er der Letzte, der im deutschsprachigen Raum zum Ritter geschlagen wurde", so Bothien. Der Ritter befasste sich nach dem Umzug ins Schloss Eppishausen vor allem mit der germanischen und alemannischen Literatur. Er war ein Verehrer der "guten, alten Zeit" und begeisterte sich für alte Schriften. Fein säuberlich kategorisierte er seine wachsende Bibliothek und stellte sie anderen zur Verfügung, die sich mit der geschriebenen Sprache befassten. Seine zweite Ehe führte er mit der Schwester der Meersburger Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Auch sie war zu Gast im Schloss Eppishausen, konnte aber mit der "altertümlichen" Art ihres Schwagers und seiner Gäste nicht allzu viel anfangen. Nachdem Joseph Freiherr von Lassberg rund einen Viertel seines Lebens hier verbracht hatte, hielt er Ausschau nach einer neuen Bleibe. Die "neue" Verfassung und die darauf folgende Politik im Thurgau seien ihm zu progressiv gewesen, sagte Bothien. In der Dagobertsburg in Meersburg fand der Freiherr sein neues Zuhause.


Die Bibliothek der Gebrüder Grimm

Seine Bücher liebt er [Jacob], das Wort ist nicht zu stark, mit Zärtlichkeit. Die gemeinschaftliche Bibliothek stand unter seiner besonderen Obhut. Er ließ die Werke nach eigener Angabe verschiedenartig einbinden und konnte es bis zu einem gewissen Luxus darin treiben. Die gute oder bessere Meinung, die er von dem Werte eines Buches hegte, deutete er durch mehr oder weniger kostbaren Einband an. Bei kleineren Gelegenheitsschriften ließ er das zu überreichende Exemplar gern in dunkelroten Samt binden. Der nach dem Tode meines Vaters gedruckte Freidank erhielt den teuersten Einband, der herzustellen war. Es hat etwas Natürliches, daß er, der so lange Bibliothekar gewesen war, nun seine Bibliothek als eine Art Persönlichkeit betrachtete. Mit Wohlgefallen ging er oft die aufgestellten Reihen entlang, nahm auch wohl diesen oder jenen Band heraus, besah ihn, schlug ihn auf und stellte ihn wieder an seinen Ort. Es machte ihm Freude, aufzuspringen und das Buch selbst zu geben, wenn man es bei ihm suchte und nicht gleich finden konnte. Nach meines Vaters Tode, als er dessen Stube mit zur Bibliothek einrichtete, ordnete er die Bücher nach einem neuen Plan und besorgte die Umstellung ganz allein. Er konnte im Dunkeln jedes Buch ergreifen ohne Irrtum. Er verlieh nicht gern, weil er in die Bücher zu schreiben und Zettel hineinzulegen pflegte. Viele tragen auf dem letzten leeren Blatt ein doppelt angelegtes Inhaltsverzeichnis, eins von Jacobs, eins von Wilhelms Hand. Ich finde, daß er in einem Briefe an Lachmann einmal scherzweise von der späteren Auktion der Bibliothek redet, wie die Leute sich wundern würden, so kostbare Bücher wie die große prächtige Ausgabe der Nibelungen bei ihnen zu finden; er hat auch mir einmal davon geredet, wie nach seinem und meines Vaters Tode die Bücher zerstreut würden und so der Plan, nach dem sie gesammelt, niemanden als ihnen bewußt gewesen wäre, allein wenn ihm bei solchen Gelegenheiten widersprochen ward, ließ er das gelten. Mehrfach haben meine Geschwister und ich ihm versichert, es würden die Bücher nicht auseinandergerissen und versteigert werden, und noch in den letzten Stunden, als seine Augen zeigten, daß er verstand, was man sagte, und als wir uns bemühten, auszusprechen, was ihn erfreuen und beruhigen könnte, daß die Bibliothek in würdiger Weise erhalten bleiben würde. (von Hermann Grimm)


Chevaliere d' Eon

"... war 1791 in London, ohne Amt und Mittel, zu dem heroischen Entschluß gelangt, seiner Bücherei, die er sich zur Erholung von den vielfachen Aufregungen, die ihm seine Wechselrolle als Mann und Weib verursachte, gesammelt hatte, zu entsagen. Er beauftragte deshalb seinen Freund Christie mit dem Verkauf, der mit ihm dies Verzeichnis der zur Versteigerung kommenden Schätze herausgab: Katalog der seltenen Bücher und kostbaren Handschriften der Chevaliere d'Eon, der ehemals bevollmächtigter französischer Gesandter in England .... enthaltend eine große Anzahl alter sowie neuer Handschriften, eine wertvolle Sammlung von Wörterbüchern und von französischen, griechischen, lateinischen, englischen Druckwerken, auch von orientalischen Schriften .... und das die Vorrede des Katalogs eine interessante Schilderung der sehr eigenartigen Position der Mlle. D'Eon enthält.... Dieses verlockende, für einen Schilling verkaufte Verzeichnis hatte den gewünschten Erfolg: die Bücherei wurde nicht verkauft, aber eine bei dem Bankier Hammersley eingeleitete öffentliche Sammlung brachte dem Chevalier 465 Pfund Sterling ein, der sich beeilte, den größten Teil der Summe der Bibliophilie dankend zu opfern: 1792 kaufte der die von Mead und Douglas zusammengebrachte Kollektion von 500 Ausgaben des Horaz, deren Verzeichnis er redigiert hatte, bei Christie für 100 Pfund. Indessen zwang den Chevalier seine mißliche Lage, einen Teil seiner Bücherei am 24. Mai 1793 wirklich durch Christie versteigern zu lassen, während der Rest mit den 500 Ausgaben des Horaz erst am 19. Februar 1813 unter den Hammer kam und 313 Pfund löste. Die Bücherliebhaberei des Chevalier war echt; er gehörte mehr zu jenen Buchfreunden, deren Büchersammlungen in ihren merkwürdigen Lebensschicksalen derentwegen auch merkwürdig wurden, als daß sie schon an und für sich dazu angelegt gewesen sind, als Hebel einer abenteuerlichen Lebensgestaltung zu wirken.


Julius Deutschbauer

Wer hat denn im Bücherregal kein ungelesenes Buch stehen? Beispielsweise Thomas Manns "Zauberberg", Ben Jonsons "Volpone" oder das Strafgesetzbuch? Vielleicht auch La Mettries Abhandlung über die Wollust? Solche Totgeburten der Lektüre sammelt der Wiener Künstler Julius Deutschbauer seit 1997. Er betätigt sich dabei als Einmannbetrieb, der die ungelesenen Bücher sucht, indem er Leute nach Eindrücken, Gedanken, Einfällen zu deren ungelesenen Büchern befragt, die Interviews archiviert, die von den Interviewten nicht gelesenen Bücher für seine Bibliothek beschafft, als Bibliothekar über die Bestände wacht und sie als mobiles Objekt sei es in Museen, sei es in Galerien ausstellt. Dort können Belesene die ungelesenen Bücher anderer Belesenen nachlesen. Klassiker der Weltliteratur sind in der nicht alltäglichen Bibliothek ebenso zu finden wie ausgefallene Texte. Hört man sich an, was den Besitzern ungelesener Bücher so alles zu den ungeliebten, verstoßenen, plötzlich gehassten, langweiligen oder für bessere Tage abgeschobenen Texten einfällt, wird aus dem Besuch dieser Büchersammlung eine Veranstaltung, die den Nachweis erbringt, dass auch ungelesene Bücher einem treffliche Bemerkungen und Eindrücke zu entlocken vermögen. Die ungelesenen Bücher fungieren offenbar ähnlich wie die Tagesreste, von denen Sigmund Freud in der "Traumdeutung" spricht – auch sie ist unter den ungelesenen Büchern zu finden –: Sie eigenen sich zur Inszenierung wilder Gedanken, hinter denen sich vielsagende Geheimnisse verbergen.


Carlo Bo

1984 zog der Literaturwissenschafter und Kritiker Carlo Bo die vorsichtige Bilanz: "Ich habe mein Leben gelesen. In dem besonderen Sinn, dass für mich die Lektüre eine zweifache war; zunächst in den Büchern, die ich seit vierundfünfzig Jahren nicht aufgehört habe zu sammeln, und danach im Herzen der Menschen, im ununterbrochenen, leisen Geräusch der Dinge des Lebens." Jetzt gilt es, den Nachlaß und sein Erbe zu verwalten, nämlich eine der umfangreichsten Privatbibliotheken Italiens, die Bo einer Stiftung anvertraut hat. Zwischen 110 000 und 120 000 Bücher müssen erfaßt werden. Der materielle und erst recht der geistige Wert dieses Vermächtnisses ist nicht quantifizierbar. Seit Anfang des Jahres arbeitet eine Equipe von fünf Bibliothekarinnen unter der wissenschaftlichen Leitung von G. Di Domenico mit Hochdruck an der bibliothekarisch-archivistischen Inventarisierung und Einrichtung der Bibliothek; binnen zweier Jahre soll sie den Forschern zugänglich sein, so die verpflichtende Bedingung der Schenkung. Die gesamte europäische Literatur, nicht nur des 20. Jahrhunderts, Lyrik, Literaturwissenschaft, Kunst, Geschichte, Philosophie, kurz: Die Geistesgeschichte des vergangenen Jahrhunderts ist hier dokumentiert. Die bibliophilen Kostbarkeiten, Erstausgaben und Raritäten, die unzähligen persönlichen Widmungen der Grossen des 20. Jahrhunderts müssen jedem Büchermenschen einen Schauer der Ehrfurcht über den Rücken jagen. Buch für Buch werden jetzt alle Daten vermerkt, jeder eingelegte Brief, jeder Zeitungsausschnitt, jede Unterstreichung wird dem elektronischen Gehirn eingespeist.


Der Büchermensch Hans Lutz Merkle

Was zu Lebzeiten nur sehr enge Freunde und Verwandte von dem öffen tlichkeitsscheuen Unternehmer (Bosch) wussten, lässt nun einen ungetrübten Blick auf die privaten Interessen Merkles zu. Allein die Vorstellung ist beeindruckend: 17.000 Bücher umfasst seine Bibliothek, die er zu Lebzeiten an mehreren Orten verwahrte - eine regelrechte Schatztruhe des Geistes, die nunmehr zumindest zur Hälfte geöffnet wird. Denn rund 8.000 Bücher werden nach den Worten des Auktionators Clemens Reiss in vermutlich vier Versteigerungen in der nächsten Zeit verkauft. Fast schon mit Besessenheit legte Merkle im Laufe von Jahren und Jahrzehnten eine Sammlung an, die seinesgleichen sucht. Das kostbarste Kleinod aus ihr: Goethes "Römischer Carneval", einer Erstausgabe aus dem Jahre 1789, einst nur in einer Auflage von 250 Exemplaren gedruckt und so selten, dass Goethe selbst sie zu Lebzeiten vergeblich zu erwerben versuchte. [...] Es steht außer Frage, dass Merkle ein Buchmensch war. Nicht im Sinne jenes Sinologen namens Peter Kien, wie ihn Elias Canetti in seinem Roman "Die Blendung" erfunden hat: ein eigenwilliger, autistischer Mensch, dessen 25.000 Bücher ihm zu Kombattanten gegen eine geistig feindliche Welt werden. So war Merkle sicher nicht. Aber er liebte Bücher: Seit 1966 verschenkte er regelmäßig zu Weihnachten Bücher an seine Freunde, die bei der Deutschen Verlagsanstalt oder bei Menasse gedruckt wurden. Den Freunden legte er einen Begleittext bei, weshalb er diese Bücher ausgesucht hatte. Er wolle, schrieb er darin einmal, nicht den Freunden Unterhaltung verschaffen, im Gegenteil: "Die Bücher sollen eher Beunruhigung stiften." Und gleich fügte er das Zitat des Schriftstellers und Denkers André Gide an: "Ein Buch ist verfehlt, das den Leser unversehrt lässt."


Marcus Tullius Cicero

Als Cicero sich auf sein Landgut Tusculum zurückzog, faßte er die Summe seiner Einsichten in der Feststellung zusammen: Nennst du einen Garten dein eigen und besitzt du dazu noch eine Bibliothek, dann wird es dir an nichts fehlen. Bücher waren ihm, lange bevor er an seinen Garten denken konnte, wichtig. Er sah in ihnen gute Freunde, die der Jugend angemessene geistige Nahrung und dem Alter immer neue Zerstreuung geben konnten. Für ihn waren Bücher unentbehrliche Begleiter bei Tag und bei Nacht, die er auch auf Reisen nicht missen wollte. Sie galten ihm als Schutz vor Unglück und Tröstung im Elend. Er wollte sie privat nicht entbehren und als Politiker nutzen. Vielleicht sähe die Welt anders aus, würden Bücher heute von Staatsdienern auch nur annähernd so geschätzt. (Günter Scholz (Hrsg.): Büchernärrisches Lese-Vergnügen für Bücherfreunde, -leser, -sammler, Bibliophile und Bibliomanen, S. 23)


Aldus Manutius

Zu den berühmtesten Verlegern und Druckern der Geschichte gehört der Vater der Kursivschrift und Ahnherr aller neueren lateinischen Schriften, der Humanist Aldus Manutius. Um 1450 in Bassiano in der Nähe der Pontinischen Sümpfe geboren, lernte er in Rom das Latein, in Verona das Griechische. 1494 gründete er in Venedig eine Druckerei, um die Werke der Alten in mustergültigen Texten über die ganze Welt zu verbreiten. Diese Texte waren dank der unsorgfältigen Nachschreiber voller Entstellungen und Lücken. Die Drucke des Aldus Manutius erschienen zwischen 1494 und 1515. Sie hießen Aldinen und verbreiteten sich über die ganze Welt. Als Aldus 1515 starb, umstellte man sein Grab mit seinen Büchern. Viele Menschen, die Venedig besuchten, kamen nicht wegen der Stadt, sondern wegen Aldus Manutius.


[Nach oben]  [Bibliomanie]  [LB-Startseite]